Koch: „Mit großer Freude für einen guten Freund, im Respekt vor seiner Persönlichkeit und im Versprechen, seinen friedlichen Freiheitskampf für sein Volk auch weiterhin zu unterstützen, gratuliere ich dem Dalai Lama“
Ein Beitrag von Ministerpräsident Roland Koch in der Augsburger Allgemeine zum 75. Geburtstag des Dalai Lama
Jeder Teilnehmer eines öffentlichen Auftritts des Dalai Lama ist nach seinen Reden tief beeindruckt von seiner Persönlichkeit, vor allem von seiner Offenheit und gelebten Bescheidenheit. Gerne denke ich an den mit 20 000 Menschen überfüllten Kurpark in Wiesbaden zurück – das war vor fünf Jahren. „Freunde für einen Freund“ – unter diesem Motto hatten wir damals seinen 70. Geburtstag in Hessen gefeiert. „Ruhe in dir selbst und Mitmenschlichkeit in Frieden“ – diese Botschaft kam bei den Menschen an. Heute vollendet Seine Heiligkeit sein 75. Lebensjahr.
Man gewinnt bei seinen Ansprachen einen fesselnden Eindruck von einem außergewöhnlichen Menschen und einem außergewöhnlichen Volk mit seiner besonderen Geschichte und Kultur.
Dabei geht es um das, was der Dalai Lama als religiöses Oberhaupt einer wesentlichen Strömung des Buddhismus repräsentiert. Es geht auch für viele, die sich mit dem tibetischen Volk befassen, um die Besonderheiten des Entwickelns einer Gesellschaft in Abgeschlossenheit. Die Tibeter haben sehr lange sehr allein gelebt. Und sie haben dabei besondere Strukturen gefunden. Manche Strukturen, die wir als Europäer für uns sicherlich nicht akzeptieren würden, weil sie mit ihrer Ausprägung eines Gottesstaates mit unserem heutigen Verständnis von Demokratie nicht zusammenpassen. Aber sie haben ihre Kultur, ihre Identität, ihre Medizin, ihren Weg als ein Millionenvolk in einer Weise gefunden, dass daraus ein sehr gläubiges Volk geworden ist. Fast keines dieser Elemente finden wir so irgendwo anders auf der Welt. Und schon gar nicht in dieser Kombination.
Darin liegt jenseits aller Fragen von Menschenrechten – aller Fragen der konstitutionellen, demokratischen, heutzutage durch die Weltgemeinschaft verfassten Ansprüche – die Faszination Tibets. Das schreibe ich als gläubiger Christ, der ich kein Anhänger des Buddhismus bin, aber großen Respekt vor jeder anderen Religion habe.
Der Dalai Lama hat es vor allem geschafft, einen Teil der Erfahrungen seines Volkes zum Allgemeingut der Menschen in einer Welt zu machen, einer Welt, in der viele nach Orientierung suchen und verunsichert sind. Er hat Millionen von Menschen neugierig auf das Schicksal seines Volkes gemacht. Nun ist der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes, für sein Existenzrecht und seine kulturelle Identität kein Einzelfall in Geschichte und Gegenwart. Doch viele Bilder, die wir von Freiheitskämpfen und Streben nach Unabhängigkeit von Völkern vor Augen haben, waren und sind oft mit blutigen, kämpferischen und militärischen Auseinandersetzungen oder mit Bomben und Attentaten verbunden. Heute sind die Tibeter das einzige Volk und der Dalai Lama der einzige religiöse Führer, die Gewaltlosigkeit zum Prinzip gemacht haben.
Dieser friedfertige Kampf für das Schicksal seines Volkes war es, der mich faszinierte und der Mitte der achtziger Jahre der Ausgangspunkt war, mich für die tibetische Sache zu engagieren. Das war in einer Zeit, als viele das Wirken des Dalai Lama zwar öffentlich würdigten, aber den persönlichen Kontakt doch letztlich scheuten. Auch in unserem Land. Im Jahre 1995 war der hessische Landtag dann das erste Parlament in Deutschland, vor dem der Dalai Lama sprach. Seit dieser Zeit hat sich nach und nach eine persönliche Nähe entwickelt, ein wechselseitiger vertrauensvoller Austausch über Herausforderungen und Probleme auf beiden Seiten, für den ich sehr dankbar bin. Meine Reise nach Tibet vor drei Jahren mit einer Delegation – auf Einladung Chinas übrigens – gehört zu den eindrucksvollsten Erfahrungen, die ich gemacht habe.
Der Dalai Lama selber zeichnet sich auch im praktischen Leben durch eine ungeheure Kraft aus. Nicht nur im indischen Exil, sondern weltweit absolviert er für sein Volk ein Programm, das alle Achtung verdient. Er und wir alle müssen helfen, dass die tibetische Geschichte nicht aus den Überschriften der Welt verdrängt wird.
Bei aller Bewunderung für die Persönlichkeit Seiner Heiligkeit stand für mich immer das Kernanliegen des tibetischen Volkes im Mittelpunkt meines Engagements. Es wäre ein schlechtes Signal, wenn ausgerechnet diejenigen die Verlierer wären, die ausschließlich auf Friedfertigkeit bei der Erreichung ihrer Ziele setzen. Deshalb ist es so wichtig, dass der Dalai Lama und das Schicksal der Tibeter in jeder Hinsicht die Öffentlichkeit zur Unterstützung bekommen. Das darf nicht nur dann der Fall sein, wenn dieses Schicksal durch Unterdrückungsmaßnahmen so stark in den Fokus gerät wie im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 in Peking. Das waren bittere Wochen. Der tibetische Konflikt muss weiterhin auf der Tagesordnung bleiben. Und so lange gibt es unter der Führung des Dalai Lama nur eine Antwort auf die Frage, wie der Dialog zu führen ist: allein durch den friedlichen Dialog.
Das Ziel muss eine Autonomie innerhalb des chinesischen Staatsgebietes sein. Das wäre die einfachste Lösung, die die chinesische Verfassung übrigens durchaus vorsieht. Der Dialog muss geführt werden. Nicht wegschauen, sondern sich bekennen. Nicht kritische Themen aussparen, sondern sie im Interesse der tibetischen Friedfertigkeit selbstbewusst zur Sprache bringen.
Mit großer Freude für einen guten Freund, im Respekt vor seiner Persönlichkeit und im Versprechen, seinen friedlichen Freiheitskampf für sein Volk auch weiterhin zu unterstützen, gratuliere ich dem Dalai Lama zu seinem 75. Geburtstag. Er ist ein herzensguter Mensch! Das ist meine feste Überzeugung und das mögen die Menschen auch so an ihm. „Und deshalb bin ich davon überzeugt, dass liebevolle Zuneigung, Mitmenschlichkeit etwas ist, was ein natürlicher Teil unseres Geistes ist und was in uns allen angelegt ist als ein Fundament für Wohlergehen, für Zufriedenheit“ – dieser Satz des Dalai Lama aus seiner Dankesansprache anlässlich der Verleihung des Hessischen Friedenspreises vor fünf Jahren in Wiesbaden macht dies deutlich.
Gesundheit, Kraft und Ausdauer – das wünschen wir ihm persönlich. Er weiß, dass ich künftig auch ohne staatliche Ämter nicht nur als persönlicher Freund immer für seine Sache eintreten werde. In meinem Heimatland Hessen hat er über alle Parteien hinweg breite Unterstützung – wie auch in weiten Teilen Deutschlands. Ich freue mich, ihn in wenigen Wochen hier in Deutschland wieder zu sehen. Und zwar hier in Bayern. Ich wünsche ihm alles Glück dieser Welt – und Erfolg!
Roland Koch