Roland Koch in der „Welt am Sonntag“ über erste Kontakte mit den Medien, Erfahrungen mit Journalisten und die heutige Medienwelt
Hessens scheidender Ministerpräsident Roland Koch war immer von Journalisten umstellt – und hat gegen die Medien regiert. Eine Pressebilanz
Pünktlich zur Mittagszeit erscheint Roland Koch im Hessischen Landtag zum Gespräch und bittet zunächst um „eins von diesen giftigen, schwarzen Getränken“. Danach greift der Ministerpräsident, der am 21. August von allen Ämtern zurücktreten will, zu Würstchen und Salat. Kochs Schwäche für Cola ist so bekannt wie seine Vorliebe für klare Worte.
Welt am Sonntag: Herr Koch, können Sie sich noch an den ersten Artikel erinnern, den Sie über sich lasen?
Roland Koch: Nur sehr verschwommen. Er stand sicherlich im „Höchster Kreisblatt“, eine Zeitung in meiner Heimat, für die ich später selbst journalistisch tätig war. Als ich dort 1972 die Junge Union gegründet habe, war das eine Nachricht wert.
WamS: Ihr Vater war damals CDU-Landtagsabgeordneter. Schlagzeilen machte seinerzeit, dass eine linke Mehrheit Ihrer Jungen Union die Aufnahme in den Eschborner Stadtjugendring verweigerte. Sie waren 15 Jahre jung und mitten im politischen Kampfgetümmel.
Koch: Ja. Damals war der chilenische Präsident Salvador Allende beim Militärputsch ermordet worden. Das war schlimm. Dennoch war ich der Meinung, dass Allende auch nicht gerade zur Verfestigung der Demokratie beigetragen hatte. Das hielten manche im Stadtjugendring für ein Ausschlusskriterium. Am Ende haben meine publizistischen Möglichkeiten immerhin dazu gereicht, dass sich der Deutsche Bundestag mit dem Vorgang beschäftigt hat.
WamS: Alfred Dregger hatte sich der Sache im Plenum angenommen.
Koch: So kam ich auch zu meinem ersten Fernsehauftritt.
WamS: Und, wie war’s?
Koch: Mit der Kamera? Och, aufregend. Ich hab’ das mit Neugierde aufgesogen.
WamS: In den 70ern war die Medienwelt noch überschaubar. Sehen Sie sich manchmal zurück?
Koch: Nein, das nicht. Aber es zuckt manchmal, wenn ich sehe, wie Menschen heute die Chance in der Medienvielfalt nutzen, jeglicher Information aus Politik oder Wirtschaft zu entfliehen. Damals gab es eine Verabredung von ARD und ZDF, dass mittwochabends zwischen 20.15 Uhr und 21.00 Uhr nur Informationen gesendet werden. Keine Spielfilme. Man konnte die Kiste bloß ausmachen, nicht wegzappen. Das war für Politiker eine gute Gelegenheit, mal an der Eintrittstür der Menschen zu klopfen.
WamS: Bonner Veteranen berichten, dass 1969 drei Kästen Bier genügten, um die Presse am Wahlabend zu verköstigen. In Berlin würde heute vermutlich keine Brauerei mehr reichen.
Koch: Mündige Bürger profitieren sehr von dieser Vielfalt. Die haben auch ein Gefühl dafür, wo Qualität entsteht. Aber die Medienlandschaft ist heute so umfangreich, dass viele die Orientierung verloren haben. Politische Berichte erinnern zuweilen an Eventreports. Die wahre Herausforderung liegt aber darin, dass es künftig gar keine zentralen Provider für Nachrichten mehr geben wird. Da wird von Individuum zu Individuum, von Gruppe zu Gruppe, Massenkommunikation entstehen. Wie manipulativ das werden kann, ist eine der wichtigen Fragen.
WamS: Sie sprechen über Twitter, Google, Facebook und Co. Wie nutzen Sie das Netz?
Koch: Überwiegend zum Empfang von Nachrichten. Leute in meinem Job sind Nachrichtenjunkies. Im Netz findet man zwar viel flachen Unsinn, aber auch interessante Hintergründe.
WamS: Googeln Sie manchmal Ihren Namen?
Koch: Das wäre ja sehr uneitel, natürlich hab’ ich das auch schon gemacht.
WamS: Wenn man Sie googelt, kommen über eine Million Ergebnisse.
Koch: (schmunzelt) Über die Hälfte hab’ ich nicht gelesen.
WamS: Bei den Google-Bildern kommt vorneweg ein Cover von „Titanic“ mit Ihrem Antlitz, dazu die Zeile: „Wo beginnt menschliches Leben?“. Ballen Sie dann die Faust in der Tasche?
Koch: Nein, bei Satire schon gar nicht. In meinem Beruf muss man damit leben, eine Folie für Emotionen zu sein. Viel schlimmer als Satire sind doch Geschichten, bei denen auf jegliche Sachrecherche verzichtet wurde. Unter der Behauptung des investigativen Journalismus kommen doch viele Berichte daher, in denen am Ende vor allem manipuliert und Meinung gemacht wird, Nachricht und Kommentar vermischt werden. Immer mehr wird auf Boulevardisierung und Skandalisierung gesetzt.
WamS: Wie vorurteilsbeladen haben Sie Journalisten erlebt?
Koch: Sehr unterschiedlich. Ich habe sehr viele kennengelernt, die fair berichtet haben – was nicht heißt, dass sie nicht auch negative Kommentare über mich geschrieben haben. Damit kann ich gut leben. Die Zahl derer, die ihre Treue zur Recherche einer politischen Absicht unterordnen, ist gering. Aber auch die prägen Politik und sind in der Lage, Druck auszuüben. Und dann gibt es Journalisten, die von ihren Redaktionen in Aufgaben hineingeschickt werden, für die sie nicht ausgebildet sind. Manche verraten schon mit ihrer von unzureichender Sachkenntnis getrübten Frage, dass es ein Risiko wäre, sie einen Bericht schreiben zu lassen. Das hat leider zugenommen.
WamS: Woran liegt das?
Koch: Es gibt heute ja nicht mehr Geld im Journalismus, aber sehr viel mehr Medien und sehr viel mehr Formate, die gefüllt werden wollen. Die großen Senderketten produzieren ständig News. Da sind schnell drei verschiedene Teams eines Senders zum gleichen Thema unterwegs. Und die wollen möglichst je eine unterschiedliche Aussage zum gleichen Sachverhalt. Und wir Politiker sollen den Blödsinn mitmachen, weil wir froh sein sollen um jede Kamera, die uns umstellt.
WamS: Wie lange wird das gut gehen?
Koch: Wenn man die Wochenschau zu Zeiten Konrad Adenauers gegen meine Beschreibung stellt, erkennt man, in welchen Zwängen die tagesaktuelle Politik heute steckt. Aber ich glaube, dass der ruhigere Ton der Berichterstattung bald wieder größere Konjunktur haben wird.
WamS: Weil den Leuten die ahnungslose Eilmeldung zum Hals raushängt?
Koch: Wir Politiker müssen aufpassen, das wir nicht zum Brummkreisel werden. Vielleicht müssen wir uns den Kameras manchmal einfach entziehen.
WamS: Muss man heute andere Vorraussetzungen in die Politik mitbringen als vor 30 Jahren, als Sie in den Ring stiegen?
Koch: Ich bin nicht sicher. Früher war es nicht unbedingt notwendig, zu 100 Prozent medientauglich zu sein. Aber heute ist es vielleicht gar nicht so sehr anders. Dafür bin ich ja der beste Beweis.
WamS: Ist das, was ein Politiker im Fernsehen sagt, inzwischen unwichtiger als die Art und Weise, wie er es sagt?
Koch: Wenn Sie ein paar Stunden nach einem TV-Auftritt bei den Zuschauern fragen, woran sie sich in der Sendung erinnern, kommt bei mehr als der Hälfte die Farbe der Krawatte oder des Anzugs. Dazu kriege ich dann auch Briefe oder Mails, zum Beispiel zu den von mir heiß geliebten roten Krawatten. Ein knappes Drittel weiß noch, worum es inhaltlich ging. Trotzdem: Obwohl Talkshows ja von manchen für einen Anschlag auf unsere Kultur gehalten werden und auch ich meine Zweifel habe, bieten sie der Politik eine Bühne und die Chance, gehört zu werden. Der Zwangsmittwochabend zum Politikgucken kommt nicht zurück.
WamS: Wie telegen muss man sein, um in der Politik zu bestehen?
Koch: Ich hab mich immer geweigert, vertieftes Training zu betreiben. Ich wollte mich nicht verbiegen. Politiker sollten Schablonen vermeiden, unser Kapital ist die Authentizität. Manchen mag Beratung vielleicht ein besseres Gefühl geben. Aber damit muss man vorsichtig umgehen, weil man ein Stück Identität verlieren kann.
WamS: Die Leute auf der Straße finden Sie immer viel netter als im Fernsehen, haben Sie mal gesagt.
Koch: Ja, das kann man ärgerlich finden, umgekehrt wäre es aber wohl schlimmer. Ich musste damit leben, dass es da einen Wettbewerbsnachteil für mich gibt. Wenn man der politischen Richtung angehört, aus der ich komme, muss man damit rechnen, dass man im Fernsehen vor allem dann in Nahaufnahme gezeigt wird, wenn man gerade mal etwas missmutig dreinschaut. Das kann man aber nicht damit kompensieren, dass man sich nur noch auf die Haltung der Mundwinkel und nicht mehr auf den Inhalt konzentriert, dann wirkt man nur noch verkrampft.
WamS: Gerhard Schröder glaubte, er brauche bloß „,Bild‘, ,BamS‘ und Glotze“, um zu regieren. Sie haben gegen die Medien regiert, oder?
Koch: Medien haben nicht per se die Macht, Meinung zu beeinflussen oder gar Wahlen zu entscheiden. Sie lenken Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen, das können Politiker nutzen.
WamS: Wie zum Beispiel 1999, als Sie eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft anleierten und fast die ganze veröffentlichte Meinung gegen sich hatten. Die Landtagswahl haben Sie aber gewonnen.
Koch: Die Journalisten haben unterschätzt, dass sie die Meinung der Bürger viel weniger beeinflussen können, als sie glaubten. Sie wollten mich bekämpfen und haben dem Thema damit erst Raum geschaffen. Ohne den Kampf der Medien gegen mich hätte es den Wahlsieg 1999 nicht gegeben.
WamS: 2007 haben Sie wieder Schlagzeilen produziert, als Sie gegen jugendliche kriminelle Ausländer zu Felde zogen.
Koch: Ich wollte mir auch von der Presse nicht vorschreiben lassen, was ich sagen darf.
WamS: Sie waren eine Zeit lang selbst journalistisch tätig. Wieso haben Sie aufgehört?
Koch: Ich habe einen Kommentar über einen CDU-Bürgermeister geschrieben, der das Baurecht etwas weiter ausgelegt hat, als ich das für angemessen hielt. Da hab ich gemerkt: Politik und Journalismus gleichzeitig geht nicht. Aber ich hab als junger Mann damit ganz gut nebenbei verdient. Ich möchte die Zeit nicht missen. Und Presseerklärungen konnte ich dann auch schreiben.
WamS: Haben Sie den Journalismus vermisst?
Koch: Nein. Ich war gern auf der anderen Seite. Und geschrieben hab ich immer. Das werde ich auch in Zukunft machen.
WamS: Besteht Mut in der Politik heute darin, Medien zu widerstehen?
Koch: Das wäre verengt. Aber es ist schon manchmal eine Mutprobe, unbequeme Entscheidungen zu treffen und zu ahnen, was einen am nächsten Tag in der Zeitung erwartet. Man weiß ja nicht genau, ob die Kritik der Medien mehrheitverändernd ist oder nicht. Man kann sich zwar vornehmen: Nimm Zeitungen nicht so ernst! Man kann die medialen und politischen Rituale alle kennen. Irgendwann kommt dann immer die Schlagzeile: Der Druck wächst. Dann lesen Sie das und sagen: Na ja, wenn das der Druck ist, dann ist es ja nicht so schlimm. Aber wenn das länger geht, alle Medien und die politische Konkurrenz draufspringt, fragen Sie sich schon: Werden das meine politischen Freunde aushalten? Liege ich da wirklich richtig?
WamS: Wird dieser Druck denn von der politischen Klasse heutzutage eher mehr oder weniger ausgehalten?
Koch: Am Ende wird es weniger ausgehalten. Überall lauert eine TED-Umfrage. Im Internet kann jeder zu allem voten. Meinungsumfragen werden ständig veröffentlicht – und zwar nur deshalb, weil es reiche Medien gibt, die sie bezahlen können. Das ist ja eine aggressive Form der Geldverschwendung. Das alles entfaltet Wirkung, baut permanent emotionalen Druck auf. Politiker müssen darauf achten, ihre Rolle als Orientierungspunkt nicht zu verlieren. Wir müssen Mehrheiten suchen, sollten aber Umfragen nicht hinterherlaufen. Und es ist hilfreich, wenn einen die Drohung, man könne sein Amt verlieren, nicht schrecken kann, weil man eine zweite berufliche Säule hat.
WamS: Was macht für Sie einen guten Journalisten aus?
Koch: Er sollte die Autorität haben, seinen Lesern auch ein Meinungsstoppschild zeigen zu können, wenn es begründet ist. Und nicht Angst davor haben, jemand könnte das Abo kündigen, weil dem ein Kommentar nicht gefällt. Deswegen ist es gefährlich, den Lesern jeden Tag zu sagen: Ihr seid die Zeitung.
WamS: Viele Kollegen haben den ZDF-Chef Nikolaus Brender für einen guten Journalisten gehalten, dessen Abwahl Sie betrieben haben.
Koch: Ich hatte als ZDF-Aufsichtsratsvorsitzender die Verantwortung dafür, dass der Sender funktioniert. Dass Herr Brender unabhängige Kommentare sprechen kann, war unbenommen. Dennoch war die Entscheidung einer Mehrheit für einen Wechsel geboten. Dass sie so viel Gegenwind auslöste, hat mich etwas überrascht.
WamS: Auch da waren Sie wieder der Buhmann.
Koch: Meinem Image hat das sicher nicht geholfen. Aber gegen den Strom zu schwimmen gehört für mich zum Beruf des Politikers auch dazu. Wahrlich nicht nur, aber auch. Und dennoch habe ich Politik immer mit Begeisterung gemacht.
WamS: Trotzdem hören Sie jetzt auf.
Koch: Ich schneide ja nicht die Nabelschnur zu meinem Leben ab. Ich habe ein anderes Leben vor mir und freue mich darauf. Unpolitisch wird es nie werden.
WamS: Das würde man von jemandem, der schon als Kind zu Hause am Frühstückstisch die Profipolitik vom Vater serviert bekam, auch nicht annehmen. Was haben Sie damals gelernt?
Koch: Die Reibung des Ungestümern am Pragmatischen. Ich hab früh einen Blick dafür entwickelt, was in der Politik geht und was nicht geht. Das war ein Vorteil.
WamS: Wollen Ihre Söhne in die Politik?
Koch: Beide sind davon geprägt, nicht die dritte Generation in der Politik werden zu wollen.
WamS: Raten Sie ab?
Koch: Ich würde ihnen raten, es auszuprobieren. Aber es will gut überlegt sein. Man muss viel aushalten. Berufspolitik ist ein hartes, schweres Gewerbe. Jeden Tag steht irgendwas über einen in der Zeitung. 80–100 Stunden Arbeit pro Woche sind ganz normal, dafür bekommt man ein 40-Stunden-Gehalt. Deshalb muss sich das jeder vorher genau ansehen. Ich persönlich habe es aber nie bereut.
WamS: Roland Koch, 52, wuchs in einer CDU-Familie auf. Seit dem 14. Lebensjahr macht er in Hessen Politik. 1999 gewann er die Landtagswahlen und verteidigte sein Amt als Ministerpräsident. Jetzt geht Koch. „Man muss viel aushalten“, sagt er.
Das Interview führte Claus Christian Malzahn.