Koch: „Ich möchte mir aussuchen, was ich mache“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der WirtschaftsWoche
WirtschaftsWoche: Herr Koch, Unternehmer kritisieren an der Politik, dass die Prozesse zu langsam und die Bezahlung lausig sei. Wechseln Sie jetzt also von der Hölle ins Paradies?
Roland Koch: Ich staune häufig, mit welch großer Distanz Vorstände und Aufsichtsräte über politische Prozesse sprechen. Wirtschaftsleute glauben, Politiker hielten eigentlich in erster Linie Reden und moderierten Konferenzen. Sie bedenken nicht, dass zum Beispiel das Land Hessen letztlich ein ganz normales Unternehmen mit 150.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 20 Milliarden Euro ist. Mit allen Problemen wie Personalführung, Bilanzstruktur, Innovation, Change Management, Personalvertretung. Politiker reagieren dann unfreundlich, weil sie sich nicht angemessen geschätzt und verstanden fühlen.
WiWo: Wir sehen gegenseitige Verachtung. Die Politik sagt: Die Wirtschaft denkt verantwortungslos nur an Zahlen. Und die Unternehmer sagen: Diese Dauerdiskutierer sitzen bloß in Parlamenten, weil sie bei uns nichts geworden sind.
Koch: Deshalb müsste das Wechseln von der einen in die andere Welt einfacher sein. Es gibt keinen Grund, dass alle gut Qualifizierten mit gutem Charakter vor die Lebensentscheidung gestellt werden: gesellschaftliche Verantwortung oder Geld. Sie müssen eine Chance haben, der Gesellschaft zu dienen und sich dann wieder bei guter Bezahlung ins Geschäftsleben einzugliedern.
WiWo: Hat die Distanz zugenommen?
Koch: Unser Problem ist nicht, ob ein Politiker eine Beschäftigung in der Wirtschaft findet. Unser Problem ist, dass wir niemanden mit Potenzial aus einer mittleren Karrierestufe dafür gewinnen, für vier oder fünf Jahre in eine Regierung einzutreten. Das gilt nicht als Veredelung seiner Fähigkeiten, obwohl er eine einmalige zusätzliche Qualifikation bekommt. Stattdessen gilt man bei Rückkehr als Regierungsabgesandter. Der eigene Arbeitgeber vereitelt die Karriere. An dieser Dämlichkeit sind auch Zeitungen beteiligt, die jedes Mal schreiben: Der muss doch befangen sein; der macht das nur, weil er später zurück will. Natürlich habe ich versucht, Seiteneinsteiger aus der Wirtschaft für die Politik zu gewinnen. Sie kriegen meistens eine Absage.
WiWo: Aber ist das in den USA besser? Hank Paulson sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, er habe auch als Finanzminister das Geschäft von Goldman Sachs betrieben.
Koch: Medien und Menschen sind so, dass sie dies unterstellen. Aber: Robert Zoellick, Präsident der Weltbank, hat in den vergangenen Jahren permanent gewechselt – von der Versicherung ins Regierungsamt, zur Bank, ins Regierungsamt. Und klar ist doch, dass die Krise deshalb in den USA gut beherrscht worden ist, weil es in der Regierung Leute gab, die die Spielregeln der anderen Seite kannten.
WiWo: Mit Bundespräsident Horst Köhler hat ein Seiteneinsteiger hingeschmissen. Braucht man in der Politik bessere Nerven?
Koch: Man braucht in der Politik sehr gute Nerven, genau wie in unternehmerischen Spitzenpositionen. Das völlige Bloßlegen der persönlichen Wertschätzungen beziehungsweise Abneigungen macht den Unterschied. Du kannst nirgendwo mehr einen Fuß hinsetzen, ohne dass die Leute sofort an das denken, was die Medien gerade über dich berichtet, geprägt oder behauptet haben. Damit umgehen zu lernen, für sich, für die Familie, ist ein sehr komplizierter Prozess.
WiWo: Die völlige Entblößung der eigenen Persönlichkeit?
Koch: Die findet täglich statt. Politik ist, weil sie nicht nur die Sache darstellt, sondern auch den Menschen, immer zutiefst persönlich. Das geht sogar gar nicht anders. Wenn man Journalisten nicht auch den Menschen beobachten lässt, kann man kein Vertrauen erlangen. Denn die Wähler beauftragen ja auch den Menschen, nicht nur den rationalen Entscheider irgendeiner Sache. Mein Rat für Menschen, die sich der Politik nähern: Überlegt genau, ob ihr diesen Preis zahlen wollt. Der Seiteneinsteiger hat diese Situation nie in homöopathischen Dosen kennengelernt wie jemand, der in der Politik Schritt für Schritt aufsteigt. Der Seiteneinsteiger wird von einem Tag auf den anderen schlagartig bekannt, der ganzen Nation. Da gibt es nicht nur Lob und Ehre, sondern eben auch das Gegenteil, deftige Beleidigungen.
WiWo: Angela Merkel hat mal erzählt, dass dieses Beobachtet-Werden stört, sie aber doch beleidigt gewesen sei, als man sie in einem Gasthof nicht erkannt hat.
Koch: Weiß ich nicht. Kein Mensch kann verhindern, dass diese äußere Hülle irgendwann mit der eigenen Haut verschmilzt, dass Amt und Mensch verwachsen. Deshalb wollte ich ja nicht zu lange in der Politik sein. Ich hoffe, dass ich dann sage: Gott sei Dank erkennt dich keiner mehr. Aber das wird sicher noch eine ganze Zeit dauern.
WiWo: Wie verkraftet man es, wenn man morgens noch einmal im Dienstwagen ins Büro fährt und nachmittags in der Straßenbahn nach Hause?
Koch: Ein politisches Amt kann von einer Sekunde auf die andere vorbei sein. Viele Kollegen könnten auf einen Dienstwagen locker verzichten, wenngleich er als rollendes Büro die Arbeit erleichtert. Aber natürlich gewöhnt man sich an Dinge. Menschen sind bequem und eitel, ich auch. Deshalb muss man lernen, sie sich wieder abzugewöhnen.
WiWo: Aber nerven nicht diese typisch deutschen Nickeligkeiten? Wenn Politiker wegen Kleinigkeiten zurücktreten müssen?
Koch: Das muss man sich überlegen, bevor man ein Amt übernimmt. Natürlich ist die öffentliche Wahrnehmung schwierig, weil Politiker nicht nur Wohltaten verteilen, sondern auch permanent Wünsche ablehnen. Jeder vergleicht dann mit dem, was der Politiker hat. Und der geht halt mit Steuergeldern um.
WiWo: Haben Sie sich nach dem Scheitern des Seiteneinsteigers Köhler mal erschreckt gefragt, ob Ihnen das beim umgekehrten Weg auch passieren kann?
Koch: Mein Vorteil ist, dass ich aus der Welt der Wirtschaft in die der Politik gewechselt bin und jetzt zurückkehre. Das entspricht genau meiner Lebensplanung, ich flüchte ja nicht.
WiWo: Der Kohl-Berater Horst Teltschik sagt: Im Kanzleramt sind 90 Prozent Machtpolitik, in Unternehmen „nur“ 60 Prozent.
Koch: In der Politik ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass eine Entscheidung unter emotionalen Druck öffentlicher Medien gerät. Wenn dies – deutlich seltener – bei einem Unternehmen geschieht, ist die Entscheidung genauso schwer rational zu halten wie in der Politik, genauso stark mit der Gefahr zu opportunistischer Absicherung versehen – beispielsweise beim Streit unter Gesellschaftern.
WiWo: Ist es der mediale Druck, oder sind es die komplizierten Abläufe?
Koch: Beides. Wenn sich Vorstand und Aufsichtsrat einig sind, können die das in einer Nacht beschließen und exekutieren. Da gibt es keine zwei Kammern, keine Anhörungen und Ausschüsse, da ist keine Wahl irgendwo zu berücksichtigen, keine Rücksicht auf andere politische Ebenen zu nehmen und vieles andere. Es gibt auch keine Opposition, die einem in die Suppe spuckt. Im Unternehmen lassen sich einmal getroffene Entscheidungen dank gefügter hierarchischer Strukturen leichter und vor allem schneller durchsetzen. Und wenn das Personal es nicht macht, kann man sich von diesen Leuten auch relativ schnell trennen, ohne dass daraus politische Verwerfungen entstehen.
WiWo: Ist die Politik zu schwerfällig?
Koch: Gerade in den vergangenen Monaten hat sich gezeigt: Unser System ist zu sehr schnellen Entscheidungen in der Lage. Aber Demokratie erfordert im täglichen Leben auch Langsamkeit, damit man die Menschen mitnehmen kann. Wer Großunternehmen und deren Entscheidungen betrachtet – wie viele Unternehmensberater da durchgelaufen sind, Gutachten geschrieben haben, wie viele Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern es gibt –, der wird nicht auf die Idee kommen, da gehe alles schnell. In beiden Systemen ist die entscheidende Frage, ob es Menschen gibt, die in der Lage sind, dies zu steuern.
WiWo: Das klingt, als wäre es einerlei, ob man Autos verkauft oder Wählerstimmen einsammelt.
Koch: Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Am Ende sind Märkte rationaler. Der Wähler ist sprunghafter. Ein Auto hat immer vier Räder, und die Qualität kann man beurteilen. Da verändert sich nichts von heute auf morgen. Ob in einer Bundestagswahl Außen- oder Wirtschaftspolitik eine Rolle spielt, ob am Ende Gerhard Schröder jedes Haushaltsargument mit der Warnung vor einer Beteiligung an einem Irakkrieg ausschalten kann, ist nicht planbar. Und manchmal muss Politik Dinge tun, von denen sie weiß, dass die politisch nie Gewinn bringen.
WiWo: Zum Beispiel?
Koch: Ich habe das Land Hessen wirklich neu organisiert. Es bilanziert nach Handelsgesetzbuch, hat eine sehr moderne Informationstechnik-Struktur, viele Behörden gibt es schon längst nicht mehr. Das spart Hunderte Millionen Euro, bringt endlose Effizienz, große Attraktivität. Aber das interessiert, fürchte ich, keinen einzigen Wähler.
WiWo: Wie müssen wir uns den künftigen Manager Roland Koch vorstellen: Will der endlich mal ruck, Zuck! entscheiden, oder möchte er alle Arbeitnehmer mitnehmen, als gelte es, eine Wahl zu gewinnen?
Koch: Lassen wir Ihre Unterstellung erst mal beiseite. Ich habe viel getan, um Menschen nicht zurückzulassen. Jedem muss zugehört, jeder beteiligt werden. Nur eine Chance darf er nicht haben: Prozesse zu verzögern. Die Kraft, Entscheidungen gegen Widerstände durchzusetzen, die ich einige Male einsetzen musste, ist in jeder wirtschaftlichen Funktion nützlich.
WiWo: Was kann ein Politiker in die Wirtschaft einbringen, ihr geben?
Koch: Die Gesetzgebung ist für uns berechenbar, der Wirtschaft erscheint sie aber oft völlig unberechenbar. Wir wissen, wie Politik funktioniert, national und in der internationalen Gemeinschaft. Wie muss ich mit einer Behörde umgehen, damit ich etwas erreichen kann? Natürlich kann eine Bank eine Marge von 25 Prozent postulieren. Aber wenn dann deshalb ein Gesetz kommt, das genau diese Marge verhindert, hätte man vielleicht besser anders agiert. Ich sehe in der Wirtschaft viele Dinge im Umgang mit der Politik, bei denen ich direkt sagen kann: So wird das nie was. Wenn man nur diese Erkenntnis einbringen kann, ist das pure Beratung oder Lobbyismus. Wenn sich das mit Managementtätigkeit verbinden lässt, bringt das einen Mehrwert in der Unternehmensführung und ist eine spannende Aufgabe.
WiWo: Sie ahnen für ein Unternehmen schon im Voraus, welchen unsinnigen Kompromiss die Politik aushandeln wird?
Koch: Erfahrene Politiker haben einen Blick dafür, in welchem gesellschaftlichen Umfeld sich Unternehmen platzieren sollten. Wie sie dieses Umfeld mitgestalten, da liegt eine Herausforderung. Natürlich beeinflussen Banken mit ihrem Auftreten die Frage, inwieweit die Politik überhaupt noch bereit ist, mit der Finanzindustrie zu kooperieren. Natürlich haben politische Entscheidungen der Energiewirtschaft, Kernkraftwerke nur noch bauen zu wollen, wenn zwei Drittel eines Parlaments zustimmen, die Energiepolitik dieses Landes stärker verändert als alle Grünen zusammen. Denn das hat der Politik die Handlungsbasis entzogen.
WiWo: Wäre es für Sie eine reizvolle Aufgabe, einer Großbank gesellschaftliche Verantwortung beizubringen, die über das Sponsoring für Kunstausstellungen hinausgeht?
Koch: Ich werde nicht über Zeitschriften äußern, was ich gerne machen würde…
WiWo: Nutzen Sie die WirtschaftsWoche ruhig für ein Stellengesuch.
Koch: Man kann sich für soziale Verantwortung keinen Beauftragten halten, der das erledigt. Die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens liegt darin, dass diese Verantwortung die Grundlage des Managements sein muss. Aber zu glauben, man könne sich das als Beratungsauftrag kaufen, das wird für alle Zeit ein Irrtum bleiben. Obwohl man das häufig in der Wirtschaft beobachten kann.
WiWo: Was möchten Sie gern künftig tun? Ein Anwaltsschild ans Haus schrauben?
Koch: Ich bin in der „privilegierten Situation“, dass ich das Amt schon einmal unfreiwillig fast verloren hätte. Da konnte ich mich mit dem Gedanken auszuscheiden etwas vertraut machen. Ich werde nicht unbeschäftigt bleiben.
WiWo: In Ihrer Rückzugserklärung haben Sie gesagt: Bis zum Jahresende schaue ich, was die Zeit bringt. Heißt das: Angebote werden gern entgegengenommen?
Koch: Das ist nicht ganz falsch. In der Amtszeit gilt meine ganze Loyalität dem Land. Also habe ich nicht schon einen Vertrag für die Zeit danach in der Tasche. Ich muss und werde entscheiden, ob es am Ende der Anwalt sein wird, der die Wirtschaft berät, mit allen Freiheiten. Oder ob ich mir noch einmal eine weitere Zeit lang vorstellen kann, in den Sielen des Exekutiven tätig zu sein. Ich möchte mir für diesen Lebensabschnitt aussuchen, was ich mache. Und das geht nur, wenn alle wissen, dass ich suche.
WiWo: Vorstand wäre etwas für Sie?
Koch: Ich suche die richtige Mischung aus meinem Hang zur Gestaltung und meinem Drang zu persönlicher Freiheit.
WiWo: Was reizt Sie? Etwas Neues machen oder nur mal richtig verdienen?
Koch: Wenn es mir um das Geld gegangen wäre, hätte ich gar nicht in die Politik wechseln dürfen. Als Ministerpräsident habe ich einen beträchtlichen Teil meines Einkommens verloren. Nein, mich interessiert, spannende Dinge zu gestalten. Ich muss nicht in der ersten Reihe stehen, damit alle mich sehen. Aber ich will für mich selbst sehen, dass ich etwas gestalte.
WiWo: Sie haben den Mangel an Gestaltungsspielraum als Rückzugsgrund genannt. Wie ist der entstanden?
Koch: Ein unverdächtiges Beispiel aus den letzten Wochen, das mit meiner Entscheidung nichts zu tun hat, weil ich die ja schon vor längerer Zeit getroffen hatte: Ich habe als Ministerpräsident eines Landes, das mit Finanzindustrie viel zu tun hat, zwei Interviews gegeben zur Griechenland-Hilfe. Davon blieb in der Debatte übrig, ob das als Bewerbung um die Aufgabe des Bundesfinanzministers zu verstehen sei. Dann kann ich mich nicht mehr öffentlich äußern.
WiWo: Sie fühlen sich unverstanden?
Koch: Wenn es unverstanden klingt, ist das ja vielleicht eine mögliche Erklärung für meinen Rückzug. Sicher hat in der Summe meines politischen Lebens mich nichts mehr geärgert als die Tatsache, dass die veröffentlichte Beobachtung immer stärker versucht, mit einem Sachvortrag ein persönliches Interesse zu kombinieren. Meine Entscheidung, nur das Amt des Ministerpräsidenten anzustreben, hat niemand geglaubt. Wenn Journalisten darüber nachdenken, wann ich da endlich raus will, weil sie glauben, man müsse da raus wollen, dann wird die Chance, nationale Politik mitzugestalten, immer geringer. Man wird in eine Seitenrolle gedrängt. Aus Flankenschutz für eine Bundesregierung, die in schwieriges Fahrwasser gerät, wird eine Bewerbungsdiskussion, die die Bundesregierung zusätzlich behindert.
WiWo: Hat sich das Mediensystem verändert?
Koch: Der Versuch, alles in der Politik zu personalisieren, ist durch die elektronischen Medien sicher noch stärker geworden. Aber die Unterstellung der persönlichen Ambition als eigentlicher Kernantrieb von Politik findet in den gedruckten Medien noch viel stärker statt. Wenn die Journalisten – ob man sich zum Subventionsabbau oder zur Steuerpolitik mit grundsätzlichen Vorschlägen zu Wort meldet – sich im Wesentlichen damit beschäftigt haben, dass man das sicher nur mache, um Kanzler zu werden, dann muss ich frei heraus sagen: Das nervt!
WiWo: Warum wollten Sie nie Minister im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel werden?
Koch: Wir haben ein offenes und vertrauensvolles Verhältnis – viel besser, als immer geschrieben wurde. Die räumliche Distanz hat meiner Freiheit aber sicher nicht geschadet.