Koch: „Die Geduld der Märkte hat Grenzen“
Ministerpräsident Roland Koch im Handelsblatt-Interview
Handelsblatt: Herr Koch, die Griechen sollen 8,4 Mrd. Euro an Krediten von Deutschland erhalten, während die Politik hier die Menschen auf einen Sparkurs einschwört. Verstehen Sie die Wut der Leute?
Koch: Ich verstehe die Empörung darüber, dass wir jetzt mit den Problemen eines Landes konfrontiert sind, das uns teilweise planmäßig über Jahre hinters Licht geführt hat. Auf der anderen Seite müssen wir bei aller Emotion unsere zentralen Interessen schützen, zu denen der Erhalt und die dauerhafte Stabilisierung unserer Währung gehören. Wenn wir jetzt nicht helfen, sparen wir keinen Euro. Im Gegenteil: Wir würden viel, viel mehr Geld verlieren, wenn wir zuschauen und eine Krise auslösen, die wir politisch nicht mehr beherrschen können.
HB: Wie groß ist die Gefahr, dass die jetzt geplanten Hilfen nicht ausreichen? Der Wirtschaftsminister spricht von 135 Mrd. Euro.
Koch: Nach meiner Einschätzung spricht viel dafür, dass es umso mehr Milliarden werden, umso länger man darüber diskutiert. Der Kaskadeneffekt geht aus den Märkten nicht einfach wieder heraus, wenn er erst einmal etabliert ist. Was wir Politiker zur Kenntnis nehmen müssen ist: Wenn wir Gesetze machen, dann haben diese Regelungen ein paar Jahre Bestand, werden dann evaluiert und novelliert. Wenn wir eine Rettungsaktion in Märkte hinein machen, entscheiden die Märkte binnen 24 Stunden neu, ob sie das akzeptieren oder nicht. Diese Situation zu stabilisieren ist das Entscheidende.
HB: Dafür muss man notfalls also mehr Geld in die Hand nehmen?
Koch: Ich glaube, dass Kollege Brüderle mit der Zahl in groben Zügen nicht unrecht hat. Es macht keinen Sinn jetzt zu glauben, man könne mit einem Betrag das griechische Problem lösen. Der Internationale Währungsfonds sagt zu Recht, wir machen keine Einjahres-Sanierungen, sondern wir reden immer nur über mindestens drei Jahre. Wenn der IWF am Wochenende seinen Bericht vorlegt, müssen wir daher auch offen über das Gesamtengagement sprechen. Aber es muss ein Engagement sein, das möglichst auf Griechenland beschränkt ist – und das halte ich für möglich.
HB: Wo liegen die Alternativen? Warum funktionieren Umschuldung und Haircut nicht?
Koch: Wer jetzt über Umschuldung redet, löst automatisch die Einpreisung des Umschuldungsrisikos in Portugal und Spanien, später in Italien oder wo auch immer aus. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Und ein Abschlag auf Anleihen trifft auch all die, die sie zehn Jahre einfach nur gehalten haben. Natürlich müssen wir die Banken in der Pflicht behalten, denn die Weltwirtschaftskrise hat natürlich auch etwas mit Griechenland zu tun. Wenn die Banken wieder Gewinne machen, dann müssen sie daher davon etwas abgeben – und das ist die Bankenabgabe, die nach meiner Überzeugung kommen muss. Einer Bank, die im Augenblick Verluste macht, jetzt noch mehr Verluste zuzufügen und zu sagen, das sei der Beitrag der Bank, das macht allerdings wenig Sinn. Denn diese Bank landet wieder beim Staat. Wenn man sich das Beispiel der HRE ansieht, die zu 100 Prozent dem Bund gehört, weiß man, dass man aufpassen muss, nicht populistisch in die falsche Richtung zu laufen.
HB: Was muss sich in der EU ändern, um so eine Krise künftig zu verhindern?
Koch: Wenn der Brand gelöscht ist, müssen alle Beteiligten darüber nachdenken, wie die Rauchmelder besser installiert werden, damit so etwas nicht wieder passiert. Der Stabilitätspakt in seiner jetzigen Form hat eine Krise wie Griechenland nicht verhindern können. Daher muss er geändert werden. Wenn es Warnsignale gibt, muss es verbindliche Ansagen an das Land geben: Ihr müsst restrukturieren.
HB: Dann würde ein Sparkommissar in Marsch gesetzt.
Koch: Ein solches Instrument muss es geben. Ich meine auch, wir sollten in ruhigeren Zeiten auf die Idee Wolfgang Schäubles von einem europäischen Währungsfonds zurückkommen. Die Frage, ob der Sparkommissar von einer unabhängigen Behörde Währungsfonds oder von einer politischen Institution wie dem Europäischen Rat oder der Kommission entsandt wird, ist nämlich nicht trivial. Vieles spricht dafür, dass so ein Amt, dass der künftige Rettungsmechanismus die Autorität und Neutralität brauchen, wie sie der IWF auch hat.
HB: Die neuen Instrumente werden bei Portugal und Spanien noch nicht bereitstehen.
Koch: Das stimmt. Ich glaube aber, dass es der EU und den beiden Ländern gelingt, darauf hinzuweisen, dass es einen grundlegenden Unterschied zu Griechenland gibt: Spanien und Portugal sind hinreichend zahlungsfähig, um alle Herausforderungen bewältigen zu können. Sie sind in wirtschaftlich schwieriger Situation und werden mit Anstrengung beweisen müssen, dass es geht. Die Rationalität des Marktes ist eine harte: Wenn ein ganzes Volk verschuldet ist, muss es eine Antwort geben, wie es rauskommen will. Wenn es die Antwort nicht gibt, vertraut diesem Land keiner mehr sein Geld an. Im Falle Griechenlands sendet Europa zwei Botschaften an den Markt: Wir sind bereit im Notfall zu helfen, das ist die eine Botschaft. Die andere ist, dass wir stark genug sind, diesem Land auch knallharte Maßnahmen abzutrotzen und sicherzustellen, dass diese durchgesetzt werden. Wenn wir Griechenland fallen lassen, können wir nicht mal beweisen, dass wir eine gangbare Alternative haben. Wer glaubt, er müsse Griechenland nur bankrott gehen lassen, dann habe er keine Probleme mehr, versteht die Welt der Märkte nicht.
HB: Gehört zu den neuen Regeln im EU-Vertrag auch, ein Mitglied aus der Eurozone auszustoßen?
Koch: Das schließe ich nicht aus. Aber auch wenn diese Möglichkeit im Vertrag steht, wird es immer wieder Debatten über die Folgen für die Gemeinschaft geben. Ich meine, diese „Bestrafungsdebatte“ muss an einem anderen Punkt geführt werden: Wir müssen verstehen, dass der Euro ein unermesslicher Vorteil ist, der einen Preis an Souveränität hat. Und der muss im laufenden Prozess eingefordert werden – und nicht durch einen Ausschluss. Dafür müssen die Instrumente gestärkt werden. Ein Land wie Deutschland, das 70 Prozent seines Exports in die Eurozone liefert, kann doch kein Interesse daran haben, dass diese kleiner wird. Im Gegenteil: Auf Dauer müssen mehr Länder dazu kommen – aber sie müssen die Kriterien erfüllen und der Stabilitätspolitik folgen.
HB: Vieles erinnert an die Finanzkrise. Haben die G20 die Chance für eine strengere Regulierung der Finanzmärkte schon verpasst?
Koch: Es gibt Dinge, die wir jetzt dringend angehen müssen: dass man Kredite versichern darf, die man gar nicht hat, diese hüllenlosen CDS, das gehört verboten. Der Hauptpunkt der Spekulation dieser Tage ist aber auch die Unsicherheit über das Verhalten von Staaten. Das ist eine andere Kategorie. Auch Staaten müssen lernen, dass sie sich im ökonomischen Umfeld bewegen und sich dann so verhalten, dass sie die Geduld der Märkte nicht überstrapazieren. Jeder Tag den wir nicht sagen, ob wir helfen oder nicht, ist ein schöner Tag für die Spekulanten. Den Tag an dem wir verbindlich sagen, dass man in Europa nicht gegen einen Bankrott Griechenlands spekulieren kann und wir auch eine Antwort für Portugal und Spanien haben, ist dieses schöne Leben beendet.