Koch: „Wenn wir Griechenland fallen lassen, werden die Schäden für den deutschen Haushalt und den deutschen Steuerzahler mit Sicherheit größer als wenn wir es retten.“
Der Hessische Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Berliner Zeitung
Berliner Zeitung: Herr Koch, kann Deutschland überhaupt noch Nein sagen zur Griechenlandhilfe?
Roland Koch: Deutschland und die deutschen Steuerzahler haben ein Interesse daran, kein Geld zu verlieren. Die Europäische Union und die Integration in die europäische Währung tragen erheblich zum Wohlstand in Deutschland bei. Es wäre bei aller Skepsis rational unvernünftig, wenn man Griechenland jetzt fallen lassen würde.
Berliner Zeitung: Ein Nein ist nicht mehr möglich?
Roland Koch: Selbstverständlich bekommt niemand Geld geschenkt. Die Griechen müssen sehr harte Bedingungen erfüllen. Diese Bedingungen werden durch den Internationalen Währungsfonds diktiert, und nicht von europäischen Politikern ausgehandelt. Das ist klug. Wir binden uns an das Urteil derer, die mit vergleichbaren Fällen weltweit Erfahrung haben. Es kann ja nicht jeder für sich Bedingungen basteln.
Berliner Zeitung: Wie lange kann Deutschland denn mit einer verbindlichen Zusage noch warten?
Roland Koch: Wir müssen erkennen, dass unsere wirtschaftliche Stärke und Bedeutung so groß sind, dass ohne uns in Europa nichts geht. In einer solchen Krisenlage schauen deshalb auch alle auf Deutschland. Und auch unser Interesse an einem Funktionieren Europas ist groß: Zerfällt der Euro, käme unsere Volkswirtschaft in beträchtliche Schwierigkeiten. Das heißt: Je schneller eine Entscheidung getroffen wird, umso weniger Schäden entstehen.
Berliner Zeitung: Nächste Woche kann alles entschieden sein?
Roland Koch: Der Bundesrat wäre in der Lage, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Die Union und die Bundesregierung sind jedenfalls gut beraten, mit einer Stimme zu sprechen. Dies ist keine Zeit für lautstarke Profilierung und Austausch von Emotionen. Auch ein Wettbewerb des Populismus macht keinen Sinn. 90 Prozent der Menschen werden bei dem, was die Politik jetzt nach meiner festen Überzeugung tun muss, skeptisch sein. Das ist angesichts jahrelanger Zahlenmanipulationen verständlich. Aber jetzt hilft nur eins: Möglichst geradeheraus sagen, was Sache ist. Möglichst präzise Antworten geben und die möglichst schnell vollziehen. Wir werden auch nicht viel klüger, wenn wir endlos über IWF-Vorschläge diskutieren. Wenn man sieht, eine Entscheidung ist unvermeidlich, muss man sie entschlossen kommunizieren. Sonst wird die Bevölkerung immer weiter verunsichert.
Berliner Zeitung: Welche Bedingung ist für Sie wichtig?
Roland Koch: Es ist wichtig, dass wir nicht allein auf Griechenland schauen. Länder wie Portugal und Spanien müssen zeitgleich ihre Verpflichtungen zu einem Sanierungsprogramm offen legen. Auch die dortigen Staatspräsidenten werden in Fernsehansprachen ihrer Bevölkerung reinen Wein einschenken müssen.
Berliner Zeitung: In der Union wird auch darüber diskutiert, ob Banken an einer Rettung beteiligt werden sollen.
Roland Koch: Unabhängig von Griechenland können und werden wir die Banken angesichts dessen, was sie angerichtet haben, nicht ungeschoren davon kommen lassen. Die Bankenabgabe bleibt auf dem Tisch. Zu Griechenland muss aber der IWF die Regeln vorgeben. Wir müssen bei Griechenland auch deshalb so schnell handeln, weil wir einen Flächenbrand verhindern müssen, eine Krise des Vertrauens in die Stabilität der europäischen Länder. In einer solchen Situation ist die Botschaft, man könne das nur mit Umschuldung lösen, nicht unproblematisch.
Berliner Zeitung: Manche in der Union fordern ein Zurück zur Drachme.
Roland Koch: Ein Zerfall des Euro würde Europa nicht dienen – und mindestens ein Drittel des Schadens würde Deutschland bezahlen. Wir müssen auch aufpassen, wie wir mit der griechischen Bevölkerung umgehen, mit der uns langjährige Freundschaft verbindet. Neue nationale Ressentiments helfen niemandem weiter.
Berliner Zeitung: Wie ernst ist die Lage?
Roland Koch: Die Lage ist sehr ernst. Aber man sollte nicht ständig neue Panikszenarien darstellen. Es geht schlicht um die Zukunft eines geeinten Europas. Es geht darum, ob der Traum der letzten 60 Jahre von einem einheitlichen Wirtschaftsraum frei von Begrenzungen und von der Angst vor Krieg, ob dieser Traum lebt.
Berliner Zeitung: Deutschland steht ohnehin vor harten Einsparungen. Warum sollen die Bürger auch noch Geld für ein anderes Land geben?
Roland Koch: Da muss man auch mit der notwendigen Offenheit sagen: Wenn wir Griechenland fallen lassen, werden die Schäden für den deutschen Haushalt und den deutschen Steuerzahler mit Sicherheit größer als wenn wir es retten. Die, die Lehmann haben pleite gehen lassen, haben sich 24 Stunden später auch gewünscht, sie hätten die Bank gerettet.
Berliner Zeitung: Und was bedeutet die Krise für den Europäischen Stabilitätspakt?
Roland Koch: Offenkundig reicht der Stabilitätspakt in seiner jetzigen Form nicht aus, um Krisen zu vermeiden. Nach der Krise muss er ergänzt werden. Es kann sein, dass über eine Reform zunächst die Euroländer reden, und nicht die Euro-skeptischen. Das ist die Aufgabe für die Zeit, wenn der Brand gelöscht ist. Aber im Augenblick brennt’s, und zwar ziemlich lichterloh.
Das Interview führten Markus Sievers und Daniela Vates.