Ministerpräsident im Interview mit der Rheinischen Post
Rheinische Post: Was muss die Politik tun als Reaktion auf das S-Bahn-Verbrechen von München?
Koch: Wir werden Gewalt nie gänzlich verhindern können, aber wir müssen alles dafür tun, dass solche Bürger, die sich einsetzen, nicht am Ende die Dummen sind.
RP: Bloß schöne Worte.
Koch: Wenn ich sage, dass wir alles Mögliche tun müssen, hat das natürlich etwas mit mehr mit Videoüberwachung im öffentlichen Raum zu tun, was lange Jahre leider verhindert worden ist. Es hat etwas damit zu tun, dass die Justiz mit Konsequenz und Härte Strafen verhängt.
RP: Mehr Polizei auf Straßen und Plätzen? Mehr Aufsichtspersonal in Bussen und Bahnen?
Koch: Wir in Hessen bauen die Polizeipräsenz jedenfalls aus. Ich warne jedoch vor der Illusion, als könnten wir an jede Ecke, an der was passieren kann, eine Person für die Sicherheit postieren.
RP: Warum ist „Schwarz-Gelb“ besser als die große Koalition?
Koch: Weil die Grundüberzeugungen von CDU/CSU und FDP in die gleiche Richtung gehen. Wir haben in etwa das gleiche Verständnis von der Freiheit der Menschen, ob in der Wirtschaft oder bei der Frage individueller Lebensgestaltung. Wir streiten mit der FDP nicht wie mit der SPD oder den Grünen über die Dimension des Staatseinflusses. Mit der FDP zusammen können wir sehr viel besser – und ohne faule Kompromisse – regieren. Was sich in Nordrhein-Westfalen und Hessen ja zeigt.
RP: Sobald die FDP mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt fordert, tritt die Union auf die Bremse, weil sie Angst vor dem Wähler hat.
Koch: Diskussionen wird es natürlich geben. Wir wollen ja nicht mit der FDP fusionieren. Die Union ist im Bündnis mit der FDP die Garantin für soziale Ausgewogenheit.
RP: Brauchen wir mehr Mitbestimmung?
Koch: Die Mitbestimmung, die wir in Deutschland haben, ist gerade in der Krise ein Vorteil. Viele Gewerkschafter haben sich weg von ideologischem Gerede, hin zu pragmatischem Verhalten fortentwickelt. Ich sehe beispielsweise eine Chance in der Krise, die darin besteht, dass wir das alte Streitthema „Mehr Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand“ neu lösen. Beide, Unternehmer und Gewerkschaften, brauchen mehr Arbeitnehmer-Beteiligung, um auf Betriebsebene zur Lösung der Krise beizutragen. Darüber kann sich niemand mehr freuen als die CDU/CSU, das haben wir immer gewollt. Arbeitnehmer, die am Betrieb beteiligt sind, sich mit ihm identifizieren, das ist doch prima.
RP: Ist es wirklich ehrlich, bei 100 Milliarden Nettoneuverschuldung im kommenden Jahr spürbare Steuersenkungen zu versprechen?
Koch: Ich verstehe die Zweifel der Menschen. Das Steuersenkungsprogramm der FDP ist weder realistisch noch machbar. Aber sparen allein reicht nicht. Wir brauchen dringend Wirtschaftswachstum. Dazu gehört, dass diejenigen, die etwas leisten, die den Aufschwung bewirken sollen, nach entsprechender Entlohnung nicht den Eindruck haben, sie arbeiteten hauptsächlich für das Finanzamt. Deshalb benötigen wir eine gewisse steuerliche Entlastung.
RP: Was antworten sie überzeugten Katholiken, der sich unsicher sind, ob sie eine Bundeskanzlerin wählen sollen, die dem Papst im Zusammenhang mit einer Antisemitismus-Debatte unverschämt in die Parade gefahren ist?
Koch: Der überzeugte Katholik sollte sich fragen: Wo finde ich eine Partei, bei der ich ein Höchstmaß an Verpflichtung auf christliche Werte finde. Ich persönlich kann als katholischer Christ keine Partei erkennen, die auch nur annähernd so viel von der Identität meines christlichen Glaubens wiedergibt wie die CDU. Im übrigen hat die Kanzlerin erklärt, dass es ihr leid tut, wenn aus ihrer – aus meiner Sicht – notwendigen Stellungnahme bei dem einen oder anderen Missverständnisse entstanden sind.
RP: Wie gefährlich für Deutschlands Zukunft ist die allgegenwärtige Aversion bei uns gegen technische Fortentwicklungen?
Koch: Das ist in der Tat eine große Gefahr für unser Land. Wenn dieser Pessimismus Regierungspolitik würde, und bei Rot-Rot-Grün würde er das, würde Deutschland die Lasten, die es tragen will und soll, nicht mehr schultern können, weder bei den sozialen Verpflichtungen national noch international. Wir sind zum Wohlstand auch verpflichtet, anderenfalls werden wir weder nach innen stabil bleiben noch die Erwartungen, die viele Menschen in der Welt an uns haben, erfüllen können. Der Optimismus, dass neue technische Entwicklungen, Erfindungen für eine bessere Zukunft sorgen, ist leider in keinem vergleichbaren Land so gering wie in Deutschland. Hier hat sich eine Mentalität des politischen Kampfes breit gemacht. Die politische linke Seite versucht eigentlich aus jeder Innovation eine Waffe für den politischen Kampf zu schmieden. Das ist eine reaktionäre Haltung gegenüber modernen Technologien.
Reinhold Michels führte das Interview.