Koch: „Es wird heftige Diskussionen geben“
Ministerpräsident Roland Koch im FAZ-Interview
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wie schätzen Sie die Aussichten ein, dass es Opel-Europa in fünf Jahren noch gibt?
Roland Koch: Sehr gut, ich bin außerordentlich zuversichtlich. Ansonsten wäre es auch nicht vertretbar gewesen, dass der Steuerzahler eine Bürgschaft stellt.
FAZ: Ihr Optimismus wird auch dadurch nicht geschmälert, dass der Hesse und FDP-Mann Dirk Pfeil, der Vertreter der Bundesländer im Opel-Treuhandbeirat, die Partnerschaft von Opel und dem Automobilzulieferer Magna viel skeptischer beurteilt?
Koch: Die Unterschiede zwischen Dirk Pfeil und der Position der hessischen Landesregierung lagen in der Bewertung von zwei potentiellen Bewerbern und den unterschiedlichen Konzepten. Ich meine, dass wir als Landesregierung mit dem Bund und den anderen Ländern das unternehmerisch klarere und engagiertere Konzept ausgewählt haben, das sehr viel bessere Rahmenbedingungen bietet.
FAZ: Herr Pfeil kritisiert nicht zuletzt, dass bei der Lösung Opel/Magna alle Risiken den Steuerzahlern aufgebürdet würden.
Koch: Die prinzipielle Entscheidung, Opel zu retten, halte ich für richtig. Das ist aber nur möglich, wenn der Steuerzahler bereit ist, im Notfall ein Risiko abzusichern.
FAZ: Aber ist das Risiko vertretbar?
Koch: Wir geben doch kein Steuergeld an Opel, und wir haben auch eine ganze Reihe von Sicherheiten für die Bürgschaften, die wir bereitstellen. Natürlich bleibt am Ende ein Risiko, wie bei den vielen kleinen und mittleren Betrieben, denen wir in den letzten Jahren mit Bürgschaften geholfen haben. Mit sehr wenig Ausfall.
FAZ: Aber diesmal geht es um Milliarden.
Koch: Im Fall Opel muss man abwägen gegen den drohenden Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen in Hessen und die Zerstörung eines der wesentlichen wirtschaftlichen Werttreiber dieser Region, der Automobilindustrie. Die Existenz des technischen Entwicklungszentrums von Opel in Rüsselsheim hat dazu geführt, dass alle asiatischen Automobilunternehmen ihre technischen Vertriebszentralen mit Tausenden von Arbeitsplätzen im Raum Frankfurt angesiedelt haben. Deshalb ist die Rettung von Opel eine wirtschaftlich vernünftige Entscheidung. Jetzt hat der Steuerzahler immerhin die Aussicht, dass er am Ende gar nichts zahlen muss – wäre Opel kaputtgegangen, wäre das die Gemeinschaft in jedem Falle verflixt teuer gekommen.
FAZ: Anfang der Woche hat die erste hessische Integrationskonferenz stattgefunden und ist ohne Ergebnisse zu Ende gegangen. Was kann und wird die Politik in den nächsten Jahren tun, um die Eingliederung von Ausländern zu fördern?
Koch: Die Konferenz war ein gelungener Startschuss zu einer neuen Etappe der Integrationspolitik. Dabei bauen wir darauf auf, was wir seit 1999 in Hessen erreicht haben und was in vielen Fällen zum bundesweiten Vorbild geworden ist, beispielsweise bei der Sprachqualifikation als Voraussetzung für Integration. Den Ehrgeiz, auch weiterhin wegweisend zu sein, haben wir. Dabei versprechen sich Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn und ich viel von den Modellregionen für Integration, die wir einrichten wollen.
FAZ: Bei der geplanten Einführung von islamischem Religionsunterricht gibt die FDP das Tempo vor, aber ein Teil der CDU-Landtagsfraktion hat offenbar Vorbehalte.
Koch: Wir haben eine klare Koalitionsvereinbarung: islamischer Religionsunterricht in deutscher Sprache oder eine verpflichtende Unterweisung in islamischer Religion im Fach Ethik. Nun geht es darum, auf islamischer Seite verlässliche Partner für Religionsunterricht zu finden. Wir haben den potentiell interessierten Gruppen klare und verbindliche Rahmenbedingungen genannt und ihnen zum Beispiel die Botschaft mitgegeben, dass der Begriff einer Religionsgemeinschaft nicht neu definiert werden kann. Wer bei uns islamischen Religionsunterricht anbieten will, muss sich an die verfassungsrechtlich vorgegebenen Regeln halten.
FAZ: Es gibt in der CDU auch jene, die hoffen, dass sich kein Partner für islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache finden möge. Dazu gehören Sie nicht?
Koch: Ich bin da offen. Ich kann mir vorstellen, dass es Partner gibt. Falls wir aber keinen finden, werden wir nicht nichts tun, sondern müssen dann einen anderen Weg gehen. Dass Tausende von jungen Muslimen von religionskundlichem Unterricht in jeder Form ausgeschlossen sind, werden wir nicht weiter hinnehmen. Am Ende der Wahlperiode gibt es entweder islamischen Religionsunterricht oder eine religionskundliche Unterweisung im Ethikunterricht.
FAZ: Bei der Vergabe des hessischen Kulturpreises ist einiges schiefgegangen. Der Autor Navid Kermani sollte ihn zunächst erhalten, dann wieder nicht und nun doch. Inwieweit tragen Sie als Mitglied des Kuratoriums für die Preisvergabe Mitschuld an dieser Entwicklung?
Koch: Ich will die Kulturpreisverleihung jetzt nicht vorziehen. Aber richtig ist sicher, dass an der diesjährigen Geschichte der Verleihung des Preises deutlich geworden ist, dass das Verhältnis der Religionen weniger spannungsfrei ist, als es sich die Mitglieder des Kuratoriums bei der Entscheidung über die Preisträger erhofft haben. Vielleicht beginnt jetzt eine Debatte darüber, welches Maß an Rücksichtnahme und Verständnis nötig ist, um Religionen in unbefangener Weise nebeneinander bestehen und sich entwickeln zu lassen.
FAZ: Sie selbst haben sich zum Inhalt des Streits, der Interpretation einer Kreuzigungsszene, noch nicht geäußert. Kardinal Lehmann und der frühere hessen-nassauische Kirchenpräsident Steinacker fühlten sich durch Formulierungen von Herrn Kermani im Kern ihres Glaubens getroffen. Können Sie das nachvollziehen?
Koch: Zur Politik in einer verantwortlichen Position gehört auch, dass man gelegentlich schweigen kann, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Ich werde mich auch im Nachhinein nicht als Schiedsrichter aufspielen. Ich denke aber, dass ich bei der Verleihung des Preises etwas zu dieser Frage sagen kann.
FAZ: Thema Finanzen: 2,9 Milliarden Euro Neuverschuldung in diesem Jahr, voraussichtlich 3,4 Milliarden im nächsten – ein Gesamtschuldenberg von inzwischen 35 Milliarden Euro. Sind rote Zahlen in solchen Dimensionen noch verantwortbar?
Koch: Zunächst einmal sind sie kurzfristig leider unvermeidbar. Kein Mensch kann ernsthaft behaupten, dass wir den dramatischen Steuerausfällen – zwei Milliarden Euro in diesem Jahr – hinterhersparen können.
FAZ: Man hätte beispielsweise das hessische Konjunkturpaket eine Nummer kleiner schnüren können.
Koch: Das Konjunkturprogramm spielt bei dem aktuellen Haushalt eine vergleichsweise geringe Rolle, weil es über viele Jahre hinweg finanziert wird. Zudem ist es nichts anderes als das Vorziehen von ohnehin vorgesehenen, notwendigen Investitionen. Ein Verzicht auf ein solches Programm wäre unverantwortlich, und sobald die wirtschaftliche Talsohle ein Stück weit durchschritten ist, wird gespart. Deshalb bilden wir jetzt eine Haushaltsstrukturkommission, die sich genau ansehen wird, was staatliche Angebote, was beispielsweise Schule und Kindergärten in anderen Bundesländern kosten. Wir haben den Anspruch, unsere öffentlichen Leistungen zu möglichst günstigen Bedingungen anzubieten.
FAZ: Die gleiche Qualität für weniger Geld?
Koch: Genau. Das ist das, was jeder sorgsame Haushälter als Erstes tut, wenn er in Schwierigkeiten ist.
FAZ: Finanzminister Weimar hat Ihre Rückendeckung bei seinem Vorsatz, künftig antizyklisch zu wirtschaften?
Koch: Er hat diese Vorgabe von mir und den Koalitionsparteien CDU und FDP. Von der Opposition dürfen wir uns kaum ernsthafte Sparvorschläge erhoffen, sie fordert ja fast täglich überall noch Mehrausgaben. Es wird heftige Diskussionen geben, beispielsweise, wenn wir die Hochschulinvestitionen zurückfahren. Denn eines ist doch klar: Wenn wir jetzt Hunderte von Millionen auf einmal zum Beispiel in den Hochschulbau stecken, bedeutet das, dass es in den Jahren 2012 und 2013 signifikante Rückgänge gibt. Die Hochschulen bekommen schneller, was sie brauchen, aber sie erhalten am Ende nicht mehr, denn das können wir uns nicht leisten.
FAZ: Werden die Hessen die unangenehmen Wahrheiten zum Thema Sparen noch vor der Landtagswahl 2013 erfahren?
Koch: Das ist eine Debatte, die wir mit den Haushalten 2011 und 2012 führen werden, nämlich dann, wenn wir aus der Krise wieder herauskommen.
FAZ: Um die Neuordnung der Landesbanken ist es still geworden. Erwarten Sie, dass Fusionen in absehbarer Zeit wieder stärker debattiert werden?
Koch: Mein Eindruck ist, dass die Konsolidierung zunächst einmal ohne Fusionen stattfinden wird. Die Lasten der einzelnen Institute sind sehr unterschiedlich, und die Bereitschaft, die Last eines anderen mitzutragen, ist gering. Die Landesbanken müssen erst mal ihre Bilanzen in Ordnung bringen, Risiken wieder kalkulierbar machen. Dann wird es, darüber sind sich die Ministerpräsidenten einig, eine zweite Stufe geben, und die heißt Konsolidierung.
FAZ: Was bedeutet das für die Landesbank Hessen-Thüringen, die Helaba?
Koch: Wir sind in der beneidenswerten Lage, dass wir eine sehr erfolgreiche Landesbank haben. Die kann in einer solchen Krise sogar noch an Stärke gewinnen, allerdings in dem Wissen, dass sie anschließend auch Teil der Diskussion über die Konsolidierung der Landesbanken insgesamt ist.
FAZ: Sie befürchten nicht, dass sich dann die schwachen Landesbanken zusammentun und die Helaba als eigentlich attraktivste Braut am Ende allein bleibt?
Koch: Die Helaba hat den geringsten Konsolidierungsbedarf. Sie wird sich an einer Konsolidierung der Landesbanken beteiligen, aber mit Selbstbewusstsein, aus einer Position der Stärke.
FAZ: In einer Woche werden die Weichen in der Bundespolitik gestellt. Gesetzt den Fall, Angela Merkel bleibt Kanzlerin, wird es auch künftig einen Hessen im Kabinett geben?
Koch: Das wird der Landesvorsitzende der hessischen CDU selbstverständlich mit erheblichem Nachdruck einfordern. Ich will, dass Franz Josef Jung auch in Zukunft dem Kabinett angehört. Aber die nächsten sieben Tage werden wir uns nicht mit dem Tag nach der Wahl beschäftigen, sondern für eine starke CDU kämpfen …
FAZ: In einer Koalition mit der FDP?
Koch: In einer bürgerlichen Koalition. Wir werden deutlich machen, dass Rot-Rot-Grün eine real drohende Gefahr ist. Nach den Erfahrungen mit der Ypsilanti-SPD müssen gerade wir Hessen deutlich warnen.
FAZ: Sie selbst werden in Wiesbaden bleiben?
Koch: So, wie ich es immer gesagt habe, ja.
FAZ: Was reizt Sie nach zehn Jahren noch so sehr an der Landespolitik?
Koch: Ich kann mich im Augenblick weder über einen Mangel an Arbeit noch an Auseinandersetzungen oder Herausforderungen beschweren. Das Amt des hessischen Ministerpräsidenten bereitet mir Spaß, weil ich sehr konkret an Projekten arbeiten kann. Zudem sehe ich nicht, dass ein Mitglied des Bundeskabinetts prinzipiell mehr Möglichkeiten hat, nationale Politik mitzugestalten als ich als Ministerpräsident und stellvertretender CDU-Vorsitzender. Warum sollte ich mich also in andere Sphären aufmachen?
Die Fragen stellten Matthias Alexander und Ralf Euler.