Koch: „Eine große Koalition hält keine vier Jahre“
Ministerpräsident Roland Koch im Tagesspiegel-Interview
Der Tagesspiegel: Herr Koch, haben Sie sich schon nach einer Wohnung in Berlin umgesehen?
Roland Koch: Nein, wozu auch?
Tagesspiegel: In der Union heißt es, Sie wollten Minister im nächsten Kabinett von Angela Merkel werden.
Koch: Ich wohne mit meiner Familie in Eschborn und arbeite als hessischer Ministerpräsident in Wiesbaden. Dabei bleibt es. Wenn ich in Berlin zu tun habe, steht mir im Übrigen die hessische Landesvertretung zur Verfügung.
Tagesspiegel: Glauben Sie nicht an einen Sieg von Schwarz-Gelb im Bund?
Koch: Aber natürlich haben wir alle Chancen. Ich kämpfe dafür, dass Angela Merkel dieses Land nach dem 27. September mit der FDP als neuem Koalitionspartner weiter regieren kann. Aber mein Platz ist in Wiesbaden.
Tagesspiegel: Warum werden viele Ihrer Parteifreunde in der Schlussphase dieses Wahlkampfes so nervös?
Koch: Nervosität nein, Anspannung ja. Es war von Anfang an klar, dass die beiden politischen Lager – Union und FDP auf der einen, SPD, Grüne und Kommunisten auf der anderen Seite – in diesem Wahlkampf sehr nahe beieinanderliegen würden. Jetzt rückt der Wahltag näher und die Anspannung steigt auf beiden Seiten. Das muss kein Fehler sein. So ist jedem bewusst: Es steht am kommenden Sonntag viel auf dem Spiel. Die Bundestagswahl wird für Deutschland enorme Konsequenzen haben.
Tagesspiegel: Wäre es ein Unglück, wenn die große Koalition weitermachen müsste?
Koch: Eine große Koalition würde keine vier Jahre halten. Sie wäre vom ersten Tag an ein Schaden fürs Land, weil es keine gemeinsamen Projekte mehr gibt, die haben wir nämlich in der zu Ende gehenden Wahlperiode abgewickelt. Sie würde auch den beteiligten Parteien schweren Schaden zufügen, da Union und SPD weiter an Bindekraft verlieren würden.
Tagesspiegel: Wäre die Union im Fall einer Neuauflage von Schwarz-Rot in ihrer Rolle als Volkspartei bedroht?
Koch: Ich halte es für einen riesigen Vorzug unseres Landes, dass wir Volksparteien haben. Sie schaffen über verschiedene Interessen hinweg Konsens. Wenn man die Volksparteien behalten will, dann darf man sie aber nicht dauerhaft zusammen regieren lassen. Die Programme von Union und SPD sind nicht mehr kompatibel, da die Sozialdemokraten immer weiter nach links gerückt sind. Kompromisse wären in einer neuen Koalition deshalb kaum möglich und einem erheblichen Teil unserer Anhänger auch nicht zu vermitteln. Eine Neuauflage der großen Koalition würde die Identität der Union existenziell gefährden.
Tagesspiegel: Kann es sein, dass die Nervosität in den Reihen der Union auch deshalb gestiegen ist, weil die Bundeskanzlerin im TV-Duell gegen Frank-Walter Steinmeier schlechter abgeschnitten hat als erwartet?
Koch: Es ist kein neues Phänomen, dass Fernsehduelle tendenziell den Herausforderer begünstigen. Diese Erfahrung musste ich mit Frau Ypsilanti auch machen, die dabei, übrigens für viele überzeugend, versprach, nicht mit der Linkspartei zusammenarbeiten zu wollen. Viele Menschen haben sich bisher nicht über 90 Minuten ein Bild von Steinmeier gemacht. Deshalb konnte er einen Teil der Zuschauer mit einem ordentlichen Auftritt überraschen.
Tagesspiegel: Beunruhigt Sie das nicht?
Koch: Nein. Steinmeiers Sympathiewerte mögen ein wenig gestiegen sein. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, dass die Wähler Angela Merkel und der Union sehr viel mehr Kompetenz zur Lösung der Probleme zutrauen. Übrigens gerade auch bei dem Duell.
Tagesspiegel: Hat Merkels Auftritt Sie überzeugt?
Koch: Angela Merkel hat das sehr gut gemacht. Wie gesagt: Wenn es sich beim Herausforderer nicht um einen totalen Versager handelt, kann man ein Fernsehduell als Amtsinhaber nicht zu Null gewinnen. Darüber brauchen wir uns nicht aufzuregen.
Tagesspiegel: Dennoch haben Sie am Tag nach dem Duell im Parteipräsidium gefordert, die CDU müsse ihre Stammwählerschaft deutlicher ansprechen und im Wahlkampfendspurt verstärkt vor den Gefahren eines Linksbündnisses von SPD, Grünen und Linkspartei warnen.
Koch: Ja, weil viele Wähler diese Gefahr noch immer unterschätzen. Viele glauben, wenn Rot-Rot-Grün eine Mehrheit hätte, würde sie nicht für eine Koalition genutzt. Das halte ich für einen gefährlichen Irrtum. Wenn es eine linke Mehrheit gibt, wird sich ein Sozialdemokrat von dieser Mehrheit auch zum Kanzler wählen lassen.
Tagesspiegel: Die SPD hat Rot-Rot-Grün ausgeschlossen.
Koch: Was solche Zusagen wert sind, haben wir ja in Hessen gesehen. Da hat Andrea Ypsilanti auch immer mit treuherzigem Augenaufschlag gesagt: Nicht mit den Linken. Noch einmal: Wenn ein linke Mehrheit da ist, wird sie auch genutzt werden, wenn nicht sofort, dann eben in zwei Jahren. Deshalb müssen wir den Deutschen sagen, dass es sich am 27. September um eine Richtungswahl handelt.
Tagesspiegel: Die Demoskopen glauben, das für die CDU erreichbare Wählerpotenzial sei bereits mobilisiert. Wenn das stimmt, bringt Ihnen eine Rote-Socken-Kampagne gar nichts.
Koch: Umfragen sind das eine, das tatsächliche Wahlverhalten das andere. Mobilisiert hat man sein Wählerpotenzial erst dann, wenn die Wähler ihre Stimme abgegeben haben. Außerdem glaube ich, dass wir, gemessen an den Umfragen, noch um ein paar Prozent zulegen können. Dafür müssen wir jetzt die Füße langmachen.
Tagesspiegel: CSU-Chef Horst Seehofer legt nun ein eigenes 100-Tage-Programm für eine schwarz-gelbe Bundesregierung vor. Ist das hilfreich oder stiftet er damit Verwirrung?
Koch: Die CDU hat ein hohes Interesse daran, dass Horst Seehofer und die CSU in Bayern ein brillantes Ergebnis erzielen. Denn das ist die Voraussetzung für den Sieg von Schwarz- Gelb am kommenden Sonntag. Wenn die CSU glaubt, es gebe einen Bedarf, bestimmte Punkte noch einmal deutlicher herauszustellen, dann will ich das respektieren. Ich glaube aber, es ist wichtiger, den Menschen zu sagen, dass es am Sonntag darum geht, Rot-Rot-Grün zu verhindern.
Tagesspiegel: Was können Union und FDP besser als die große Koalition?
Koch: Wir teilen ein Grundverständnis. Uns verbindet, dass wir nicht als Erstes nach dem Staat rufen, wenn ein Problem auftaucht. Wir wollen weniger Regulierung, wollen der Eigeninitiative der Menschen Raum geben. In der Steuerpolitik bedeutet das, die Leistungsträger im Mittelstand zu entlasten. In der Gesundheitspolitik heißt das, für mehr Wettbewerb unter den Anbietern zu sorgen, damit sie bessere Leistungen zugunsten der Patienten erbringen.
Tagesspiegel: Wie wollen Sie angesichts der Rekordverschuldung Steuerentlastungen finanzieren?
Koch: Wir werden in Zukunft wieder höhere Steuereinnahmen haben, als es infolge der Krise der Fall war und ist. Ein Drittel dieser Mehreinnahmen werden wir zur steuerlichen Entlastung verwenden und damit das Wirtschaftswachstum ankurbeln, das wir brauchen, um unsere Schulden abbauen zu können. Ein Drittel dient direkt dem Schuldenabbau, ein Drittel soll in Investitionen fließen.
Tagesspiegel: FDP-Chef Guido Westerwelle hat eine Ampel-Koalition seiner Partei mit SPD und Grünen jetzt definitiv ausgeschlossen. Wird er dafür mit Zweitstimmen von CDU-Anhängern belohnt?
Koch: Guido Westerwelle hat ein klares Signal für eine bürgerliche Koalition von Union und Liberalen gesetzt. Das wird sich am Wahltag für beide Parteien auszahlen. Dennoch bleibt es dabei, dass Union und FDP jeweils für sich um möglichst viele Stimmen werben müssen. Wir wollen ja nicht fusionieren.
Tagesspiegel: Herr Koch, im Dezember 2007 haben Sie den brutalen Überfall eines türkisch- und eines griechischstämmigen Jugendlichen auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn zum Thema im Hessen-Wahlkampf gemacht. Als zwei deutsche Schläger vergangene Woche an einer Münchner S-Bahn-Haltestelle einen Mann totgeprügelt haben, hat man nichts von Ihnen gehört. Warum nicht?
Koch: Ich glaube nicht, dass ich mit einer Stellungnahme zu einer sachlichen Debatte hätte beitragen können. Als ich 2007 über den Überfall auf den Rentner gesprochen habe, wurden mit unlautere Motive unterstellt. Es ist uns damals leider nicht gelungen, dieses falsche Bild der Medien zurechtzurücken. Ich stelle aber fest, dass viele der Maßnahmen, die wir damals gefordert haben, noch nicht umgesetzt worden sind.
Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Stephan Haselberger.