Ministerpräsident Roland Koch im FNP-Interview
FNP: Einige Zuhörer Ihrer jüngsten Interviews meinen, darin konkrete Anhaltspunkte für eine Absage an einen Wechsel in die Bundespolitik nach den Bundestagswahlen heraushören zu können. Ist der Eindruck richtig?
Roland Koch: Dazu sage ich seit zehn Jahren immer das Gleiche. Ich kann den journalistischen Spaß an der Wiederholung der Frage offenbar nicht begrenzen, aber ich habe mich für das schöne Amt des hessischen Ministerpräsidenten entschieden und habe gar keinen Grund, über etwas anderes nachzudenken. Das ändert nichts daran, dass ich aus dieser Position auch gerne meinen Einfluss in der Bundespolitik mit großem Engagement geltend mache. Das war in den letzten zehn Jahren so – und das wird auch nach dem 27. September so sein.
FNP: Stichwort bundespolitisches Engagement: Wer wird wohl nach der Bundestagswahl Außenminister sein?
Koch: Auch wenn es Journalisten Spaß macht, habe ich ein Problem damit, wenn Aufgaben in einer neuen Regierung verteilt werden, bevor die Wähler gesprochen haben. Ich hoffe, dass es eine CDU/CSU/FDP-Koalition gibt, und dann spricht schon aus langjähriger Tradition viel dafür, dass das Amt des Außenministers dem Koalitionspartner zufallen wird. Mir ist im Augenblick wichtiger, alles dafür zu tun, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt.
FNP: Wie viel Vertrauen haben Sie in die Demoskopie? Es sieht ja immer noch gut aus für Schwarz-Gelb, aber in den neuesten Voraussagen gibt es für das bürgerliche Lager nur noch einen Vorsprung von zwei Prozent.
Koch: Ich habe großes Vertrauen in die Demoskopen, die ihr Handwerk verstehen, ich weiß aber auch, was sie nicht können: Wahlergebnisse voraussagen. Man kann Annäherungen herausarbeiten, Trends feststellen, aber bei vielen Wählern reift die Entscheidung zunehmend in den letzten Tagen und sogar Stunden vor der Stimmabgabe. Mindestens seit 1998 haben wir eine Tendenz, dass der Unterschied zwischen dem bürgerlichen Lager und den linken Parteien stets niedriger als ein Prozent ist. Das wird sich auch diesmal nicht völlig wandeln. Wir arbeiten daran, dass es aber eine Mehrheit für Union und FDP geben wird.
FNP: Richtig vorausgesagt hatten die Demoskopen schwere Stimmenverluste für die CDU bei den jüngsten Landtagswahlen. Diese sind nun noch herber als erwartet ausgefallen. Wie interpretieren Sie diese Ergebnisse?
Koch: Vor fünf Jahren hatte die rot-grüne Koalition abgewirtschaftet, da konnte man sogar auf bis zu 49 Prozent kommen, davon hat auch die hessische CDU 2003 profitiert. Heute liegen wir als Regierungspartei und in einer großen Koalition, was uns zusätzlich Stimmen kostet, zwischen 35 und 37 Prozent. Deshalb sind auch alle Landtagswahlergebnisse signifikant schlechter als vor fünf Jahren. Das ärgert uns und die Nachrichten aus Erfurt und Saarbrücken waren schmerzlich. Hätten wir jeweils ein oder zwei Prozentpunkte mehr erreicht, wäre im Saarland und in Thüringen viel von dem Durcheinander erspart geblieben, das jetzt auszuhalten ist. Unsere Ausgangsposition für die Bundestagswahl ist trotzdem gut, wenn man dagegenhält, dass sich die SPD mit 18 Prozent in Thüringen und 10 Prozent in Sachsen als Sieger feiern lässt – eine ganz neue Form der Bescheidenheit. Im Übrigen hoffe ich, dass die Ergebnisse im Saarland und in Thüringen mit der Gefahr rot-rot-grüner Bündnisse viele Leute wach werden lässt, damit uns so etwas nicht am 27. September droht.
FNP: Welche Themen werden in der Schlussphase des Wahlkampfs den Ausschlag geben?
Koch: Das ist immer ganz schwierig vorauszusehen. Aber die Kompetenz der CDU und der Kanzlerin, das Land aus der Krise zu führen, wird ein wichtiger Gesichtspunkt sein, denn der Wahlkampf ist stark geprägt von der Krise. Und was nach den letzten Landtagswahlen immer stärker in den Vordergrund treten wird, ist politische Stabilität. Die deutschen Wähler wollen nicht dauerhaft so etwas erleben, was wir in unserem Bundesland ein Jahr lang «hessische Verhältnisse» genannt haben. Das wird vor allem die SPD vor Herausforderungen stellen, denn sie wird um ein Glaubwürdigkeitsproblem, das ich mit dem Wort Ypsilanti-Gen beschreibe, nicht herumkommen.
FNP: Könnten die zwei von Ihnen genannten Punkt nicht dazu führen, dass die Wähler das größte Vertrauen in die große Koalition setzen? Schließlich geht diese Bundesregierung mit der Krise ja ganz ordentlich um.
Koch: Das ist die große Gefahr einer solchen Diskussion. Im Jahr 2005 sind nicht zuletzt viele Journalisten der Illusion unterlegen, es gebe keinen großen Unterschied zwischen Union und SPD und deshalb könnten diese auch problemlos zusammen regieren. Insofern ist die Klugheit der Menschen beachtlich, die in Umfragen zu fast drei Vierteln die Fortsetzung der großen Koalition ablehnen. Die Gemeinsamkeiten, die es für vier Jahre und einige gemeinsame Projekte gegeben hat, sind erschöpft. Ich habe mit Peer Steinbrück in der Finanzpolitik ja vieles gemeinsam ausgehandelt, aber auch wir haben keine weitere Tagesordnung.
FNP: Und was soll dann passieren, wenn nur eine große Koalition möglich ist?
Koch: Den Fall gibt es doch gar nicht. Entweder gibt es eine bürgerliche oder eine linke Mehrheit.
FNP: …die aber von SPD und Linkspartei gleichlautend abgelehnt wird.
Koch: Ich schließe geradezu aus, dass eine linke Mehrheit im neuen Bundestag nicht genutzt wird, wenn sie bestehen sollte. Manche sehen die SPD dabei noch einmal für zwei Jahre in einer großen Koalition weitermachen, um dann umzuschwenken, aber ich bin hundertprozentig sicher, dass die Sozialdemokraten jede Chance nutzen werden, um in die dann folgende Wahl mit einem eigenen Kanzler zu gehen.
FNP: Es gibt unüberhörbare Kritik aus Kreisen der Union am Wahlkampf der Kanzlerin. Können Sie sich da vielleicht anschließen?
Koch: Nein. Der Wahlkampf von Angela Merkel ist richtig und geboten. Ich treffe viele Menschen, die ihr dankbar dafür sind, dass sie auch an die verbindenden Elemente appelliert. Das liegt daran, dass eine Bundeskanzlerin in einer großen Koalition nicht bedingungslos polarisieren kann, ohne ihre Amtspflichten zu verletzen. Es wird am Ende noch einen ganz normalen Wahlkampf geben, aber es bleibt dabei, dass sich die Kanzlerin nicht in jede Schlammschlacht begeben wird.
FNP: Das beherrschende Thema der letzten Wochen war die Rettung von Opel durch einen geeigneten Investor. Aktuell sieht es so aus, dass ein in den USA selbst sanierter Mutterkonzern General Motors gar nicht mehr an einen Verkauf der deutschen Tochter denkt. Fühlen Sie sich verschaukelt?
Koch: Wir sind sehr verärgert darüber, dass wir bei GM eine Situation vorfinden, die es ganz schwer macht, seriöse Verhandlungen zu führen.
FNP: Warum ist man denn der Illusion erlegen, man könne der Opel-Eigentümerin GM irgendwelche Verkaufskonditionen diktieren.
Koch: Eigentümer können selbstverständlich mit ihrem Geld unabhängig ihre Entscheidungen frei treffen. Wenn sie aber Geld des Steuerzahlers beanspruchen wollen, müssen wir ein Auge darauf werfen, dass mit dem Geld sorgsam umgegangen wird, damit ein solides Zukunftskonzept steht und möglichst viele Arbeitsplätze erhalten werden können.
FNP: Fließen wenigstens die 1,5 Milliarden Euro an staatlichem Überbrückungskredit zurück, wenn Opel nicht verkauft wird?
Koch: Die Regelung ist relativ einfach. Dieser Kredit dient zur Investorensuche bis zum 30. November. Die Amerikaner müssen wissen, dass wir nicht ihr Spielball sind und wir drängen auch niemandem unser Geld auf, sondern haben in einer noch nie dagewesenen Hilfsaktion versucht, die Arbeitsplätze von zehntausenden Menschen zu sichern. Am Ende wollen wir ein schlüssiges Modell sehen, um investieren zu können.
FNP: War die überwiegende Festlegung auf den Investor Magna richtig?
Koch: Das haben wir nicht aus Spaß getan. Es gab eine beschränkte Zahl von Konzepten, die wir zweimal evaluiert haben und am Ende jeder Prüfung erschien uns nur eines tragfähig, eben das von Magna.
FNP: Wie viel Geld hat Hessen im Risiko?
Koch: Immer ein Drittel der in Frage stehende Summe, das heißt im Moment 500 Millionen Euro, von denen bislang etwa die Hälfte in Anspruch genommen worden ist.
FNP: Das Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofs zum Flughafenausbau ist noch ganz frisch. Derzeit wird wieder mal diskutiert, die Nachtflüge einfach nach Hahn in Rheinland-Pfalz auszulagern. Müssten Sie nicht eigentlich froh sein, dass die Kasseler Richter ein altes Versprechen von Ihnen, das absolute Nachtflugverbot, jetzt im Interesse der Menschen nachdrücklich einfordern?
Koch: Wir haben das Kontingent der 17 Nachflüge ja nicht aus freien Stücken oder bösem Willen eingebaut, sondern weil die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jede andere Entscheidung hätte rechtswidrig erscheinen lassen. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel folgt nur in dieser einen Frage den Leipziger Richter-Kollegen nicht. Wenn die Begründung des Urteils da ist, wird man feststellen, wie eindeutig diese Forderung nach einem neuen Bescheid über die Nachtflugregelung ist. Erst dann können wir entscheiden, ob wir beim Bundesverwaltungsgericht Revision einlegen. Aber ich gebe zu, mich freut einfach, dass der Weg für dieses zentrale hessische Zukunftsprojekt frei ist.
FNP: Bei derzeit 35 Milliarden Euro Schulden des Landes Hessen – gerade erst kräftig aufgestockt durch das Investitionsprogramm des Landes – wird der Gestaltungsspielraum immer enger. Wann wollen Sie den Menschen erzählen, in welchen Bereichen sie demnächst keine staatlichen Hilfen mehr erwarten dürfen?
Koch: Es ist richtig, dass gewichtige Herausforderungen auf uns zukommen. Schon jetzt ist auf Bundesebene, und damit auch für die Länder, eine Schuldenbremse ab dem Jahr 2020 beschlossen, was uns zu Veränderungen zwingt. Diese sind derzeit sehr schwierig zu fassen, insbesondere angesichts von aktuell zwei Milliarden Euro Steuerausfällen im Vergleich zum Vorjahr. Wir müssen als erstes einmal Einnahmen und Ausgaben wieder in eine Balance bringen. Dazu waren wir auf einem guten Weg – bis die Krise kam.
FNP: Haben Sie eine Einschätzung, wie sich die Krise entwickeln wird?
Koch: Wir sind im Moment in einem Stadium, wo wir sagen können, dass es beim Austausch von Waren weltweit wieder nach oben geht. Aber wir sind tief gefallen und der Aufholprozess wird Jahre dauern. Ich glaube aber, dass wir mit der gewaltigen deutschen Wirtschaftskraft auch diese Herausforderung erfolgreich bewältigen können.