Koch: „Die Situation, Kompromisse aus der Sicht der CDU mit den Sozialdemokraten über mehrere Jahre machen zu müssen, nervt viele Anhänger der Union.“
Ministerpräsident Roland Koch im Deutschlandfunk-Interview
Friedbert Meurer: Am Telefon begrüße ich nun den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch von der CDU. Guten Morgen, Herr Koch!
Roland Koch: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Sie haben, glaube ich, gestern davon gesprochen, die Landtagswahlen seien ein Weckruf gewesen. Hat die CDU sich zu sicher gefühlt vor dem Sonntag?
Koch: Nach meiner Einschätzung ist das gar nicht eine Frage derer, die in einer politischen Partei die Führung auszuüben haben für eine gewisse Zeit. Wir haben, denke ich, immer gewusst, dass die demoskopische Lage in Deutschland insgesamt so ist, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen wird und keine klare Sache. Und genau das ist das Ergebnis auch der Landtagswahlen. Ich denke aber dass, wenn man aus den Meinungsumfragen etwas herausliest, dass sehr viele Bürger vor dieser Landtagswahl geglaubt haben, bei mir ist die Sache gelaufen, es wird eine CDU/CSU-FDP-Mehrheit geben und Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin, und sich sozusagen auch die aktive Bevölkerung, die sich politisch interessiert, ein bisschen auf die Ränge des Stadions begeben haben: Das geht nicht mehr.
Meurer: Muss die CDU aufwachen, Herr Koch, um ihre Ziele zu erreichen?
Koch: Ich glaube, unsere Wählerinnen und Wähler müssen sehen, dass es keine leichte Sache wird; die CDU hat ein klares Konzept für die Zukunft in den nächsten Jahren, das vertreten wir. Sicherlich wird der Wahlkampf in den letzten Wochen immer ein Stück aggressiver als er vorher war, das ist auch nichts Neues. Aber ganz sicher, die Wahl ist nicht gelaufen, und deshalb muss jeder sein Bestes geben in Arbeitsleistung, Überzeugungskraft und auch in Darstellung der notwendigen Unterschiede.
Meurer: Gilt das auch für die Kanzlerin?
Koch: Die ist diejenige, die das nun schon am längsten und am meisten macht, wie das Parteivorsitzende so zu tun haben. Die Kanzlerin führt ja ihren Wahlkampf und nimmt zugleich die Verantwortung als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland in einer schwierigen Krisensituation wahr. Ich glaube, da kann es keinen Rollenwechsel und keinen Aktivitätswechsel geben. Ich sehe mit großem Respekt, wie sie ununterbrochen durch das Land tourt und vor Ort Planquadrat für Planquadrat der Bundesrepublik Deutschland Wahlkampf macht und wie sie zugleich wichtige internationale Verpflichtungen erfüllt. Sie haben es gerade gesagt, heute Deutschland in Polen repräsentiert, gestern mit Herrn Sarkozy über die Veränderungen etwa bei den Bonussystemen für Manager geredet hat. Das beides zusammenzubringen ist eher eine Kunst als eine Selbstverständlichkeit, und ich finde, die beherrscht sie sehr gut.
Meurer: Aber so richtig Lust auf Wahlkampf versprüht sie nicht. Sollte sie engagierter vorgehen?
Koch: Ja, ich bin völlig zufrieden.
Meurer: Entschuldigung, bitte?
Koch: Ich bin völlig zufrieden.
Meurer: Die Wähler offenbar nicht, sonst wäre das Ergebnis am Sonntag besser gewesen.
Koch: Ja, da würd‘ ich mal ganz vorsichtig sein, weil das Wahlergebnis, das wir im Augenblick unter den Bedingungen einer Großen Koalition, die natürlich für die CDU/CSU keine einfache Ausgangsposition in der Wahl ist, zum Beispiel es auch unseren Kollegen in der FDP ein Stück leichter macht, bestimmte Stimmen einzuwerben. Unter diesem Gesichtspunkt kennen wir die Zahlen und die Ergebnisse, die die CDU erreichen kann. Das, was bei den Landtagswahlen geschehen ist, ärgert uns sehr, aber es bewegt sich eben in diesem Korridor, das muss man zugeben. Wir sind nicht in der glücklichen Situation, eine miserable rot-grüne Bundesregierung zu haben, gegen die man in der Opposition Sturm läuft, sondern wir sind heute fünf Jahre später in einer Situation, in der eine durchaus auch sehr besorgte Bevölkerung abwägt, welche Entscheidung sie haben will, und wir sehen dabei, dass es nach wie vor so ist, die beiden großen politischen Strömungen, zu denen CDU/CSU und FDP auf der einen Seite und die drei linken Parteien auf der anderen Seite gehören, stehen sich etwa gleichgewichtig gegenüber. Das war vor dem Sonntag so und das ist nach dem Sonntag so, und es wird eine heftige Anstrengung, aber auch eine Klugheit, alle mitzunehmen in einer großen Volkspartei erfordern, dass wir daraus ein Wahlergebnis machen, das Deutschland vor einer Übernahme durch linke Parteien in der gemeinsamen Regierung bewahrt, und daran arbeiten wir.
Meurer: Es gibt ja, Herr Koch, einige Stimmen in Ihrer Partei, die sagen, die CDU muss mehr inhaltliches Profil zeigen in den letzten vier Wochen. Hat die Große Koalition und der Kurswechsel von einer neoliberalen Kanzlerin zur fast schon sozialdemokratisch anmutenden Kanzlerin der CDU zu viel an Profil geraubt?
Koch: Also, ich teile keinen der Begriffe, die Sie dort eben gesagt haben, ohne dass wir dafür zu viel Zeit verwenden, aber eines ist ganz sicher: Die Situation, Kompromisse aus der Sicht der CDU mit den Sozialdemokraten über mehrere Jahre machen zu müssen, nervt viele Anhänger der Union. Das ist auch ganz verständlich, wir – entgegen manchen bequemen journalistischen Darstellungen sind die beiden großen politischen, gesellschaftlichen Antipoden in Deutschland eben CDU/CSU und SPD. Die wollen was anderes, die haben ein anderes Verständnis von dem Individuum, von seiner Leistungskraft, seiner Eigenverantwortung, seinem Recht und seiner Pflicht, die Gesellschaft selbst zu gestalten, und das kann man nicht dauernd zusammenmengen. Das führt zu Schäden, übrigens ja sichtbar bei beiden Parteien. Deshalb wollen wir auch keine Große Koalition in der nächsten Wahlperiode, sondern wir wollen eine andere Regierung, mit der man mehr vom eigenen Programm durchsetzen kann. Aber eins darf man auch nicht vergessen: Wir haben diese Koalition damals deshalb beschlossen, weil sonst die Linkspartei schon jetzt in der Bundesregierung säße. Und nach wie vor gibt es eben diese Debatte, und der erste Sozialdemokrat wie Herr Schreiner hat es ja jetzt offen gesagt. Wenn es eben eine gesellschaftliche Mehrheit in Deutschland für die drei linken Parteien gibt, dann werden die in Deutschland auch regieren, und ich denke, diese Auseinandersetzung wird auch die nächsten Wochen schon noch ein bisschen prägen.
Meurer: Sie sagen, es liegt an der Großen Koalition, dass die CDU ihr Profil nicht deutlicher machen konnte. Hätte sie es denn nicht deutlicher machen können in den vergangenen vier Jahren?
Koch: Nein, das glaube ich nicht. Ich habe ja nun sehr viel da in der Wirtschaftspolitik selbst für die Große Koalition verhandelt. Man muss auch den Respekt davor haben, wo die Identitätsgrenzen von Sozialdemokraten sind. Deshalb darf man ja eine solche Regierung, ohne dass man da böse ist, ohne dass man nachtritt, ohne dass man das schlechtredet, was in den vergangenen Jahren gemacht worden ist – die Große Koalition hat einige wichtige Ziele gut erreicht, aber sie hat nicht mehr gemeinsame Ziele. Ich glaube, so muss man das sagen, und dann muss man das auch offen in der Bevölkerung kommunizieren.
Meurer: Trügt der Eindruck, diejenigen Wählerinnen und Wähler, die Marktwirtschaft haben wollen, sind besser beraten, die FDP zu wählen?
Koch: Ja, die Wählerinnen und Wähler, die sozusagen eine sehr strikte liberale Wirtschaftsordnung ohne jede Mitwirkung des Staates haben wollen, die haben in der liberalen Partei ja durchaus eine Tradition. Man muss nur aufpassen, dass nicht sozusagen sich die Unterschiede auch zwischen diesen beiden Parteien verwischen. Wir wählen keine CDU/CSU-FDP-Partei, sondern in Deutschland werden diese Unterschiede gewählt. Wer zum Beispiel in der Gesellschaftspolitik will, dass es weiterhin eine Wehrpflicht in Deutschland gibt, weil die wichtig ist, der kann nicht FDP wählen, denn die will sie nicht. Der muss dann CDU wählen. Und trotzdem würden wir gemeinsam etwas Gutes in der Außen- und Verteidigungspolitik hinbekommen. Oder wer in der inneren Sicherheit klare und präzise Gesetze zum Schutz vor Verbrechen haben will, die im Zweifel nicht den Datenschutz zu hoch hängen und damit das Risiko auslösen, dass wir die Täter nicht mehr finden, der muss in der Balance der bürgerlichen Parteien der CDU die Stimme geben. Und ich sag‘ ausdrücklich auch, soziale Balance in der Wirtschaft, Rücksichtnahme auf diejenigen, die schwächer sind und die mitgenommen werden müssen in einer Gesellschaft, damit es in Frieden und in sozialer Verantwortung geht, das ist stärker in der Volkspartei CDU zu Hause. Wer diese Balance haben will, braucht eine starke CDU auch in der zukünftigen Bundesregierung, ohne dass ich Zweifel auslöse, dass ich mit der FDP zusammen regieren will, aber als selbstständige Partei.
Meurer: Sie haben gerade die Gesellschaftspolitik angesprochen. Hat es sich nicht ausgezahlt, dass ja Angela Merkel mit Kitas, Elterngeld und so weiter die Partei gesellschaftlich modernisieren wollte und damit die Konservativen offenbar verprellt hat?
Koch: Wir sind eine Volkspartei, wir wollen die Zukunft gestalten, und deshalb waren diese Schritte völlig richtig, und es ist ja gerade die Kunst einer Volkspartei zu gucken …
Meurer: Haben aber keine zusätzlichen Stimmen gebracht?
Koch: … gucken, dass man nah an die 40 Prozent kommt, mit dem man auch Veränderungen organisiert, und ich glaube, die, die Sie beschrieben haben, nämlich dass wir inzwischen eine sehr, sehr moderne Partei für junge Familien, für junge Ehepaare, die sich selbständig entscheiden wollen, wie sie ihre Aufgaben aufteilen, geworden sind. Das ist eine unserer großen Leistungen, vielleicht noch nicht überall richtig erkannt, aber prima gemacht.
Meurer: Aber die 40 Prozent sind weit weg, oder sehen Sie das anders?
Koch: Ob die weit weg sind, werden wir am Wahltag sehen, sie sind jedenfalls eine aus meiner Sicht sehr wohl für eine große Volkspartei wie die CDU auch in diesem Wahlkampf erreichbares Ziel, und ich denke, das ist genau der Punkt, dass wir jetzt ein bisschen dafür sorgen müssen, dass auch wir mit der hinreichenden Stärke dann am Ende eine Chance haben, gemeinsam mit der FDP mehr als 50 Prozent der Sitze des Deutschen Bundestages zu haben.
Meurer: Der Bundestagswahlkampf geht in seine heiße Phase. Ich sprach mit dem hessischen Ministerpräsident Roland Koch von der CDU. Besten Dank und auf Wiederhören, Herr Koch!
Koch: Auf Wiederhören!