Koch: „Ich kann nur jedem raten, nicht aus der Ferne Spielchen treiben zu wollen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit WELT ONLINE
WELT ONLINE: Herr Ministerpräsident, General Motors lässt die Bundesregierung zappeln, was die Zukunft von Opel betrifft. Treibt Sie das nicht zur Weißglut?
Roland Koch: Doch, das tut es. Wir haben es hier mit einem Konzern zu tun, der nicht in der Lage war, sein europäisches Geschäft erfolgreich zu führen, der den Totalverlust seiner europäischen Unternehmen nur durch staatliche Hilfe vermeiden konnte. Da darf man schon ein erhebliches Maß an Kooperationsbereitschaft erwarten. Zu glauben, dass wir eine Bürgschaft von 4,5 Milliarden – die größte Bürgschaft in der deutschen Geschichte – zur Verfügung stellen, ohne die größtmögliche Sicherheit zu haben, dass die Kredite der Steuerzahler zurückgezahlt werden können, das ist schon kühn. Das wird man in dieser Woche allen Beteiligten noch einmal sehr klar zu machen haben. Ewig kann so eine Hängepartei nicht dauern.
WELT ONLINE: GM hat Zeit, die Bundesregierung muss bald eine Wahl bestehen.
Koch: Auch in Detroit weiß man, wie existenziell das Gesamtunternehmen auf die zukünftige Leistungsfähigkeit der europäischen, gerade auch der deutschen Betriebe angewiesen ist. Ich kann nur jedem raten, nicht aus der Ferne Spielchen treiben zu wollen.
WELT ONLINE: Haben Sie sich nicht zu früh auf Magna festgelegt?
Koch: Zuerst gab es überhaupt keine Bieter. Als ich meine Initiative gestartet habe, das zu ändern, wurde in vielen deutschen Zeitungen behauptet, Opel wolle sowieso niemand haben. Dann hatten wir ein Bieterverfahren. Und Deutschland hat dann mit sehr plausiblen Gründen einen Bieter, Magna, mit Priorität ausgewählt, und an den Gründen dafür hat sich bis heute nichts geändert. Das Hauptkriterium lautet: Wie kann man sicherstellen, dass die europäischen Opel-Unternehmen nicht auf Dauer ein Anhängsel von Amerika sind, denn als solches sind sie gescheitert. Die Beteiligung der Russen macht mir keine Sorge, denn von Anfang an wird die unternehmerische Führung bei Magna liegen. Die Verträge haben Magna und GM ja bewusst so verhandelt, dass ein illegitimer Transfer von Know-how nicht möglich ist. Außerdem hat GM schon einmal ein Joint Venture mit den Russen geplant.
WELT ONLINE: Wirtschaftsminister zu Guttenberg wurde in der Opel-Krise – wo er eine Insolvenz erwogen hat – zum Star. War so viel Lob gerechtfertigt?
Koch: Guttenberg ist es sehr schnell gelungen, in die erhardsche Tradition des Wirtschaftsministeriums einzutreten. Er ist in der ganzen Debatte zum marktwirtschaftlichen Gewissen geworden. Dass man nicht auf alle Anforderungen mit der reinen Lehre reagieren kann, was auch in der sozialen Marktwirtschaft nicht angelegt ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber dass wir diese Diskussion in dem natürlichen Spannungsverhältnis verschiedener Interessen auf sehr kollegiale Weise führen, das hat die Qualität der Politik wahrlich nicht verschlechtert.
WELT ONLINE: Zuerst versucht die Union, die Spuren des Leipziger Reformparteitags zu verwischen, dann taucht ein Papier aus dem Wirtschaftsministerium auf, das die Forderungen dieses Parteitags wiederholt. Guttenberg erklärt es zur Materialsammlung. Ist das wirklich der Star der Ordnungspolitik?
Koch: Wenn man lange genug im Regierungsgeschäft ist, weiß man: Vor Materialsammlungen sind Sie niemals geschützt. Guttenberg, ich und viele andere haben am Wahlprogramm der Union mitgeschrieben. Das, was wir wirtschaftspolitisch für richtig halten, steht drin. Die Welt hat sich aber weiter gedreht. Denken Sie an betriebliche Bündnisse, für die wir in den letzten Jahren geworben haben. Faktisch haben wir heute, nicht zuletzt durch das Vorangehen der IG Metall, solche Bündnisse in nahezu jedem Betrieb, die eine erhebliche Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bewirkt haben. Das gilt auch für Leiharbeit und andere Instrumente. Vieles von dem, was wir in Leipzig an Flexibilisierung angemahnt haben, ist erreicht worden.
WELT ONLINE: Ist das der deutsche Weg – alles im Konsens?
Koch: Ja, mit unserer korporatistischen Tradition sind wir sehr weit gekommen. Wir sehen neue Wege von Unternehmensbeteiligung der Mitarbeiter durch Aktien und Kapitalisierungen. Da werden erfreulicherweise auf einmal Dinge möglich, die noch vor wenigen Jahren von Arbeitgebern und Gewerkschaften total abgelehnt wurden. Dieses Aufeinanderzugehen ist ein deutsches Markenzeichen, und das muss es bleiben. Wenn ich unseren Weg durch die Finanzkrise mit anderen Ländern vergleiche – Frankreich, Großbritannien oder die USA –, dann sind dort marktwirtschaftliche Regeln zum Teil in einem Ausmaß außer Kraft gesetzt worden, das wir uns eben nicht geleistet haben.
WELT ONLINE: Guido Westerwelle sagt, für die FDP sei Schwarz-Gelb ein Projekt, für die CDU nur eine Option unter vielen. Hat er recht?
Koch: Nein, das ist falsch. Es wäre gut, wenn man das gegenseitige Unterstellen lassen würde. Die nächste Bundestagswahl ist eine zentrale Weichenstellung für die jüngere deutsche Geschichte. Das Projekt, Deutschland auf der internationalen Bühne als wachstumsfreundlich und stark darzustellen – das ist doch ein Projekt! Und dass SPD, Grüne und Linkspartei gemeinsame Sache machen werden, ob im Saarland, in Thüringen oder im Bund, daran habe ich nach den hessischen Erfahrungen keinen Zweifel.