Koch: „Keiner soll glauben, die Krise sei vorbei“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Handelsblatt
Handelsblatt: Bundesfinanzminister Steinbrück warnt vor einer Kreditklemme im Herbst. Sind diese Sorgen berechtigt?
Roland Koch: Die Sorgen sind berechtigt, wir müssen aber genau sehen, dass wir es mit sehr unterschiedlichen Phänomen zu tun haben. Wir haben kaum Schwierigkeiten, kurzfristige Kredite zur Verfügung zu stellen, denn dort sind die Banken dank der Zentralbankgelder extrem gut aufgestellt. Wir haben relativ große Schwierigkeiten bei Geldern, die länger als ein Jahr verbindliche Zinsfestschreibungen brauchen – und viele der Investitionen der Unternehmen, die in den nächsten Monaten unternommen werden, brauchen eine langfristige Zinsbindung. Dort ist zurzeit praktisch kein Markt vorhanden.
Und wir haben ein enormes Problem beim formalisierten Ratingverfahren, in dem ganze Branchen wie der Maschinenbau oder die Automobilzuliefererindustrie wegen des Branchenratings schon so schlecht bewertet sind, dass sie für die kreditgebenden Institute keine akzeptablen Kunden mehr sind. Wenn wir hier nicht arbeiten, besteht die Gefahr, dass ein wichtiger Teil deutscher Industrie in der Krise zusammenbricht, obwohl seine Zukunftschancen gut sind.
Handelsblatt: Die Bundesregierung hat bislang mehrere Hundert Milliarden Euro für die Banken zur Verfügung gestellt. Reicht das Geld nicht, um eine ordentliche Kreditversorgung sicherzustellen?
Koch: Die systemische Überlebensfähigkeit der Banken ist mit den Mitteln, die die Bundesregierung und die Zentralbank einsetzen, gesichert. Das ist für die Stabilität unseres Landes und der Finanzordnung von erheblicher Bedeutung. Trotzdem haben die Banken derzeit ein sichtbares Bilanzproblem, weil die gesamte wirtschaftliche Entwicklung gegen ihr Eigenkapital arbeitet, internationale Regeln aber gleichzeitig eine höhere Unterlegung mit Eigenkapital verlangen.
Die Folge daraus ist, dass man entweder den Banken neues Kapital geben muss oder sie weniger an Krediten ausleihen können. Das ist eine mathematische Formelfrage. Bei fünfjährigen Krediten hilft es nichts, auf den Schutzschirm für die Banken noch zwei Milliarden draufzusatteln. Vielmehr brauchen sie eine Möglichkeit, sich am Anleihemarkt wieder zu refinanzieren, indem der Markt für längerfristige Anleihen wieder geöffnet wird. Wenn das nicht der Fall ist, muss man überlegen, ob man den Banken dabei helfen kann.
Handelsblatt: Reicht der Appell an die Verantwortung der Banken, oder muss man die Eigenkapitalvorschriften ändern – Stichwort Basel II?
Koch: Ich glaube, dass man auf jeden Fall an die Eigenkapitalregelungen heranmuss. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister hier Druck machen. Wir haben internationale Regelungen, die sicherstellen, dass die Elemente der Rechnungslegung, die sich als gefährlich prozyklisch erwiesen haben, modifiziert werden. Wir können unser Problem des Überlebens deutscher Unternehmen am besten mit einer schnellen Änderung bei Basel II regeln. Wenn dies aber nicht ausreichend rasch zu bewerkstelligen ist, können wir die Unternehmen trotzdem nicht sterben lassen. Daher müssen wir zweigleisig denken.
Handelsblatt: Sollte man die Banken zu einer bestimmten Kreditvergabe zwingen oder sie verpflichten, Staatsgelder anzunehmen?
Koch: Zu den ordnungspolitischen Ulkigkeiten der Debatte gehört, dass kein Industrieland ordnungspolitisch sauberere Lösungen gewählt hat als Deutschland – auch wenn unsere Debatte den gegenteiligen Eindruck erweckt. Zu den ordnungspolitisch sauberen Lösungen gehört, dass wir bewusst von Maßnahmen zur Zwangskapitalisierung abgesehen haben. Nach den Erfahrungen in anderen Ländern haben wir bis zur Stunde keinen Anlass, dies zu bedauern. Wer Geld braucht, hat die Chance, unter den Schirm zu gehen. Wer sich in den nächsten Monaten genauer ansieht, was in den Vereinigten Staaten passiert ist, wird feststellen, dass mit Staatsgeld spekuliert und die Staatsförderung mit sehr kurzfristigen Gewinnen aus hochspekulativen Geschäften zurückgezahlt worden ist. Dabei hat keiner der Beteiligten Kredite ausgegeben.
Handelsblatt: Zwang bringt also nichts?
Koch: Zwangsmechanismen führen selten zu dem Erfolg, den die Beteiligten beabsichtigen. Die Politik ist für Rahmenbedingungen verantwortlich. Die, die Rahmenbedingungen für die Rechnungslegungsgrundsätze geschaffen haben, verursachen einen Teil der Kreditklemme. Daher müssen wir darüber sprechen. Wir müssen die Banken in die Situation versetzen, dass sie keine Kreditersatzgeschäfte betreiben wollen, sondern dass sie im Kreditmarkt ihr Geschäft sehen. Und wir müssen Regeln organisieren, mit denen die Kreditnehmer solche Kredite zu vertretbaren Bedingungen bekommen.
Handelsblatt: Warum greifen die Unternehmen dennoch so zögerlich auf den Deutschlandfonds zu?
Koch: Ich bin sehr froh, dass erst so wenig Mittel aus dem Fonds abgerufen wurden. Die eigentlichen Probleme kommen erst noch. Ab dem dritten Quartal werden wir eine weitere Antragsflut erleben, weil die Unternehmen, die bisher alles versucht haben, aus eigener Kraft die Finanzierungsprobleme zu überwinden, das dann alleine kaum noch leisten können. Und dann brauchen diese Unternehmen ein Hilfsinstrument wie den Deutschlandfonds.
Handelsblatt: Finanzminister Steinbrück hat die Banken vor diesem Hintergrund gemahnt, das Bad Bank-Modell der Regierung zu nutzen?
Koch: Das Gesetz ist erst kurze Zeit in Kraft und wird gerade von den Banken sorgfältig geprüft. Die Politik wird sicher nicht tatenlos bleiben, wenn Banken ihrer systemischen Aufgabe als Kreditgeber für die Realwirtschaft nicht nachkommen, weil sie das Bad-Bank-Angebot des Bundes nicht nutzen wollen. Eine solche Situation, die die Wirtschaftskrise zusätzlich verschlimmert, können und werden wir nicht zulassen. Auch wenn wir die Banken nicht zwingen werden, Staatshilfen in Anspruch zu nehmen, werden wir alles unternehmen, damit der Kreditkreislauf wieder in Schwung kommt. Es kann nämlich nicht sein, dass Finanzinstitute über eine mangelnde Eigenkapitalausstattung klagen und gleichzeitig Staatshilfen zurückweisen.
Handelsblatt: Droht Deutschland eine Insolvenzwelle, wenn die Stabilisierungsmaßnahmen nicht greifen?
Koch: Niemand sollte glauben, dass die schlimmsten Auswirkungen der Wirtschaftskrise bereits vorbei seien. Deutschland hat vielleicht die Talsohle der Rezession erreicht, aber klar ist auch, dass es nur sehr langsam und schwerfällig wieder aufwärtsgehen wird. Vor allem, wenn der Bankenmarkt nicht so schnell wie gehofft wieder normal läuft. Insofern ist das Risiko weiterer Unternehmenszusammenbrüche weiter relativ hoch.
Handelsblatt: Ärgert es Sie, dass in einer solchen Situation einige Banken ihren Mitarbeitern schon wieder kräftige Boni in Aussicht stellen? Haben die Banker nichts gelernt?
Koch: Für die Zustimmung der Bevölkerung zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist es absolut notwendig, dass diejenigen, die für diese Finanzkrise verantwortlich sind, aus ihren Fehlern lernen. Ich beobachte deshalb mit Sorge, dass Bankmanager in London und New York offenbar nichts aus der Krise gelernt haben und schon wieder in die alten Verhaltensmuster zurückfallen. Auf Dauer halte ich das eher konservative Verhalten deutscher Banker und Anleger dem von Spekulationsgewinnen getriebenen angelsächsischen Modell für überlegen. Auch wenn am Ende die Rendite etwas kleiner ausfällt.