Koch: „Es gibt eine deutliche Rangfolge“
Ministerpräsident Roland Koch im Deutschlandfunk-Interview
Jürgen Liminski: Neue Hoffnungen oder nur Illusionen für die Opelaner? Drei Angebote für einen Einstieg oder eine Übernahme des angeschlagenen Unternehmens werden derzeit geprüft. Von dieser Prüfung hängt der Arbeitsplatz etlicher Tausend Opelaner ab. Auch in Hessen, wo der Stammsitz des Werkes mit mehr als 18.000 Mitarbeitern liegt. Daneben gibt es die Idee einer Opel-Europa-Gesellschaft, die Initiative der Händler, eine Belegschaft, die auch zu Opfern bereit ist, die Idee eine Brückenfinanzierung, es wird gekämpft bei Opel. Droht trotzdem die Pleite, sind das alles nur Illusionen, wie sehen die neuen Pläne aus? Zu diesen Fragen begrüße ich den Ministerpräsidenten von Hessen, Roland Koch. Guten Morgen, Herr Koch!
Roland Koch: Guten Morgen, Herr Liminski!
Liminski: Herr Koch, was für ein Auto fahren Sie eigentlich?
Koch: Ich bin im Augenblick, was mich privat angeht, eher nordhessisch, also ich fahre einen Audi.
Liminski: Drei Angebote liegen auf dem Tisch, Sie werden unter anderem mit ihren Kollegen aus Rheinland-Pfalz und Thüringen und den zuständigen Ministern heute im Kanzleramt darüber beraten. Haben Sie die Pläne schon studiert?
Koch: Ja, sicherlich haben wir die Gelegenheit gehabt, in der Bundesregierung und in den vier beteiligten Landesregierungen seit dem vorvergangenen Tag abends uns ein Stück in die Pläne hineinzulesen und mit der Hilfe auch von General Motors, der ja zunächst einmal die Institution ist, die Verkäufer von Anteilen an andere wäre, uns ein bisschen in die Prioritäten einzulesen.
Liminski: Stichwort Prioritäten: Haben Sie denn Präferenzen vielleicht aufgrund mancher Erfahrungen mit einem der Anbieter?
Koch: Ich denke, dass wir ja ohnehin in den letzten Wochen auch mit den Anbietern intensiv – also ich jedenfalls persönlich sehr intensiv – mit den Beteiligten gesprochen habe, sodass nicht alles sehr überraschend kommt. Und ich glaube, so wie sich das gestern aus einigen Meldungen aus dem Bereich von General Motors ja auch verbreitet hat, kann man das auch für mich persönlich sagen. Ich glaube, dass es eine gewisse Rangfolge gibt, in der das Angebot der Unternehmensgruppe von Magna sicherlich das ist, das am nächsten an den Hoffnungen und Wünschen vieler, glaube ich, in der deutschen Politik, aber auch bei den Arbeitnehmern ist, dass es ein sehr interessantes Angebot eines Finanzinvestors gibt mit der Gruppe von Ripplewood und dass sicherlich manche, die andere sich erhofft haben, auch ein Stück enttäuscht sind davon, dass das Angebot von Fiat sehr weit von dem entfernt ist, was man sich vielleicht erhofft hat an mancher Stelle und ein Angebot ist, über das man sehr, sehr grundsätzlich neu nachdenken müsste, wenn man ihm nähertreten will. Also es gibt schon eine deutliche Rangfolge, bei der wir jetzt schauen müssen, dass es nicht die Aufgabe der Politik ist, von heute auf morgen einen auszuwählen, andere auszuschließen, aber in der wir sicher in den nächsten Stunden und Tagen auch schauen müssen, dass wir nicht mit allen gleichzeitig zu viel Zeit verwenden, sondern eine Priorität setzen. Denn jeder Monat, in dem die Sanierung nicht beginnt, die doch seit einiger Zeit geplant ist, kostet rund 100 Millionen. Das hat niemand, die müssen am Ende draufgezahlt werden. Und deshalb ist schnelle Entscheidung schon aus diesem Grund heraus auch wichtig.
Liminski: Also das Angebot von Magna ist sozusagen die Nummer eins. Sind die Vorschläge von Magna denn, kosten diese Vorschläge Arbeitsplätze?
Koch: Es wird, wenn ein Unternehmen im letzten Jahr nur 57 Prozent seiner Kapazität in ganz Europa ausgenutzt hat, sicherlich keinen einzigen Vorschlag geben, in dem man sagen kann, es bleibt alles beim Alten. Aber es gibt unterschiedliche Konzepte insofern, als dass Magna sehr stark darauf setzt, dass es mit neuen Ideen auch neue Märkte und neue Kunden erringen kann, während eben andere Konzepte mehr davon ausgehen, sozusagen Rationalisierungen zu haben. Und es gibt auch unterschiedliche Konzepte unter den Verteilungen regional, wie Werke ausgelastet und mit neuen Aufträgen versehen werden. Und auch da haben wir Deutschen natürlich ein Interesse daran, dass die Standorte eine Zukunft haben. Das heißt, es kann nicht jeder Arbeitsplatz erhalten werden in einem neuen europäischen Opel-Konzern, aber es gibt Konzepte, die interessantere Perspektiven für die deutschen Standorte enthalten als andere. Und da ist Magna ein Konzept, das interessantere Perspektiven enthält.
Liminski: Opel-Karossen werden in mehreren Ländern Europas produziert – Belgien, Polen, Großbritannien, Spanien, Deutschland. Ist die Option einer Opel-Europa-Gesellschaft, die der Gesamtbetriebsrat mal in einem Interview mit dem Deutschlandfunk präferierte, nicht mehr im Gespräch? Sie haben ja eben auch schon davon gesprochen, dass sie Gespräche geführt haben mit Unternehmen, die nicht nur in Deutschland liegen.
Koch: Die Opel Europa AG ist die Grundlage aller Angebote. Es kann keine deutsche Gesellschaft mehr geben in Zukunft, und es kann keine Gesellschaft geben, die in der Abhängigkeit eines Konzerns von General Motors ist. Beide Varianten schließen sich als Rettungsoption aus. Darüber sind auch alle Angebote und ich glaube auch alle wir in der Politik einig, sondern das Ziel ist, mit einem Investor zusammen eine auf europäischem Recht basierende Opel-Gesellschaft mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Und deshalb haben wir in der Bundesrepublik, denke ich auch zu Recht, von Anfang an gesagt, wir sind jetzt die Ansprechpartner, um eine solche Gesellschaft zu schaffen. Es hat keinen Sinn, dass man daraus eine große europäische Konferenz macht. Aber es wird dann bedeuten, dass andere europäische Standorte selbstverständlich in diese Mitwirkung einbezogen werden, so wie wir, sowohl in der Politik, aber nach meinem Eindruck auch die potenziellen Investoren, die sich gemeldet haben, natürlich mit sehr vielen Kollegen in den anderen nationalen Bereichen, in denen Opel-Standorte sind, in den letzten Wochen gesprochen haben.
Liminski: So wie es aussieht, bleibt die Mutter General Motors irgendwie im Boot, jedenfalls im Aufsichtsrat, das klang mal anders. Warum kann man Opel Europa nicht eigen- und selbstständig machen?
Koch: Wenn man das Konzept von Fiat sieht, gibt es einen Gedanken, dass General Motors für das künftige Unternehmen sehr unbedeutend wird. Ich persönlich habe daran erhebliche Zweifel. Ich glaube, dass jedes Unternehmen, das in Europa entsteht, die Effekte der Integration in einen weltweit größeren Verbund unbedingt nutzen muss. Und deshalb glaube ich, dass wer will, dass Opel in eine schnelle weitere technologische Entwicklung und in eine Größenordnung, die auch die finanziellen positiven Effekte von großen Stückzahlen von zu bestellenden und einzubauenden Teilen in die Automobile nutzen will, in einem Verbund mit General Motors bleiben sollte. Das heißt, ich erwarte mir, dass General Motors in einer nennenswerten Anteilszahl weiter Aktionär der neuen Gesellschaft bleibt. Ich erwarte mir, dass wir die in den letzten Wochen ja auch von der Politik in Deutschland und Amerika intensiv ausgehandelten Vereinbarungen über die Nutzung der Eigentumsrechte an den technischen Patenten und Entwicklungen weiterhin nutzen können, aber dass es eben Unternehmen sind, die freundschaftlich verbunden und nicht mehr in einer Abhängigkeit voneinander sind, das heißt, die auch am Weltmarkt eine Chance haben, gemeinsam mit neuen Produkten zu konkurrieren.
Liminski: Steht Ihrer Einschätzung nach Opel vor der Rettung jetzt?
Koch: Schielen Sie fünf Wochen zurück, dort hat keiner auch nur annähernd geglaubt, dass es überhaupt einen Investor gibt. Als ich zum Beispiel damals ein Konzept veröffentlicht habe, das über die Finanzierung eines Investors nachgedacht hat, war nun wirklich keiner in Sicht. Das ist inzwischen anders. Inzwischen ist, das kann man den Papieren entnehmen, es ein hartes Ringen. Alle drei Investoren wollen wirklich Opel, sie sind davon überzeugt. Alle drei haben gesagt, dass die Grundlage, nämlich der Überlebensplan des General-Motors-Europamanagement, der vorgelegt worden ist, eine gute Grundlage ist, auf der sie alle nach Überprüfung aufbauen. Das sind sehr gute Zeichen, sodass ich glaube, dass Opel mit jedem Tag mehr, an dem dieser Prozess geht, eine Chance hat. Aber wir werden jetzt auch noch hart mit allen ringen müssen, dass das staatliche Engagement in vertretbaren Grenzen bleibt. Wir wollen uns an das europäische Wettbewerbsrecht halten. Wir wollen uns an unsere eigenen ordnungspolitischen Grundsätze halten, dass nur mit dem Investor und seinem eigenen Risiko überhaupt staatliches Engagement möglich ist. Aber die Voraussetzungen dafür sind besser und nicht schlechter geworden.
Liminski: Bei bestimmten Banken wird behauptet, man müsse sie unterstützen und retten, weil sie systemrelevant seien. Gilt das auch für Opel, oder ist diese Frage nicht mehr relevant?
Koch: Nein, aus meiner Sicht ist diese Frage nicht von Relevanz, sondern wir bieten sehr vielen mittelständischen und kleineren Unternehmen im Augenblick zu Recht aufgrund des nicht funktionierenden Finanzmarktes an, diese Konjunkturkrise in einer anderen Weise auch staatlich unterstützt zu überstehen, als das in den letzten Jahrzehnten möglich war. Wir wissen, dass selbst das beste Konzept für ein Automobilunternehmen im Augenblick nicht tragfähig ist, um neue Kredite in nennenswerter Form zu bekommen. Das ist der Teil der systemischen Finanzkrise, nicht einer Frage eines Automobilunternehmens im Einzelnen. Und nur aus diesem Grund und nur in diesem Rahmen ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern aus meiner Sicht, solange es betriebswirtschaftlich ein vernünftiges Konzept gibt, auch in einer gewissen Weise verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Schäden, die aus den Schwächen des Finanzsystems im Augenblick entstehen, nicht zu dem Untergang eines Unternehmens führen, das ansonsten rettbar wäre. Und genau das bleibt unser Kriterium auch hier.
Liminski: Nun ist auch eine Brückenfinanzierung im Gespräch, das brächte zumindest etwas Zeitgewinn, hat aber den Nachteil, dass es ein wenig nach lange Bank aussieht. Kann man das Problem solange auf die berühmte lange Bank schieben, bis die Bundestagswahlen vorbei sind?
Koch: Auf gar keinen Fall. Ich habe eingangs gesagt, wir haben eine tägliche Rate von Geld, das nur deshalb verbrannt wird, also sinnlos weg ist, weil es den Beginn der Sanierungsmaßnahmen nicht gibt, ohne dass die neue Unternehmensstruktur da ist, der bei etwa drei Millionen US-Dollar liegt. Das heißt, es sind rund 100 Millionen US-Dollar im Monat, die einfach weg sind und die man bei jeder staatlichen oder privaten Finanzierung zur Rettung jeden Monat obendrauf zahlen muss, weil es an dieser Stelle mehr ist. Das heißt, wir haben im letzten halben Jahr 600 Millionen US-Dollar an dieser Stelle verloren, die jetzt in allen Sanierungsplänen vorkommen als zusätzliche Kosten. Das geht natürlich nicht noch ein halbes Jahr. Dafür gibt’s auch keinen Anlass. Die Brückenfinanzierung ist eine Finanzierung, die sicherstellt, dass in dem Falle, dass im Verlauf der nächsten Woche auf dem amerikanischen Feld die amerikanische Regierung ein Insolvenzverfahren für den US-Teil einlöst, der ja ein völlig anderes Insolvenzverfahren ist, als es in Deutschland möglich wäre, dann entstehen Liquiditätsprobleme für das Unternehmen. Und wir wollen nicht, dass an Liquiditätsfragen, die mit amerikanischen Entscheidungen und gar nicht mit europäischen zu tun haben, trotz der Rettungsperspektiven, die es bei uns gibt, das Unternehmen Schaden leidet. Das ist ein gemeinsames Interesse all derer, die staatlich dafür Verantwortung tragen. Und deshalb haben wir eine Übereinkunft über eine solche Brückenfinanzierung in Deutschland hergestellt. Und nach den Gesprächen gestern und heute Nacht bin ich sehr, sehr optimistisch, dass wir auch zu einer Vereinbarung kommen können, die mit den Amerikanern zusammen tragfähig ist.
Liminski: Eine Frage noch zum Schluss, die ein ganz anderes Thema berührt, ich bitte auch um eine relativ kurze Antwort. Morgen wird der Bundespräsident gewählt, wie ist Ihr Tipp oder anders gefragt: Warum glauben Sie, dass Horst Köhler schon im ersten Wahlgang die notwendige Mehrheit erhält?
Koch: Ich glaube, dass Horst Köhler eine Zustimmung weit über die Reihen von CDU/CSU und FDP hinaus erlangt, und ich sehe mit jedem Tag mehr die Empörung sozialdemokratischer Kollegen, dass die SPD nicht die Kraft hatte, Frau Schwan zurückzuziehen.