Koch: „Wir bauen nur eine Brücke“
Ministerpräsident Roland Koch im Spiegel-Interview
SPIEGEL: Herr Koch, sind Sie eigentlich Opel-Fahrer?
Koch: Ich habe jedenfalls seit langem eine große emotionale Nähe zu dieser Marke. Mein Vater ist bis ins hohe Alter hinein immer Opel gefahren. Als Kind habe ich legendäre Modelle von Rekord bis Admiral aus der Rückbankperspektive erlebt. Insofern bin ich mit Opel groß geworden.
SPIEGEL: Diese Jugenderinnerungen dürften kaum der Grund dafür sein, dass Sie sich so für den Erhalt der Firma einsetzen.
Koch: Als Ministerpräsident muss ich alles Verantwortbare tun, um 25 000 Beschäftigten und vielen Tausenden, die bei Zulieferfirmen arbeiten, die Arbeitslosigkeit zu ersparen. Mit Opel in Rüsselsheim würde ein Kernbereich der regionalen Wirtschaft zusammenbrechen. Wenn wir als Politiker in solchen Fällen mit verschränkten Armen danebenstehen und zuschauen, bringt uns das vielleicht wohlmeinende Kommentare in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen. Aber Tausende von Menschen, die um ihre soziale Existenz bangen, würden dann jedes Vertrauen ins System verlieren.
SPIEGEL: Viele Ihrer Parteifreunde wie Innenminister Wolfgang Schäuble sind anderer Meinung: Opel könne in die Insolvenz gehen, sagen sie, dann verlören Gläubiger Geld, aber die Produktion könnte mit einem Insolvenzverwalter weitergehen.
Koch: Ich habe mich über solche Aussagen natürlich nicht gefreut. Glauben Sie, dass die Kunden noch ein Auto einer Firma kaufen, über deren Insolvenz spekuliert wird? Aber der Ratschlag ist auch fachlich falsch. Wer sind denn die Gläubiger in diesem Fall? Opel hat weder Schulden bei den Banken noch bei der Konzernmutter. Die Einzigen, die bei einer Insolvenz Geld verlieren würden, wären die Zulieferbetriebe. Und die würden dann wieder bei uns anklopfen und Bürgschaften verlangen, weil Opel seine Rechnungen nicht mehr bezahlt. Dadurch wäre nichts gewonnen.
SPIEGEL: Ist Opel überhaupt noch zu retten? Das Bundeswirtschaftsministerium kritisiert, Opel habe bisher kein aussagefähiges Zukunftskonzept vorgelegt.
Koch: Was Opel uns an betriebswirtschaftlichen Daten vorgelegt hat, ist qualitativ wesentlich besser, als es in den vergangenen Tagen kolportiert wurde. Und inzwischen habe ich den Eindruck, dass die Berater der Bundesregierung das Konzept durchaus für schlüssig halten.
SPIEGEL: Sind in dem Konzept also nicht nur bunte Bildchen von Opel-Modellen zu sehen, wie in Berlin verbreitet wird?
Koch: Opel wollte auch zeigen, dass man richtig gute Modelle für die Zukunft hat. Darüber mag mancher lächeln. Aber Opel hat auch die notwendigen harten Zahlen vorgelegt. Und diese Zahlen sind in Ordnung. Sie zeigen, dass Opel als europäisches Unternehmen am Markt existieren und Gewinne erzielen kann. Das Konzept ist eine gute Arbeitsgrundlage.
SPIEGEL: Sie haben Vertreter der Commerzbank und der Deutschen Bank mit dem Management von Opel und General Motors zusammengebracht und schließlich selbst einen Rettungsplan für Opel entworfen. Wie kamen Sie dazu? Ist das die Aufgabe eines Ministerpräsidenten?
Koch: Zu den Details und den beteiligten Banken werden Sie von mir nichts hören. Ich habe aber in der Tat dafür gesorgt, dass sich Menschen aus der Banken- und der Unternehmenswelt zusammensetzen und die Möglichkeiten diskutieren. Ich habe an einigen Gesprächen teilgenommen. Meine Vorstellung ist: Es sollte ein neues europäisches Opel-Unternehmen entstehen, an dem sich neben der bisherigen Mutter General Motors auch ein privater Investor beteiligt.
SPIEGEL: Kein Autohersteller will bei Opel einsteigen. Warum sollte ein privater Investor dieses Risiko eingehen?
Koch: Ein Finanzinvestor kann davon ausgehen, dass die Aktien dieses neuen Autounternehmens in fünf oder sechs Jahren doppelt so viel wert sind. Die Pläne sehen eine entsprechende Steigerung des Gewinns vor Steuern und Abschreibungen vor. Aber der private Investor findet heute keine Bank, die ihm den Einstieg finanziert. Meine Idee: Wir nehmen dem Investor für die ersten zwei bis drei Jahre das Risiko eines Konkurses von Opel ab und bürgen für die nötigen Kredite. Später muss er das Risiko tragen. Wir bauen ihm also nur eine Brücke.
SPIEGEL: Wen meinen Sie mit „wir“, die Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen, in denen Opel-Werke stehen?
Koch: Nein, Opel ist nur durch eine Zusammenarbeit des Bundes und der Länder zu retten. Für uns alle wäre bei dieser Lösung klar, dass der Staat sich nicht in die Rolle des Unternehmers begibt. Ich will helfen, eine privatwirtschaftliche Lösung zu finden. Denn die Banken sind derzeit nicht in der Lage, solche Investitionen zu finanzieren. Das ist der klassische Fall, für den der 100-Milliarden-Fonds des Bundes geschaffen wurde. Neu an meinem Vorschlag ist, dass damit der Kredit für eine Unternehmensbeteiligung verbürgt wird.
SPIEGEL: Was passiert, wenn dennoch kein Investor bei Opel einsteigen will?
Koch: Eine substantielle Beteiligung eines privaten Investors ist für die hessische Landesregierung zwingend erforderlich. Die ersten Anfragen von Investoren zeigen, dass dieses Projekt Chancen hat. Es könnte sogar ein Modell dafür sein, wie der Staat Unternehmen hilft, ohne sich direkt an ihnen zu beteiligen.
SPIEGEL: Dennoch geht bei der Debatte um Opel ein Riss durch die CDU. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sind gegen ein Engagement des Staats. Ihr Kollege Jürgen Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen und Sie wollen als Opel-Retter in die Geschichtsbücher eingehen.
Koch: Ich glaube, dass mein Opel-Konzept eine Brücke zwischen den verschiedenen Positionen ist. Und übrigens auch eine Brücke zwischen CDU und FDP. Denn im Gegensatz zu vielen Sozialdemokraten kann ich mir nicht vorstellen, dass der Staat Miteigentümer von Opel wird.
SPIEGEL: Vielen CDU-Anhängern ist dieser feine Unterschied zur SPD zu gering. In Umfragen verliert die CDU, die klar marktwirtschaftlich orientierte FDP gewinnt.
Koch: Die CDU zahlt in der Krise einen Preis dafür, dass sie in der Regierung ist. Wir haben jetzt Situationen, die viele nicht mehr verstehen. Allein die Summen, die vielen hundert Milliarden, um die es ständig geht. Und wenn dann noch das Wort Enteignung dazukommt, wird die bürgerliche Wählerschaft nervös. Sie würde aber noch viel nervöser, wenn wir die Bankenkrise nicht beherrschen würden. Wenn es im Finanzsektor brennt, muss man das Feuer auch mit ungewöhnlichen Mitteln löschen. Aber deshalb werden unsere Prinzipien nicht aufgeweicht. Das zu erklären ist aber eine echte Herausforderung.
SPIEGEL: Ist es nicht Aufgabe der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel, diese Erklärungsarbeit zu leisten?
Koch: Das ist die Aufgabe von uns allen. Auch ich habe nicht genug erläutert, warum wir von alten Rezepten abweichen müssen. Wir müssen das, was uns antreibt, noch besser erklären.
SPIEGEL: Politiker wecken mit dem Einsatz für Unternehmen wie Opel bei vielen Menschen Hoffnungen. Ist das nicht leichtfertig? Wenn die Arbeitsplätze nicht zu retten sind, werden die Menschen umso mehr von der Politik enttäuscht sein.
Koch: Diese Gefahr lässt sich nicht ausschließen. Aber wir haben hier eine Kerze, die an zwei Enden brennt. Wenn ein Politiker bis zum Schluss ruhig ist, wirft man ihm vor, dass er sich nicht für das Schicksal der Menschen interessiert. Wenn er sich zum Thema äußert, macht das aber nur Sinn, wenn es wirklich Hoffnung gibt und wenn er etwas zu einem guten Ende beitragen kann.
SPIEGEL: Gegen Hilfe für Opel spricht: Dies würde andere Hersteller benachteiligen.
Koch: Wir haben in Europa klare Wettbewerbsregeln, die festlegen, wann Bürgschaften gegeben werden können. Opel ist in einer Krisensituation, in der man ein Unternehmen mit einer Rettungsbürgschaft unterstützen kann. Neu an meinem Vorschlag ist lediglich, dass die Bürgschaft dazu dient, einem Investor den Einstieg in das Unternehmen zu ermöglichen.
SPIEGEL: Dennoch sagt VW-Chef Martin Winterkorn, der Staat sollte sich bei Opel raushalten.
Koch: Dieser Konkurrent könnte sich ja auch einmal überlegen, welche Wettbewerbsvorteile er dadurch genießt, dass der Staat seit Jahrzehnten an seinem Unternehmen beteiligt ist. Das ist für sein Rating und für seine Finanzierung sicher kein Nachteil. Insofern sitzt da mancher, der jetzt Steine wirft, selbst im Glashaus.
SPIEGEL: Die Autoindustrie hat große Überkapazitäten. Wenn Opel scheitert, wären bei anderen die Arbeitsplätze sicherer. Warum soll das Problem nicht auf marktwirtschaftliche Weise gelöst werden?
Koch: Ein Teil der Hilfe des Staats würde dazu dienen, Überkapazitäten abzubauen. Die Bürgschaft würde es nur gegen harte Auflagen geben. Das ist alles andere als ein Wohlfühlprogramm für Unternehmen und Belegschaft. Es müssen Arbeitsplätze abgebaut werden, und es ist schwer vorstellbar, dass es ganz ohne Werksschließungen in Europa gehen könnte. Deshalb sind Bürgschaften, die nach diesen Regeln gegeben werden, nicht wettbewerbsschädlich.
SPIEGEL: Sie haben sich schon einmal als Unternehmensretter versucht, 1999 beim Baukonzern Phillip Holzmann. Drei Jahre später war die Firma pleite. Was haben Sie daraus gelernt?
Koch: Ich glaube mich zu erinnern, dass seinerzeit doch eher der damalige Kanzler Gerhard Schröder am Steuer saß. Die Lehre dieses Falles ist aber: Der Staat darf nicht Unternehmer werden. Bei Holzmann hat sich kein privater Investor gefunden, der auch nur einen Cent gegeben hätte. Es hat sich nicht bewährt, dass der Staat eingesprungen ist. Allerdings wurde Zeit gewonnen, um die sozialen Probleme des Wegfalls vieler tausend Arbeitsplätze zu bewältigen.
SPIEGEL: Geht es bei Opel nicht auch nur darum, Zeit zu gewinnen, um über die Bundestagswahl zu kommen?
Koch: Nein. Die Fälle sind nicht vergleichbar. Wir wollen jetzt ja gerade eine Lösung finden, die Bestand hat.
Das Interview führten Matthias Bartsch und Dietmar Hawranek