Koch: „Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen Innenansicht und Außenansicht“
Ministerpräsident Roland Koch im F.A.Z.-Gespräch
F.A.Z.: Herr Ministerpräsident, warum wollen Sie den Vertrag des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender nicht verlängern?
Roland Koch: Wenn die Verträge von leitenden Direktoren auslaufen, hat der Verwaltungsrat die Aufgabe, die Entwicklung in den Arbeitsbereichen zu prüfen. Und da haben eine Reihe von Verwaltungsratsmitglieder – auch ich – Fragen gestellt. Diese Fragen betreffen nicht, wie öffentlich kolportiert wird, parteipolitische Zusammenhänge, sondern die betreffen ganz handfest: Wie hat sich die Informationssparte des ZDF in den letzten sieben, acht Jahren entwickelt? Können wir im Wettbewerb mit anderen damit zufrieden sein? Und die Frage ist auch, wie ist das innere Klima in den Redaktionen beim ZDF? Ist da genug Freiheit und Kreativität vorhanden? Oder besteht die Möglichkeit, durch eine andere Leitung neue Impulse zu setzen? Das ist wahrlich keine illegitime Diskussion, sondern Aufgabe des Verwaltungsrates.
F.A.Z.: Und Sie beantworten all diese Fragen nicht im Sinne von Herrn Brender?
Koch: Man muss diese Diskussion mit ein paar Fakten beginnen, und die sind sehr bitter. „Heute“ hat seit 2002 26 Prozent seiner Zuschauer verloren. 2008 wurden wir erstmals von „RTL aktuell“ überholt, liegen also hinter „Tagesschau“ und der RTL-Sendung nur noch auf Platz 3. Das hätte sich vor fünf Jahren sicher kein Mitarbeiter des ZDF vorstellen können. Das „Auslandsjournal“ hat heute 56 Prozent weniger Zuschauer, der „Länderspiegel“ 16 Prozent. Das „Heute Journal“ hat 10 Prozent weniger Zuschauer – im Gegensatz dazu haben die „Tagesthemen“, die ja keinen privilegierten Sendeplatz haben, ihre Zuschauerzahl halten können. Es ist die Pflicht des Verwaltungsrates, solche Negativentwicklungen zu erörtern. Und es ist unsere Aufgabe, nicht jede Debatte über diese Fragen als eine politische oder gar parteipolitische diskreditieren zu lassen. Denn um eine solche Debatte geht es bei der Vertragsverlängerung des Chefredakteurs auf gar keinen Fall.
F.A.Z.: Wie kommt es, dass Sie diese Fragen jetzt zum ersten Mal öffentlich formulieren?
Koch: Es war bisher eine Debatte in den Gremien des ZDF, wo sie nach meiner Meinung auch hingehört. Lediglich die Tatsache, dass sie in den letzten Tagen – leider auch von Mitarbeitern des ZDF – politisiert wurde, führt dazu, dass ich jetzt auch eine öffentliche Debatte führe. Wir haben an dieser Form der Diskussion kein Interesse. Sie dient dem ZDF ganz sicher nicht.
F.A.Z.: Beeindruckt es Sie nicht, dass die Hauptabteilungs- und Abteilungsleiter und prominente ZDF-Mitarbeiter Ihr Urteil nicht teilen – sowohl was die Qualität von Brender angeht, als auch die wahre Motivation hinter dieser Debatte?
Koch: Der Staatsvertrag des ZDF gibt dem Verwaltungsrat ganz bewusst und eigentlich nur die Aufgabe, im Einvernehmen mit dem Intendanten Personalentscheidungen zu treffen. Das kann nicht in einer Weise geschehen, in der es zu einer Veranstaltung einiger Mitarbeiter wird. Die Unterschriften machen mich tatsächlich in doppelter Hinsicht besorgt. Zum einen glaube ich, dass es nicht gut ist für das Image des ZDF, die Diskussion in dieser Weise in die Öffentlichkeit zu tragen. Zum anderen registriere ich auch, dass sich viele sehr gedrängt gefühlt haben, eine äußere Solidarität zu zeigen, obwohl es intern in den letzten drei, vier Jahren eine sehr viel offenere Diskussion über Führungs- und Strategiefragen im Informationsbereich des ZDF gegeben hat, denken Sie nur an die massive Kritik der Auslandskorrespondenten.
F.A.Z.: Aber auch der Intendant scheint Ihre Kritik nicht zu teilen und will Brender zur Wiederwahl vorschlagen. Auch angesichts des Medienechos scheinen Sie mit Ihrer Einschätzung über die Entwicklung des Informationsbereiches eher alleinzustehen.
Koch: Die bitteren Zahlen lassen sich nicht wegreden. Und es gibt sicher ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen Innensicht und Außensicht. Es ist nicht die Aufgabe des Verwaltungsrates, alle Vorschläge einfach anzunehmen. Es ist aber auch ein großes Ziel, jedenfalls von mir, am Ende in Übereinstimmung mit dem Intendanten zu entscheiden. Da gibt es – das ist jetzt öffentlich sichtbar geworden – auch mal Diskussionsbedarf, bevor man zu gemeinsamen Entscheidungen kommt. Es geht bei der Berufung des Chefredakteurs um eine doppelte Übereinstimmung: zwischen dem Verwaltungsrat und dem Intendanten einerseits und zwischen den zwei Gruppen im Verwaltungsrat andererseits. Wenn es schon einmal eine politische Nomenklatur beim ZDF gibt, in der der Chefredakteur eher der sozialdemokratischen Seite zugeordnet wird, steht jedenfalls fest: Kein Mitglied des Verwaltungsrates, kein Christdemokrat in diesem Gremium, will diese Grundstruktur verändern. Es kann und wird nicht um parteipolitische Fragen gehen. Es geht um eine positive Entwicklung des ZDF.
F.A.Z.: Der Vorwurf ist ja nicht, dass Sie Parteipolitik machen, sondern dass die Parteien überhaupt sich ihren Zugriff auf das Personal in den öffentlich-rechtlichen Sendern sichern wollen.
Koch: Darum geht es doch überhaupt nicht. Die eingangs angeführten Zahlen rufen doch wohl nach einer Debatte. Auch, aber nicht nur Politiker sind mitverantwortlich für das Wohl und Wehe eines Senders im Inneren. Diese Repräsentanz der Bevölkerung im Inneren der Anstalten ist wichtig und richtig. Und ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass versucht wird, jedes Handeln von Politikern an dieser Stelle zu diskreditieren.
F.A.Z.: Wenn ZDF-Intendant Schächter Brender vorschlägt, wird er also nicht die Zustimmung des Verwaltungsrates bekommen?
Koch: Ich bin gar nicht in der Lage, das zu beantworten. Wir befinden uns mit dem Intendanten und untereinander in sehr, sehr intensiven Diskussionen. Diese Entscheidung ist nicht unproblematisch. Das wissen alle. Es wäre gut gewesen, wenn die Entscheidung weiterhin in den Gremien geblieben wäre, denn es ist eine interne Entscheidungsstruktur des ZDF. Nur eines geht nicht: dass durch Veröffentlichung auf den Verwaltungsrat in einer Weise öffentlich Druck ausgeübt wird, dass der zu einem nüchternen Abwägen der unterschiedlichen Argumente vermeintlich gar nicht mehr in der Lage ist, weil behauptet wird, wenn man nicht beim Status quo bleibt, sei es eine Politisierung und Partei-Politisierung des ZDF. Das ist sie nicht.
F.A.Z.: Warum ist es eine „interne Entscheidung“? Sie sitzen in diesen Gremien als Volksvertreter. Warum soll die Bevölkerung hinnehmen, dass solche Entscheidungen zwischen Parteien ausgekungelt werden – warum hat sie nicht das Recht, dass diese Diskussion wenigstens in der Öffentlichkeit stattfindet?
Koch: Weil es, wenn solche Diskussionen über Personen auf dem öffentlichen Markt ausgetragen werden, nicht dem Sender dient und am Ende nur Irritationen übrig bleiben. Aber wir scheuen, wie Sie sehen, auch eine öffentliche Debatte nicht. Wir haben gute Argumente für unser Verhalten und werden unsere Verantwortung für das ZDF wahrnehmen.
F.A.Z.: Und der vielfach zu hörende Gedanke, dass Sie in dieser Sache gerade im Auftrag von Frau Merkel unterwegs sind, ist komplett abwegig.
Koch: Ich kenne niemanden, der sich in dieser Sache im Auftrag von jemand anders tätig fühlt. Wir sind mitten in einem Entscheidungsprozess. Da helfen weder Ratschläge von außen noch irgendwelche Unterschriftenlisten, wie sie Herr Kleber jetzt organisiert hat. Herr Kleber hat sich für eine deutliche Verbesserung seiner materiellen Situation aus der redaktionellen Verantwortung für das ZDF zurückgezogen und ist heute nur noch freier Mitarbeiter. Das respektiere ich. Nur ist dann die Frage der redaktionellen Unabhängigkeit nicht mehr primär bei ihm verortet. Man kann nicht erwarten, dass Mitglieder des Verwaltungsrates tatenlos zusehen, wie ihnen Motive unterstellt werden, die nicht unserer realen Arbeit entsprechen.
F.A.Z.: Den offenen Brief hat nicht nur Kleber unterschrieben, sondern die ganze Leitungshierarchie des ZDF, die ihre Sorge „um die Glaubwürdigkeit der journalistischen Leistungen im ZDF“ erklärt und den politischen Druck auf den Intendanten beklagt.
Koch: Ich glaube, keiner der Beteiligten hat sich durch diesen Brief einen Gefallen getan. Ich weiß aber sehr konkret, dass ihn auch Menschen nur deshalb unterschrieben haben, weil sie sich dem Solidaritätsdruck gebeugt haben.
F.A.Z.: Sehen Sie noch eine Chance für Brender als zukünftigen Chefredakteur?
Koch: Ich schließe eine Entscheidung, die am Ende nicht zu einem praktisch einstimmigen Beschluss des Verwaltungsrates führt, aus. Aber die Pflicht des Einvernehmens kann nicht bedeuten, dass immer alles so bleibt, wie es ist. Es ist nichts Unanständiges, wenn der Verwaltungsrat Personalfragen stellt, sondern er tut genau das, wozu er laut Staatsvertrag berufen ist.
F.A.Z.: Aber das Ergebnis ist noch offen?
Koch: Es gibt diese Illusion von der Fraktionenbildung in solchen Gremien in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten …
F.A.Z.: Die sind ja keine Illusion. Das nennt sich beim ZDF „Freundeskreis“.
Koch: Ja, aber die Diskussion findet ja nicht nur in Blöcken statt. Ich bin der Auffassung, es wäre für das ZDF besser, wenn es einen Neuanfang gäbe, und sehe, dass es dafür auch Unterstützung gibt. Der Intendant sieht es anders, und nun gibt es eine Diskussion, die wird am 27. März mit größter Wahrscheinlichkeit zu einem Ende geführt.
F.A.Z.: Sie haben noch keinen Wunschkandidaten?
Koch: Es wird auch keinen Wunschkandidaten von mir oder der CDU-Seite geben.
F.A.Z.: Und die beste Art, die Leitungspositionen des ZDF zu besetzen, ist eine, indem man sie nach Parteizugehörigkeit oder vermuteter Parteinähe durchdekliniert?
Koch: Öffentlich-rechtliche Sender stehen in der Verantwortung der Gesellschaft und der Politik und werden sich davon auch nicht völlig lösen können. Das ist ein Teil von Demokratie. Politiker sind nicht eine Gefahr für die Demokratie, sondern ihre Grundlage. Warum akzeptiert man nicht, dass es eine Frage des Prozesses und des Ringens miteinander ist, am Ende das Beste für alle zu erreichen?
F.A.Z.: Und Sie versuchen, das Beste für alle zu erreichen? Nicht das Beste für die Parteien?
Koch: Wir Politiker müssen wahrscheinlich damit leben, dass uns das dauernd unterstellt wird. Wir werden aber, wenn wir unserer Aufgabe gerecht werden wollen, im Zweifel mit dieser Unterstellung leben müssen.
Das Gespräch führte Stefan Niggemeier.