Ministerpräsident Roland Koch im FOCUS-Interview
FOCUS: Bei Angela Merkel haben Sie in wenigen Jahren Ihre Beliebtheit so sehr gesteigert, dass Sie fast zum Liebling der Kanzlerin geworden sind. Warum gelingt Ihnen das bei den Hessen nicht?
Koch: Mit allen Wählern kann ich naturgemäß keine so persönlichen Gespräche führen wie mit der Bundeskanzlerin.
FOCUS: Wollen Sie nach zehn Jahren Hessen jetzt nicht mal Champions League spielen?
Koch: Das ist das typische Berliner Denken – zu glauben, dass es dort am tollsten ist. Aber Deutschland wird von den Landeshauptstädten aus mitregiert. Dass Ministerpräsidenten viel Verantwortung für die nationale Politik tragen können, ist doch offenkundig. Ich bin jedenfalls mit meinen Möglichkeiten außerordentlich zufrieden.
FOCUS: Diente es nicht einer lagerübergreifenden Kontinuität, wenn Sie ab Herbst 2009 Nachfolger Ihres SPD-Kumpels Peer Steinbrück als Bundesfinanzminister würden?
Koch: Bei aller Freundschaft zu Peer Steinbrück wünsche ich mir eine bürgerliche Regierung, in der für ihn kein Platz sein würde. Ihn werde ich sicher nicht ablösen, weil ich in Wiesbaden bleibe.
FOCUS: Dann müssen Sie wohl Ihrem Bundesland mehr Profil geben. In der Bildungspolitik gab es oft schlechte Noten. Wo setzt eine neue CDU-FDP-Koalition Impulse?
Koch: Wir wollen gleiche Startchancen beim Eintritt in die Schule schaffen. Viel mehr Kinder aus bildungsfernen und Migrantenfamilien müssen die Hochschulreife erlangen als bisher. Der Grundstein wird in der vorschulischen Phase gelegt. Da haben wir noch Defizite. Und das, obwohl in keinem Land so viele Kinder mit Migrationshintergrund das Abitur machen wie in Hessen.
FOCUS: Der jetzt beginnende Ausbau des Frankfurter Flughafens ist Hessens größtes Wirtschafts- und Infrastrukturprojekt. Können die gewährten 17 Nachtflüge als Preis für die Erweiterung noch auf null reduziert werden?
Koch: Mit der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist wohl sichergestellt, dass es auf keinen Fall mehr, vielleicht sogar weniger Flüge in der Nacht gibt. Das sehen wir als Erfolg, der auf Grund von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts so nicht zu erwarten war. Noch wichtiger ist: Der Weg für 40000 Arbeitsplätze ist nun frei.
FOCUS: Hessen lebt vom internationalen Bankenzentrum Frankfurt. Gibt es noch einen Plan B, wenn weitere gigantische Milliardenverluste des Finanzsektors bekannt werden?
Koch: Noch ist der Schutzschirm für die Banken bei Weitem nicht ausgeschöpft. Es wäre besser gewesen, wenn einige Institute ihre Schamgrenze gleich herabgesetzt und auf die Staatshilfe zurückgegriffen hätten. Das von der Bundesregierung bereitgestellte Instrumentarium ist gut und kann prinzipiell beibehalten werden.
FOCUS: Finanzminister Steinbrück will keine Bank, der die Geldinstitute ihren Finanzgiftmüll verkaufen können. Was meinen Sie?
Koch: Ich halte auch nichts von einer solchen Bad Bank. Die Konstruktion des Fonds ist gut. Alle sollten sie nutzen.
FOCUS: Sie selbst bestimmen bei der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) mit. Gibt es bald die Fusion mit WestLB und Deka-Bank?
Koch: Das Land Hessen ist bei der Helaba mit zehn Prozent nur Minderheitsaktionär. Den Schritt müssen die Sparkassenorganisationen als Mehrheitseigentümer wollen. Ich glaube, dass sie allmählich die Chance sehen, die eine Bündelung der Kräfte in der Mitte Deutschlands böte. Unsere Landesregierung würde sie auf diesem Weg begleiten.
FOCUS: In Hessen reicht es nur zur stabilen bürgerlichen Mehrheit, weil die FDP stark zugelegt hat. Schreckt die neue Staatsgläubigkeit der CDU im Bund ihre Klientel ab?
Koch: Die FDP ist in der Tat nicht nur in Hessen, sondern auch national erstarkt. Es haben also neben landespolitischen auch bundespolitische Gründe das Zahlenverhältnis zwischen CDU und FDP beeinflusst. Am wichtigsten ist aber, dass es in diesen Krisenzeiten keine linken Mehrheiten in Deutschland gibt. Deswegen …
FOCUS: … macht die CDU linke Politik neuerdings selbst?
Koch: Ach was. Soziale Marktwirtschaft ist nicht Marktwirtschaft pur. Da ticken wir schon etwas anders als die FDP. Der Staat darf die Bürger nicht ungeschützt einem Hurrikan wirtschaftlicher Verwüstungen überlassen. Wir übernehmen ein Stück Garantie für die Sicherheit unserer Bürger – das ist kein Luxus, sondern unsere Pflicht. Der Staat ist aber nicht der bessere Unternehmer.
FOCUS: Das klingt bei Ihrem Kollegen Jürgen Rüttgers etwas anders.
Koch: Es gibt Situationen, da ist der Staat der einzige Unternehmer. Der Staat muss ran, weil es keinen anderen Finanzinvestor mehr gibt – genau das belegt ja den Ernst unserer Lage. Wir drängen uns doch nicht auf! Es geht um die Frage, ob wir Insolvenzen als Kettenreaktionen hinnehmen.
FOCUS: Pleiten gab es zu allen Zeiten.
Koch: Wir haben aber keine normalen Zeiten mehr. Es geht um den Erhalt ganzer Märkte. Da sind nicht 50 oder 100, sondern gleich Zehntausende Arbeitsplätze weg.
FOCUS: Die FDP sieht gerade jetzt die Zeit für schnellere und stärkere Steuersenkung.
Koch: Wir dürfen keine Strukturen schaffen, die wir uns nicht leisten können.
FOCUS: CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla muss also sein Ziel „40 plus x“ bei der Bundestagswahl anders packen als mit dem Versprechen niedriger Steuern?
Koch: Die Perspektive für ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem gehört natürlich in unser Wahlprogramm. Aber es wird nicht das Schlüsselthema sein.
FOCUS: Welches Thema dann?
Koch: Die Frage, wem man am ehesten zutraut, diese Krise zu bewältigen, ist von größter Bedeutung. Auf die Kanzlerin kommt es an – das wird ein entscheidender Punkt.
FOCUS: Die Amerikaner haben’s noch schwerer. Dennoch erleben sie mit dem Neustart im Weißen Haus einen patriotischen Rausch. Sind bei uns die Politiker zu lahm, oder ist das Volk zu spröde?
Koch: Wir Deutschen sind allesamt nüchterner. Diejenigen von uns, die so begeisterungsfähig sind wie die Amerikaner, wanderten wahrscheinlich vor 200 Jahren dorthin aus und haben sich mit Italienern, Iren und anderen zusammengetan.
FOCUS: Das wären ja mal neue Ansatzpunkte für gesteuerte Migration – Begeisterungsfähigkeit als Zugangsvoraussetzung.
Koch: Ernsthaft: Mich fasziniert der Enthusiasmus der Amerikaner. Man muss aber auch beobachten, was daraus wird. Barack Obama hat das Zeug, ein hervorragender Präsident zu werden. Aber diese Erwartungen, die an ihn geknüpft werden, kann eigentlich kein Politiker der Welt erfüllen.