Koch: „Die Bürger müssen eine Richtungsentscheidung treffen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview in der Oberhessischen Presse
OP: Wie peinlich ist Ihnen im Rückblick das Jahr 2008 aus landespolitischer Sicht?
Roland Koch Natürlich war es nicht schön, überall auf die hessischen Verhältnisse angesprochen zu werden. Aber wir haben als geschäftsführende Regierung – ohne den Rückhalt durch das Parlament, sondern auf eigene Verantwortung – weiter unsere Arbeit gemacht: Im Bund hessische Interessen vertreten, im Bundesrat an wichtigen Gesetzen mitgewirkt, in wirtschaftlich krisenhaften Zeiten wesentliche Entscheidungen getroffen – und nicht zuletzt eine Verwaltung mit immerhin 150 000 Beschäftigten am Laufen gehalten. Es freut mich, dass zwei Drittel der Hessen mit der Arbeit in schwieriger Zeit sehr zufrieden sind. Die Väter und Mütter unserer Verfassung haben aus gutem Grund vorgesehen, dass der Landtag sich selbst auflösen und Neuwahlen beschließen kann, diesen Weg hat das Parlament beschritten. Dass es so weit gekommen ist, dass es keine handlungsfähige Parlamentsmehrheit gab, dafür sind die Hessen-SPD und Andrea Ypsilanti mit ihrem Wortbruch verantwortlich – und das wissen auch alle Hessen.
OP: Sie wollen nur mit der FDP, keiner außer der FDP will mit ihnen. Geht alles seinen alten Trott in der Landespolitik oder müssen Sie in einem Fünfparteiensystem nicht intensiver nach neuen Mehrheiten suchen?
Koch: Es gibt ja klare Alternativen. Entweder es gibt eine bürgerliche Mehrheit für CDU und FDP – dafür kämpfen wir. Oder es gibt eine Mehrheit links davon, dann werden sich SPD und Grüne von den Kommunisten in die Regierung wählen lassen, diesmal befreit vom Versprechen, nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Die SPD hat unter der Federführung von Frau Ypsilanti und Herrn Scheer bewusst ein ganz linkes Programm entwickelt. Und die sind auch noch da, auch wenn sich Frau Ypsilanti hinter dem derzeitigen Spitzenkandidaten versteckt. Frau Ypsilanti zieht die Fäden, Herr Scheer führt den SPD-Zukunftsrat.
OP: Kränkt es sie, wenn SPD und Grüne zwar eine Große Koalition nicht ausschließen, aber Ihren Rückzug zur Bedingung machen?
Koch: Nein. Das ist ja nur eine faule Ausrede, ich diene da nur als Schutzschild. Die SPD macht einfach – wie vor einem Jahr mit Ypsilantis Versprechen – einen neuen Versuch, sich herumzumogeln um die einfache Frage: Was ist die Wunschkonstellation der Sozialdemokraten? Herrn Schäfer-Gümbels Wunschkoalition ist eindeutig SPD, Grüne und Linkspartei und nicht SPD und CDU, und das ist aus der Logik des Wahlprogramms auch klar erkennbar.
OP: Aber wäre nicht eine Große Koalition angesichts der großen Herausforderungen an die Landespolitik – insbesondere angesichts der Wirtschaftskrise – eine sinnvolle Alternative für Hessen? Die Große Koalition in Berlin macht ja ihre Sache so schlecht nicht.
Koch: Ich bin es gewohnt, mit knappen Mehrheiten zu regieren und dennoch handlungsfähig und entscheidungsfreudig zu sein. Und die Schnittmengen zwischen der CDU und der SPD sind so gering, dass wir kaum ein vernünftiges Regierungshandeln hinbekommen würden. Auch die Große Koalition in Berlin wird in wenigen Monaten, nach der Bundestagswahl, ihre Arbeit wohl beenden. Sie ist nur ein Bündnis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Nein, ich bin dafür, dass die Alternativen klar benannt werden. Und die heißen: Klare Verhältnisse dank einer Mehrheit für eine bürgerliche Regierung von CDU und FDP oder eine Mehrheit für SPD, Grüne und Linkspartei. Wenn man unterschiedliche Dinge zusammenmischt, kommt es eher zu einem Stillstand – oder zu einem dauerhaften Gezerre.
OP: Sie haben Ihr Konjunkturprogramm vorgelegt im Volumen von 1,7 Milliarden Euro. Wo kommt eigentlich in Zeiten knapper Kassen, in denen man Mühe hat, einen verfassungsgemäßen Haushalt hinzubekommen, so viel zusätzliches Geld her?
Koch: Krisen sind keine normalen Zeiten. Wenn wir eine Hochwasserkatastrophe hätten, könnten wir auch nicht sagen, wir warten mit dem Wiederaufbau. Wir planen, Investitionen, die wir für 2011 oder 2012 geplant haben, vorzuziehen. Damit sorgen wir dafür, dass Menschen ihre Arbeit behalten. Wenn man die Ausgaben über fünf Jahre rechnet, müssen wir einen gewissen Zinsverlust verkraften, aber nicht mehr. Das halte ich für gut verantwortbar, zumal Menschen, die keine Arbeit haben, auch weder Steuern noch Sozialabgaben zahlen.
OP: Der Vorwurf an das Programm lautet, es sei zu schwerfällig und greife erst in sechs Monaten, wenn es vielleicht schon zu spät ist, um Arbeitsplätze zu retten.
Koch: Dieser Vorwurf macht mich intellektuell hilflos. Eine Baumaßnahme fällt doch nicht vom Himmel, sondern bedarf einer Planung und je nach Größe des Projekts der Ausschreibung. Es geht also schnell, aber nicht von heute auf morgen. Die Kommunen sind am schnellsten handlungsfähig, deswegen wollen wir das Geld den Kommunen geben. Und natürlich kann ein Landkreis das Geld auch für Reparaturen an Schulen oder ähnliches nutzen, das kann dann innerhalb von Wochen gehen. In der Bauindustrie ist es außerdem zur Zeit nicht so, dass die Menschen dort herumstehen und nichts zu tun haben. Die meisten Betriebe sind noch gut ausgelastet. Wir wollen diesen Betrieben jetzt das Signal geben, dass wir eine stabile konjunkturelle Lage schaffen für die kritischen nächsten eineinhalb Jahre, und dass sie deshalb jetzt keine Mitarbeiter entlassen sollen.
OP: Was können Sie tun, damit ein in Schwierigkeiten geratener Zulieferer, sagen wir aus dem Hinterland, Ende des Monats noch seine Arbeitsplätze behalten kann?
Koch: Das erste was ein Unternehmen tun muss, wenn es in Schwierigkeiten gerät, ist, schnell zu uns kommen. Es gibt keinen Betrieb, der von Hilfsmöglichkeiten ausgeschlossen ist, nur weil er klein ist. Wir organisieren Überbrückungshilfen. Wir wollen vermeiden, dass Arbeitsplätze wegfallen, weil alles dafür spricht, dass auf Dauer mindestens genauso viele deutsche Autos verkauft werden wie in der Vergangenheit und unsere Automobilindustrie mit ihren Zulieferern ausgezeichnet aufgestellt ist. Es gibt ein ausführliches hessisches Bürgschaftsprogramm, der Automobilschirm steht und kann in Anspruch genommen werden.
OP: Und wenn ein Unternehmen das Pech hat, nicht aus der Automobilbranche zu kommen?
Koch: Das Bürgschaftsprogramm gilt für alle Unternehmen, wir haben es nicht auf eine bestimmte Branche konzentriert. Wir wissen aber, dass wir insbesondere dort helfen müssen, wo die Kombination von Konjunkturkrise und Bankenkrise die größten Schwierigkeiten auslöst. Und das ist im Moment in der Automobilindustrie der Fall.
OP: Es gibt also frisches Geld für klamme Unternehmen?
Koch: Wir schauen uns die Situation nach klaren Kriterien genau an, wir unterstützen nicht jeden, nur weil er um Geld bittet. Wir haben den Ehrgeiz, dass wir für unsere Bürgschaften, die wir geben, wie bisher nicht mehr als drei Prozent Ausfall haben. Auch in einer Krise haben wir sorgfältig darauf zu achten, dass das Geld des Steuerzahlers wieder zurückkommt.
OP: Wer schaut denn da so scharf hin?
Koch: Wir haben Spezialisten in unserer Bürgschaftsbank, wir haben Spezialisten im Finanz- und im Wirtschaftsministerium, und wir arbeiten immer mit einer dezentralen Bank zusammen. Wir sind am Ende nie der Kreditgeber, sondern immer nur der Bürge. Und wir lassen keine Bank ganz aus dem Risiko, sondern bürgen nur für 80, im Einzelfall für 90 Prozent. Das heißt, dass auch die Bank schon aus Eigeninteresse genau hinschaut.
OP: Die FDP ist eigentlich für Studiengebühren, die CDU eigentlich auch. Schließen Sie Studiengebühren in der nächsten Legislaturperiode kategorisch aus?
Koch: Ich schließe sie kategorisch aus, weil es klare Beschlusslagen gibt, sowohl von der CDU als auch von der FDP. Wir müssen trotz dieser Entscheidung unsere Universitäten und Fachhochschulen wettbewerbsfähig halten, das wird auch kein Spaziergang werden. Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verändern ihre Hochschulen unter dem Gesichtspunkt, dass Studenten Kunden sind und Hochschulen eine Dienstleistung für sie zu erbringen haben. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses neue Denken auch in Hessen weiter Einzug hält, auch wenn es keine Studienbeiträge gibt. Das ist eine finanzielle Frage, aber vor allem auch eine Frage der Mentalität. Das wird uns Kraft kosten in den nächsten Jahren, aber es wird ohne Studiengebühren geschehen. Diese Frage hat bei der Wahl eine wichtige Rolle gespielt. Deswegen haben wir uns vor der Wahl festgelegt, und so werden wir es machen, wenn wir die Regierung mit der FDP bilden sollten.
OP: Was tun sie, damit konkret die Marburger Universität den Anschluss nicht, wie vielfach befürchtet, verliert – national wie international?
Koch: Unser Heureka-Programm für den Hochschulbau hilft der Marburger Universität, die einzelnen Campus-Teile zu bauen. Das Investitionsprogramm zur Belebung der Konjunktur, das wir jetzt aufgelegt haben, beschleunigt diese Entwicklung. Die äußeren Bedingungen für die Entwicklung der Marburger Universität können also von der Landesseite gewährleistet werden. Die innere Aufstellung, die Prioritätensetzung, ist aber zu einem großen Teil innere Angelegenheit der Universität. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass das Urteil über die Marburger Universität so richtig ist. Gerade im Bereich der Naturwissenschaften, im Bereich der Medizin, erbringt sie exzellente Leistungen. Die Privatisierung der Universitätsklinik gibt auch der Wissenschaft – Stichworte Protonenklinik oder Hochsicherheitslabor für Virenforschung – alle Möglichkeiten, an der internationalen Spitze mitzumischen.
OP: Die Beschäftigten des Uni-Klinikums sind immer noch sauer auf sie, weil sie das Universitäts-Klinikum privatisiert haben. Was können Sie tun, um deren Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Koch: Die Privatisierung des Klinikums sorgt dafür, dass hier Investitionen stattfinden, die weit über die Kräfte eines Landes gehen. Dadurch werden auch Arbeitsplätze erhalten, weil die Zahl der Patienten zunimmt. Alle Krankenhäuser in Deutschland haben in den letzten Jahren Personal abgebaut, dem kann sich weder eine staatliche noch eine private Klinik entziehen. Wir haben mit der Privatisierungsentscheidung und den Absicherungen der Beschäftigten eindeutig etwas für den Erhalt von Arbeitsplätzen getan.
OP: Aber die Beschäftigten klagen über steigende Arbeitsdichte und mehr Stress.
Koch: Die Tatsache, dass Arbeit verdichtet wird, dass es also nicht einfacher wird in den siebeneinhalb oder acht Stunden, die am Tag gearbeitet wird, berichten mir auch die Mitarbeiter von Opel, das sagen mir die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen, das ist wahrscheinlich überall im Arbeitsleben so.
OP: Die frühere Kultusministerin Karin Wolff, immerhin ihre Stellvertreterin im Kabinett und in der Landespartei, hat nach der vergangenen Wahl schnell den Hut genommen und die Konsequenzen aus dem Wahlergebnis gezogen. Sie haben gesagt, wir haben verstanden. Sind G8 und U+ keine Vokabeln mehr für sie in der Schulpolitik?
Koch: Wir sprechen heute von verlässlicher Schule, weil der Begriff U+ eine zu große emotionale Schleifspur hinterlassen hat. Viele haben sich gegen die Hilfe von zusätzlichen Kräften in der Schule gewehrt. Wir haben mit der Zustimmung aller Parteien ein neues Gesetz für die Unterrichtsvertretung erlassen und eine gemeinsame Verabredung über den Umgang mit dem schnellen Abitur. Jürgen Bantzer ist es in den vergangenen Monaten gelungen, in den zentralen Fragen der Bildungspolitik ein Stück Ruhe hereinzubringen, die Lage hat sich zum Glück entspannt.
OP: In zentralen Fragen liegen Sie aber weit auseinander: Die SPD und die Grünen fordern beispielsweise eine gemeinsame Schule bis Klasse zehn und eine Unterrichtsabdeckung von 105 Prozent, um Vertretung zu organisieren.
Koch: Da es keine Einheitsschüler gibt, wird es mit mir auch keine Einheitsschule geben. Und was das zweite Problem angeht: Ich fürchte, dass die Lehrerzuweisung nach einer pauschalen Quote erhebliche Probleme mit sich bringen würde. Eine Schule in Frankfurt mit einem Migrantenanteil von 90 Prozent hat ganz andere Personalbedürfnisse als eine Grundschule in einer Region, in der 90 Prozent der Familien seit Generationen hier leben. Ich glaube, dass wir mehr Geld in die Schulen geben müssen, aber die Schulen müssen stärker selbst entscheiden dürfen, ob sie es beispielsweise für Lehrer oder für Sozialarbeiter ausgeben. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode mindestens 2 500 zusätzlich Menschen ins Schulsystem geben – gleichzeitig wird die Zahl der Schüler um 100 000 sinken, ungefähr ein Achtel. Wir wollen das nicht zur Personalverringerung nutzen. Es wird unter meiner Verantwortung also kleinere Klassen und mehr Ganztagsschulen geben.OP: Welches Ergebnis fahren Sie bei der Wahl ein?
Koch: Die CDU hat 2008 ein schlechtes Ergebnis gehabt. Wir wollen diesmal ein deutlich besseres, wir wünschen der FDP ein gutes, und wir wollen zusammen mehr als 50 Prozent erreichen, damit Hessen auf der Basis klarer Verhältnisse stabil regiert werden kann.