Der Hessische Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Welt am Sonntag
Welt am Sonntag: Das neue Jahr hat begonnen, mit welchen guten Vorsätzen sind Sie gestartet?
Roland Koch: Ich habe den Vorsatz, etwas ruhiger zu leben als bisher, und hoffe, dass mir die Umstände das erlauben.
WamS: Sie haben nicht aufgrund eigenen Verdiensts, sondern dank der Gewissensentscheidung von vier SPD-Abgeordneten eine neue Chance bekommen. Macht Sie das dankbar und demütig?
Koch: Es ist für mich wichtig, mir bewusst zu halten, dass wir die Chance der Landtagswahl nicht dank eigener Kraft haben. Ohne den Wortbruch von Frau Ypsilanti und die aufrechten Sozialdemokraten hätte ich diese Chance nicht.
WamS: Sie waren fast ein Jahr lang nur geschäftsführender Ministerpräsident. Setzen Sie darauf, dass die Wähler Ihr beharrliches Agieren in dieser Zeit honorieren?
Koch: Ich entnehme der Demoskopie, dass zwei Drittel der Hessen mit unserer Arbeit sehr zufrieden sind. Wenn Sie bedenken, wie knapp in Hessen Wahlentscheidungen meist ausgegangen sind, können Sie sehen, dass wir hier auf eine ungewöhnlich große Zustimmung stoßen. Das freut mich sehr.
WamS: Sie sind fast zehn Jahre Hessens Ministerpräsident. Wachsen Sie, der Polarisierer, nun allmählich in die Rolle des Landesvaters hinein?
Koch: Die Zahl der Menschen in Hessen, die mit mir – jenseits der Parteiengrenzen – vertrauensvoll zusammenarbeiten, ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Ich gehe ja, anders als es im Bild von mir häufig gemalt wird, pragmatisch an die Dinge heran und versuche, unterschiedliche Interessen zusammenzuführen. Ich werde aber immer auch einer bleiben, der den Menschen nicht die Last abnimmt, Entscheidungen zu treffen. Es gibt in der Politik unangenehme Dinge zu entscheiden, und ich neige dazu, den Leuten das auch klar zu sagen.
WamS: Das unterscheidet Sie von Kollegen wie den Herren Wulff und Rüttgers?
Koch: Ich weiß nicht, ob ich mich da von ihnen unterscheide. Aber es stimmt, ich komme nicht all den Erwartungen entgegen, die man an einen sogenannten Landesvater hat. Es ist nicht meine Art, nur mit freundlich segnender Hand durchs Land zu gehen und vorhandene Konflikte eher zu überdecken als anzusprechen. Da setze ich lieber auf Klarheit. Aber die richtige Mischung aus beidem zu finden: Das ist eine Kunst, die ich mit zunehmendem Alter zu lernen hoffe.
WamS: Sie sagen, Sie stoßen auf wachsende Zustimmung im Land. Wie kommt es dann aber, dass Sie für zwei Parteien, die ja nicht völlig von der Rolle sind, nämlich bei SPD und Grünen, eine solche Hassfigur darstellen?
Koch: Na ja, ob die hessische SPD nicht doch völlig von der Rolle ist, ist eine Frage, die man ernsthaft stellen muss …
WamS: … okay, diese Steilvorlage nehme ich zurück.
Koch: Im Ernst: Bei denen, die die Programmatik der Union unterstützen, erfahre ich eine sehr große Zustimmung. Ich muss aber zugleich zur Kenntnis nehmen, dass ich von denen, die sich auf der anderen Seite gebunden fühlen, häufig massiv diffamiert werde. Und es passiert mir sehr oft, dass Menschen nach einer ersten persönlichen Begegnung mit mir sagen: „Sie sind ja viel netter als im Fernsehen.“ Soll ich mich darüber nun freuen oder ärgern?
WamS: Sie wollen nach der Landtagswahl Schwarz-Gelb?
Koch: Ja, eindeutig. Wir sagen, dass wir bereit sind, mit allen demokratischen Parteien – zu denen wir die Linkspartei nicht zählen – zusammenzuarbeiten. Nur ist das eine abstrakte Diskussion. Konkret sieht es so aus: Es gibt jenseits von CDU und FDP drei Parteien in Hessen mit einem fast austauschbaren Programm: SPD, Grüne und Linkspartei. Die haben schon einen Koalitionsvertrag ausgehandelt. Bekommen sie im Landtag eine Mehrheit, dann werden sie auch zusammen regieren. Mit allen schlimmen Folgen, zum Beispiel der Verzögerung des Ausbaus des Frankfurter Flughafens mit 40 000 neuen Jobs. Den Flughafen Kassel-Calden hat die SPD sogar ganz geopfert. Bekommen die drei keine Mehrheit, werden wir mit der FDP zusammen regieren. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht mehr.
WamS: Wenn es mit der FDP nicht reicht, wäre dann eine große Koalition nicht doch möglich?
Koch: Hessens SPD ist so weit nach links gerückt, dass das nicht mehr denkbar ist. Herr Schäfer-Gümbel hat nichts getan, daran etwas zu ändern. Dem SPD-Parteitagsbeschluss, mit der CDU nicht zu reden, hat er nicht nur vor neun Monaten zugestimmt; der Beschluss ist bis heute nicht aufgehoben.
WamS: Und Jamaika?
Koch: Wir haben im vergangenen Jahr in dieser Richtung mit den Grünen gesprochen. Das Verhältnis ist ja inzwischen viel entspannter, es gibt im Land ja auch viele lokale Bündnisse zwischen uns und den Grünen. Es ist ja auch bemerkenswert, dass die Frankfurter Grünen skeptisch sind, ob es für die Partei klug ist, Anti-Koch-Plakate zu kleben. Doch jetzt zählt etwas anderes: Die Grünen haben sich klar für das Bündnis mit der SPD und der Linkspartei entschieden, haben – als kleinere Partei! – die SPD in den Koalitionsverhandlungen in gigantischer Weise über den Tisch gezogen. Sie können nüchtern betrachtet doch jetzt nicht vor ihre Mitglieder treten und für eine Koalition werben, in der sie bei Weitem nicht das durchsetzen könnten, was sie gegenüber der SPD durchgesetzt haben. Es gehört zur nötigen Klarheit zu sagen, dass für uns und die Grünen hier zurzeit nichts möglich ist. Die Situation ist sehr klar: Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag der Gegenseite liegt schon vor der Wahl vor. Die Wähler wissen, worauf sie sich da einlassen würden.
WamS: Macht Ihnen so ein Wahlkampf denn Spaß, in dem Sie gar nicht polarisieren müssen?
Koch: Ich mache Politik nicht aus Spaß an der Zuspitzung. Im Übrigen ist der Wahlkampf durchaus polarisiert – durch die SPD. Der Begriff „Wortbruch“ wird emotional der Schlüsselbegriff dieses Wahlkampfes bleiben.
WamS: Was steht im Zentrum Ihres Wahlkampfes: die Auseinandersetzung mit der SPD oder die Fragen, die sich aus der Finanzkrise ergeben?
Koch: Der Wortbruch und auch der zum Teil geradezu menschenverachtende Umgang in der hessischen SPD werden zwangsläufig eine große Rolle spielen. Aber wichtiger wird die Krise sein. Viele Menschen fragen sich, ob ihr Arbeitsplatz noch sicher ist. Politik hat in einem so erfolgreichen Land wie Hessen die Aufgabe, mit ihren sicher beschränkten, aber vorhandenen Mitteln dazu beizutragen, die Lage für die Menschen erträglich zu machen. Die Krise wird von den Menschen nicht als ferne Finanzkrise, sondern sehr existenziell erlebt. Auf die Ängste, die das auslöst, müssen wir eingehen und uns zum Beispiel um gefährdete Betriebe mit ihren Jobs kümmern.
WamS: Dank der Finanzkrise interveniert der Staat in ungewohntem Ausmaß in die Wirtschaft. Wird das dazu beitragen, das ohnehin geringe Vertrauen der Deutschen in die Marktwirtschaft noch weiter zu mindern?
Koch: Im Augenblick ist der Staat sicher an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Ich bin sehr dafür, dass er sich so schnell wie möglich aus vielen Dingen, die er zurzeit tut und tun muss, wieder zurückzieht. Ministerialbeamte sind keine besseren Unternehmensführer, sind nicht besser als die Kreditausschüsse von Banken. Aber im Notfall müssen wir eben in der Lage sein, systemische Krisen zu bewältigen. Es wird schwierig sein, zur richtigen Balance zurückzukehren. Denn all die Staatsgläubigen werden die gegenwärtige Situation als Einfallstor für mehr Staat nehmen. Dagegen braucht es viel Prinzipientreue der Parteien, die sich der Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Nach der Rettungsaktion muss sich die Politik zurückziehen. Die Politik ist jetzt im Katastrophenschutz tätig. Daraus darf sie nicht den Auftrag ableiten, künftig alle Häuser zu bauen. Wir können Feuer löschen – danach brauchen wir Leute mit eigenen Bauplänen, mit unternehmerischer Kreativität und Geld. Die müssen die neue Stadt bauen.
WamS: Gerade hat ausgerechnet der Papst die positiven Seiten der Globalisierung herausgestrichen. Warum hört man derlei so selten von Politikern?
Koch: Von mir hören Sie das schon. Ich muss als Politiker die Sorgen vieler Menschen, denen die Globalisierung oft ungeheuer ist, ernst nehmen. Das ändert aber nichts daran, dass ich die Globalisierung für einen guten Prozess halte und das den Leuten auch sage.
WamS: Umfragen zufolge sähen viele Deutsche nach der Bundestagswahl gern die Fortsetzung der großen Koalition. Wäre das gut für Deutschland?
Koch: Nein, das wäre es nicht. Eine politische Konstellation, in der es das Bestmögliche ist, das Regieren gerade einmal mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner erträglich zu machen, ist auf Dauer nicht gut und ausreichend. Und Union und SPD sind programmatisch doch ziemlich weit auseinander, das wird immer deutlicher. Die große Koalition hat sich erschöpft. Wir müssen den Bürgern schon klarmachen, dass sie sich hier einer ihnen möglicherweise unangenehmen Richtungsentscheidung nicht entziehen dürfen. Wenn es bei der Bundestagswahl keine Richtungsentscheidung gibt, bedeutet das nämlich Verlangsamung bis Stillstand. In der Frage, wie es in Deutschland weitergehen soll, sind CDU und SPD Antagonisten, nicht Partner.
WamS: Antagonisten?
Koch: Ja, wir wollen nun mal zu unterschiedlichen Bahnhöfen. Zumal die SPD von heute längst nicht mehr die Partei von 2005 ist. Sie hat sich von der Kompromissfähigkeit, die sie zu Beginn der großen Koalition an den Tag legte, weit entfernt.
WamS: Angenommen, es gäbe nach der Bundestagswahl eine rot-rot-grüne Mehrheit. Würde die SPD dann darauf verzichten, daraus eine Regierungsmehrheit zu formen?
Koch: Wenn Sie das einen Hessen wie mich fragen, haben Sie schnell die Antwort: Wenn die SPD im Bündnis mit den Grünen und der Linkspartei den Kanzler stellen kann, dann wird sie das auch tun. Und das häufig entgegengehaltene Argument, hier der Bund und dort die Länder, ist im Übrigen spätestens seit der Nominierung von Gesine Schwan zur Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten hinfällig. Denn zusammen mit der Linkspartei, mit der man wegen ihrer außenpolitischen Unzuverlässigkeit angeblich nicht koalieren will, kann man Frau Schwan doch nicht zum Staatsoberhaupt wählen. Die Sache ist in der SPD entschieden. Wenn es für die SPD eine Machtperspektive mit der Linkspartei gibt, dann wird sie diesen Weg gehen, auch im Bund. Es gibt zwei Regierungsoptionen auf Bundesebene: eine linke und eine bürgerliche. Ich begrüße es, dass Klarheit herrscht. An dem Wähler liegt es nun zu entscheiden.