Koch: „Die Bürger müssen eine Richtungsentscheidung treffen“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit Echo Online
ECHO: Herr Ministerpräsident Koch, wo sind all die kriminellen jugendlichen Ausländer hin?
Roland Koch: Die Herausforderung der Bekämpfung der Kriminalität gibt es weiterhin. Und wir haben auch auf diesem Feld im zurückliegenden Jahr etliche Verbesserungen auf den Weg gebracht.
ECHO: Beim CDU-Wahlkampf vor einem Jahr wurde der Eindruck erweckt, es gebe kein dringender zu lösendes Problem in Hessen.
Koch: Die Wahrnehmung von politischen Themen hängt immer ein Stück mit der aktuellen Lage zusammen, die ja auch von den Medien geschaffen wird. Die Bilder von den Münchner U-Bahn-Schlägern haben seinerzeit viele Menschen beschäftigt und das Thema Jugendkriminalität in eine andere Dimension gebracht.
ECHO: Sie haben kürzlich gesagt, ein solches Wahlkampfthema könne einem „emotional entgleiten“. War es nicht vielmehr der Versuch, mitten im Mindestlohn-Disput die Debatten-Hoheit zurückzugewinnen?
Koch: Politiker bestimmen nicht, was Menschen interessiert. Sie sind aber klug beraten, auch darüber zu sprechen, was die Menschen bewegt. Das Vorgehen gegen Jugendkriminalität und die Integration von Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund sind nach wie vor wichtig. Im Augenblick stehen aber andere Fragen im Vordergrund. Im Januar wird entscheidend sein, wem die Menschen zutrauen, die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise erfolgreich zu bewältigen.
ECHO: In dieser Woche haben Sie ein Konjunkturpaket für 2009 angekündigt. Wie passt das zu Ihren Warnungen vor Aktionismus?
Koch: Das ist genau die richtige Antwort darauf, weil es schnell wirken kann. Jetzt ist nicht die geeignete Zeit für eine Steuerreform-Debatte, Steuerreformen wirken langfristig. Jetzt aber müssen wir schnell Feuer löschen. Und wir dürfen auch nicht so tun, als wüssten wir alles, was in dieser Krise in den nächsten sechs Monaten passieren wird. Aber ich bin froh, dass es einen Konsens über hilfreiche Maßnahmen gibt; dazu gehört es zu verhindern, dass Menschen im Baugewerbe arbeitslos werden. Denn dort werden die Folgen der Rezession sehr schnell spürbar werden. Wo es keine Aufträge und kein Geld mehr gibt, kann der Staat mit seinen Investitionen einspringen – zum Beispiel mit der schnelleren Sanierung von Schulen.
ECHO: Das wünschen sich Eltern und Schüler seit langem. Woher kommt auf einmal das Geld?
Koch: Wir werden im nächsten Jahr in Deutschland sehr viel mehr Schulden machen, als in einem normalen Jahr verantwortbar wäre. Die Abwägung, was schlechter ist: wachsende Staatsverschuldung oder zehntausende Arbeitslose mehr, muss in Krisenzeiten eindeutig ausfallen. Deshalb helfen wir den Schulträgern, die für den Schulbau zuständig sind, und sichern Arbeitsplätze.
ECHO: Der Bundesfinanzminister hat sich von dem Ziel verabschiedet, bis 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Wie sieht es damit in Hessen aus?
Koch: Ganz sicher wird es Verzögerungen bei diesem Ziel geben; aufgegeben wird es nicht. Wir hatten Anfang des nächsten Jahrzehnts formuliert. Aber sich auf ein Jahr festzulegen, würde ich derzeit weder Peer Steinbrück noch mir selbst empfehlen.
ECHO: Bisher gibt es nur Hilfspakete für einzelne Wirtschaftsbranchen. Wäre es nicht an der Zeit, die Bürger durch Steuersenkungen zu entlasten und damit die Binnennachfrage zu fördern?
Koch: Steuerbürger haben alle den subjektiven Wunsch, von dieser Last ein Stück weit befreit zu werden. Steuersenkungen würden derzeit aber nur durch neue Verschuldung finanziert; alles, was wir hier machen, zahlen unsere Kinder. Im Moment ist der private Konsum auch nicht das Problem in Deutschland.
ECHO: In Zeiten wie diesen sei am besten eine Große Koalition am Ruder, sagt der SPD-Politiker Peter Struck. Dann ist das doch auch für Hessen die beste Lösung?
Koch: Peter Struck hat unrecht in dieser Frage. Mag sein, dass es in diesen Tagen hilfreich ist, dass eine Große Koalition in Berlin das Fundament für das Management der Krise geschaffen hat. Da gibt es Konsens, zum Beispiel über die Hilfen für Opel und die Autozulieferer. Nach dem Feuerlöschen muss man sich aber wieder für eine politische Richtung entscheiden. In Hessen ist die SPD zudem ganz links: von der Bildungspolitik bis hin zu Fragen der Energie und der Wirtschafts- und Verkehrspolitik trennt uns viel. Daher müssen wir dem Bürger im Januar die Last zumuten, eine Richtungsentscheidung zu treffen.
ECHO: Allen Beteuerungen zum Trotz werden schon wieder fleißig Koalitionen für Hessen ausgeschlossen. FDP-Spitzenkandidat Jörg-Uwe Hahn will eigentlich nur mit Ihnen kooperieren, SPD-Mann Thorsten Schäfer-Gümbel überhaupt nicht mit Ihnen, Sie selbst setzen wie gehabt auf Schwarz-Gelb. Sind Parteien nicht lernfähig?
Koch: Parteien sollten nicht den Eindruck erwecken, in jeder beliebigen Konstellation Politik machen zu können – Hauptsache die Posten stimmen. Wo die Inhalte nicht passen, darf sich eine Partei nicht über Gebühr verbiegen. Aber sie muss natürlich kompromissfähig bleiben. Um so schlimmer, dass die hessische SPD den Parteitagsbeschluss vom Februar, mit der CDU gar nicht zu reden, bis heute nicht aufgegeben hat. Wir Christdemokraten haben immer gesagt: Unter den etablierten demokratischen Parteien muss es zur Not jede Koalition geben können.
Mit der Linkspartei, die nicht mit unseren Vorstellungen einer parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaats übereinstimmt, gibt es nicht einmal Gespräche. Herr Schäfer-Gümbel soll bald sagen, ob er Rot-Rot-Grün haben will und wer sein Wunschpartner ist. Unser Wunschpartner bleibt die FDP. Damit gäbe es klare Verhältnisse nach einer schwierigen Phase.
ECHO: Nach den neuesten Umfragen kann Schwarz-Gelb mit einer deutlichen Mehrheit rechnen. Da könnten Sie sich doch entspannt zurücklehnen.
Koch: Nein, das würde eher dafür sorgen, dass die Umfrageergebnisse nicht eintreten. Sie geben uns zusätzliche Motivation, mit unserem Programm an die Wähler heranzutreten. Es ist ebenso klar wie das der linken Parteien, die ja schon einen Koalitionsvertrag ausgehandelt haben.
ECHO: Gerade in der Schulpolitik hat es bei der CDU einen dramatischen Wandel gegeben. Mit Kultusminister Jürgen Banzer lässt sich offenbar über alles reden, was für seine Vorgängerin Karin Wolff überhaupt nicht zur Debatte stand. Welche Überraschungen hält denn eine künftige CDU-geführte Landesregierungfür Schüler, Lehrer und Eltern bereit?
Koch: Wir wollen Schüler, Lehrer und Eltern nicht überraschen, sondern berechenbar sein. Jürgen Banzer ist es gelungen, die Spannungen im Bereich Schule zu lockern. Wir haben einen langen und durchaus erfolgreichen Weg in der Schulpolitik hinter uns, auf dem Karin Wolff viele wichtige Veränderungen vorgenommen hat. Dennoch gab es nach neun Jahren eine Verkrampfung. Unter Banzer haben alle Beteiligten wieder zu einem ruhigen Gespräch gefunden.
ECHO: Werden Sie im Fall eines Wahlsiegs die Hauptschule zur Disposition stellen?
Koch: Es wird auch künftig für Hauptschüler eine Ausbildung geben, die ihren Neigungen gerecht wird. In Praxisschulen oder Schubklassen wird diesen jungen Menschen schon früh parallel zur Schule Kontakt mit dem Beruf vermittelt. Sie sind damit eher motiviert, als wenn man sie nur im Klassenzimmer unterrichten würde. Es ist wichtig, dass auf individuelle Begabungen Rücksicht genommen wird, die in dieser Gesellschaft gebraucht werden. Es macht also keinen Sinn, auf diese Schulform zu verzichten.
ECHO: Die CDU hat angekündigt, in den beiden nächsten Jahren jeweils tausend Lehrer, Verwaltungskräfte und Sozialpädagogen in Hessen einzustellen. Wieso kommt die Maßnahme erst jetzt, obwohl Lehrer doch schon lange fehlen?
Koch: Wir haben in den vergangenen Jahren kontinuierlich tausende von Lehrern eingestellt. Wir haben zusätzliche Referendarstellen geschaffen. Wir haben auch eingeführt, dass die Schulen selbst Lehrer einstellen dürfen, die zu ihnen passen. Diese Entwicklung soll fortgesetzt werden, obwohl die Zahl der Grundschüler schnell zurückgehen wird. Dass zehn Prozent des Unterrichts einfach ausfallen, wie bei meiner Amtsübernahme 1999, das gibt es schon lange nicht mehr. Heute haben wir andere Probleme, etwa immer mehr Ganztagsschulen, die mehr Management und damit auch mehr Personal brauchen. Wir wollen in den Grundschulen die Klassen kleiner machen. Zudem werden in bestimmten Städten und Stadtvierteln Sozialarbeiter benötigt.
ECHO: Dem deutschen Bildungssystem werden in internationalen Studien immer wieder Defizite bescheinigt. Ist es überhaupt noch zeitgemäß, dass in 16 Bundesländern jeweils ein Kultusminister den Ton angibt? Oder sollte dies im Europa der 27 Mitgliedsländer nicht zentral geregelt werden?
Koch: Ich glaube, dass wir in Deutschland bisher gut damit gefahren sind, die Bildungspolitik in den Händen der Bundesländer zu lassen. Wettbewerb belebt das Geschäft, und wir wissen inzwischen, wie erfolgreiche Länder handeln. Wenn wir in Deutschland dagegen einheitlich das Niveau von Bremen hätten, müssten wir ein tiefes Loch graben, um uns in Studien wiederzufinden. So müssen sich alle – und nicht nur die Bremer – anstrengen.
ECHO: Nun hat sich das Thema Bildung bei der letzten Landtagswahl gegen Sie gewendet. Ist das auch der Grund für Ihre plötzliche Abkehr von Studiengebühren?
Koch: Die Studiengebühren waren zweifellos wichtig für die Entscheidung vieler Wähler im vergangenen Januar. Wir haben das Signal aufgenommen, das uns die Bürger gegeben haben. Am vergangenen Wochenende hat sich nach der CDU auch die FDP entschieden, auf Studiengebühren verzichten zu wollen. Wir werden auf dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode also nicht zurückkommen. Das fällt uns nicht leicht, und wir müssen aufpassen, dass die hessischen Universitäten und Hochschulen hierdurch keine Wettbewerbsnachteile haben werden. In der Demokratie muss man aber auch zuhören und nicht nur mit dem Kopf durch die Wand wollen. Wir als CDU wollen das jedenfalls beherzigen.
ECHO: Sie plädieren dafür, das Kernkraftwerk in Biblis – entgegen den Vorgaben des Atomausstiegs – länger am Netz zu lassen und diese Energieform sogar noch auszubauen. Bleiben Sie dabei?
Koch: Kernenergie ist nur eine Übergangstechnologie. Aber es müssen zunächst andere Energieträger entwickelt werden, bevor wir guten Gewissens aussteigen können. Die hessische SPD behauptet, dass die 60 Prozent aus der Energieproduktion in Biblis und die 30 Prozent aus den Kohlekraftwerken durch regenerative Energien in fünf Jahren einfach ersetzt werden können – doch das ist falsch und stößt auch bei SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf Widerspruch. Solange die Anlage in Biblis den internationalen Sicherheitsstandards entspricht, wäre es unklug, sie abzuschalten.
ECHO: Für den Fall, dass Sie Regierungschef bleiben: Wann werden die ersten Flugzeuge auf der neuen Nordwestbahn des Frankfurter Flughafens landen?
Koch: Die Verwaltung hat ihre Aufgaben gemacht, nun ist es auch an den Gerichten, dies zu entscheiden. Wenn CDU und FDP am 18. Januar erfolgreich sind, dann wird es bei 2011 bleiben – verbunden mit der Schaffung von 40000 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Bei einem Erfolg von Rot-Rot-Grün würde sich alles massiv verzögern. Zumindest das.
ECHO: Welche Erkenntnisse hat Ihnen das Jahr als geschäftsführender Ministerpräsident gebracht?
Koch: Es war zweifellos ein schwieriges Jahr. Es musste eine kontinuierliche Regierungstätigkeit geben, obwohl aus dem Parlament keine einheitlichen Signale zu empfangen waren. Die geschäftsführende Regierung ist eine Notregelung der Verfassung, und so muss es auch bleiben. Ich freue mich, dass zwei Drittel der Hessen uns bescheinigen, als Landesregierung in dieser Zeit einen guten Job gemacht zu haben. Für das Land ist es aber natürlich wichtig, wenn es bald wieder eine Regierung mit einer klaren parlamentarischen Mehrheit, schneller Handlungsfähigkeit und Stabilität gibt.
ECHO: Was wünschen Sie Andrea Ypsilanti?
Koch: Ruhige Weihnachten.