Koch: „In der Politik gibt es keine Wunder“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Süddeutschen Zeitung
SZ: Herr Ministerpräsident, als Katholik müssten Sie eigentlich jede Woche eine Kerze anzünden, um sich für Ihre politische Wiederauferstehung zu bedanken.
Koch: In der Politik gibt es keine Wunder. Aber natürlich habe ich auch Glück gehabt, dass die hessische SPD sich so verrannt hat, ihr Wort gebrochen hat und am Ende gescheitert ist.
SZ: Haben Sie sich den zweiten Anlauf Andrea Ypsilantis gewünscht?
Koch: Ich habe immer gesagt, dass wir innerhalb eines Jahres zu einer Klärung der Situation kommen sollten, weil eine lange Hängepartie für ein Land nicht gut sein kann. Frau Ypsilanti hatte sich alle anderen Auswege kunstvoll verbaut. Insofern wusste ich immer, dass es einen zweiten Anlauf geben würde. Ich wusste nur nie, wann und wie er endet.
SZ: Hat Sie dieses Jahr unter einer Extremsituation verändert?
Koch: Das können alle um mich herum besser beurteilen als ich. Ich musste die Regierungsgeschäfte am Laufen halten, und das vor dem Hintergrund eines ständigen emotionalen Auf und Ab. Die innere Verfassung vom Wahltag an war eine Berg- und Talfahrt, mein Handeln musste aber eine kontinuierliche, gerade Linie sein. Das hat auch viel Kraft gekostet. Manche sagen allerdings, ich sei zurückhaltender geworden.
SZ: Wie oft haben Sie gedacht: So, das war es jetzt?
Koch: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Am schwersten war sicherlich der Wahlabend. Bei solch einem Ergebnis kann man ja nicht sagen, das ist Schicksal. Wahlergebnisse haben immer auch mit persönlicher Verantwortung zu tun. Über Monate haben wir dann immer geschaut, wie wahrscheinlich es ist, dass der von Frau Ypsilanti eingeleitete Wortbruch funktioniert. Ich habe immer gespürt und gesagt, dass die Konstellation extrem instabil ist.
SZ: Sie haben die linke Landtagsmehrheit nicht über einen Formfehler im Gesetz zur Abschaffung der Studiengebühren informiert und dann überraschend die Unterschrift verweigert. War das eine gezielte Provokation, um den zweiten Anlauf zu beschleunigen?
Koch: Die Frage, ob die SPD geschlossen ist oder nicht, war letztlich nicht durch mich zu beeinflussen. Ich habe aber in Kauf genommen, dass sich der Gärungsprozess innerhalb der SPD beschleunigt hat. An dieser Beschleunigung hatte ich ein strategisches Interesse, auch wenn sie vielen in meiner Partei Sorgen gemacht hat. Einerseits ist eine solche Phase für ein Land mit jedem Monat problematischer, andererseits hätten Gewöhnungsprozesse an die Linke aber diejenigen SPD-Abgeordneten mit Grundsätzen, die sich am Ende dagegen entschieden haben, eher in Schwierigkeiten gebracht. Es war also nicht im Landes- und in meinem Interesse, die andere Seite Zeit gewinnen zu lassen. Auch wenn es auf drei Monate länger als geschäftsführender Ministerpräsident nicht angekommen wäre. Mein Ziel war, die Verhältnisse zu klären, mit einer Chance, sie auch zu meinen Gunsten zu klären.
SZ: Danach sieht im Moment alles aus. Statt hemmungslos zu polarisieren wie im Januar, können Sie jetzt den Staatsmann geben.
Koch: In Wahlkämpfen kann es – wo auch immer- natürlich polarisierende Situationen geben. Dieser Wahlkampf steht aber unter völlig anderen Vorzeichen. Zum einen konnten die Bürger wegen der ständigen medialen Präsenz neun Monate ihr Land sehr genau beobachten. Sie wissen jetzt genau, was sie von den einzelnen Parteien und deren Akteuren zu halten haben. Zweitens drängt die schwere Wirtschaftskrise alles andere in den Hintergrund. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht über Schule oder innere Sicherheit sprechen.
SZ: Die Krise als Gottesgeschenk?
Koch: Das weiß ich nicht. Gäbe es sie nicht, würden wir noch mehr über die SPD, den Wortbruch und die Inhalte des rot-grünen Koalitionsvertrags reden.
SZ: Ihr großes Thema vom Januar, die Kriminalität junger Ausländer, erwähnen Sie derzeit nicht einmal. Weil Sie erst darüber geredet haben, dann aber ein Jahr lang nichts passiert ist?
Koch: Auf der Ebene des nationalen Rechts ist nichts passiert, weil die sozialdemokratischen Kollegen weiterhin nicht bereit sind, aktiv mitzuwirken. Aber wo wir in Hessen selbst etwas tun können, haben wir sehr entschieden gehandelt. Unmittelbar nach der Wahl wurde eine weitere Einrichtung für den Jugendarrest geschaffen. Wir haben heute außerdem Vereinbarungen mit einer Reihe von Kommunen, Häuser des Jugendstrafrechts einzuführen.
SZ: Die Häuser des Jugendrechts hat die SPD schon 2006 beantragt – und neue Richter und Staatsanwälte sind nicht dazugekommen.
Koch: Doch, bei den Häusern des Jugendrechts sind wir in Deutschland ganz vorne und wir haben jetzt mehr Stellen in den Bereichen des Strafrechts und der Verfahren.
SZ: Geringfügig – und nur durch Umschichtungen.
Koch: Ja, selbstverständlich. Wir können ja nicht an jeder Stelle, wo wir ein Problem haben, Geld reinpumpen.
SZ: Sie streben eine schwarz-gelbe Mehrheit an. Was ist von Ihrer nach der Wahl so plötzlich entdeckten Liebe zu den Grünen übriggeblieben?
Koch: Durch ihre Erfolge in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD sind die Grünen momentan nicht in der Lage, Kompromisse zu machen, wie es sie etwa in Hamburg gegeben hat. Denken Sie daran, dass der Ausbau des Frankfurter Flughafens massiv verzögert würde, den des Flughafens Kassel-Calden hat die SPD sogar ganz geopfert. Wenn man es schafft, einen Partner so über den Tisch zu ziehen, dann ist das Adrenalin in einer Partei sehr stark. Trotzdem möchte ich nicht zurückkommen zu den Verhältnissen, die wir gehabt haben. Wir regieren auf kommunaler Ebene intensiver mit den Grünen als in allen Bundesländern, Hamburg ausgenommen.
SZ: Ist es für die Union insgesamt notwendig, sich Richtung Grüne zu öffnen?
Koch: Ich will nicht, dass gerade in jüngeren Familien diskutiert wird, als ob man sich entscheiden müsse zwischen fortschrittlicher Technologie und Schutz des Planeten. Das sind beides Themen, die uns als CDU am Herzen liegen.
SZ: Die hessische CDU ist ein sehr konservativer Landesverband. Sie selbst mögen die Notwendigkeit eines Dialoges sehen, aber was ist mit Ihrer Basis?
Koch: Die Härte der hessischen Auseinandersetzung führt sicher dazu, dass das in den Parteien nicht besonders leicht ist. Inzwischen arbeiten aber viele verantwortliche Politiker der hessischen CDU kommunal erfolgreich mit den Grünen zusammen. Was da herauskommt, können wir uns in einigen Jahren angucken, das ist kein Thema der nächsten Monate.
SZ: Die vergangenen Monate waren Sie in der Defensive. Falls Sie die Wahl gewinnen, werden Sie dann auch auf Bundesebene wieder offensiver agieren?
Koch: Man darf das nicht überbewerten, aber über das Ergebnis des Bundesparteitags habe ich mich natürlich sehr gefreut. Aber am Paket zur Bewältigung der Finanzkrise habe ich in Zeiten mitverhandelt, als SPD, Grüne und Linkspartei in Hessen an ihrem Bündnis bastelten. Dennoch ist es natürlich besser, über Mehrheiten im Landtag zu verfügen.
SZ: Das heißt, die Zeit der Zurückhaltung ist vorbei.
Koch: Ich habe keinen Anlass zu besonderen Profilierungsbemühungen auf Bundesebene. Man könnte sagen: Aus dem Alter bin ich raus.
SZ: Die CSU dringt auf rasche Steuersenkungen, während Kanzlerin Merkel bis nach der Bundestagswahl warten will. Wofür stehen Sie?
Koch: Ich glaube nicht, dass jetzt die Zeit ist für Steuersenkungen, also in Wahrheit für große Steuerreformen. Wir sind auf dem Weg, gerade so die Rechnungen für unser relativ gutes Leben bezahlen zu können, statt sie ständig an unsere Kinder weiterzugeben. Daran darf sich nichts ändern. Und in den nächsten zwei Jahren brauchen wir erst einmal kurzfristig sehr viel Geld, um in der Krise gegenzusteuern. Wir sind im Moment dabei, ein Feuer zu löschen, da sollten wir keinen Architekturwettbewerb ausschreiben.
SZ: Also keine raschen Steuersenkungen?
Koch: Selbst die schnellste Steuersenkung kann vor 18 Monaten nicht wirken. Wir brauchen jetzt aber Maßnahmen, die in den nächsten drei, vier, sechs Monaten wirken. Wir werden im Januar nicht wissen, was wir im Sommer brauchen. Wir haben deshalb hier in Hessen entschieden, dass wir sehr schnell etwas gegen den abzusehenden Auftragsausfall der Bauindustrie tun. Auch der Automobilindustrie müssen wir helfen, ebenso der Kreditwirtschaft. Ich rate sehr dazu, uns auf diese Probleme zu konzentrieren – obwohl CDU und CSU gemeinsam der Auffassung sind, dass wir eine Steuerreform brauchen. Ich habe nur große Zweifel, dass wir mit der SPD vernünftige Ergebnisse erzielen können. Und eine schnelle Wirkung ist halt ausgeschlossen.