Koch: „In kritischer Lage die Nerven bewahren“
Hessens Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten
Stuttgarter Nachrichten: Herr Koch, Sie hadern mit der Entscheidung aus Karlsruhe, drängen aber darauf, sie schnellstens umzusetzen – warum?
Roland Koch: Weil wir den Bürgern in dieser Zeit, in der es eine so starke Verunsicherung und so vielfältige Diskussionen über steuerliche Maßnahmen gibt, eine weitere zermürbende Debatte ersparen sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil gefällt; dieses haben wir alle in der Politik zu akzeptieren. Und die Tatsache, dass durch das Urteil ein Rückzahlungsanspruch für zwei Jahre für die Pendler entsteht – zusätzlich dazu, dass sie die Pauschale von 2009 an ohnehin wieder nutzen können –, sollten wir jetzt nutzen, um dadurch einen konjunkturellen Impuls zu erzielen. Deshalb dringe ich darauf, das Geld in den ersten drei Monaten 2009 an die Pendler auszuschütten. Maximal bedeutet das bis zu 700 Euro Entlastung.
Stuttgarter Nachrichten: Macht die Entlastung Konjunkturimpulse wie etwa Konsumgutscheine unnötig?
Roland Koch:Die deutsche Wirtschaft braucht andere Dinge dringender als kurzfristige Impulse. Wenn jedoch ohnehin ein Anspruch der Bürger besteht, dann bin ich dafür, ihn doch so zu nutzen, dass er in dieser Konjunktur zusätzlich hilfreich sein kann.
Stuttgarter Nachrichten: Wäre es nicht angemessen, die Bürger in der Krise steuerlich umfassend zu entlasten?
Roland Koch:Ich bleibe bei der Auffassung, dass die Steuerreform ein grundsätzlich wichtiges Projekt ist und dass wir die Steuerpolitik ändern müssen. Aber ich halte sie nicht für das geeignete Mittel, die gegenwärtige Weltkonjunkturkrise abzumildern. Dafür müssen wir kurzfristigere und schneller wirkende Maßnahmen ins Auge fassen – so wie es das Konjunkturprogramm beinhaltet, das wir vor wenigen Tagen beschlossen haben. Und wir werden im Januar – und ich fürchte nicht nur im Januar – darüber sprechen müssen, welches der nächste richtige Schritt ist, nach Analysierung der dann eingetretenen Lage. Da wir nicht wissen, wie diese weltweite Krise sich entwickelt, ist es illusorisch, zu glauben, jetzt einen Plan für die ganze Krise entwickeln zu können. Stattdessen müssen wir Stück für Stück schauen, wie wir Deutschland da hindurch bringen. Die Ausgangslage ist im Vergleich mit anderen Nachbarn übrigens gar nicht so schlecht – wenn wir auf die Verschuldungsquote der letzten Jahre, die Kaufkraft, die Sparrate und den Zustand unserer Industrie schauen.
Stuttgarter Nachrichten: Die Leute sollen konsumieren, was das Konto hergibt – während der Staat welche weiteren Rettungsschirme aufspannt?
Roland Koch:Erstens sind Gebäudesanierungsprogramme wichtig, damit die Bauindustrie ausgelastet bleibt. Zweitens müssen die Finanzmärkte in der Lage bleiben, Unternehmen die Kredite zu geben, die sie brauchen. Drittens muss die starke deutsche Automobilindustrie mit ihren Zulieferern gestützt werden, weil nun mal alle Konjunkturen der Welt gleichzeitig in Schwierigkeiten geraten sind. Das alles geschieht in dem Wissen, sicherlich im Frühsommer nicht sagen zu können: Wir haben doch schon im Januar alle Programme beschlossen. Darum sollten wir im Januar so vorsichtig agieren, dass wir auch später noch eingreifen können.
Stuttgarter Nachrichten: Brauchen wir ein regelmäßiges Krisenkontrollregime?
Roland Koch:Ich will keine neue Zeitenfolge ankündigen. Aber zur Besonnenheit gehört, die aktuelle Lage zu beurteilen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen, so wie es Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück tun. Die ehrlichste Botschaft an die Bürger lautet: Die Politik kann die Krise nicht mit einem großen Schlag lösen. Die Menschen sollten in kritischer Lage die Nerven bewahren. Das gilt aber nur, wenn Politiker zeigen, dass sie sie selbst auch nicht verlieren.