Koch: „Im Interesse unserer Kinder und Enkel: Wir dürfen jetzt nicht wieder fröhlich Schulden machen“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Rheinischen Post
Rheinische Post: Riesen-Wahlschlappe Anfang 2008, Neuwahlen in wenigen Wochen mit guten Wiederwahl-Chancen. Sind Sie, wie die Amerikaner das nennen, ein politisches „Comeback kid“?
Roland Koch: Das mit dem Kid ist jenseits der 50 etwas übertrieben, aber sicherlich halten es viele für verwunderlich, dass man schwierige politische Situationen auch durchstehen kann und dennoch die Freude an der Politik behält.
Rheinische Post: Christian Wulff zählt Sie zusammen mit Merkel und Müntefering zu den drei politischen Alphatieren der Republik. Gesagt ist gesagt, und ’ne Beleidigung ist es ja auch nicht, oder?
Koch (schmunzelt): Eine gute Zusammenfassung.
Rheinische Post: Ist der ökonomische Ordnungspolitiker Koch in der Krise und im nahen Wahljahr plötzlich zum Staatsinterventionisten geworden?
Koch: Der Staat ist in unserer Wirtschaftsordnung nicht ohne Funktion, sondern vielmehr als Rahmengeber tätig. Es gibt zum Beispiel fast keine moderne Innovation in Deutschland mehr, ohne dass es dafür zuvor staatliche Entwicklungsgelder gegeben hätte. Wir geben auch mittelständischen Betrieben Kredite zur Erweiterung. Der Staat ist in der Sozialen Marktwirtschaft nicht das mit verschränkten Armen daneben stehende Neutrum. Die Grenze der Verantwortung des Staates festzulegen, ist in der Krise freilich schwierig.
Rheinische Post: Unternehmenszusammenbrüche pflastern den Weg der Wirtschaftsgeschichte. Der Textilindustrie am Niederrhein wurde damals nicht geholfen. Warum denn dann jetzt Opel?
Koch: Es darf keine Versuche geben, die Automobilfirmen unter Naturschutz zu stellen, weil man Autos gerne hat. Zur jetzigen Situation: Viele Zulieferer sind technologische Weltspitze. Sie würden dennoch zu Grunde gehen im Zuge der Autokrise, obwohl sie gute Produkte herstellen. Darum muss man sich um Opel kümmern. Wir können nicht Daimler, BMW, VW und auch Opel mit Staatsgeldern retten. Aber wir können eine Hilfe leisten, wenn über 25 000 Arbeitsplätze bei Opel auf dem Spiel stehen, weil es in einen US-Konzern verstrickt ist, der Opel herunterreißen könnte. Die Produkte von Opel sind gut und haben eine Marktchance. Deshalb muss der Staat helfen. Sonst verlöre er auch ’zigtausende Steuerzahler.
Rheinische Post: Müssen die strengen Klimaschutz-Ziele der Europäischen Union zu Gunsten unserer Autoindustrie aufgeweicht werden?
Koch: Es geht nicht um die Alternative Jobs oder Klimaschutz. Aber wir müssen als Europäer aufpassen, dass wir nicht die letzten drei Prozent eines weltweiten Klimaproblems bekämpfen, während wir mit dem gleichen Geld an anderer Stelle 20 oder 30 Prozent bekämpfen könnten. Aber zugleich darf man den Druck nicht von der Industrie nehmen, klimaverträglichere Automobile auf den Markt zu bringen. Da können wir Deutschen nämlich auch Weltspitze werden. Es hat also keine Zukunft, Automobilbau gegen Klimaschutz auszuspielen.
Rheinische Post: Der Druck auf die Bundeskanzlerin, schnell Steuern zu senken wird immer stärker. Hält sie dem Druck stand? Soll sie das?
Koch: Das Rufen nach Steuersenkungen ist sehr wohlfeil geworden. Wir brauchen mittelfristig ein einfacheres, gerechteres Steuersystem, aber es gibt auch das konkurrierende Ziel stabiler Haushalte. Deshalb müssen wir die Reihenfolge einhalten.
Rheinische Post: Also Steuersenkungen im Prinzip ja, aber nicht jetzt. Warum machen wir nicht, was die Briten uns vormachen, nämlich die Mehrwertsteuer drastisch senken?
Koch: Die Krise darf nicht dazu führen, dass wir jede Rücksicht auf die nächste Generation fahren lassen. Wir haben uns gerade aus einem katastrophalen Strudel der Staatsverschuldung ein bisschen emporgearbeitet, sind aber noch längst nicht da, wo wir hin müssen. Die Haushalte müssen auf Dauer in Ordnung gebracht werden. Deshalb sollten wir steuerpolitisch jetzt nicht panikartig handeln. Wir leben mit unseren Erwartungen seit drei Jahrzehnten Jahr für Jahr über unsere Verhältnisse und auf Kosten unserer Kinder und Enkel. Wir dürfen jetzt nicht wieder fröhlich von neuem Schulden machen. Ich habe die Sorge, dass viele am liebsten wieder mit Spendierhosen durch die Landschaft laufen würden.
Rheinische Post: Ist es denn in Ordnung, dass die Kanzlerin dem letzten deutschen Verbraucher mit ihren düsteren 2009-Prognosen den Mut nimmt?
Koch: In einer schwierigen Situation ist das Vertrauen der Bevölkerung besonders wichtig. Das hat Angela Merkel. Und es ist ganz wichtig, dass die Kanzlerin einerseits Schwierigkeiten nicht verheimlicht; andererseits mithilft, dass weder Politiker noch Bevölkerung jetzt in Panik verfallen, und alles, was wir vor ein paar Monaten etwa zum Schuldenabbau gesagt haben, auf einmal für Unsinn erklärt wird. Den Abbau der Staatsverschuldung kann man nicht nebenbei erledigen, er bleibt eine gewaltige Herausforderung. Wir dürfen nicht alle Prinzipien, die wir zu Gunsten der kommenden Generationen aufgestellt haben, plötzlich über den Haufen werfen.
Rheinische Post: Sind eigentlich Arbeitsrechtsreformen wie etwa eine Lockerung des Kündigungsschutzes für die CDU endgültig vom Tisch?
Koch: Nein, aber wir dürfen nicht noch einmal wie im Wahlkampf 2005 missverstanden werden. Lockerungen des Kündigungsschutzes darf es wie im dänischen Modell nur bei gleichzeitig längerem Bezug von Arbeitslosen-Unterstützung geben. Damit fahren die Dänen glänzend, davon können wir lernen.
Reinhold Michels führte das Interview.