Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit Spiegel Online
SPIEGEL ONLINE: Herr Ministerpräsident, Andrea Ypsilanti steht für eine neue Spitzenkandidatur in Hessen nicht zur Verfügung. Nun soll Thorsten Schäfer-Gümbel die Partei anführen. Ein ernst zu nehmender Gegner?
Koch: Die Wähler werden sehen, dass sich an der Grundentscheidung der hessischen SPD, eine Politik ganz links außen zu machen, nichts geändert hat. Da, wo jetzt Schäfer-Gümbel draufsteht, ist nach wie vor Ypsilanti drin. Deshalb wird der extreme Linkskurs der Hessen-SPD natürlich weiter Thema sein. Meine Gegner habe ich übrigens immer ernst genommen, das bleibt auch jetzt so.
SPIEGEL ONLINE: Ypsilantis Rückzug ist also aus ihrer Sicht rein taktisch und kein Beitrag zur Versachlichung der politischen Debatte in Hessen?
Koch: Wenn jetzt behauptet wird, das sei ein Neuanfang, ist das schon wieder eine neue Täuschung. Die wahren Machtverhältnisse in der hessischen SPD sind doch so, dass Andrea Ypsilanti nach wie vor alle Zügel in der Hand hat. Sie bleibt Fraktions- und Landeschefin, woran sie ja gestern hat keinen Zweifel aufkommen lassen, und der Spitzenkandidat bekundet gleichzeitig seine volle Loyalität zu ihr. Was da als rot-grüner Koalitionsvertrag mit Unterstützung der Linken verabredet wurde, würde doch morgen wieder aus der Schublade geholt, wenn es eine Mehrheit gäbe. Die gesamte Wirtschaftsstruktur des Landes ist nach wie vor genauso in Gefahr, der Ausbau der Flughäfen und der Weiterbau der Autobahnen bedroht. Es droht außerdem eine ideologisierte, gleichmacherische Schulpolitik. Die Wähler haben nun die Chance, mit viel größerer Klarheit darüber abzustimmen, was die Ypsilanti-SPD wirklich will. Das ist eine große Chance.
SPIEGEL ONLINE: Franz Müntefering hat seine hessischen Genossen aufgefordert, Ypsilantis Wortbruch als Fehler einzugestehen. Sie selbst hat das inzwischen in einem Interview auch getan. Erste Schritte in einer Versachlichung der politischen Debatte in Hessen?
Koch: Wenn 80 Prozent der Bürger Ypsilantis Verhalten klar verurteilen, spricht manches dafür, dass das in den höheren Parteikreisen irgendwann Wirkung erzielt. Aber Müntefering und Steinmeier müssen sich auch was anderes fragen: Wo war denn die deutsche SPD-Führung in den letzten acht Monaten?
SPIEGEL ONLINE: Da lag die Verantwortung aber die meiste Zeit bei Kurt Beck. Müntefering und Steinmeier haben Ypsilanti dagegen immer kritisiert. Nehmen Sie der neuen Führung die Beteuerung nicht ab, dass sie im Bund nicht mit den Linken kooperieren würden?
Koch: Die Entscheidung der Bundes-SPD, den Wortbruch in Hessen hinzunehmen, zu tolerieren, abzutauchen – wie immer man das nennen will – ist eine Entscheidung, die die Glaubwürdigkeit der SPD entscheidend zerstört hat. Wenn es drauf ankommt, wird man lieber machtpolitisch agieren als prinzipienfest bleiben. Aber wir müssen die Frage ja nicht nur theoretisch diskutieren. Schon bei der Bundespräsidentenwahl wird die SPD-Kandidatin Gesine Schwan die Stimmen der Linkspartei dankbar entgegennehmen.
SPIEGEL ONLINE: Übertreiben Sie da nicht? Die Linke hat doch mit Peter Sodann einen eigenen Kandidaten aufgestellt – auch aus Ärger darüber, dass Gesine Schwan die Linke zum Teil massiv kritisiert hat.
Koch: Wenn die Linke den Hauch einer Chance für Schwan sieht, wird sich Sodann auf Befehl von oben schnell nach Halle zurückziehen.
SPIEGEL ONLINE: Am 18. Januar wird es in Hessen nun Neuwahlen geben. Viele Kommentatoren meinen, die Wahl sei im Grunde für die CDU schon gelaufen – sehen Sie das auch so?
Koch: Das Schlimmste, was Politikern passieren kann, ist, wenn behauptet wird, Wahlen seien schon gelaufen. In Hessen waren die Ergebnisse immer besonders knapp. Da gab es in der Geschichte nur selten Ergebnisse mit großen Mehrheiten. Ein Wahlsieg der CDU ist also keine Selbstverständlichkeit. Aber die Wahl hat einen Vorteil: Die Wähler haben erlebt, wie ihr Votum vor zehn Monaten von der SPD missbraucht worden ist und können daraus ihre Schlüsse ziehen.
SPIEGEL ONLINE: Der Wahlkampf, den Sie vor einem Jahr in Hessen führten, wurde auch von CDU-Politikern scharf kritisiert. Vor allem ihre Kampagne gegen „kriminelle Ausländer“ stieß auf Kritik. Was werden Sie dieses Mal anders machen?
Koch: Jeder Wahlkampf ist anders, und die vorgezogene Wahl ist eine ganz spezielle. Die Wähler werden nämlich vor allem die Frage stellen, wie man die „hessischen Verhältnisse“ wieder beseitigen kann. CDU und FDP werden die Einzigen sein, die sagen: So wollen wir regieren. Wir wollen ein Bündnis aus Union und Liberalen mit einer Mehrheit versehen. Andere werden herumeiern und erklären, man sei politisch nach allen Seiten offen, weil die SPD nicht zugeben will, dass sie wieder ein Bündnis mit den Linken anstrebt. Wir bieten eine berechenbare und stabile Politik auf der Basis einer Koalition aus CDU und FDP.
SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle werden Sachthemen spielen?
Koch: Da wird es sehr stark um die Verkehrsinfrastruktur gehen. Viele Bürger im Norden Hessens als auch im Rhein-Main-Flughafengebiet haben bitter erfahren müssen, dass es nicht egal ist, wer regiert. Denn die SPD hat ja alles aufgegeben, was für Wirtschaft und Arbeitsplätze wichtig ist. Auch die Bildungspolitik spielt eine große Rolle. Da geht es um die Frage, ob Menschen mit unterschiedlichen Begabungen noch eine Chance haben werden in dem Land oder ob die große Gleichmacherei beginnt. Verkehr, Bildung, Innere Sicherheit: Da entscheidet sich die Kompetenz einer Landesregierung.
SPIEGEL ONLINE: Ypsilanti hat sich zwar verkalkuliert, Hessen bleibt aber politisch gespalten. Möglicherweise stellt sich nach der Wahl wieder die Frage einer Dreierkoalition. Ist ein Jamaika-Bündnis, also CDU, FDP und Grüne in einer Regierung, für Sie eine Option oder nur ein Lieblingsthema von Journalisten?
Koch: Wir arbeiten für ein Bündnis mit der FDP. Denn wir wollen natürlich eine Situation schaffen, in der es keinen riesigen Spagat erfordern würde, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Aber wir verhehlen auch nicht, dass die beginnenden Diskussionen zwischen CDU und den Grünen nicht wieder erlöschen werden.
SPIEGEL ONLINE: Was steht im Zentrum dieser Diskussion?
Koch: Mein Ziel ist es, in der CDU eine Programmatik zu entwickeln, die Menschen nicht vor den vermeintlichen Zwang stellt, sich zwischen mehr Wohlstand haben wollen oder Schonung des Planeten entscheiden zu müssen. Wir müssen eine Idee verwirklichen, in der soziale Sicherheit und Wohlstand möglich sind, ohne unsere Umwelt zu zerstören. Solche Überlegungen werden in der Politik der CDU eine immer größere Rolle spielen. Und das wird uns die Gespräche mit den Grünen sicher nicht schwerer machen. Dort sind manche Gräben zugeschüttet worden. Das bleibt allerdings trotzdem, wie wir in der Verkehrsinfrastruktur sehen können – Stichwort: Flughäfen – kein leichter Weg. Unsere Priorität ist deshalb klar: Wir wollen eine Koalition mit der FDP. Und es gibt einen messerscharfen Trennungsstrich zur Linken, die in unserer Demokratie nicht angekommen ist.
SPIEGEL ONLINE: Vor allem zwischen Ihnen und dem Fraktionschef der hessischen Grünen, Tarek Al-Wazir, scheint es auch persönliche Verletzungen gegeben zu haben. Nun hört man von einer langen Aussprache unter vier Augen – können Sie dazu etwas sagen?
Koch: Tarek al-Wazir und ich reden seit langer Zeit durchaus auch lange miteinander. Im Laufe dieses Sommers hat es auch solche Gespräche gegeben. Ansonsten ist die Frage unseres persönlichen Verhältnisses immer überbewertet worden. Wir sind nicht befreundet, aber wir sind beide Personen, die verantwortlich und rational Politik machen.
SPIEGEL ONLINE: Der designierte Grünen-Chef Cem Özdemir schließt ein Bündnis seiner Partei mit der CDU in Hessen auch nicht mehr aus. In Hamburg gibt es bereits eine schwarz-grüne Koalition. Mit Erfolg?
Koch: Wir beobachten das alles, aber es verändert unsere Blickrichtung nicht, die der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust auch gehabt hätte: Wir streben Mehrheiten an, in denen wir möglichst viel von unseren Inhalten umsetzen können. In Hessen wie im Bund ist eine bürgerliche Mehrheit erreichbar, dann sollten wir sie auch anstreben.
SPIEGEL ONLINE: Die hessischen Grünen fordern, dass sich der Ton der CDU ändern müsse, wenn man zueinander finden wolle. Nun hat sich ihr Landesverband immer als Kampfverband der Union verstanden und war auch stolz darauf. Wie soll sich diese Haltung innerhalb weniger Monate ändern?
Koch: Wir richten unsere Politik nicht danach aus, ob sie den Grünen besonders gut gefällt. Die Grünen sollen unsere Politik aber vernünftig bewerten. Ich habe in den vergangenen Monaten eine Nachhaltigkeitsstrategie für unser Bundesland entwickelt, bei der auch die grünen Vertreter zugestimmt haben – weil sie richtig ist. Wir haben in der Landesregierung ein breites Netzwerk gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen zur Beratung einer solchen Politik aufgebaut. An diesem Punkt muss das Nachdenken bei den Grünen ansetzen.
SPIEGEL ONLINE: Der Wahlkampf wird sehr kurz sein. Ein Jahr lang ging im Land politisch kaum etwas vor oder zurück – die hessischen Verhältnisse sind sprichwörtlich. Müssen Sie nicht mit einer unterirdisch schlechten Wahlbeteiligung rechnen?
Koch: Ich erhoffe mir das Gegenteil. Selten haben Bürger gesehen, wie einflussreich sie werden können. Die Bürger haben die jetzige Situation lange ertragen und beobachtet und können sie am 18. Januar verändern. Sie haben auch gesehen, dass der oft vermittelte Eindruck, es sei im Grunde egal, wer gewinnt, objektiv falsch ist.
SPIEGEL ONLINE: Gab es in den vergangenen zehn Monaten einen Moment, wo Sie dachten: Die Ypsilanti schafft es? Oder fühlten Sie sich eigentlich immer sicher?
Koch: So arrogant bin ich nicht, und so sollte man als Politiker auch nicht denken. Ypsilanti hatte die Wahl zwar nicht gewonnen. Aber sie hat mehr erreicht, als mir lieb sein konnte. Ich habe eine Niederlage eingesteckt und das Wahlergebnis durchaus im wörtlichen Sinne als Denkzettel begriffen. Wichtige Ziele hatte ich nicht erreicht, und um das Vertrauen der Wähler wiederzugewinnen, mussten die CDU und ich persönlich Konsequenzen ziehen. Aber das haben wir dann auch getan.
Das Interview führte Claus Christian Malzahn.