Koch: „Die Bevölkerung hat einen klaren Wunsch nach Neuwahlen. Wenn das Parlament meint, die Sache noch selbst regeln zu können, muss es sie schnell regeln.“
Ministerpräsident Roland Koch im Welt-Interview
WELT ONLINE: Ihr Sprecher hat kürzlich gesagt, Sie kämen auch als UN-Generalsekretär in Frage. Streben Sie den Job noch an?
Roland Koch: Das hat er aus staunender Verzweiflung gesagt, weil er jeden Tag neue Vorschläge für meine berufliche Zukunft kommentierten musste. Es ist gut, für ihn und für mich, dass die journalistische Suche nach neuen Ämtern für mich jetzt erst einmal zu Ende ist.
WELT ONLINE: Sie haben im Interview auf WELT ONLINE vor Wochen vorhergesagt, dass sich am Ende Sozialdemokraten auf ihr Gewissen besinnen werden. Woher wussten Sie, dass es so kommen musste?
Koch: Die Behauptung der SPD-Führung, alles sei geklärt, habe ich nie geglaubt. Die Bedenken unter den SPD-Abgeordneten hier im Landtag war mit den Händen zu greifen – es ist bemerkenswert, wie sich die SPD-Fraktionsführung gegen die Stimmungslage vieler ihrer eigenen Leute abgeschottet hat oder sie gar nicht mehr wahrgenommen hat.
WELT ONLINE: Sie werden bald nicht mehr geschäftsführender Ministerpräsident sein. Wie sehr hat es Sie belastet, ein Amt auszuüben, für das Sie die Mehrheit verloren hatten?
Koch: Als Parteipolitiker habe ich mich geärgert, dass wir eine Wahl verloren haben. Persönlich habe ich mich darüber hinaus sehr geärgert, dass eigenes Zutun zu dieser Niederlage beigetragen hat. Aber was ich im Amt des Ministerpräsidenten tue, ist nicht nur Politik, sondern auch Staatsdienst – hier habe ich ein durchaus preußisches Amtsverständnis. Hessen ist in den vergangenen Monaten nicht in Entscheidungslosigkeit und Instabilität versunken. Das war wichtig: Denken Sie an mein Mitwirken beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das für Hessen als Finanzplatz eine ganz besondere Bedeutung hat. Wir haben die Interessen des Landes auf Bundesebene weiter erfolgreich vertreten und das Land trotz der schwierigen Lage solide regiert und verwaltet. Darauf bin ich durchaus stolz.
WELT ONLINE: Viele in der SPD sprechen den vier Abweichlern ab, tatsächlich nach ihrem Gewissen gehandelt zu haben, weil sie sich spät zu Wort gemeldet haben. Einige unterstellen sogar monetäre Motive.
Koch: Das finde ich sehr irritierend. Der späte Zeitpunkt spricht überhaupt nicht gegen die Kollegen: Sie haben gehofft, dass ihnen die Gewissensentscheidung erspart bleibt durch andere Umstände im Verlauf der Koalitionsverhandlungen. Das ist verständlich, denn niemand gerät gerne in Loyalitätskonflikte mit der eigenen Partei. Es ist nicht unehrenhaft, lange mit sich gerungen zu haben. Auch sollte man nicht vergessen, dass Frau Ypsilanti und ihre Umgebung schon in der Diskussion mit Frau Metzger in völlig unvernünftiger Härte gezeigt hat, wie sie mit Menschen umgeht, die Zweifel haben. So etwas möchte man sich gerne ersparen.
WELT ONLINE: Die vier Neinsager stehen in krassem Widerspruch zu den 95 Prozent, die auf dem SPD-Parteitag zugestimmt haben. Ist das Gewissen nicht eine problematische Kategorie im Parlamentarismus, der nur funktionieren kann, wenn sich Minderheiten Mehrheiten unterordnen?
Koch: Nein. Es ist eine zentrale Errungenschaft aller modernen Demokratien, dass keine Fremdbestimmung über die Volksrepräsentanten erlaubt ist. Das imperative Mandat eines Parteitages gibt es nicht. Loyalität ist eine Frage der Vernunft und durchaus wichtig, aber am Ende muss es das Refugium des Gewissens als Entscheidungsgrundlage geben. Wir haben eben nicht nur Parteisoldaten in den Parlamenten, sondern Individuen, Persönlichkeiten und Lebensgeschichten. Das ist ein großer Segen, wie wir gerade erlebt haben und es ging ja nicht um irgendeine Randfrage der Politik.
WELT ONLINE: Kurt Beck hat das hessische Experiment geduldet. Seine Nachfolger haben sich erstaunlich zurückgehalten dabei. Ist die SPD-Führung jetzt beschädigt?
Koch: Sie trägt nun das Gütesiegel schwache Parteiführung. Müntefering und Steinmeier haben die Chance vertan, die Zusammenarbeit mit der Linkspartei zu unterbinden. Steinmeier wollte es – möglicherweise –, hat sich aber nicht getraut, es zu sagen. Müntefering wollte es nie und hat deshalb sogar eine Koalition mit der Linkspartei gefordert.
WELT ONLINE: Frau Ypsilanti ist zum zweiten Mal gescheitert. Trägt dieses Scheitern auch die Züge einer persönlichen Tragödie?
Koch: Meine Mitarbeiter haben mir unisono gesagt, auch die leiseste Andeutung von Mitgefühl meinerseits für Frau Ypsilanti würde missverstanden und nur wieder negativ ausgelegt werden. Mit dieser Vorbemerkung möchte ich ihre Frage bejahen.
WELT ONLINE: In Hessen wurde einst Rot-Grün geboren und jetzt Rot-Rot-Grün versucht. Gleichzeitig gilt die CDU dort als besonders rechts. Woher kommt die hessische Tendenz zu den politischen Rändern?
Koch: Die hessische CDU ist nicht besonders rechts. Und die SPD war jahrzehntelang gespalten in einen realpolitischen nordhessischen und einen sehr linken südhessischen Teil. Hessen war seit den 70er Jahren immer ein Land knappster Mehrheitsverhältnisse. Das hat angetrieben zu scharfen Auseinandersetzungen und zu neuen Modellen. Deshalb ist Hessen zu einem Labor der deutschen Politik geworden.
WELT ONLINE: Joschka Fischer sagte in Erinnerung an gemeinsame Zeiten in Hessen, er und Sie kämen aus einem Klima des „geistigen Bürgerkriegs“.
Koch: Bürgerkriegsähnliche Zustände hat es im Leben von Joschka Fischer zu seiner Zeit als Straßenkämpfer gegeben. Im hessischen Landtag, wo wir uns trafen, aber sicher nicht.
WELT ONLINE: Sie wollen nun noch einmal mit SPD und Grünen über eine Regierungsbildung reden. Warum eigentlich?
Koch: Vor dem Scheitern Ypsilantis habe ich auf Blockaden hingewiesen, die allein in ihrem persönlichen Machtanspruch begründet waren. Deshalb reden wir jetzt, nachdem dieser vom Tisch ist, noch einmal miteinander. Diese Gespräche sind schon mehr als nur eine Höflichkeit. Es ist ein inhaltliches Prüfen, aber es wird ein schnelles inhaltliches Prüfen sein. Die Bevölkerung hat einen klaren Wunsch nach Neuwahlen. Wenn das Parlament meint, die Sache noch selbst regeln zu können, muss es sie schnell regeln. Allerspätestens bis zur Landtagssitzung am 18. November muss klar sein, wohin die Reise geht.
WELT ONLINE: Sie halten Neuwahlen für wahrscheinlich?
Koch: Ja.
WELT ONLINE: Im Sommer haben Sie den Grünen weitreichendes Entgegenkommen signalisiert. Welchen Grund kann es für Sie jetzt geben, – nachdem sich die Grünen auf das Himmelfahrtskommando von Frau Ypsilanti eingelassen haben – noch einmal mit Ihnen zu reden?
Koch: Kein Zweifel: Die Situation ist eine andere als im Sommer. Die Ausgangsposition für Schwarz-Gelb-Grün ist heute viel schlechter und beim Einsatz für den schnellen Ausbau des Frankfurter Flughafens geht der Spielraum gegen Null.
WELT ONLINE: Sie sind in der Union in den vergangenen Jahren dafür kritisiert worden, dass Sie klare Abgrenzungen zu den Grünen aufrechterhalten haben. Sie haben Vorstellungen abgewehrt, die Grünen seien eine bürgerliche Partei oder zumindest eine Partei zwischen den Lagern geworden. Haben sich die Grünen durch den rot-rot-grünen Versuch als bürgerliche Partei nun völlig kompromittiert?
Koch: Die hessischen Grünen haben einen schweren Fehler gemacht, der ihnen noch jahrelang anhängen wird.
WELT ONLINE: Die Klammer, die Rot-Rot-Grün zusammenhalten sollte, war die Abneigung gegen Ihre Person. Koch abwählen – das war Ypsilantis stärkstes Argument. Woher kommt dieser Hass gegen Sie?
Koch: Ich stand immer auch als Person für ein Programm. Menschen haben bei einer Wahl ja auch nur ein Kreuz und können nicht hundert Einzelfragen entscheiden. Deshalb ist die Klarheit über Prinzipien in der Politik eine wichtige Kategorie. Ich halte das für wichtiger, als „everybody’s darling“ sein zu wollen. Vielleicht habe ich darüber hinaus eine Schwäche: Ich bekomme oft gesagt, ich sei viel netter als ich im Fernsehen wirke.
WELT ONLINE: Haben Sie in den vielen Monaten, in denen am Linksbündnis gebastelt wurde, einmal mit dem Gedanken gespielt, zurückzutreten, um doch noch eine bürgerliche Mehrheit zu ermöglichen?
Koch: Ich habe mich durchaus auch selbst in Frage gestellt. Aber die Antwort meiner Partei war deutlich. Nach einer schweren Wahlniederlage, für die ich auch persönlich Verantwortung zu tragen habe, bin ich mit 96 Prozent wiedergewählt worden. Das ist eine Verpflichtung, die ich nicht zur Disposition stelle. Die CDU stellt ihre Führung selbst auf – und nicht andere Parteien. Denen fällt es ja schon schwer genug, ihre eigene Führung zu bestimmen.
WELT ONLINE: Sie streben bei Neuwahlen eine schwarz-gelbe Regierung an. Bayern wird neuerdings auch in dieser Konstellation regiert. Halten Sie es für realistisch, dass wir – trotz Fünf-Parteien-System – auch nach der Bundestagswahl eine solche Mehrheit bekommen?
Koch: Diese Perspektive ist realistisch. Und es ist die einzige Perspektive, die ein entschlossenes Regieren in den kommenden Jahren möglich machen wird. Ich bin kein Gegner der derzeitigen großen Koalition, aber ihre Gemeinsamkeiten sind erschöpft. Wir werden eine Richtungswahl erleben: Wie können wir künftig noch Wohlstand erreichen und wer kann den Menschen das Gefühl vermitteln, es gerät nicht alles ins Wanken?
WELT ONLINE: Sie haben nach der letzten Wahl Positionen geräumt, die vorher für Ihre Politik wesentlich waren, etwa die Durchsetzung von Studiengebühren und der verkürzten Schulzeit G8 oder die Betonung der Sicherheit vor Kriminalität. Bleibt es dabei, oder werden Sie im kommenden Wahlkampf erneut ersuchen, für diese Projekte Mehrheiten zu erringen?
Koch: Wir haben nach der Wahl unsere Positionen hinterfragt. Dabei bleibt es: Wir haben gelernt. Die Signale der Wähler sind angekommen. G8 hat in Hessen allerdings Bestand. Sogar das gescheiterte rot-grüne Bündnis wollte es zum Regelsystem erklären.
WELT ONLINE: Wäre das nicht in linker Erfolg, der trotz allem bleibt: Selbst ein Roland Koch kämpft nicht mehr für marktwirtschaftliche Reformen und eine konservative Gesellschaftspolitik?
Koch: Nein, so ist es nicht.
WELT ONLINE: Hat mit den spektakulären Ereignissen vom Montag endgültig der Bundestagwahlkampf begonnen?
Koch: Der Wahlkampf im engeren Sinne nicht. Aber die Frage der Grundsatztreue und Seriosität der SPD hat seit der hessischen Landtagswahl eine Bedeutung erlangt, die sich bis zur Bundestagswahl nicht mehr verflüchtigen wird. Was am Montag geschehen ist, wird im Gedächtnis bleiben: Die große stolze SPD musste von vier einzelnen Abgeordneten über ihre Grundsätze und ihre Geschichte belehrt werden. Das wird für lange Zeit eine Wunde im Selbstbewusstsein der SPD bleiben.