Koch: „Mehltau auf die wirtschaftliche Entwicklung“
Hessens Ministerpräsident im HNA-Interview über den rot-grünen Koalitionsvertrag
HNA: Herr Ministerpräsident, haben sie schon die Möbelpacker bestellt?
Roland Koch: Ich bin Demokrat und werde das Amt geordnet übergeben, wenn sich eine parlamentarische Mehrheit für Frau Ypsilanti ergeben sollte. Ebenso bin ich darauf vorbereitet, das Amt fortzuführen, wenn es nicht dazu kommt.
HNA: Wagen Sie einen Tipp für den 4. November?
Koch: Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass Wortbruch nicht funktioniert und Frau Ypsilanti sich im Landtag nicht durchsetzen wird.
HNA: Warum treten Sie im Landtag nicht selbst zur Wahl an?
Koch: Ich weiß, dass ich nach dem Wahlergebnis ohne vorherige Verhandlungen mit anderen Fraktionen keine parlamentarische Mehrheit erlangen kann.
HNA: SPD und Grünen haben den Entwurf für einen Koalitionsvertrag vorgestellt. Was bedeutet er Ihrer Ansicht nach für das Land Hessen?
Koch: Schlicht eine Katastrophe. Wir haben in Hessen, und dabei ganz besonders im Norden das Landes, in den vergangenen Jahren eine wirtschaftliche Aufholjagd erlebt, die nicht unabhängig war von den politische Rahmenbedingungen. Denn in der 90er-Jahren ist manches versäumt worden, was diese Aufholjagd notwendig machte. Der vorgelegte Koalitionsvertrag schließt nahtlos an die Fehler der 90er-Jahre an. Und wie 1991 will die SPD diesmal unter Führung von Frau Ypsilanti erneut die Interessen Nordhessens für den Machtgewinn opfern.
HNA: Das müssen Sie begründen.
Koch: Der Optimismus, als geografischer Mittelpunkt eines freien Europas daraus wirtschaftliche Vorteile zu ziehen zu können, hängt eng mit einer guten Zukunft des Flughafens Kassel-Calden zusammen. Auch der Magistrat der Stadt Kassel hat das ja immer wieder betont. CDU, SPD und FDP waren sich einig, die klare Mehrheit der Menschen steht dahinter. Nun aber droht sich Mehltau auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region zu legen. Es werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern es wird welche vernichten.
HNA: Kassel-Calden soll laut Koalitionsvertrag modernisiert werden. Es soll darüber hinaus ein Forschungsinstitut für klimaneutrale Flugantriebstechniken in Kooperation mit der Uni Kassel eingerichtet werden. Reicht das nicht für die Bedürfnisse der Region?
Koch: Nein. Alle rechtlichen und wissenschaftlichen Prüfungen haben ergeben, dass nach internationalen Sicherheitskriterien für moderne Flugzeuge kein Berg in der Nähe sein darf. Und da der Berg nicht abgetragen werden darf, muss die Bahn verlegt werden. Es geht in der Diskussion auch nicht darum, dass Riesenflugzeuge kommen, sondern dass moderne Flugzeuge mit modernen Anflugtechniken zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei jeder Witterung einen solchen Flugplatz benutzen können. Da nutzt keine Ertüchtigung, da muss man die Bahn drehen.
HNA: SPD und Grüne nennen unter anderem vier Kriterien, die erfüllt sein müssen, um eine Verlagerung des Flugplatzes umzusetzen. Was ist dagegen einzuwenden, wenn die Koalitionäre die betriebswirtschaftlichen Berechnungen noch einmal prüfen lassen wollen?
Koch: Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass an dieser Stelle des Koalitionsvertrages ein Maximum an Nebelkerzen geworfen worden ist, um zu verschleiern, dass die Grünen sich durchgesetzt und glasklar einen Neubau verhindert haben. Im Koalitionsvertrag ist die Art der Prüfung immer so gestaffelt, dass die Koalitionäre in den Jahren der Prüfung immer wieder einen Grund finden können, um das Projekt nicht angehen zu müssen. Das ist die gleiche Situation, die wir in der Vergangenheit bei vielen von Rot-Grün behinderten Verkehrsprojekten immer gehabt haben. Nein, Frau Ypsilanti war es das Thema nicht wert, den Konflikt auszutragen.
HNA: Zurück zu den betriebwirtschaftliche Erwartungen und Berechnungen.
Koch: Der Flughafen wird neue Geschäfte und neue Verkehre anziehen, das ist sicher. Der Neubau ist eine Zukunftschance für neue Arbeitsplätze in Nordhessen. Der Koalitionsvertrag atmet aber leider den Geist des Stillstandes.
HNA: Die FDP startet ab Montag eine Kampagne gegen Ihre Abwahl. Plant die CDU Ähnliches?
Koch: Auch wir sind ja aktiv, aber noch bemerkenswerter finde ich die Aktivitäten der www.wortbruch.info-Bürgerinitiative. Es ist gut, dass es in absehbarer Zeit zu einer Entscheidung kommt. Da sind in erster Linie die 110 Abgeordneten gefragt. Auf ihnen lastet eine schwere Entscheidung und große Verantwortung. Der Schwerpunkt der Diskussion muss jetzt im Landtag liegen.
HNA: Am Montag muss die CSU in Bayern erstmals nach Jahrzehnten eine Koalition eingegehen, in Hessen hat die CDU noch nicht einmal gemeinsam mit der FDP eine Mehrheit. Sehen auch sie – wie Friedrich Merz das vor wenigen Tagen beschwörend getan hat – die Gefahr einer schweren Niederlage 2009?
Koch: Wir leben in einem spannenden Abschnitt unserer jüngeren Geschichte, in der sich politische Fronten neu organisieren. Die Frage, in wie weit die SPD ihre politische Identität in Frage stellt, wenn sie sich für die Kooperation mit der Linken öffnet, verändert die Parteienlandschaft. Keine der beiden großen Blöcke hat die Bundestagwahl heute schon gewonnen. Aber ich glaube, dass die Entwicklung in Hessen die Menschen so aufrüttelt, dass sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die bürgerlichen Parteien 2009 eine Mehrheit im Bundestag erreichen.
HNA: Merz fürchtet, die CDU laufe zu sehr dem Zeitgeist hinterher, sie sei zu beliebig geworden. Teilen Sie diese Befürchtung?
Koch: Eine Volkspartei muss diese Diskussion aushalten. Wichtiger ist, dass wir im Wahlkampf klar machen, dass unsere Vorstellungen von Freiheit ohne staatliche Bevormundung sich von dem unterscheidet, was Sozialdemokraten traditionell wollen. Erst recht aber von dem, was die Linkspartei will, nämlich den Geist der DDR in die bundesrepublikanische Politik einziehen zu lassen. Da ist eine Richtungsentscheidung in der deutschen Politik zu treffen, die viel prinzipieller ist als die Diskussion innerhalb unserer Partei über Einzelheiten des Programmes.