Koch: „Die Politik muss dafür sorgen, dass es verbindliche Regeln für eine transparente Finanzindustrie gibt.“
Hessens Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung
WAZ: Untergräbt die Finanzkrise die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft?
Koch: Zweifellos schürt der gewaltige Umbruch, den wir derzeit erleben, tiefe Verunsicherung. Unsere Herausforderung ist, die Krise zu bewältigen, ohne unsere Prinzipien aufzugeben.
WAZ: Sind die Märkte Monster?
Koch: Ach! Märkte orientieren sich an staatlichen Vorgaben. Es gab schwere unternehmerische Fehler, aber auch der Staat hat versagt. Die Politik muss dafür sorgen, dass es verbindliche Regeln für eine transparente Finanzindustrie gibt.
WAZ: Ärgert es Sie nicht, dass nun der Staat einspringen muss, weil das Risikomanagement der Banken so eklatant versagt hat?
Koch: Ich kenne niemanden, der Freude dabei empfindet, Katastrophenhilfe zu leisten. Aber dort, wo Menschen handeln, gibt es Versagen. Ich warne sehr davor, die Diskussion auf die Manager zu reduzieren. Die Manager haben – wie viele andere auch – Fehler gemacht. Aber mit Gesetzen, wie wir sie in Deutschland haben, hätte es die vielen leichtsinnigen Haus-Kredite in den USA nie gegeben.
WAZ: Sollte man vielleicht an der Wall Street die Schriften der CDU-Legende Ludwig Erhard verteilen?
Koch: Über die Wirtschaftsordnung, die Ludwig Erhard in der Bundesrepublik durchgesetzt, haben viele Angloamerikaner gelacht. Heute können wir mit großem Selbstvertrauen sagen, dass sich die soziale Marktwirtschaft außerordentlich bewährt hat. Ohne Markt gibt es keinen Wohlstand, aber ein Markt sollte nicht ohne Grenzen sein. Das haben wir der Welt vorgelebt.
WAZ: Hat Ihnen Friedrich Merz schon sein Buch „Mehr Kapitalismus wagen“ zugeschickt?
Koch: Sein Buch hat sicherlich einen provokanten Titel, aber es ist im Inhalt ein Buch, das auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft steht.
WAZ: Ist „Mehr Kapitalismus“ auch Ihr Motto?
Koch: Nein, ich glaube, dass der Begriff Kapitalismus außerhalb von Universitätshörsälen eher Missverständnisse auslöst. Ich kämpfe für die soziale Marktwirtschaft.
WAZ: Finden Sie es richtig, dass Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zum Buhmann der Nation gemacht wird?
Koch: Es hat eine gewisse Tragik, denn Herr Ackermann hat, nach allem was wir sehen können, seine Bank sehr klug durch die Finanzkrise geführt. Er kann ja auch durchaus froh sein, wenn sein Institut keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen wird. Aber ohne das staatliche Eingreifen wäre eine ganze Industrie gefährdet.
WAZ: Was rollt auf die Beschäftigten der Finanzbranche zu?
Koch: Natürlich sorgen wir uns um Arbeitsplätze, gerade hier in Frankfurt. Aber bisher gibt es keine Anzeichen für eine Job-Katastrophe. Wir haben in Deutschland keine Entlassungswellen wie in New York oder London. Das liegt am geringen Anteil der Investment-Banken. Unbesorgt darf man nicht sein, aber es wird keinen Kahlschlag geben.
WAZ: Wer ist gefährlicher: Lehman Brothers oder Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine?
Koch: Eindeutig Lafontaine, weil seine Politik dauerhaft Wohlstand in Deutschland vernichten würde. Wir müssen die Linkspartei sehr, sehr ernst nehmen. Gerade in einer so unübersichtlichen Zeit, in der viele Menschen Angst davor haben, dass sie gefährdet sind in ihrer sozialen Situation. Lafontaine, Gysi und ihr Präsidentschaftskandidat Sodann sind Rattenfänger, die versuchen, schlecht informierte Menschen durch vereinfachende und verkürzende Parolen in die Irre zu führen. Seriöse Politik hat es schwer gegen solche gnadenlosen Populisten. Insofern ist die Linkspartei eine Gefahr für die Zukunft Deutschlands. Aber wir müssen die Auseinandersetzung mit ihr offensiv führen.
WAZ: Kann eine reife Demokratie entspannt damit umgehen, wenn ein ehemaliger Tatort-Kommissar als Präsidentschaftskandidat antritt?
Koch: Jenseits der Tatsache, dass ich natürlich hoffe, dass Horst Köhler mit einem guten Ergebnis wiedergewählt wird, ist es skandalös, dass die Linkspartei einen Herrn Sodann mit seinen Sprüchen gegen zwei respektable Persönlichkeiten wie Bundespräsident Köhler und Frau Schwan stellt.
WAZ: Ist der Neoliberalismus gescheitert?
Koch: Ich habe nie so richtig verstanden, was in der politischen Debatte Neoliberalismus sollte.
WAZ: Muss die Union programmatische Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise ziehen?
Koch: Union und SPD kämpfen mit der Tatsache, dass die Globalisierung für den einzelnen Menschen weniger planbare Zukunft bedeutet. Die Sozialdemokraten haben für ihre Agenda 2010 sicher bitter bezahlt. Wir Christdemokraten haben mit den reformorientierten Beschlüssen des Leipziger Parteitags 2003 einen richtigen Weg eingeschlagen, den manche unserer Wähler aber nicht so einfach akzeptierten. Doch diejenigen, die uns raten, von diesem Weg abzulassen, irren sich. Wir können den Menschen nicht ersparen, über notwendige Reformen zu reden. Aber wir müssen als Partei lernen, die Menschen so anzusprechen, dass sie das Vertrauen haben.
WAZ: Braucht Deutschland ein Konjunkturpaket?
Koch: Wir sollten maßvoll Impulse geben, um ein allzu scharfes Absacken der Konjunktur zu vermeiden. Es gibt gute Konjunkturanreize: ein Vorziehen geplanter Steuererleichterungen, Impulse für den Bau und Energieeinsparungen. Aber wir müssen aufpassen, dass keine Strohfeuer entstehen.
WAZ: Sind Steuersenkungen der richtige Weg?
Koch: Wenn wir die geplante Freistellung der Krankenversicherungsbeiträge realisieren, wie es uns das Verfassungsgericht aufgetragen hat, ist ein Großteil des Geldes, das für Steuerentlastungen zur Verfügung steht, verfrühstückt. Wir reden hier immerhin über rund neun Milliarden Euro. Mir persönlich wäre lieber gewesen, das Geld zur Bekämpfung der kalten Progression, also den inflationsbedingten Anstieg der realen Steuerlast, auszugeben.
WAZ: Ist das Ziel des ausgeglichenen Bundeshaushalts 2011 noch zu halten?
Koch: Wir geraten in dramatische Verhältnisse Mitte des nächsten Jahrzehnts, wenn wir unser Ziel eines ausgeglichenen Haushalts jetzt aus dem Auge verlieren. Wir haben viel erreicht. Das darf man jetzt nicht leichtfertig wieder aufs Spiel setzen. Es würde das Vertrauen der Bürger in die Politik zerstören. Viele Menschen haben eine ganze Aufschwungperiode lang keinen persönlichen Einkommenszuwachs gehabt. Nur so war das Staatsdefizit zu beherrschen. Die Bürger fragen uns zu Recht: Was haben wir eigentlich vom letzten Aufschwung? Von diesem Aufschwung haben wir bezahlt, dass die jetzigen Leistungen des Staates von uns selbst geschultert werden, nicht von unseren Kindern. Ein solcher Kraftakt ist nicht alle fünf Jahre möglich.
WAZ: Ausgerechnet vor dem Wahljahr 2009 steuert Deutschland auf eine Rezession zu. Das werden harte Zeiten.
Koch: Für uns als Union wird eine entscheidende Frage sein, ob die Menschen bereit sind, in Optimismus zu investieren. Das wird in einer Zeit der Rezession nicht einfacher. Aber gerade in den vergangenen Tagen hat Angela Merkel unter Beweis gestellt, dass sie als Kanzlerin die Fähigkeit zum Management einer Krise hat.
WAZ: Das Krisenmanagement war gut?
Koch: Es war sehr gut. Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück haben gemeinsam in der Welt ein Bild abgegeben, auf das wir als Deutsche mit einem gewissen Stolz blicken können.
WAZ: Sie klingen wie ein Fan der Großen Koalition.
Koch: Ich bin kein prinzipieller Gegner der Großen Koalition, auch wenn es gewaltige Unterschiede zwischen Union und SPD gibt. Große Koalitionen sollten deshalb Bündnisse auf Zeit sein.
WAZ: Braucht die Kanzlerin ein starkes Team für den Wahlkampf?
Koch: Wir sind stolz darauf, die Kanzlerin zu stellen. Und eine gute noch dazu. Angela Merkel hat ein gutes Kabinett, und sie hat gute Leute quer durch die Republik. Wir sind als Union ein Gesamtkunstwerk.
WAZ: Und Sie sind bereit, sich einzubringen?
Koch: Ich habe den Eindruck, ich bringe mich immer wieder ein, gerade zuletzt beim Rettungspaket zur Finanzkrise. Und wenn ich die Möglichkeit habe, wird das Land Hessen auch in Zukunft ein guter und loyaler Partner der Bundesregierung sein.
WAZ: Wird es einen Richtungswahlkampf geben?
Koch: Ja. Es muss ein Richtungswahlkampf werden, denn es geht um eine Richtungsentscheidung. Die SPD muss sich überlegen, ob sie wirklich will, dass es zwei gleich starke linke Parteien in Deutschland geben soll. Steinmeier hat bislang nicht den Mut, das Spiel von Frau Ypsilanti zu beenden. Dann wird er dafür mit seiner Partei bitter bezahlen. Ich hoffe, dass am Ende nicht auch Deutschland dafür bezahlen wird.
WAZ: Muss es mehr „CDU pur“ geben?
Koch: Ich kenne niemanden, der nicht CDU pur im Wahlkampf möchte. Darüber gibt es zwischen Angela Merkel, Jürgen Rüttgers, Christian Wulff und mir überhaupt keinen Dissens. Keiner von uns vertritt die Auffassung, wir sollten einen Fortsetzungswahlkampf für die Große Koalition führen. Wir orientieren uns an unserem Programm, das von der sozialen Marktwirtschaft geprägt ist, mit anderen Worten: CDU pur. Was denn sonst?
WAZ: Sie haben den SPD-Finanzminister Peer Steinbrück auffällig gelobt. Wie wäre es mit einer gemeinsamen Neuauflage des Plisch-und-Plum-Spiels, wie es Karl Schiller (SPD) und Franz Josef Strauß (CSU) als Finanz- und Wirtschaftsminister in der ersten deutschen Großen Koalition geboten haben?
Koch: Strauß und Schiller haben das in einer schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Entwicklung gut gemacht. Aber ich bin weder Plisch noch Plum.
WAZ: Ihr Parteifreund Christian Wulff hat gesagt, die Alphatiere der deutschen Politik sind Angela Merkel, Franz Müntefering und Roland Koch. Die beiden erstgenannten sind Parteichefs. Fühlen Sie sich wohl in dieser Runde?
Koch: Ach, ich halte nicht viel von diesen Alphatier-Klassifizierungen, aber ich habe die Aussage von Christian Wulff auch nicht als Beleidigung empfunden.
WAZ: Die SPD-Spitze hat sich neu sortiert. Ist das Duo Steinmeier-Müntefering ein schwierigerer Gegner für die Union?
Koch: Selbstverständlich nehmen wir jede SPD-Führung ernst. Die CDU hat die SPD nie abgeschrieben. Aber ernst nehmen und für schlagbar halten, müssen keine Gegensätze sein. Es wird auch im Wahlkampf die Frage eine Rolle spielen: Kann ich der SPD trauen? Warum soll man Steinmeier und Müntefering nach dem Wortbruch in Hessen bei der Frage der Linkspartei noch vertrauen? Sie rühren keinen Finger, um diesen Wortbruch zu verhindern. Wir werden im nächsten Jahr eine sehr grundlegende Auseinandersetzung bekommen: Eine sehr akzeptierte Bundeskanzlerin gegen einen Herausforderer, der nicht die Kraft hat, für seine eigene Glaubwürdigkeit zu sorgen.
WAZ: Wie nehmen Sie den derzeitigen Schwebezustand in Hessen wahr?
Koch: Der Zustand ist nicht einfach. Aber die CDU hat ein schlechtes Wahlergebnis gehabt. Sie hat kein Recht, darüber zu lamentieren. Wir haben aus dem Resultat gelernt und Konsequenzen gezogen. Und unter schwierigen Umständen unser Pflicht in der Regierung getan.
WAZ: Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, was sie ihrer SPD-Kontrahentin Andrea Ypsilanti sagen werden, wenn die Wahl im Landtag vorüber ist?
Koch: Darüber habe ich mir nicht die geringsten Gedanken gemacht. Er wird mir dann was einfallen. Ich sehe aber auch noch nicht, dass Frau Ypsilantis Wortbruch funktioniert.
WAZ: Irgendwie kann man sich Roland Koch nicht als hessischen Oppositionsführer vorstellen.
Koch: Zunächst einmal sehe ich mich als hessischer Ministerpräsident, der nicht die Absicht hat, über ein Ereignis zu diskutieren, dessen Eintritt er für unwahrscheinlich hält. Ich bin ein Demokrat. Ich gehe hier nicht so arrogant her und sage: Frau Ypsilanti wird es sowieso nicht. Der Regierungschef Roland Koch bereitet sich darauf vor, dass das Parlament möglicherweise einen anderen Kandidaten wählt. Aber der Politiker Roland Koch sagt: Ich denke, dass Frau Ypsilanti noch nicht am Ziel ist.
WAZ: Zu guter Letzt: Mögen Sie eigentlich lieber Frankfurter Würstchen als Berliner Currywurst?
Koch: Alles, was ich nun sage, könnte als sehr politische Bemerkung verstanden werden. Ich fühle mich in Wiesbaden und Frankfurt sehr wohl. Ich reise gerne nach Berlin, aber ich reise auch gerne wieder zurück.