Koch: „Ohne das drastische Eingreifen der Politik würden viele Menschen ihre Altersversorgung verlieren“
Ministerpräsident Roland Koch im Zeit-Interview
DIE ZEIT: Herr Ministerpräsident, vergessen Sie mal einen Moment lang den Politiker Roland Koch, und seien Sie schlicht Steuerbürger: Wie finden Sie, dass die Bundesregierung quasi über Nacht Milliardenbürgschaften aus Steuermitteln übernimmt?
Roland Koch: Ich kann das nicht trennen. Ohne das drastische Eingreifen der Politik würden Sparergroschen in vielen Staaten, auch in Deutschland, schlicht verfallen, viele Menschen würden ihre Altersversorgung verlieren. Ich bin froh, dass die Regierung die Kraft hat, die Entscheidung für die Bürgschaft zu treffen.
DIE ZEIT: Verstehen Sie, wenn Bürger sagen, hier werden Milliarden ausgegeben, und die Regierung tut sich schwer, das Kindergeld zu erhöhen?
Koch: Wir befinden uns in einer Katastrophe, das ist etwas anderes als die rationale Entscheidung über Kindergeld. Manchem mag der Vergleich hart vorkommen, aber stellen Sie sich vor, morgen würde ein Erdbeben Deutschland erschüttern. Dann würden wir auch sofort eingreifen und helfen.
DIE ZEIT: Eine Finanzkrise ist keine Naturgewalt, sie ist von Menschen gemacht, sie hätte verhindert werden können. Doch die Politik hat es vorgezogen, die globalisierten Märkte unreguliert zu lassen.
Koch: Bei aller Demut gegenüber der Situation heute: Schon in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts kam es ohne jede Form der Globalisierung zu einem weltweiten volkswirtschaftlichen Zusammenbruch. Die wichtigste Lehre damals war: In einer solchen Finanzkrise verhindert nur ein sehr entschlossenes Handeln von Notenbanken und Staaten das Durchschlagen auf den einzelnen Bürger, auf Arbeitsplatz und Ersparnisse.
DIE ZEIT: Also ist alles in Ordnung? Die Politik muss nichts tun?
Koch: Natürlich müssen wir aus dieser Krise lernen. Die Tatsache, dass sich die Banken in den letzten Jahren Geschäftsmodelle zugelegt haben, die es ihnen ermöglichten, Risiken zu vermitteln, ohne selbst Risiken zu tragen, hat sie übermütig und gierig gemacht. Wir brauchen ganz eindeutig mehr Transparenz.
DIE ZEIT: Das dauert! Die Bundesregierung rettet jetzt eine Bank ohne Gegenleistung. Warum wird die Hypo Real Estate nicht nach europäischem Vorbild verstaatlicht?
Koch: Nichts wird nach dieser Finanzkrise sein, wie es vorher war. Aber Verstaatlichung kann nur das allerletzte Mittel in einem Notfallmanagement sein. Wir brauchen stattdessen eine viel bessere Kooperation internationaler Aufsicht. In Amerika konnte – anders als in Deutschland – jeder Kredite handeln, unabhängig davon, ob er einer Finanzaufsicht untersteht oder nicht. Das muss beendet werden. Aber ganz sicher werden wir auch in Deutschland über die Regeln der Finanzaufsicht sprechen, damit solche Risiken vermieden werden. Die grob unvernünftige Gier war die Mutter der Fehlsteuerung.
DIE ZEIT: Die Gier oder das System?
Koch: Das System hat Einzelne, zum Beispiel die Händler, die oft zigmal mehr verdienen als die Manager einer Bank, mit der Chance ausgestattet, Gier zu befriedigen, obwohl eigentlich nur innerhalb einer juristischen Sekunde ein und dasselbe Risiko gekauft und verkauft wurde. Für die Händler war das Geschäft völlig risikolos, trotzdem haben sie eine erhebliche Provision dafür eingestrichen.
DIE ZEIT: Also muss man das ändern. Wie?
Koch: Man kann zum Beispiel eine Bank verpflichten, ihre Geschäfte mit Eigenkapital zu unterlegen. Dafür muss eine Quote gefunden werden. Diskutiert wird über 5, 10 oder 20 Prozent. Die Prozentzahl ist dabei nicht entscheidend, weil das Prinzip zu einem anderen Treueverhalten der Bankmitarbeiter führt. Momentan kann der Einzelne ohne Untreue einen schlechten Kredit eine Sekunde behalten und ihn dann mit Gewinn weiterverkaufen. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden.
DIE ZEIT: Das Risiko trägt der einzelne Bankkunde. Hat die Bank, hat ein Bankmitarbeiter keine ethische Verantwortung für das, was er tut?
Koch: Eine Bank hat eine ethische Verantwortung. Wenn wir wollen, dass die Bürger auch moderne Finanzprodukte kaufen und nicht ihr Geld alleine auf das Sparbuch legen, dann brauchen sie Beratung – jeder von uns.
DIE ZEIT: Also hätte eine Bank jemandem, der Geld für die Ausbildung seiner Kinder zurücklegen möchte, kein Zertifikat verkaufen dürfen?
Koch: Jeder Kunde muss gesagt bekommen: Je höher der Zinssatz, umso höher ist das Risiko, auch zu verlieren. Denn genau das ist der Grund für den höheren Zinssatz und nicht die Freundlichkeit dem Kunden gegenüber.
DIE ZEIT: Wie viel Risiko gehen Sie persönlich ein?
Koch: Ich habe nichts in Zertifikate gesteckt. Ich habe immer eher in bescheidenem Umfang in Aktien investiert als in Fonds. Ich will die Fehler selbst machen. Natürlich habe ich dabei nicht immer gewonnen, sondern auch Geld verloren, und zwar durchaus so, dass es mich auch geärgert hat. Der wichtigste Ratschlag für alle Menschen ist: Spekulative Anlagen darf nur der eingehen, der im Zweifel den Verlust verkraften kann.
DIE ZEIT: Der Ex-Chef der Deutschen Bank, Kopper, sagt, er würde nie Zertifikate kaufen.
Koch: Auch wenn ein Hilmar Kopper wie ein Roland Koch sagen, sie wollen sich das Spekulieren auf die Prämie nicht leisten, so muss es trotzdem das Recht geben, ein hohes Risiko gegen Prämie zu verkaufen. Unsere Marktwirtschaft lebt davon, dass sie in der Lage ist, Risiken zu einem gegebenen Preis zu verkaufen. Wichtig daran ist, dass jeder sein Risiko kennt und dass sich die Preise fair bilden.
DIE ZEIT: Jetzt zahlen nicht nur Leute, die Risiken eingegangen sind. Jetzt zahlt – direkt oder indirekt – jeder. Sollte es nicht die Aufgabe von Politik sein, durch Regulierung des Kreditmarktes dies zu verhindern?
Koch: Die Finanzbranche ist stärker reguliert als andere Branchen. Es gab schon immer in Deutschland eine Banken- und eine Börsenaufsicht, aber aus gutem Grund keine Schraubenaufsicht. Trotzdem muss hier nachgesteuert werden.
DIE ZEIT: Zum Beispiel?
Koch: Die Leerverkäufe zum Beispiel wurden für drei Monate untersagt. Das Argument, dass Leerverkäufe die wahre Preisbildung von Aktien behindern, ist nicht von der Hand zu weisen. Also müssen wir einen Weg finden, der das Spekulieren auf Ruinen vermeidet, ohne dauerhaft überbewertete Aktien heraufzubeschwören. Man braucht auch gewisse internationale Standards. Entweder müssen sie als gemeinsamer rechtlicher Rahmen akzeptiert werden, oder die Aktien dürfen nicht an Börsenplätzen gelistet werden, wo diese Regeln nicht gelten. Intransparente Finanzprodukte dürfen von Finanzaufsichten nicht mehr genehmigt werden. Die Verbriefung von Risiken ist eine gute Idee, das Vermischen von Risiken, um sie unerkennbar zu machen, sollte verboten werden.
DIE ZEIT: Die Politik hat in den letzten zehn Jahren den freien Markt, auch den freien Finanzmarkt, verteidigt und den Bürgern gesagt, ihr müsst flexibel sein. Heute herrscht das Gefühl vor, die Armen landen in Hartz IV, und Finanzmanager gehen mit Abfindungen nach Hause.
Koch: Bei normalen Mitbürgern kann ich solche Emotionen verstehen, wenn sie allerdings aus dem Mund von Politikern kommen, muss ich mit der gebotenen Härte sagen: Das ist nichts als Volksverdummung. Denn für uns wie für Hunderte Millionen von Menschen auf der Erde sind die Chancen, in Wohlstand zu leben, durch die Globalisierung gestiegen. Ohne die Globalisierung wäre Hunger das weithin dominierende Problem. Die Globalisierung muss also weitergehen, auch wenn Einzelne gigantische Gewinne machen.
DIE ZEIT: Wie viel Anspruch auf Sicherheit hat der Einzelne in dieser globalisierten Welt?
Koch: Ich glaube, dass es ein Basisnetz geben muss. Und ansonsten muss man den Menschen sagen, dass das Leben nicht über Jahrzehnte hinweg planbar ist. Nur wer das Selbstvertrauen hat, unsichere Entwicklungen auf sich zu nehmen, kann Chancen auch nutzen.
DIE ZEIT: Herr Koch, Sie reden, als sei die Zeit 2005 stehen geblieben. Die Kanzlerin sagt inzwischen, die Politik müsse den Menschen in der Globalisierung Halt und Sicherheit geben.
Koch: Deshalb bin ich ja für ein Basisnetz. Unsere ökonomische Strategie der letzten Jahre war richtig, aber wir haben bei zu vielen Menschen den Eindruck hinterlassen, als würde dies dauerhaft ihre Aufstiegschancen vermindern, statt sie zu vermehren. Manchmal sind wir auch zu technokratisch kühl dahergekommen. Wir wollen eine gesunde, marktwirtschaftliche Ökonomie. Von den Reichen zu nehmen und alles zu verteilen à la Lafontaine, das macht einen Tag glücklich, und am nächsten Tag beginnt die Armut.
DIE ZEIT: Aber Lafontaine zieht, die Stimmung im Land hat sich geändert, die Gewerkschaften bekommen Beifall für hohe Lohnforderungen.
Koch: Ich antworte darauf mit unseren Erfolgen: Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Das heißt: Veränderung ist möglich. Wir kämpfen jetzt darum, dass die Bürger mit uns diesen Weg weitergehen.
DIE ZEIT: Ein Beispiel?
Koch: Wir werden nicht umhinkommen, länger zu arbeiten. Die Frage des altersgerechten Arbeitens wird eine der Kernfragen des nächsten Jahrzehnts. Die Älteren werden in der Gesellschaft gebraucht, dürfen aber nicht überfordert werden.
DIE ZEIT: Also weitere Zumutungen? Ist das die Botschaft der Union im Wahljahr 2009?
Koch: Die Fragen im Wahlkampf werden sein: Habe ich noch Arbeit? Übergebe ich meinen Kindern ein Land, auf das sie sich freuen können? Kann ich sicher leben? – Dabei kommt es nicht auf die einzelne Gesetzgebung im Bereich von Kündigungsschutz und Bankenrecht an, sondern darauf, wem die Menschen eher zutrauen, einen entsprechenden Rahmen schaffen zu können.
DIE ZEIT: Vorhin haben Sie unterstellt, die Menschen wollen, dass sich möglichst wenig verändert. Man könnte daraus schließen, dass diejenigen gewinnen werden, die mehr regeln wollen.
Koch: Wenn die Menschen glaubten, man könne den Wohlstand per Gesetz festschreiben, würden die Linken schon lange regieren. Die meisten Bürger sind erfahren genug, um zu wissen, dass man Wohlstand nicht gesetzlich anordnen kann, sondern erarbeiten muss.
DIE ZEIT: Wie viele denken in der Union noch wie Sie?
Koch: Eine Mehrheit!
DIE ZEIT: Dann tarnen die sich aber ziemlich gut.
Koch: Ich räume Ihnen ein, dass die Sorge, als zu kalt empfunden zu werden, wenn man die ökonomischen Prinzipien vertritt, viele meiner Kolleginnen und Kollegen umtreibt. Solange man dabei seine Prinzipien nicht verletzt, ist das ein Ausweis von Sensibilität und nicht davon, ein Prinzipienungeheuer zu sein.
Das Gespräch führte Brigitte Fehrle.