Ministerpräsident Koch zur Bankenkrise
Der Hessische Ministerpräsident im Interview im Deutschlandfunk
Friedbert Meurer: Der Tag danach in den USA. Das Investmenthaus Lehman Brothers ist unter dem Druck von 630 Milliarden Dollar Schulden zusammengebrochen. Die Regierung der USA war diesmal nicht bereit, dem Institut mit Steuermilliarden aus der Patsche zu helfen. Bei zwei großen Hypothekenbanken war da noch anders entschieden worden.
Am Telefon begrüße ich den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch von der CDU. Guten Morgen, Herr Koch.
Roland Koch: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Wie misstrauisch, Herr Koch, bleiben Sie, dass die Krise nicht beendet ist?
Koch: Ich glaube, man muss sehr vorsichtig und sehr wachsam bleiben, denn wir wissen ja aus den Statistiken, die die internationalen Bankenorganisationen herausgegeben haben, dass es nach wie vor eine Situation gibt, dass die Schätzungen, wie viele Milliarden, Hunderte von Milliarden von der Krise letzten Endes bedroht sind, noch durch die Summe der schwierigen Situation einzelner Unternehmen nicht erfüllt sind. Wer also jetzt glaubt, es wäre alles vorbei, wäre, denke ich, unvorsichtig.
Meurer: Es hat ja schon einige Einschätzungen gegeben. Das Schlimmste sei überstanden; Josef Ackermann von der Deutschen Bank hatte das behauptet. War das Taktik, oder haben die Leute das wirklich geglaubt, auch ein Josef Ackermann?
Koch: Ich denke schon, dass die Hoffnung ist, dass die Elemente, die in den Instituten an Schwierigkeiten für die Bilanz waren, beseitigt seien. Aber sicherlich ist auch wahr, Psychologie ist in der Wirtschaft von erheblicher Bedeutung. Wenn alle Verantwortlichen in der Wirtschaft ununterbrochen von der nächsten Krise reden, kommt sie mit einer größeren Wahrscheinlichkeit, denn man darf ja nicht vergessen: Viele der wirtschaftlichen Probleme werden durch Bewertungsrisiken ausgelöst in den Bilanzen der Banken. Diese Bewertungsrisiken werden um so schlimmer, je öfter man sie für schlimm hält. Also die Psychologie hat ja eine Wirkung. Deshalb verstehe ich, dass Verantwortliche in der Finanzindustrie wie Josef Ackermann auch versuchen, diese Stimmung des dauernden selbsterfüllenden sich Prophezeiens, dass es immer schlechter wird, zu stoppen.
Meurer: Also mit Ehrlichkeit kommt man in der Branche manchmal nicht weiter?
Koch: Ehrlichkeit ist ja eine Frage von objektiven Daten. Keiner hat objektive Daten. Das ist ja unser Problem. Wenn einer mal einen Strich ziehen könnte unter dem Motto, jetzt wissen wir genau den Schaden, dann wäre es einfach. Aber wie gesagt: es kann eben passieren, dass ein Paket mit einer Milliarde Forderungen an einem Tag eine Milliarde wert ist und drei Tage später, so wie es in den letzten drei Tagen erneut passiert ist, nur noch 500 Millionen. Alleine diese Tatsache, dass sich gar nichts verändert hat außer der Bewertung dieses Papiers, kann ein Institut in eine Schieflage oder in den offenen Konkurs bringen. Deshalb ist die Prognose, wann ist das Ende, denke ich, das muss man zugestehen, objektiv so schwierig und die Hoffnung, dass man auch psychologisch irgendwann diese Entwicklung stabilisieren kann, sehr groß.
Meurer: Die Immobilienkrise, die Finanzmarktkrise, die Tatsache, dass hier ein Institut über 600 Milliarden Dollar Schulden anhäufen kann, ist das ein Lehrbeispiel für den viel zitierten entfesselnden Kapitalismus, der von der Politik nicht gebändigt wird?
Koch: Ganz sicherlich müssen wir über Regulierung neu nachdenken. Die amerikanische Aufsicht hat jedenfalls in ihren Kontrollsystemen noch weniger Erfolg gehabt als zum Beispiel die europäische. Wir werden auch nicht mehr so selbstverständlich sagen können, wenn einer „US-amerikanischer Standard“ sagt, dann ist der auf der sicheren Seite. Es bleibt auch die Tatsache richtig, in einer globalisierten Welt werden die Beträge, die im Risiko stehen, in der Summe größer. Allerdings muss man auch hinzufügen, der internationale Markt verkraftet eben auch sehr viel größere Beträge, wenn sie ausfallen. Globalisierung ist nicht nur eine Vergrößerung der Risiken, sondern auch eine Vergrößerung der Chance. Atemberaubend bleiben jedenfalls für uns einzelne Menschen die Beträge dennoch.
Meurer: Trotzdem ist das ganze mit der Gefahr verbunden, dass es Domino-Effekte gibt. Hatten wir zu viel Laissez-faire?
Koch: Nein. Ich glaube nicht, dass man auf die Zukunft prognostizieren sollte, dass wir als wie auch immer geordnete Weltregierungen – das müsste es in einer globalisierten Welt dann sein – glauben können, wir können alle Risiken, insbesondere die psychologischen Risiken, die sich aus Einzelergebnissen ergeben, unter Kontrolle halten. Wir haben, glaube ich, in Deutschland bei der ganz, ganz schwierigen Entscheidung für die IKB eine richtige Entscheidung damals getroffen, um zu verhindern, dass ein solcher Domino-Effekt in Deutschland auftritt. Aber es gibt auch Größenordnungen, da kann und darf der Staat nicht mehr eingreifen. Und wir sollten nicht vergessen: Wir haben den Schwarzen Freitag das erste Mal in den 30er Jahren gehabt und nicht im Jahre 2003 oder 2008. Das bedeutet, Entwicklungen, die international Börsen ins Rutschen bringen können, weil die Wirtschaft in einer Blasensituation ist, die platzt und die bereinigt wird, das gehört zur marktwirtschaftlichen Ordnung am Ende auch dazu. Es muss so gering wie möglich gehalten werden. Der Staat muss versuchen, einen regulierenden Beitrag zum Schutz von einzelnen Anlegern zu bieten. Das tut er aber jetzt auch.
Meurer: Und da ist die Frage, ob diese Regulation zu wenig war. Sie sprachen die IKB-Bank an. Das hat den Steuerzahler Milliarden Euro gekostet. Ist das ein Beispiel, dass auch in Deutschland die Kontrollen zu lasch sind, wenn Institute riskante Geschäfte eingehen?
Meurer: Sicherlich ist eine der Konsequenzen, die man daraus ziehen muss, dass Geschäfte außerhalb der Bilanz, die bei der IKB das entscheidende Moment für die Schieflage waren, nicht mehr möglich sind (das ist allerdings ziemlich zeitgleich mit der IKB-Krise aus anderen Gründen auch schon unsere Erkenntnis gewesen und durchgesetzt worden). Das heißt, das was dort passiert ist, wäre heute in dem Aufsichtssystem, das wir in Europa haben, nicht mehr möglich. Trotzdem: Es wird immer wieder neue Risiken geben, die ich auch nicht jetzt anfangen würde, durch staatliche Regierung an jeder Stelle zu beseitigen. Wenn wir jedes Bankgeschäft vom Staat genehmigen lassen, wird es nur nicht mehr in diesem regulierten Land stattfinden, sondern irgendwo, wo man sich der Regulierung entziehen kann. Das heißt, es muss ein angemessenes Geben und Nehmen auch von Regulierung und freier marktwirtschaftlicher Ordnung auch in Zukunft bleiben und kein Politiker sollte behaupten, er könne ein System aufbauen, in dem er Entwicklungen sicher verhindern kann, in denen Unternehmer scheitern, weil sie falsch spekuliert haben.
Meurer: Im Bundestag beginnt heute die Haushaltswoche. Wie groß sind die Risiken, dass die Pläne überholt sein können durch die Entwicklungen in den USA?
Koch: Ich glaube, dass man jetzt bei allem Respekt vor der Finanzkrise, die ein Bundesland wie Hessen und uns hier in besonderer Weise auch bei den Steuereinnahmen trifft, nicht übertreiben kann. Wir stehen nach meiner Einschätzung keineswegs vor einer Weltwirtschaftskrise, sondern wir stehen vor einer schweren Krise einer Industrie, die wichtig ist für uns, und wir stehen im Übrigen vor einer Phase der Abkühlung unserer Konjunktur. Das wird natürlich Folgen haben.
Meurer: Das kann ja verschärft werden jetzt, Herr Koch.
Koch: Das kann verschärft werden. Diese Verschärfung kann auch dazu führen – das hat das Kieler Institut ja dieser Tage ausgerechnet -, dass in einem Bundeshaushalt auch Nachsteuerungsbedarf besteht, um zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Fest steht jedenfalls: Geld, das man mehr ausgeben kann, oder Steuern, die man schnell senken kann, ohne damit den Haushalt und seinen Ausgleich wieder zu belasten, diese Situation besteht nicht, sondern das Projekt eines ausgeglichenen Bundeshaushalts bleibt eine extrem angespannte Aufgabe. Ob man da jetzt bei 280 Milliarden drei Milliarden mehr oder weniger hat, kann auf zwei Jahre voraus ohnehin niemand sagen. Das kann auch ein Haushalt steuern, das muss er leisten.
Meurer: Es fragen sich ja viele, wenn schon unter günstigen Bedingungen immer noch zehn Milliarden Euro neue Schulden bleiben, wie soll dann 2011 die Neuverschuldung auf Null gedrückt werden können unter dann schwierigeren Umständen.
Koch: Dafür hat ja Peer Steinbrück einen Plan vorgelegt. Die Große Koalition ist ja aus dem dramatischen Tal der Verschuldung bis zum heutigen Tag nicht aus Zufall herausgekommen, sondern mit einer sehr präzisen und wie ich finde auch sehr akkuraten Steuerung des Haushalts. Insofern: Wenn nicht außergewöhnliche Ereignisse hinzu kommen, dann kann Peer Steinbrück diese Ziele auch für die Große Koalition erreichen. Nur man muss immer wissen: Es ist nicht mit einer Risikovorsorge geplant, sondern es ist unter optimalen Bedingungen der Versuch, die Aufgaben des Staates zu erfüllen, etwa von der auswärtigen Politik bis zur Bildungspolitik die Herausforderungen nicht liegen zu lassen für die nächste Generation und ihr trotzdem keine neuen Schulden zu hinterlassen. Das geht unter größter Anspannung und wir werden die nächsten Jahre über Sparen reden müssen und nicht über mehr Ausgeben.
Meurer: Deswegen haben Sie vermutlich auch dafür votiert, die Pendlerpauschale nicht wieder aufleben zu lassen. Empfehlen Sie den Koalitionären Disziplin, mehr Disziplin?
Koch: Ich empfehle ihnen strenge Disziplin. Ich will jetzt gar nicht sagen mehr Disziplin, denn bisher ist der Haushalt in den erwarteten Plänen verlaufen. Aber jetzt kommt eine anstrengende Zeit. Wir müssen das Ziel, das wir in der Föderalismusreform diskutieren, dauerhaft ausgeglichene Haushalte zu haben, im Auge behalten. In Zukunft darf es Ausschläge nur noch aus eng begrenzten konjunkturellen Situationen geben, wo man die Schulden, die man macht, im nächsten und übernächsten Jahr zurückzahlen muss, ganz anders als das in der Vergangenheit war. Und das bedeutet: Jeder, der große Ausgabenpläne hat, wird die angesichts der aktuellen Situation wieder auf den Prüfstand stellen müssen. Wir sollen froh sein, wenn wir das bezahlen können, was wir haben. Wir werden uns nicht schnell große neue Ausgabenblöcke leisten können.
Meurer: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke, Herr Koch, und auf Wiederhören.
Koch: Auf Wiederhören.