Koch: „Hessen ist die erste Bewährungsprobe für die neue SPD-Führung. Frank-Walter Steinmeier hat deutlich gesagt, dass er den Wortbruch in Hessen und eine Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei in einem westdeutschen Bundesland für nicht verantwortlich hält.“
Der Hessische Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Welt am Sonntag
Welt am Sonntag: Herr Ministerpräsident, Sie sind gerade aus der Volksrepublik Vietnam zurückgekehrt. Informieren Sie sich jetzt schon, wie es in Ländern zugeht, die von Kommunisten regiert werden?
Roland Koch: Vietnam hat sich nach schauerlichen sozialistischen Experimenten, für die das Volk bitter bezahlt hat, für eine offene, marktwirtschaftliche Ordnung entschieden. Deshalb gibt es in Vietnam schon lange keinen Hunger mehr, und das Land wird in absehbarer Zeit den Status eines Entwicklungslandes verlassen. Vertreter der deutschen Linkspartei wären angesichts der strikt marktwirtschaftlichen Gesinnung der vietnamesischen KP wahrscheinlich von einem Parteiausschluss bedroht.
WamS: Noch ist Hessen keine Volksrepublik. Erwarten Sie von der neuen SPD-Führung, dass sie Frau Ypsilanti stoppt?
Koch: Hessen ist die erste Bewährungsprobe für die neue SPD-Führung. Frank-Walter Steinmeier hat deutlich gesagt, dass er den Wortbruch in Hessen und eine Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei in einem westdeutschen Bundesland für nicht verantwortlich hält. Und er hat hinzugefügt, dass es dabei um die Glaubwürdigkeit seiner Partei geht. Er wird damit leben müssen, dass ihn die Deutschen an seiner eigenen Aussage messen. Er muss jetzt beweisen, dass seine Autorität ausreicht, in der SPD etwas zu bewirken.
Welt am Sonntag: Und wenn sich Andrea Ypsilanti doch zur Wahl stellt?
Koch: Dann sind seine Versprechen, dass das Gleiche nicht auch auf Bundesebene möglich wäre, absolut unglaubwürdig. Vergessen Sie nicht: Die Zusammensetzung des hessischen Landtages entspricht im Moment der Zusammensetzung des Bundestages. Die Frage, die sich heute in Hessens stellt, könnte sich je nach Ausgang der Bundestagswahl auch im Bund stellen.
Welt am Sonntag: Der designierte SPD-Chef Franz Müntefering möchte eine formale Koalition mit der Linkspartei in Hessen anstatt nur einer Tolerierung. Warum?
Koch: Das ist ein Trick, um Rot-Rot zu verhindern. Müntefering weiß – wie viele Sozialdemokraten in Hessen auch –, dass es ein schlichter Irrsinn wäre, eine Koalition abzuschließen mit einer Partei, die von Verstaatlichung von Betrieben träumt, die kein geerdetes Verhältnis zu Institutionen wie dem Verfassungsschutz hat, die die amerikanischen Truppen möglichst schnell aus Deutschland vertreiben will und deren Programm in Hessen wie im Bund ist, die Schulden hochzutreiben, um die Steuern erhöhen zu können.
Welt am Sonntag: Seit die neue Führung der SPD feststeht, nehmen die Gerüchte zu, die Wahl von Ypsilanti könnte aus den eigenen Reihen sabotiert werden.
Koch: An Spekulationen werde ich mich nicht beteiligen. Ich weiß allerdings, dass unter den SPD-Abgeordneten viele respektable Persönlichkeiten sind. Ich bin sicher, die werden sich nicht erpressen lassen und am Ende nach ihrem Gewissen entscheiden.
Welt am Sonntag: Bieten Sie den Sozialdemokraten erneut eine große Koalition an, wenn Rot-Rot scheitert?
Koch: Wir haben der SPD unmittelbar nach der Landtagswahl Gespräche angeboten. Die hessische SPD hingegen hat etwas getan, was es zuvor in Deutschland noch nie gegeben hat: Sie hat einen förmlichen Parteitagsbeschluss gefasst, mit jedem zu reden, nur nicht mit der CDU. Dieser Beschluss ist unter Demokraten ungehörig und muss vom Tisch. Dann ist selbstverständlich unter demokratischen Parteien ein Gespräch möglich.
Welt am Sonntag: Sie würden auch mit Andrea Ypsilanti über eine große Koalition in Hessen reden?
Koch: Das wäre schwierig, aber ich schließe es nicht aus. Die Albernheit, anderen politischen Parteien das Personal vorzuschreiben, haben wir noch nie mitgemacht.
Welt am Sonntag: Franz Müntefering hält sich viel darauf zugute, „Wahlkampf zu können“. Muss sich die Union jetzt warm anziehen?
Koch: Das Problem der SPD sind nicht Personen. Sie verschleißt so viele, weil sie keine grundlegende inhaltliche Übereinstimmung über ihren zukünftigen Weg mehr hat. Die Sozialdemokraten werden nicht vermeiden können, in einer spannenden gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung Position beziehen zu müssen. Man kann nicht in der Mitte bleiben wollen und sich gleichzeitig an die Seite der Linkspartei schmiegen. Da sich die SPD in dieser Frage nicht einig, ja mittendrin gespalten ist, wird am Ende keine Person durchschlagenden Erfolg haben.
Welt am Sonntag: Die Union plante einen nur dreimonatigen „Blitzwahlkampf“. Ist das nun obsolet?
Koch: Ich rechne mit einem langen, harten und schwierigen Wahlkampf. Denn es geht um eine sehr grundlegende Richtungsentscheidung in Deutschland. Wir sind darauf vorbereitet. Die SPD hat sich jetzt eine neue Führung gegeben, weil sie sich mit ihrem bisherigen Führungspersonal nicht getraut hat, diese Herausforderung auch nur anzugehen.
Welt am Sonntag: Warum soll der Bürger diese Richtungsentscheidung nicht jetzt treffen und erst noch ein Jahr große Koalition ertragen?
Koch: Die Bruchstelle für die Koalition ist die SPD, die durch ihren Umgang mit der Linkspartei immer mehr Zweifel an ihrer Verlässlichkeit sät. Meine Empfehlung bleibt dennoch, die gemeinsam vereinbarten Aufträge zu erfüllen. Die SPD führt uns allerdings immer wieder an den Rand des Zumutbaren.
Welt am Sonntag: Wir erleben gerade eine Konjunktur, die sich zum ersten Mal seit Jahren deutlich eintrübt. Wem wird das im Wahlkampf nützen – der Union oder der SPD?
Koch: Der Hauptwettbewerb des Wahlkampfs wird dahin gehen, welcher Partei die Deutschen zutrauen, eine gute wirtschaftliche Zukunft zu garantieren und Aufstiegschancen für den Einzelnen zu ermöglichen. Die CDU setzt auf eine marktwirtschaftliche Ordnung, die andere Seite auf den Staat. Die wirtschaftliche Lage unterstreicht die Bedeutung dieser Entscheidung noch.
Welt am Sonntag: Mit dem Aussprechen harter ökonomischer Fakten hat die Union im vergangenen Wahlkampf eher schlechte Erfahrungen gemacht.
Koch: Wir müssen den Menschen das Vertrauen geben, dass wir die Probleme nicht nur richtig beschreiben, sondern auch Lösungen bieten, die den Menschen angemessen sind. Das ist uns 2005 nicht hinreichend gelungen. Wir sind davon überzeugt, dass nur eine marktwirtschaftliche Ordnung steigende Einkommen bringt und einen Sozialstaat finanzierbar macht. Und wir arbeiten deshalb daran, diese Überzeugung so zu formulieren, dass die Bürger darin nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance sehen.
Welt am Sonntag: Einige in der CDU wollen eine neue Rote-Socken-Kampagne führen. Halten Sie das für sinnvoll?
Koch: Es geht nicht um einen Begriff, sondern um Klarheit in der Auseinandersetzung. Und die um das ungeklärte Verhältnis zu Menschenrechtsverletzungen, Diktatur und Rechtsstaat können wir weder der Linkspartei noch einer auf sie zugehenden SPD ersparen – und wir dürfen sie ihnen auch nicht ersparen. Für die Zukunft Deutschlands entscheidet sich extrem viel an der Frage, ob Menschen die Politik mitbestimmen, die unsere freiheitliche Grundordnung und unsere soziale, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung zerstören wollen.