Koch: „Vom Bierdeckel können wir nicht mal mehr träumen“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Bonner General-Anzeiger
GA: Die CDU verlässt sich zu sehr auf den Merkel-Faktor: Stimmen Sie dieser These zu?
Roland Koch: Nein. Angela Merkel ist natürlich ein wichtiger wahlentscheidender Faktor. Und wir sind zugleich mitten dabei, die programmatischen Voraussetzungen für eine Regierungszeit ohne die SPD zu schaffen.
GA: Das Problem ist: Frau Merkel hat hohe Zustimmung, die Partei allerdings dümpelt bei dem Ergebnis des Debakel-Jahrs 2005 herum …
Koch: Das hat mit zwei Gründen zu tun. Alle sind froh, dass Angela Merkel so viel Anerkennung gerade auf außenpolitischem Feld hat. Eine große Koalition ist aber eine große Koalition. Sie freut die Stammwähler nicht, innenpolitische Profilierung fällt schwer. Übrigens tragen beide Parteien das Risiko, wie man an den tristen Umfragewerten der SPD erkennen kann, zumal der Wortbruch von Frau Ypsilanti dazu kommt.
GA: Die CDU steht also für eine gewisse Beliebigkeit …
Koch: Nein, beileibe nicht. Natürlich ist der Leipziger Parteitag eine wichtige Wegmarke. Aber wir müssen auch die Beschlüsse der großen Koalition vertreten, die in der Mitte zwischen Union und SPD liegen. Das ist staatspolitisch geboten. In der Wählerschaft gibt es viele, die mit der SPD zusammen gar nicht gesehen werden wollen. Dieser Preis einer großen Koalition wird der CDU nicht schaden, wenn wir zeigen können, wie wir uns für die Zeit profilieren, in der wir ungestört von den Sozialdemokraten regieren können.
GA: Ist der Verdruss denn so groß, dass man die Fortsetzung für unmöglich erklärt?
Koch: Wir haben bei den Koalitionsverhandlungen 2005 die gemeinsamen Interessen ausgelotet. Dabei sind eben solche Projekte wie der neue Stellenwert in der Bildung, die Unternehmensteuerreform, die Erbschaftsteuerreform oder die Föderalismusreformen herauskommen. Mehr ist nicht. Wir sind am Ende der gemeinsamen Projekte angelangt.
GA: Ist es logisch, wenn sich die CDU grundsätzlich dafür einsetzt, die Rolle des Staates zu beschneiden, aber im Koalitionsalltag dem Staat eine nie gekannte Stärke verleiht?
Koch: Nochmal: Sie kommen in einer großen Koalition nicht ohne Kompromisse aus. Wir sind häufig bis zum Risspunkt gegangen. Aber unsere Aussage bleibt: Die SPD will den Staat noch weit mehr ins Spiel bringen.
GA: Das ist doch paradox.
Koch: Die Alternative wäre eine Links-Koalition unter Beteiligung der Kommunisten und von Lafontaines Gnaden gewesen. Das hätte dann viel mehr Staat bedeutet. Angela Merkel hat ganz klar das Beste aus der schwierigen Situation gemacht.
GA: War denn die große Koalition zu nichts nütze?
Koch: Doch. Wenn ich mir die Senkung der Unternehmensteuerreform anschaue, die Einführung der Abgeltungssteuer – das wäre außerhalb einer großen Koalition sehr viel schwieriger geworden, weil es eine Menge neiddurchsetztes Verhetzungspotenzial gibt. Da haben wir den Staat übrigens zurückgenommen. Und das steht der CDU gut an.
GA: Hat die CDU ein Zukunftsthema?
Koch: Die Frage, wer dem Menschen die größere Hoffnung auf eine Zukunft mit Aufstiegschancen bietet, muss unser zentrales Thema sein. Das wird die Kernfrage. Es geht darum, das Grundgefühl zu erfassen, dass die Bürger ihren Wohlstand durch Leistung maximieren wollen und können müssen. Es geht nicht darum, gesellschaftlichen Rückschritt zu organisieren. Das kann die Staatspartei SPD besser. Für den Fortschritt sind wir zuständig. Das muss deutlich werden.
GA: Ein Blick in die Zukunft: Wie beurteilen Sie die Chancen eines Schuldenregimes bei einer Finanz-Föderalismusreform?
Koch: Das ist ein hartes Ringen. Es gibt viele in der Politik, die Angst davor haben, den Menschen zu erklären, dass es bestimmte Projekte nicht gibt, weil keine Schulden gemacht werden dürfen. Aber ich sehe Chancen. Denn es gibt auch den Konsens, dass dem Staat der Weg zu schuldenfinanzierten neuen Projekten versperrt werden muss. Dafür kämpfe ich.
GA: Trauen Sie Oettinger und Struck den Konsens zu?
Koch: Sie müssen und können mutig genug sein. Auf ihre Vorschläge kommt es entscheidend an, ich habe in dieses Gespann Vertrauen. Und auf die anschließende Geschlossenheit. Niemand darf sich bei dieser Frage ungestraft in die Büsche schlagen.
GA: Ein Randaspekt: Sehen Sie die Arbeit der ersten Föderalismuskommission genügend gewürdigt?
Koch: Gegenfrage: Entziehen sich verfassungsrechtliche Strukturreformen nicht der öffentlichen Würdigung? Die Öffentlichkeit hat doch kaum Interesse daran. Die Politik muss für die Funktionsfähigkeit der Systeme sorgen. Die Föderalismusreform I ist schon ein beachtlicher Erfolg.
GA: Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass die Erbschaftssteuerreform scheitert?
Koch: Es ist sehr gering. Die Eckpunkte haben Steinbrück und ich mit unserer Kommission ausgehandelt. Was der Koalitionsausschuss beschlossen hat, wird in seinem Kern auch umgesetzt.
GA: Stichwort Gesundheitsfonds: Hält das?
Koch: Ich hoffe das. Niemand wird wagen, das Rad zurückzudrehen. Der Fonds ist für alle weitere Reformen in diesem Bereich eine elementare Voraussetzung. Das Problem bleibt der fehlende Wettbewerb. Der Weg zum Mut der Kassen, unterschiedliche Beiträge zu erheben, ist noch lang. Aber die Mechanik dafür ist durch den Gesundheitsfonds gelegt.
GA: Ist ein Nein aus Karlsruhe zur Pendlerpauschale tatsächlich jene Katastrophe, die Sie zusammen mit Peer Steinbrück so wortreich beklagen?
Koch: Es wäre steuerpolitisch verheerend. Das Bundesverfassungsgericht würde jede Möglichkeit der Steuervereinfachung nehmen. Alle Formen der Pauschalierung würden verbaut. Und von dem „Bierdeckel“, dessen Umfang Friedrich Merz einmal für die Formulierung einer Steuererklärung für hinreichend erachtete, können wir nicht mal mehr träumen.
GA: Hat sich das Thema nicht aber längst sozialpolitisch verselbstständigt?
Koch: Mag sein. Es muss klar werden, dass der Staat überfordert ist, wenn er die höheren Energiepreise auffangen soll. Unser Ziel bleibt, die Bürger zu entlasten. Aber das kann nicht dadurch geschehen, dass der Staat – und das sind doch wir alle – für die hohen Energiepreise in Haftung genommen wird.
GA: Was ist das Motiv der Steinbrück-Koch-Intervention eine Woche vor der Karlsruher Verhandlung?
Koch: Karlsruhe muss sich darüber klar werden, ob es ein einfaches oder kompliziertes Steuersystem haben will. Und es muss dem Gericht klar werden, wieweit es die Handlungsfreiheit der Politik einschränken will. Das muss Politik vorher sagen, wenn sie nicht im Anschluss lamentieren will.
GA: Wie beurteilen Sie die Situation in Hamburg?
Koch: Schwarz-Grün ist in einer großen Stadt – wie wir aus Frankfurt oder Wiesbaden wissen – sicherlich leichter zu realisieren als in einem Flächenstaat. Die Zusammenarbeit in solchen Einheiten mit den Grünen funktioniert sehr verlässlich. Aber das ist nicht zu vergleichen mit jenen Anforderungen, die sich an bundesratsrelevante Länderpolitik stellt.
GA: Wäre für Schwarz-Grün oder eine Jamaika-Konstellation nicht ein symbolischer programmatischer Schwenk notwendig, beispielsweise in der Atomfrage?
Koch: Sicher debattiert man im Laufe der Zeit auch über Symbolfragen. Der Dissens über die Nutzung der Kernenergie wird bestehen bleiben. Bei erneuerbaren Energien sieht das anders aus, da können Wege gefunden werden.
GA: Also Roland Koch ergrünt nicht?
Koch: Ich gebe meine Überzeugungen nicht auf. Aber die Grünen haben Sorge um den Planeten, wollen zugleich den Wohlstand mehren. Uns liegt auch beides am Herzen. Wir müssen die Gegensätze auf das unbedingt notwendige Maß reduzieren. Diese Gegensätze sind beachtlich, aber nicht so gravierend, wie wir das bisher empfunden haben. Das Ringen um die Frage, wo es tatsächlich unvereinbare Positionen gibt, lohnt sich mit den Grünen.
GA: Schließen Sie – über Hamburg hinaus – Schwarz-Grün auf Länderebene aus?
Koch: Warum sollte ich?
GA: Der alte Konfrontierter Koch wird weich?
Koch: Die Grünen haben sich zur Zeit zu fest an die SPD gekettet. Und ich sehe: Sie bereuen dies jeden Tag mehr.
GA: Was erklärt Ihre persönliche Gelassenheit?
Koch: Die Klärung der linken Option ist notwendig, damit die Grünen in die Lage versetzt werde, sich uns gegenüber zu positionieren. Meine Partei hat mir die Vollmacht zu Gesprächen mit den Grünen, aber auch mit der SPD gegeben.
GA: Welche Rolle spielt Ihre Herausforderin Ypsilanti?
Koch: Ihr unbändiger Drang zur Macht, um das diplomatisch zu formulieren, erschwert den rationalen Diskussionsprozess bei den Grünen. Das sind Gärungsprozesse. Das Wort Himmelfahrtskommando für die Gefahren eines rot-rot-grünen Bündnisses haben die Grünen erfunden. Das ist doch keine Liebeserklärung an eine Koalition, sondern ein Dokument der Skepsis.
GA: Die Umfragezahlen signalisieren, dass viele Menschen in der Linkspartei eine Gruppierung sehen, die prima soziale Forderungen stellt. . .
Koch: Sie ist jenseits der demokratischen Kultur. Sie hat mit der parlamentarischen Demokratie und den Elementen des Verfassungsstaates nur so viel zu tun, wie es der Opportunismus erfordert. Und unbeobachtet verteilt sie Beitrittsanträge für die „Rote Hilfe“, die bemerkenswerte Parallelen zur Entstehung der terroristischen Rote-Armee-Fraktion aufweist. Und die Links-Partei will jetzt der Regierung nur beitreten, wenn der Verfassungsschutz sie nicht mehr beobachten darf. Das ist jenseits des demokratischen Grundkonsenses.
GA: Und wenn es dennoch zum Machtwechsel kommt: Wird Roland Koch Oppositionsführer?
Koch: Ich sehe weiter die Chance, mein Ministerpräsidentenamt weiter auszuüben.
Das Interview führte Thomas Wittke.