Im Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“ spricht Ministerpräsident Roland Koch über die Pläne der SPD-Fraktionsvorsitzenden Andrea Ypsilanti sich im Herbst mit Hilfe der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen, den vergangenen Wahlkampf der hessischen CDU und warum es für die SPD und CDU schlecht ist, wenn es langfristig zwei linke Parteien in Deutschland gibt.
SPIEGEL: Herr Koch, hat die CDU sich verändert, seit Angela Merkel Kanzlerin ist?
Koch: Aber natürlich.
SPIEGEL: Was ist anders geworden?
Koch: Wir sind in unserem Denken viel internationaler. Wir widmen uns intensiv Themen wie dem Umwelt- und Klimaschutz. Den weitesten Weg sind wir aber in der Familien- und Gesellschaftspolitik gegangen. Die Politik, die Ursula von der Leyen zur besseren Vereinbarkeit von Familie vorantreibt, hätte es vor zehn Jahren noch nicht gegeben.
SPIEGEL: Freut Sie diese Veränderung?
Koch: Es gibt dazu keine Alternative.
SPIEGEL: Viele CDU-Anhänger erkennen ihre Partei nicht wieder, sie hadern mit ihr.
Koch: Das hat weniger mit uns als mit unserer Situation in der Großen Koalition zu tun. Wir lassen viel Kraft in dem permanenten Abwehrkampf gegen die Versuche der SPD, den staatlichen Einfluss zu erhöhen. Darunter leidet das eigene Profil. Das führt bei manchen Wählern zu Irritationen.
SPIEGEL: Ihr saarländischer Kollege Peter Müller fordert mehr „CDU-Pur“. Wissen Sie eigentlich, was das ist?
Koch: CDU pur heißt darauf zu vertrauen, dass der einzelne Mensch mit seiner Verantwortung klüger ist als alle staatlichen Institutionen zusammen. Unsere politischen Gegner glauben, dass Kollektive klüger sind als Individuen.
SPIEGEL: Dann ist „CDU-Pur“ also das, womit die CDU bei der letzten Bundestagswahl baden gegangen ist.
Koch: Unser Problem war , dass nach dem Reformparteitag von Leipzig der Eindruck entstand, uns seien die Verlierer der ökonomischen Entwicklung gleichgültig. Wir wirkten kalt. Das war ein Missverständnis. Und wir wissen jetzt besser, dass es nicht nur auf Fakten ankommt sondern auch darauf, wie sich etwas anfühlt. Ich glaube, dass uns dies bei der kommenden Bundestagswahl nicht wieder passiert.
SPIEGEL: Weil Sie gleich auf ein Reformprogramm verzichten?
Koch: Das Reformkonzept von Leipzig ist nach wie vor richtig, aber Leipzig liegt hinter uns. Wir beschließen keine Programme, die vier Jahre alt sind. Die Gesellschaft hat sich auch weiterentwickelt. Natürlich werden wir im kommenden Jahr einen anderen Wahlkampf führen als 2005.
SPIEGEL: Für welche Reformen wollen Sie denn in diesem Wahlkampf werben?
Koch: Im Arbeitsrecht hat sich den letzten Jahren überhaupt nichts bewegt. Das müssen wir zum Thema machen. Man könnte auch diskutieren, ob man den Bürgern nicht mehr Wahlmöglichkeiten etwa in der Arbeitslosenversicherung lässt.
SPIEGEL: Woran denken Sie?
Koch: Warum soll ein Arbeitnehmer nicht selbst entscheiden, wie er sich absichern will? Wem es reicht, ein Jahr lang Arbeitslosengeld zu bekommen, der bezahlt den normalen Beitrag. Wer gerne für eine längere Zeit Sicherheit haben möchte, muss eben mehr ausgeben.
SPIEGEL: Die Steuern wollen Sie wohl nicht mehr senken?
Koch: Wir müssen den Bürgern in der nächsten Wahlperiode das zurückgeben, was sie durch die Inflation verlieren, weil sie ohne realen Einkommensgewinn in eine höhere Steuerklasse rutschen. Viel mehr Entlastung wird nicht möglich sein.
SPIEGEL: Früher wollten Sie mal ein Steuersystem, das auf einen Bierdeckel passt.
Koch: Wir müssen nach wie vor über ein einfacheres Steuersystem reden. Aber wir können den Bürgern keine Milliarden zurückgeben, wenn wir den Haushalt solide finanzieren wollen. Wir haben eine Steuerquote von etwa 20 Prozent. Die wird ein moderner, sozial verantwortlicher Industriestaat wie Deutschland nicht grundlegend ändern können.
SPIEGEL: Sie selbst haben in diesem Jahr einen harten, polarisierenden Wahlkampf geführt, haben 12 Prozentpunkte verloren und müssen nun um Ihren Job zittern. Ihr Parteifreund Christian Wulff hat in Niedersachsen mit geschmeidigem Singsang die Wahl gewonnen. Ist das der Trend der Zeit?
Koch: Jeder Wahlkampf in jeder Zeit und in jeder Region hat seine besonderen Umstände. Wer glaubt, Wahlkämpfe kopieren zu können, liegt immer falsch. Unser Wahlkampf war nicht erfolgreich. Das bedeutet nicht, dass die Themen, die in dem Wahlkampf eine Rolle gespielt haben, nicht mehr Gegenstand künftiger CDU-Wahlkämpfe sein können.
SPIEGEL: Sie haben also nichts gelernt aus Ihrem Scheitern?
Koch: Man kann daraus lernen, dass in der emotionalen Debatte dieser drei Wochen Wahlkampf Dinge aus den Fugen geraten sind.
SPIEGEL: Für die Emotionalisierung mit dem Thema Jugendkriminalität waren Sie doch verantwortlich.
Koch: Die innere Sicherheit sollte ein Thema neben mehreren sein. Unsere Gegner haben es geschafft, den Eindruck zu erwecken, uns ginge es um ein reines Wahlkampfmanöver.
SPIEGEL: Sie provozieren als Person viel Widerstand. Wünschen Sie sich manchmal ein so moderates, geschmeidiges Image wie der Kollege Wulff?
Koch: Nicht nur für Wahlkämpfe, auch für Menschen gilt: Man kann sie schlecht vergleichen. Eine Partei lebt von unterschiedlichen Typen. Wenn Sie mich persönlich fragen, ob ich lieber umstritten bin oder anerkannt, dann ist die Antwort einfach: Je weniger Konflikte es um mich herum gibt, umso lieber ist es mir.
SPIEGEL: Das ist jetzt ein Witz, oder? Einen harmoniebedürftigen Eindruck machen Sie auf uns nicht.
Koch: Zu meinem Verständnis von Politik gehört auch, die Gegensätze, die es gibt, sauber und klar zu formulieren. In Hessen, wo die Mehrheitsverhältnisse traditionell knapp sind, ist die Auseinandersetzung besonders scharf. Wer hier nicht klar Position bezieht, wird nicht hinreichend verstanden.
SPIEGEL: Stört Sie Ihr öffentliches Image als Unsympath manchmal?
Koch: Ich werde oft damit konfrontiert, dass Menschen sich von mir mit dem Satz verabschieden: „Sie sind ja viel netter als im Fernsehen.“ Dann denkt man natürlich darüber nach, ob man in der Öffentlichkeit etwas falsch macht.
SPIEGEL: Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Koch: Dass man mit dem öffentlichen Bild, das es von einem gibt, leben muss. Ich habe beschlossen, Politik weiter in der Art zu machen, die nun mal meine ist. Am Ende ist es sehr wichtig, dass wir in unserem Verhalten authentisch bleiben. Wenn Politiker versuchen, ein bestimmtes Bild von sich zu kreieren, dann werden sie zu einer Kunstfigur. Das Einzige, was man mir wirklich nicht vorwerfen kann, ist, dass ich eine Kunstfigur wäre. Und darauf bin ich auch einigermaßen stolz.
SPIEGEL: Beschäftigt Sie die Aussicht, ab Dezember nicht mehr Ministerpräsident zu sein?
Koch: Es wäre ignorant, sich nicht damit zu beschäftigen. Schließlich will die SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti offenbar zur Wahl antreten. Aber ich kenne die politischen Parteien in Hessen gut. Es ist keineswegs sicher, dass Frau Ypsilanti da ankommt, wo sie hin will. In diesem Bewusstsein mache ich meine Arbeit und lasse nichts liegen.
SPIEGEL: Sie haben schon mit 14 Jahren einen Ortsverein der Jungen Union gegründet. Können Sie sich ein Leben ohne Politik überhaupt noch vorstellen?
Koch: Das ist eine gefährliche Frage. Ich will mit jeder Faser die politische Stellung der Union in diesem Land und meine Möglichkeiten, dieses Land mitzugestalten, behaupten. Es gibt nicht die geringsten Ausstiegswünsche.
SPIEGEL: Und jetzt bitte die Antwort auf unsere Frage.
Koch: Ich habe die privilegierte Situation, dass ich beruflich über sehr lange Zeit auf zwei Beinen stehen konnte. Ich habe ein Anwaltsbüro aufgebaut, Wirtschaftsunternehmen beraten, Verantwortung in den Gremien von Wirtschaftsunternehmen getragen. Ich habe eine ziemlich präzise Vorstellung, was aus mir wird, wenn ich nicht mehr Politiker bin. Aber ich arbeite im Augenblick daran, Politiker zu bleiben.
SPIEGEL: In Hessen hat schon einmal ein sehr erfolgreiches politisches Experiment begonnen: Die Zusammenarbeit von SPD und Grünen, Mitte der achtziger Jahre. Warum soll es für die SPD schlecht sein, wenn sie sich jetzt wieder eine neue Koalitionsoption erschließt?
Koch: Die Einschätzung, dass Frau Ypsilantis Weg eine Katastrophe für die SPD bedeutet, kommt aus der Führung der deutschen Sozialdemokratie. Ich halte sie uneingeschränkt für richtig. Der SPD würde endgültig die Rückkehr zur Volkspartei versperrt.
SPIEGEL: Das müssen Sie uns erklären.
Koch: Wenn es langfristig auch national zwei linke Parteien gibt, dann wird die SPD bei 20 Prozent verharren. Die Linke hat es mit ihrem Populismus immer etwas einfacher als die SPD. Was glauben Sie, wer im Wettstreit um linke Wähler am Ende die Nase vorn hat? Sicher nicht die SPD.
SPIEGEL: Ist das gut für die Union?
Koch: Das ist für die Union am Ende schlecht, weil es das gesellschaftliche Spektrum so verschiebt, dass es auch für uns schwieriger wird, Partner zu finden.
SPIEGEL: Sie selbst haben nach der Wahl in Hessen versucht, sich den Grünen anzubiedern. Haben Sie manchmal gedacht: Eine Zumutung, was man für Mehrheiten alles machen muss?
Koch: Ich weiß, dass vielen Parteimitgliedern der CDU bei dem Gedanken an eine Zusammenarbeit mit den Grünen das Blut gefriert. Auch für mich persönlich ist das ein weiter Weg. Schwarz-Grün ist eine sehr nüchterne Angelegenheit. Emotional sind wir weit voneinander entfernt.
SPIEGEL: Steht die Union der SPD, mit der sie ja immerhin im Bund koaliert, emotional näher?
Koch: Nein, im Gegenteil. Die grüne Wählerschaft denkt zu einem großen Teil individualistisch, anders als die Sozialdemokraten. Eigentlich passen wir besser zu den Grünen als zur SPD. Alles, was wir an gemeinsamen Positionen haben, ist im Koalitionsvertrag festgelegt. Dieser Vertrag ist abgearbeitet. Es ist kein gemeinsames Projekt mehr in Sicht. Das muss man dem Wähler im kommenden Jahr klar sagen.
Das Interview führten Markus Feldenkirchen und Ralf Neukirch.
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