Der Hessische Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Wirtschaftswoche
Wirtschaftswoche: Herr Koch, die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti will sich im November nun doch mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Haben Sie sich schon nach einer neuen Beschäftigung umgesehen?
Roland Koch: Frau Ypsilanti hat den Plan, sich entgegen aller Versprechen, die sie den Wählern gegeben hat, mit den Stimmen der Linkspartei wählen zu lassen. Wer die Zeitungen verfolgt, der kann mit den Händen greifen, welche Probleme sie damit dem Land und ihrer Partei zumutet. Die geharnischte Erklärung, die die SPD-Führung am Donnerstag abgegeben hat, zeigt das Entsetzen der Bundespartei. Frau Ypsilanti gefährdet jedes Versprechen der SPD für die Bundestagswahl, Distanz zur Linkspartei zu halten.
Wiwo: Rot-Rot-Grün verfügt in Hessen über 57 von 110 Stimmen. Eine knappe Mehrheit. Wie groß sind die Chancen tatsächlich, Sie als Regierungschef abzulösen?
Koch: Am Ende ist das eine Gewissensfrage der Abgeordneten im hessischen Landtag. Die SPD-Abgeordneten müssen sich daran erinnern, was sie den Bürgern im Wahlkampf zugesagt haben. Das Versprechen, nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, war ja nicht irgendeine Nebenbemerkung, sondern zentrales Element des Wahlkampfes.
Wiwo: Wäre ein Bruch dieses Versprechens auch eine Gefahr für die Demokratie?
Koch: Ein gebrochenes Wort nach einer Wahl ist vor allem eine Gefahr für die Partei, die das Wort bricht. Aber tatsächlich schadet uns eine solche Auseinandersetzung in einer demokratischen Gesellschaft. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass die Parteien in entscheidenden Fragen bei ihrem Wort bleiben. Hinzu kommt: Die Linkspartei ist keine normale Partei wie jede andere.
Wiwo: Mal angenommen, Andrea Ypsilanti würde gewählt. Wie regierungsfähig wäre ein rot-grünes Minderheits-Kabinett?
Koch: Frau Ypsilanti würde eine aberwitzige Konstruktion entstehen lassen. Sie macht einen Koalitionsvertrag mit den Grünen – und muss jede einzelne Idee dann der Linkspartei zur Absegnung vorlegen. Faktisch regiert dann die Linkspartei mit Herrn Lafontaine das Land.
Wiwo: Viele Beobachter rechnen damit, dass Ypsilantis Versuch scheitern wird. Wären Sie dann der große Profiteur?
Koch: Daraus entstünde eine Chance: Die Parteien in Hessen könnten dann ein Stück aus den Gräben herausschauen. Und wir könnten prüfen, ob es die Chance für neue Partei-Konstellationen gibt.
Wiwo: Würden Sie auf Neuwahlen drängen?
Koch: In einer Demokratie können Neuwahlen nur das allerletzte Mittel sein, wenn alle anderen Anstrengungen gescheitert sind.
Wiwo: Das heißt, Sie würden sich zunächst um eine neue Koalition bemühen?
Koch: Ich würde am Tag nach dem Scheitern von Frau Ypsilanti mit den Beteiligten sprechen, ob es Sinn macht, neue Konstellationen auszuloten.
Wiwo: Ist das nicht blauäugig? Sie versuchen doch schon seit Januar ergebnislos, eine Koalition zu schmieden…
Koch: Bevor wir Neuwahlen anstreben, müssen wir auf jeden Fall alle politischen Möglichkeiten ausloten. Die Lage ist seit dem Wahlabend verfahren, weil Ypsilanti für einen trügerischen Moment lang glauben konnte, die SPD sei die stärkste Partei. Seither denkt die SPD über keine andere Frage nach, als darüber, wie sie Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin machen kann. Wenn Frau Ypsilanti nun aber bei der Abstimmung im Parlament scheitert, wird die Lage für alle einfacher.
Wiwo: Es gibt für Sie nur zwei Varianten: eine Koalition mit der SPD oder Schwarz-Gelb-Grün. Was wäre Ihnen lieber?
Koch: Meine Präferenz liegt klar bei einer Kooperation mit der FDP und den Grünen. Aber wir dürfen auch eine große Koalition nicht ausschließen. Die beiden größten Parteien in Deutschland wären doch verrückt, wenn sie nicht miteinander sprächen. Die hessische SPD hat eine große Dummheit begangen, als sie beschloss, mit der CDU nicht mal sprechen zu wollen.
Wiwo: Die Grünen lehnen ein Bündnis mit der CDU aber strikt ab – auch wegen Ihnen.
Koch: Die Pläne von Frau Ypsilanti sind doch ein Himmelfahrtskommando. Daher wird auch Herr al Wazir (Fraktionsvorsitzender der Grünen im hessischen Landtag, Anm. d. Red.) jetzt abwägen, welche Alternativen er hat. Bisher fühlen sich die Grünen an die SPD gebunden. Es gibt aber durchaus Chancen, mit den Grünen eine pragmatische Politik in Hessen zu betreiben.
Wiwo: Grünen-Politiker Tarek al Wazir hält ein Jamaika-Bündnis für unwahrscheinlich.
Koch: Wenn es nach mir ginge, dann würden CDU und FDP alleine regieren. Das verhehle ich nicht. Aber wenn wir die Kommunisten aus der Regierungsbildung ausschließen wollen, müssen wir zu Kompromissen bereit sein. Die CDU hat mir auf dem Parteitag eine Vollmacht gegeben, diesen Weg zu sondieren. Das geht nicht um jeden Preis, und niemand macht sich die Illusion, das sei bequem. Denn unsere Seelen werden wir nicht verkaufen.
Wiwo: Ist Hessen ein Modell für den Bund?
Koch: Wir sind ein Laborland aus Tradition. Schon in den Achtzigerjahren kam es ja in Hessen mit Rot-Grün zu neuen Parteienkonstellationen, hier wurde Rot-Grün auch zuerst wieder abgewählt. Das liegt daran, dass die gesellschaftlichen Mehrheiten in Hessen denen im Bund ähneln. Auch derzeit gleicht ja die Zusammensetzung des hessischen Landtages der des Bundestages. Auch dort gibt es eine Mehrheit aus SPD, Grünen und Linkspartei.
Wiwo: Was heißt das für die Bundestagswahl?
Koch: Das heißt, dass es die Gefahr von Rot-Rot-Grün nicht nur in Hessen, sondern auch im Bund gibt. Aber Schwarz-Gelb ist machbar. Wenn Union und FDP jetzt bei 48, 49 Prozent liegen, dann sind durch einen Wahlkampf auch 51 Prozent machbar.
Wiwo: Und wenn es doch nicht reicht?
Koch: Eine große Koalition macht auf Dauer keine der beiden großen Parteien glücklich. Außerdem sehe ich viel größere Schnittmengen zwischen Union und Grünen als mit der nach links driftenden SPD.
Wiwo: Eine Avance an die Grünen – auch im Bund?
Koch: Grüne, Union und FDP denken doch nicht vom Kollektiv her wie SPD und Linke, sondern gehen vom Leitbild des selbstverantwortlichen Individuums aus.
Wiwo: Es wäre also kein politischer Selbstmord, wenn die Grünen im Bund und in Hessen mit der Union koalieren würden?
Koch: Das wäre für beide Parteien ein gewaltiges Risiko, ähnlich wie 1982 für die FDP beim Wechsel von der sozialliberalen zur bürgerlichen Koalition. Umso wichtiger ist es, die eigenen Anhänger zu überzeugen.
Wiwo: Aber wie?
Koch: Das Risiko ist es allein schon dadurch wert, weil es um die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaftsordnung geht, ob in Richtung kollektivistischer Politik oder weiterhin in Richtung einer das Individuum achtenden Politik.
Wiwo: Und die Probleme in der Umweltpolitik oder der Frage der Kernkraft?
Koch: Im Umweltschutz ziehen Union und Grüne am gleichen Strang. Wir wollen den Planeten nicht zerstören. Wir streben nach einer nachhaltigen Wirtschafts- und Umweltpolitik. Angesichts knapper Ressourcen ist das immer wichtiger. Natürlich gibt es Probleme, insbesondere bei großen Infrastrukturprojekten oder der Kernenergie. Da kann ich zumindest sagen, dass die Zeiten großer Projekte weitgehend vorbei sind. Und wir können gemeinsam überlegen, wie wir erneuerbare Energien für ein Industrieland nutzen können.
Wiwo: Verschrecken Sie da nicht die bürgerlichen Stammwähler der CDU? Der Wirtschaftsflügel fordert jetzt schon mehr marktwirtschaftliches Profil.
Koch: Die gesellschaftliche Mitte fühlt sich vor allem durch die Globalisierung verunsichert. Und sie hat für den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre gearbeitet, aber nicht mehr in der Tasche.
Wiwo: Ist das ein Plädoyer für Steuer- und Abgabensenkungen?
Koch: Wir können unser Wohlstandsniveau durch Steuersenkungen nicht mehr signifikant steigern.
Wiwo: Sondern?
Koch: Wir arbeiten im internationalen Vergleich zu wenig. Alles unter 40 Wochenstunden war ein Fehler. Die Frühverrentung war ein dramatischer Fehler. Die Rente mit 67 Jahren ist unerlässlich.
Wiwo: Nach drei Jahren Wachstum bricht die Wirtschaft nun ein. Brauchen wir ein Konjunkturprogramm?
Koch: Wir dürfen keine Krise herbeireden. Ein Konjunkturprogramm wäre aber ein Signal, dass es mit der Wirtschaft bergab ginge. Deshalb rate ich zum jetzigen Zeitpunkt davon ab. Ich sehe im Gegenteil die Chance, dass Deutschland im globalen Umfeld derzeit an relativer Wettbewerbsfähigkeit dazugewinnt.
Wiwo: Der Abschwung fällt genau in die Zeit der Bundestagswahl. Profitiert davon vor allem die Linkspartei?
Koch: Einfache Parolen der Linken sind auf den ersten Blick vielleicht einschmeichelnd. Auch die SPD setzt auf staatliche Absicherung vor Abstieg. Die Union muss sich umso mehr klar für marktwirtschaftliche Lösungen, für wirtschaftlichen Aufstieg stark machen. Wachstum und Leistung sind die Themen, mit denen die Union bei der nächsten Bundestagswahl punkten kann.
Bildung
// Energie
// Finanzen
// Flughafen Frankfurt
// GM
// Interview
// Opel
// Schule
// Steuerpolitik
// Wirtschaft