Der Hessische Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger
Kölner Stadt-Anzeiger: Herr Ministerpräsident, Andrea Ypsilanti arbeitet daran, Sie abzulösen. Ängstigt oder amüsiert Sie das?
Roland Koch: Mein Respekt vor der Demokratie ist viel zu groß, als dass ein solcher Vorgang mit dem Wort amüsieren bezeichnet werden dürfte. Trotzdem bleibt die Frage, was sich eigentlich seit März geändert hat. Damals war Frau Ypsilanti der Auffassung, dass man eine Kandidatur mit 56 Stimmen nicht riskieren könne. Dass es ein massiver Wortbruch gegenüber den Wählern und eine historische Entscheidung zulasten der Volkspartei SPD in ganz Deutschland ist, hat sich ebenfalls nicht geändert.
Kölner Stadt-Anzeiger: Die Vokabel amüsieren bezog sich darauf, dass zumindest der erste Versuch ja äußerst dilettantisch vorbereitet worden ist.
Koch: Es war dilettantisch vorbereitet. Aber es war auch ein ungeheuerlicher Vorgang. Man darf nicht das Gegenteil dessen tun, was man im Wahlkampf versprochen hat. Darüber darf es keine Diskussion geben. Frau Ypsilanti hat das Nein zu jeder Zusammenarbeit mit der Linkspartei hundertfach versprochen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Hat der zweite Versuch von Frau Ypsilanti Aussicht auf Erfolg?
Koch: Viele Abgeordnete haben schwierige Gewissensfragen zu beantworten: Darf man mit einer Partei wie der Linkspartei zusammenarbeiten? Was habe ich meinen Wählern versprochen? Darf ich mein Wort brechen? Was bedeutet ein Ja für die Gesamtpartei? Was bedeutet es, jede Entscheidung der Linkspartei zur Genehmigung vorlegen zu müssen? 56 Stimmen sind schwer zusammen zu bringen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Würden Sie als Machtmensch nicht genau so handeln wie Ypsilanti, zumal wenn es die letzte Chance wäre?
Koch: Die jetzige Situation ist durch Frau Ypsilanti herbei geführt worden. Wir haben in Hessen vermutlich die einzige Sozialdemokratie der Nachkriegsgeschichte, die mit jedem Dahergelaufenen Verhandlungen führen würde, nur nicht mit der anderen großen Volkspartei. Krokodilstränen nach dem Motto „Es geht gar nichts anderes“ sind der Tatsache geschuldet, dass Frau Ypsilanti in eine Sackgasse gefahren ist. Zudem gilt: Macht ist in einer Demokratie wichtig. Der Wille, Macht ausüben zu wollen, gehört selbstverständlich dazu. Doch eine Demokratie verliert, wenn es um die Macht um jeden Preis geht. Macht, die nichts mit intellektuellen Vorstellungen zu tun hat, ist flüchtig. Der Erfolg würde schnell zerrinnen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Sehen Sie noch eine Alternative?
Koch: Derzeit arbeiten alle Beteiligten nach dem Prinzip: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Gleichzeitig hegen viele Beteiligte Gedankenspiele, wie sich die Welt wieder neu öffnet, wenn Frau Ypsilanti nicht die notwendige Zahl der Stimmen bekommen hat. Niemand sollte sich des Ergebnisses sicher sein – weder so rum noch so rum.
Kölner Stadt-Anzeiger: Können Sie sich andere Formen der Zusammenarbeit weiterhin vorstellen? Oder ist der Zug abgefahren?
Koch: Nach einem Scheitern von Frau Ypsilanti stellen sich viele Optionen neu. Das Scheitern von Frau Ypsilanti ist die Voraussetzung für neue Konstellationen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Dieser Kelch muss jetzt erstmal ausgetrunken werden?
Koch: Frau Ypsilanti hat sich in eine Sackgasse manövriert, aus der es keinen zweiten Ausgang mehr gibt.
Kölner Stadt-Anzeiger: Neuwahlen sind nicht zwingend?
Koch: Nach dem Tag einer Niederlage von Andrea Ypsilanti öffnet sich ein zeitlich überschaubarer Korridor, in dem nochmal alle Varianten, die man im hessischen Landtag denken kann, auf dem Prüfstand stehen werden. Es gibt keinen Automatismus, wonach auf das Scheitern von Frau Ypsilanti Neuwahlen folgen würden. Diesen Automatismus stellt nur sie her, um in den eigenen Reihen die Angst vor
Neuwahlen zu erhöhen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Würden Sie den nächsten Wahlkampf anders führen als den letzten?
Koch: Kein Wahlkampf ist eine Kopie des anderen. Aber wir würden sicher sehr viel stärker über unsere Leistungen und Erfolge sprechen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Wären Sie weniger polemisch?
Koch: Wahlkampf ist immer Zuspitzung. Daran ändert sich nichts. Auch ich bin immer noch der Gleiche und beabsichtige nicht, mich zu verbiegen. Aber wir versuchen natürlich, aus dem Wahlergebnis zu
lernen. Wir sind keine Ignoranten.
Kölner Stadt-Anzeiger: Durch den Vergleich mit der unglaubwürdigen Frau Ypsilanti wandelt sich die Wahrnehmung Ihrer Person. Sehen Sie das als Chance?
Koch: Natürlich ändert sich die Wahrnehmung von Personen auch in der Auseinandersetzung. Und die Art, wie ich das Land in den letzten sechs Monaten geführt habe, hat sicher manche Menschen nachdenklich gemacht, die mich zuvor anders eingeschätzt haben.
Kölner Stadt-Anzeiger: Welche Konsequenzen hat das, was jetzt passiert, bundespolitisch?
Koch: Das aufkommende Fünf-Parteien-System zwingt die SPD, zur Linkspartei prinzipieller Stellung zu nehmen. Wenn sie es falsch macht, wird es dazu führen, dass die Linkspartei stärker wird als die SPD. In
der neuesten Umfrage ist der Abstand bei 20 Prozent für die SPD und 14 Prozent für die Linkspartei schon auf nur noch 6 Prozent geschrumpft. Insofern ist Hessen eine Art Labor. Der Ausgang wird entscheidenden Einfluss auf die nationale Politik haben. Da sollte sich niemand etwas vormachen. Und nach Hessen kann der SPD nicht mehr geglaubt werden, dass sie etwas anders machen würde als in Hessen. Wenn es ihr keiner mehr glaubt, wird sie es irgendwann auch machen. Denn warum soll man eigentlich den maximalen Schaden von Unglaubwürdigkeit erzielen, um dann das, was ohnehin alle erwarten, nicht zu tun?
Kölner Stadt-Anzeiger: Läge es nicht im strategischen Interesse der Bundes-CDU, dass Ypsilanti Erfolg hat und Sie abwählt?
Koch: Das, was bisher passiert ist, ist für die Bundespartei durchaus schon jetzt sehr hilfreich. Aber ich weiß auch, was es für unsere Demokratie bedeuten würde, wenn die große Volkspartei SPD ihre Kernidentität verletzt und zu einer Randpartei würde. Dann steht sie im Wettbewerb mit einer anderen Randpartei. Die können beide durchaus stark sein. Aber ob dann der eine 17 und der andere 19 Prozent der Stimmen hat, ist politischer Zufall und abhängig vom Charisma der Leitfiguren. Eine prinzipielle Frage ist das dann nicht mehr. Man muss auch die Größe haben, mit 35 Prozent Opposition zu sein, und sollte nicht davon träumen, mit 22 Prozent Regierung zu werden. Die Frage ist, ob die SPD noch die Kraft hat, sich der politischen Geiselnahme von Frau Ypsilanti zu erwehren. In jeder normal funktionierenden Partei müsste ein Machtwort der Bundesführung einen solchen Spuk beenden. Beck scheint sich nicht zu trauen. Und Steinmeier scheint lieber auf Appeasement-Kurs zu gehen, als mit einem klaren Machtwort seine Kandidatur vorzubereiten.
Kölner Stadt-Anzeiger: Noch eine Frage zu Ihrem niedersächsischen Kollegen Christian Wulff (CDU). Er hat in einem Interview gesagt, ihm fehle der Wille zur Macht. Haben Sie da auch gelacht?
Koch: Herr Wulff ist ein sehr erfolgreicher Politiker. Er übt mit großem Erfolg Macht aus.
Kölner Stadt-Anzeiger: Wulff hat als „Alpha-Tiere“ die Kanzlerin und Sie genannt. Empfinden Sie das als Kompliment?
Koch: Ich habe schon schlimmere Beleidigungen gehört.
Kölner Stadt-Anzeiger: Er hat sich im Januar von Ihrer Wahlkampagne distanziert. Sind Sie noch Freunde, nur politische Freunde oder nichts mehr von beidem?
Koch: Wir haben uns im politischen Leben kennen gelernt – und das vor drei Jahrzehnten. Wir haben eine sehr gute menschliche Basis und sind uns aus meiner Sicht freundschaftlich verbunden.
Kölner Stadt-Anzeiger: Daran hat sich nichts geändert?
Koch: Jede freundschaftliche Verbindung hat auch ihre Belastungen. Deshalb muss sie nicht zerbrechen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Streben Sie nach Berlin?
Koch: Ich fühle mich in meinem Amt sehr wohl.
Das Interview führte Markus Decker.
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