Koch: „Ypsilanti ist jedes Mittel recht, um an die Macht zu kommen“
Der Hessische Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit stern.de
Stern: Herr Koch, wann werden Sie wieder ein ordentlicher deutscher Ministerpräsident?
Roland Koch: Solange ich im Amt bin, bin ich laut Verfassung ein ordentlicher deutscher Ministerpräsident. Und dass das Land von mir ordentlich regiert wird, dürfte auch kaum jemand ernstlich bezweifeln. Aber die Frage, wann es in Hessen wieder einen gewählten Ministerpräsidenten geben wird, ist nicht so leicht zu beantworten. Das sind die hessischen Verhältnisse.
Stern: Ist eine Jamaika-Koalition in Hessen noch denkbar?
Koch: Das ist sie. Aber eine solche Koalition erfordert von beiden Seiten – CDU und FDP auf der einen, die Grünen auf der anderen – eine große Bereitschaft zu Kompromissen. Derzeit beobachten wir, dass die Grünen bis zur letzten Sekunde an der Vorstellung einer linken Mehrheit hängen.
Stern: Wären Sie bereit zurückzutreten, um eine Jamaika-Koalition zu ermöglichen?
Koch: Die hessische CDU weiß, dass sie nicht den Kopf von Tarek Al Wazir fordern kann.
Stern: … des Chefs der hessischen Grünen.
Koch: Und umgekehrt gilt das genauso. Parteien treffen ihre Personalentscheidung eigenständig.
Stern: Streben Sie, wie vielfach geschrieben wird, eine Neuwahl im Juni 2009 an, also parallel zur Europa-Wahl?
Koch: Ich glaube, die hessischen Wähler erwarten, dass wir alle uns ernstlich darum bemühen, eine Regierung zu bilden. Die SPD hat, sicher auch ein einmaliger Vorgang, beschlossen, mit der CDU – mit der sie im Bund regiert – nicht zu sprechen. Die Grünen wissen, dass es viele Möglichkeiten gibt, mit der CDU zu kooperieren – was in vielen hessischen Kommunen gut klappt. Aber sie haben Angst vor der Dolchstoßlegende, sie hätten die linke Mehrheit gemeuchelt. Also müssen wir Geduld haben und weiter um Optionen ringen.
Stern: Wann reißt bei Ihnen der Geduldsfaden?
Koch: Wenn ein Parlament auf Dauer keine Regierung bilden und keinen Haushalt beschließen kann, dann muss man die Kraft haben, die Wähler noch mal zu den Urnen zu rufen. Im Übrigen habe ich von Anfang an gesagt, dass eine geschäftsführende Regierung nicht länger als ein Jahr im Amt bleiben sollte. Würde der Zustand fortgeschrieben, verfiele das Land in eine politische Lähmung.
Stern: Das will offenbar auch Andrea Ypsilanti nicht, die SPD-Spitzenkandidatin. Sie scheint wild entschlossen, einen zweiten Anlauf zu nehmen, um eine rot-rot-grüne Regierung in Hessen zu installieren.
Koch: Ich habe schon vor den Wahlen gesagt, dass Frau Ypsilanti jedes Mittel recht ist, um an die Macht zu kommen. Nichts und niemand wird sie davon abhalten, weder der Rat ihrer Berliner Parteifreunde, die Angst haben, dadurch die Bundestagswahl schon jetzt zu verlieren, noch die Warnungen vor einem möglichen Scheitern. Ypsilanti hat eine sehr Ich-bezogene Perspektive. Insofern bin ich nicht überrascht, dass sie diesen Versuch nun unternimmt. Sie wird damit der Sozialdemokratie in Deutschland schweren Schaden zufügen.
Stern: … aber vielleicht auch endlich für geordnete Regierungsverhältnisse in Hessen sorgen.
Koch: Selbst wenn es ihr gelänge, wäre eine geordnete Regierungsarbeit kaum möglich. SPD und Grüne würden Gesetze und Verwaltungsvorschriften aushandeln und müssten sie dann der Linkspartei zur Genehmigung vorlegen. Deren Vorsitzender unterschreibt – oder auch nicht. Das bedeutet dauerhafte Instabilität und diese Vorstellung ist selbst für viele der Beteiligten schauerlich.
Stern: Sie haben vor der Sommerpause, als SPD, Linkspartei und Grüne die Studiengebühren abschaffen wollten, das Gesetz in letzter Minute wegen eines Formfehlers blockiert – obwohl Ihnen der Fehler schon vorher aufgefallen war. War dieses Machtspielchen nicht politisch höchst ungeschickt, weil es das Vertrauen in Sie ruiniert und die Solidarität unter rot-rot-grün eher gestärkt hat?
Koch: Ich betrachte das überhaupt nicht als Fehler, im Gegenteil. Rot-rot-grün hat nicht den Mut, die Regierung zu stellen, wollte aber öffentlich dokumentieren, dass sie die Regierung sind. Dagegen haben wir uns gewehrt. Nachdem wir zuvor SPD und Grünen freundlicherweise ein komplettes Gesetz zur Abschaffung der Studiengebühren in die Hand gedrückt hatten und diese nicht einmal in der Lage waren, es korrekt abzuschreiben.
Stern: Die SPD würde bei Neuwahlen wahrscheinlich wesentlich schlechter als Anfang diesen Jahres abschneiden, viele Abgeordnete würden ihr Mandat verlieren. Ist rot-rot-grün für Ypsilanti und ihre Genossen nicht auch eine notwendige Überlebensstrategie?
Koch: Ypsilanti hat nach der Wahl Wortbruch begangen, die Wähler fühlen sich betrogen und würden sie bei einer Neuwahl vermutlich abstrafen. Aber ich glaube, es wäre zu einfach, den sozialdemokratischen Abgeordneten zu unterstellen, die Existenzsicherung wäre ihre einzige Sorge. Denen ist schon bewusst, dass sie nicht nur über Hessen, sondern über eine Schicksalsfrage der deutschen Sozialdemokratie entscheiden, wenn sie es mit einem rot-rot-grünen Bündnis versuchen.
Stern: Weil ein Linksbündnis eine schwere Hypothek für Frank Walter Steinmeier wäre, den möglichen Kanzlerkandidaten der SPD?
Koch: Nicht nur Steinmeier sondern die komplette Führung der SPD, also auch Kurt Beck, Andrea Nahles und Peer Steinbrück, halten den Weg, den Ypsilanti gehen will, für verhängnisvoll. Weil er riskant ist und die Glaubwürdigkeit der SPD vor der Bundestagswahl untergräbt. Wer würde noch irgendwelchen Versprechen glauben, die SPD würde nicht mit der Linkspartei paktieren? Außerdem geht es um die Autorität der Parteiführung. Wenn sie nicht in der Lage ist, einen Landesverband davon zu überzeugen, einen gemeinsam abgesteckten Kurs zu nehmen, erleidet sie einen beispiellosen Autoritätsverlust. Insofern stellt Ypsilanti die Bundes-SPD auf den Prüfstand.
Stern: Vielleicht geht es auch etwas kleiner: Ypsilantis Auseinandersetzung mit der Bundes-SPD spiegelt den uralte Richtungsstreit zwischen linken und konservativen Sozialdemokraten.
Koch: Das ist ein Teil des Problems. Ich kenne viele Sozialdemokraten, die glauben, dass die SPD in der Mitte bleiben muss und nicht zum Konkurrenten einer linksradikalen Partei herabsinken darf. Andere, wie Ypsilanti, stürmen auf genau dieses Feld. Das führt zu einer Zerreißprobe, die in der SPD noch nicht entschieden ist. In Hessen überdeckt die Tatsache, dass eine Reihe von SPD-Funktionären unbedingt an die Macht will, die Tatsache, dass dieser Konflikt auch hier lodert.
Viele, die in dieser Partei groß geworden sind, gehen mit diesem Konflikt abends ins Bett und stehen morgens wieder mit der Frage auf, dass man seiner Partei einen großen Dienst tun kann, wenn man Ypsilanti nicht wählt.
Stern: Der Fall Wolfgang Clement wirft ein Schlaglicht auf diesen Richtungsstreit. Ist der Versuch, ihn aus der Partei zu werfen, Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt?
Koch: Natürlich reagiert eine Partei immer verletzt, wenn ein Mitglied sich so schroff gegen sie stellt. Aber bei Wolfgang Clement ist auch die Frage zu beachten, was die SPD in Zukunft sein will. Wer wie Clement für Kernenergie ist, vertritt eine Position, die Helmut Schmidt in Deutschland mehrheitsfähig gemacht hat. Wer wie Clement sagt, die Linkspartei kann nicht unser Partner sein, weil die Kommunisten nicht nur Gegner sondern sogar Feinde gewesen sind, der ist in der SPD nach wie vor zuhause. Muss einer wie er gehen, dann verengt sich das politische Spektrum der SPD so dramatisch, dass sie den Charakter einer Volkspartei verliert. Schauen wir uns die Umfragen an. Die SPD liegt jetzt schon bei 20 bis 25 Prozent. Sie droht zu einer kleinen Richtungspartei zu werden.
Stern: In der Volkspartei CDU ist auch nicht alles im grünen Bereich. Mittelständler und Wirtschaftsbosse nehmen Kanzlerin Angela Merkel unter Beschuss, weil sie die Wirtschaftspolitik schleifen lässt.
Koch: Die klugen Ratgeber sollten sich daran erinnern: Im Bundestag gibt es die gleichen Mehrheitsverhältnisse wie im hessischen Landtag. Wir haben in den Koalitionsvertrag mit der SPD alles hineingeschrieben, was machbar ist. Das ist eine Einigung in der Mitte zwischen beiden Parteien – und damit ziemlich weit weg von der CDU. Dass unsere Wähler enttäuscht sind, verstehe ich. Von Berufspolitikern und Vorsitzenden von CDU-Vereinigungen kann ich erwarten, dass sie die politische Realität zur Kenntnis nehmen. Und darauf hin arbeiten, dass die nächste Bundestagswahl eine schwarz-gelbe Richtungsentscheidung wird und keine Fortsetzung der Großen Koalition.
Stern: Auch Ihre Amtskollegen Peter Müller, Christian Wulff und Günther Oettinger klagen über das fehlende wirtschaftliche Profil der CDU. Wieso sagen Sie nichts?
Koch: Ich nehme meine Mitverantwortung für die CDU voll wahr. Aber natürlich muss ich mich jetzt in erster Linie um das Land Hessen kümmern. Wir werden nächstes Jahr in unserem Wahlprogramm den Menschen das Vertrauen geben, dass sozialer Aufstieg auch in einer globalisierten Welt möglich ist. Wir werden uns nicht an einem Wettkampf der Parteien beteiligen, wie man sozialen Abstieg am besten organisieren kann.
Stern: Welche Rahmenbedingungen muss die Politik setzen, um sozialen Aufstieg möglich zu machen?
Koch: Wir müssen uns in Deutschland schon klar machen, dass der hohe Wohlstand und die hohe soziale Sicherheit, die wir im Vergleich mit allen anderen Industrieländern haben, mit weiterer Arbeitszeitverkürzung nicht zu halten ist. Es muss ein Programm auf den Tisch, in dem es heißt: „Jetzt müssen wir rackern.“
Stern: Was ist mit dem Kündigungsschutz, die CDU wollte ihn doch abbauen?
Koch: Wir wollen nicht, dass Menschen von heute auf morgen gefeuert werden können. Die Arbeitswelt soll kalkulierbar bleiben. Aber wir brauchen beim Kündigungsschutzrecht mehr Alternativen, damit Unternehmer mehr Arbeitsplätze schaffen. Und wir brauchen mehr Freiheiten und Wahlmöglichkeiten für Arbeitnehmer, sich flexibel abzusichern. Es ist allerdings sinnlos, mit der SPD darüber sprechen zu wollen. Das wäre Zeitverschwendung. Wir können hier nur etwas erreichen, wenn die Wähler uns einen klaren Auftrag geben.
Stern: Alle Prognosen deuten auf einen wirtschaftlichen Abschwung hin. Wie muss sich die Politik darauf einstellen?
Koch: Wir müssen uns davor hüten, das Land in eine neue Rezession zu reden. Deutschland ist nach wie vor gut aufgestellt, wir haben große Potentiale. Peer Steinbrück und ich haben von den Ratschlägen des Sachverständigenrats abgearbeitet, was abzuarbeiten war: Subventionsabbau, Unternehmenssteuerreform, Abgeltungssteuer, modernes Kapitalverkehrsrecht.
Stern: Ihre Schwesterpartei CSU fordert mehr, etwa eine schnelle Steuersenkung. Ist das denn Kokolores?
Koch: Das Programm der CSU enthält viele unter den Wirtschaftspolitikern der Union unstrittige Elemente. Aber ich meine, dass die Konsolidierung der Staatshaushalte unbedingt Vorrang haben muss.
Stern: Das wird die Kanzlerin gerne hören. Sie sind also auch gegen die Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale?
Koch: Ich habe die Kürzung der Pendlerpauschale für vertretbar gehalten und jetzt warten wir in aller Gelassenheit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab.
Stern: Friedrich Merz war der wichtigste Wirtschaftsexperte der CDU, bevor er kaltgestellt wurde. Nun geht er am Wochenende mit FDP-Chef Westerwelle wandern. Können Sie sich vorstellen, dass Merz zur FDP wechselt?
Koch: Ich bin mit Guido Westerwelle seit 25 Jahren befreundet. Nicht jeder, der mit ihm spazieren geht, tritt gleich in seine Partei ein.
Stern: In Sachen Rauchverbot plädieren Sie für eine bundeseinheitliche Regelung. Aber was soll da drin stehen?
Koch: Diejenigen, die nicht rauchen, sollten nicht mitrauchen müssen. Es muss aber auch noch Plätze geben, an denen sich Raucher treffen können.
Stern: Das heißt: Feuer frei für Eckkneipen?
Koch: Ich stehe auf dem Standpunkt, dass das Rauchen nicht in allen Gaststätten unter allen Umständen das Rauchen verboten sein muss. Wir haben die Karlsruher Entscheidung für die Eckkneipen umgesetzt und werden beobachten, welche Auswirkungen sie hat.
Stern: Früher haben Sie sich häufiger in solche bundespolitischen Debatten eingeschaltet. Sie galten als Kronprinz der CDU, als Nummer 1 hinter Angela Merkel. Ist das nicht mehr so?
Koch: Das sind Erfindungen Ihres Berufstandes, nicht meines Berufsstandes. Mit meiner Position in der CDU bin ich sehr zufrieden. Dass es einem subjektiv schlechter geht, wenn man eine Wahl verloren hat, ist klar. Jetzt muss ich mich erst einmal um meinen eigenen „Laden“ kümmern. Aber ich nehme natürlich an der Führung der CDU in Deutschland teil. Die Frage, wer kann Kanzler werden, ist absurd, denn wir suchen ja für die nächsten Jahre keinen Kanzler. Wir haben eine Kanzlerin.
Stern: Wie hat auf Sie die Erklärung von Christian Wulff gewirkt, er fühle sich der Aufgabe eines Kanzlers nicht gewachsen?
Koch: Wie gesagt: Wir suchen gar niemand, der diese Aufgabe übernimmt. Deshalb nehme ich an dieser Debatte nicht teil.
Stern: Wulff hat Sie ein Alphatier der deutschen Politik genannt. War das ein Kompliment oder eine versteckte Warnung an Merkel, dass von Ihnen noch einiges zu erwarten ist?
Koch: Wulff und ich sind Kollegen. Wir haben genug damit zu tun, unsere Politik zu erklären. Wir müssen uns nicht auch noch gegenseitig in Interviews erklären.
Stern: Wäre es für Sie nicht auch mal Zeit für einen Wechsel in die Bundespolitik?
Koch: Im Augenblick habe ich alle Hände voll zu tun mit der Frage, ob ich in der Landespolitik bleiben kann. Die aktuelle Situation in Hessen hat mir zuerst große persönliche Probleme bereitet. Jetzt habe ich diese Herausforderung voll angenommen. Ich kann mir zwar nicht jeden Morgen sagen, du gewinnst sowieso. Ich sage mir aber, du kannst gewinnen.
Das Interview führten Lutz Kinkel und Hans Peter Schütz (Quelle: stern.de)