Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Welt am Sonntag
Welt am Sonntag: Herr Koch, Ihr Ministerpräsidentenkollege Wulff hat Sie als eines der Alphatiere der Politik bezeichnet. Hat er recht?
Roland Koch: Was soll ich dazu sagen? Ich bin zufrieden mit dem, was ich bin.
WamS: Herr Wulff traut sich nicht zu, Kanzler zu werden. Sie schon?
Koch: Ich denke, dass die Union in der augenblicklichen Verfassung ganz gut aufgestellt ist. Wenn Christian Wulff jetzt klargestellt hat, dass er nichts anderes anstrebt, dann dient das dem geschlossenen Auftreten der Union.
WamS: Noch einmal: Trauen Sie sich zu, Kanzler zu werden?
Koch: Sie stellen Fragen! Ich bin Ministerpräsident und muss ziemlich darum kämpfen, das zu bleiben.
WamS: Sie sind jetzt 100 Tage geschäftsführender Ministerpräsident und regieren gegen eine linke Parlamentsmehrheit. Erwarten Sie einen neuen Anlauf von Frau Ypsilanti auf das Amt des Regierungschefs?
Koch: Dass die Situation für die SPD schwierig ist, liegt auf der Hand. In diese Sackgasse hat Frau Ypsilanti ihre Partei hineinmanövriert. Ob sie in der Sachgasse fröhlich weiterfährt, muss die SPD entscheiden. Die Verantwortung für die Partei in ganz Deutschland darf man sicher auch nicht ausblenden. Deren Wahlchancen für den Bundestag würde man beerdigen, wenn es hier zu einem neuen Anlauf oder gar zu einem Erfolg einer Linksregierung kommen sollte.
WamS: Nach der Atomdebatte im Bund – was ist von Ihren Jamaika-Träumen noch übrig?
Koch: Für eine Landesregierung ist es leichter, die Frage der Kernenergie auszuklammern, als für eine Bundesregierung. Trotzdem ist die Zusammenarbeit von CDU und Grünen an einem zentralen Wirtschaftsstandort wie Hessen keine einfache Angelegenheit. Was wir derzeit prüfen, ist, ob es deshalb unmöglich ist. Nach meiner Wiederwahl zum Landesvorsitzenden habe ich ein Verhandlungsmandat, auszuloten, was mit den Grünen geht. Von Anfang an war klar, dass dies eine Menge Zeit braucht. Ich habe immer gesagt, wir reden von einem Jahr, nicht von einem Monat.
WamS: Muss Jamaika erst in einem Bundesland erlebt werden, bevor man es sich im Bund vorstellen kann?
Koch: Weniger apodiktisch gesagt, ist es jedenfalls nützlich, dass eine Reihe der Fragen, die die Parteien in ihrer Geschichte und Emotionalität trennen, in überschaubaren Stücken geschultert werden. In Hessen ist eine solche Konstellation immer noch schwierig, sie ist aber heute nicht mehr ausgeschlossen, weil wir in großen Teilen unseres Bundeslandes, Frankfurt, Wiesbaden, Gießen, Marburg-Biedenkopf und im Landeswohlfahrtsverband, schon gut arbeitende Bündnisse von CDU, FDP und Grünen haben.
WamS: Wenn die Union so gut dasteht, wie Sie eingangs sagten, warum übertragen sich die Umfragewerte für die Kanzlerin dann nicht auf die Partei?
Koch: Ich glaube schon, dass wir eine gute Chance haben, bei der Bundestagswahl über die 40 Prozent zu kommen, und dass eine bürgerliche Koalition mit der FDP eine sehr realistische Perspektive ist. Wir tun gut daran, dieses Ziel nicht infrage zu stellen. Die hohe Popularität der Kanzlerin liegt ebenso wie die Werte der CDU in der großen Koalition begründet. Jeder weiß, dass es in der großen Koalition sehr viele Wähler der SPD gibt, die aufgrund der Zusammenarbeit mit der CDU und angesichts deren erfolgreicher Arbeit und guter Bilanz gut über Angela Merkel denken. Und es gibt viele Wähler der CDU, die aufgrund der Zusammenarbeit mit der SPD der CDU nicht ganz so wohlwollend gegenüberstehen, weil die CDU nur Teile ihres Programms durchsetzen kann. Was wir gemeinsam wissen, egal ob Sie Angela Merkel, Christian Wulff, Roland Koch oder wen auch immer fragen, ist, dass wir für die Bundestagswahl ein Programm haben müssen, das mit bürgerlicher Politik eine Wohlstandsperspektive für die Menschen bietet.
WamS: Was die Menschen nur schwer glauben, wenn sie in ihren Geldbeutel schauen. War es ein Fehler von Angela Merkel, so hart zu sein?
Koch: Da ich der Meinung der Bundeskanzlerin bin, müssen Sie damit rechnen, dass ich sage: nein. Der Streit vor dem Bundesverfassungsgericht in dieser Frage ist grundlegend. Wenn das Verfassungsgericht die gegenwärtige Regelung zur Pendlerpauschale für verfassungswidrig erklären würde, wäre in Deutschland jede Diskussion über eine Bierdeckel-Steuerreform beendet. Dann ist der Zwang zementiert, dass jedem Kleinkram steuerlich nachgegangen wird und nichts pauschaliert werden darf. Was mit der Abschaffung der alten Pendlerpauschale geschehen ist, ist ja, dass es einen Arbeitnehmerfreibetrag für kleine Werbungskosten gibt, um die großen Werbungskosten getrennt absetzen zu können. Die großen Werbungskosten, das sind die langen Strecken, zu den kleinen Werbungskosten gehört es, kurze Strecken zu fahren. Wenn dem Gesetzgeber solche Regelungen nicht mehr möglich sein sollten, wird es für künftige Vereinfachungen im Steuerrecht sehr, sehr schwierig.
WamS: Die Pendlerpauschale wird zum Symbol in der Gerechtigkeitsdebatte.
Koch: Die Symbolik liegt darin: Kann eine Veränderung in der Weltwirtschaft dazu führen, dass der Staat mit seinen Steuern abfedern muss, was der Markt vorgibt? Ich glaube, die Politik ist auch jenseits der Frage der Pendlerpauschale gut beraten zu sagen: Wir sind nicht in der Lage, dieser Puffer zu sein. Wer über Energiepreise redet, muss über Energieverbrauch reden, über Energieproduktion und natürlich über die notwendige Verlängerung der Laufzeiten unserer Kernkraftwerke. Aber er darf nicht versuchen, einen durch zu hohen Verbrauch und zu geringe Produktion erstehenden höheren Preis durch steuerliche Änderungen auszugleichen. Die Menschen werden nervös, streichen Urlaube, ich verstehe das ja. Dennoch ist der Staat nicht Beschützer von allem Unbill des Lebens. Das zu sagen fällt uns Politikern natürlich schwer.
WamS: Stimmt, die herrschende Meinung in CDU und CSU ist für eine Rückkehr zur alten Pendlerpauschale.
Koch: Natürlich sind wir da in Anfechtung. Es wäre unsinnig, das zu bestreiten. Ich sehe auch den Wunsch der Bevölkerung, von einer Last, die sie nicht produziert hat, befreit zu werden. Die Menschen hier können weder etwas für steigenden chinesischen Energieverbrauch noch etwas für die Tatsache, dass die Ölmenge begrenzt ist. Ich glaube nur, dass wir uns als CDU fragen müssen: Was ist die Aufgabe des Staates? Wo sind die Grenzen? Da glaube ich, dass das Signal von Angela Merkel richtig ist, denn das Zurück zur alten Pendlerpauschale könnte nur über neue Schulden finanziert werden. Wollen wir das?
WamS: In der Bildungspolitik plant der Bund einen Anschlag auf Länderrechte. Er will mehr Geld ausgeben – und dafür mehr Kompetenzen.
Koch: Die CDU ist eine Partei, die sich viel Mühe damit gibt, eine nationale Bildungsphilosophie zu haben. Wie muss ein Ganztagsbetreuungsplatz aussehen? Warum ist das gegliederte Schulsystem leistungsfähiger als die Einheitsschule? Darüber reden wir auf unseren Parteitagen und fassen gemeinsam Beschlüsse. Trotzdem ist es Sache der Länder, das dann umsetzen. Wenn der Bund meint, für Bildung müsse mehr getan werden – wofür es Anzeichen gibt –, dann muss er die Steuerverteilung von Bund und Ländern ändern und nicht Zuschüsse zur Bildungspolitik geben.
WamS: Wie wollen Sie sich einbringen?
Koch: Auf dem Weg zum Bildungsgipfel werde ich meinen Einfluss geltend machen, um sicherzustellen, dass wir durchaus konkrete Verabredungen, nicht aber eine Verwässerung der Verantwortung bekommen. Ich sage Ja zu Kooperation, wo sie geboten ist, in der Hochschule etwa oder bei der beruflichen Bildung. Aber ich sage Nein zu neuen goldenen Zügeln, wie wir sie von der früheren Ministerin Bulmahn beim Ganztagsschulprogramm angelegt bekommen haben. Wir wollen keine neue Mischfinanzierung der Bildung in Deutschland. Und der Wettbewerb zwischen den Ländern um gute Bildung hat uns nicht geschadet – das deutsche Bildungssystem ist besser, als es hier und da gemacht wird.
WamS: Finanzminister Peer Steinbrück findet die große Koalition so gut, dass er sie fortsetzen will.
Koch: Für Peer Steinbrück ist die Alternative zur großen Koalition doch, mit Kommunisten zu regieren. Meine Alternative zur großen Koalition ist, mit den Liberalen zu regieren. Dass Peer Steinbrück sich eine große Koalition wünscht, ist genauso verständlich wie meine Hoffnung, dass es zu einer Koalition aus Union und FDP kommt. Ich bin davon überzeugt, dass die Dynamik von Politik wieder größer werden muss, und das kann sie nur, wenn die programmatische Bandbreite derer, die zusammenarbeiten, schmaler wird.
WamS: Wenn die Wirtschaft im Wahljahr abkühlt, gibt es neue Versprechen.
Koch: Ich habe keine große Lust, mit den materiellen Sorgen der Leute Wahlkampf zu machen. Die erste Reaktion des Bürgers, wenn er in ökonomische Bedrängnis kommt, ist der Ruf nach dem Staat, nach dem schützenden Mantel. Der Staat kann diesen Mantel nicht bieten. Das ist die alte, gescheiterte Lehre des gelebten Sozialismus. Die CDU muss die Fähigkeit wiedergewinnen, die sie in den großen wichtigen Entwicklungszeiten Deutschlands hatte: ökonomisch hart am Wind zu segeln, Risiken einzugehen, Unvorhergesehenes anzupacken – nur das ist die Chance, unseren Anteil am Wohlstandskuchen in der Welt zu erweitern.
WamS: Also: Wir müssen mehr arbeiten.
Koch: Dieses Möglichst-in-Ruhe-gelassen-Werden, weil sichergestellt ist, dass sich die beiden großen Parteien blockieren, sodass nichts passiert – das ist für den Wettbewerb, in dem wir stehen, zu wenig. Ob wir wollen oder nicht, diese Frage müssen wir beantworten: Was muss eine Gesellschaft, die ihre Wochen- und Lebensarbeitszeit ständig reduziert hat, in einer Zeit machen, in der ihr Wohlstand attackiert wird? Die Summe von Frühverrentung und Arbeitszeitverkürzung führt dazu, dass weniger hergestellt wird, weniger Dienstleistungen erbracht werden. Das Maß dessen, was wir uns leisten können bei Altersteilzeit, Frühverrentung und manchem mehr, dürfen wir nicht überziehen. Sonst gefährden wir alles, was wir uns in der Freizeit leisten können.
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