Roland Koch im Interview mit Spiegel Online
SPIEGEL ONLINE: Herr Ministerpräsident, vor kurzem wurden die U-Bahn-Schläger von München, die in Ihrem Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt haben, wegen versuchten Mordes zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Fühlen Sie sich nun politisch bestätigt?
Roland Koch: Die Diskussion über zunehmende Gewalt unter Jugendlichen ist und bleibt unabhängig vom Wahlkampf und seinem Ausgang ein wichtiges Thema. Das Münchner Gericht hat kluge Urteile getroffen. Die Frage der Aufenthaltsberechtigung der Täter wird jetzt sicher sorgfältig geprüft werden. Auf der Tagesordnung bleibt, die Einstiege in diese Gewalt zu bekämpfen. Mit diesen Problemen müssen wir fertig werden, wegsehen oder Duldung ist keine Lösung.
SPIEGEL ONLINE: Besonders heftig kritisiert wurde damals Ihre Forderung nach Verschärfung des Jugendstrafrechts. Zeigt das Münchner Urteil nicht, dass die bestehenden Gesetze ausreichen, um hart zu strafen?
Koch: Wir haben es doch mit unterschiedlichen Phänomenen zu tun. Auf versuchten Mord stehen, wie man in München gesehen hat, harte Strafen. Dafür gibt es, zumal bei Erwachsenen wie einem der Täter, gute Instrumente. Die Frage des frühzeitigen, raschen und niederschwelligen Eingreifens, des Stop-Signals bei jugendlichen Intensivtätern beispielsweise, ist nach wie vor auf der Tagesordnung. Da muss nach Überzeugung der Union noch einiges geschehen.
SPIEGEL ONLINE: Auch in Hessen ist die Verfahrensdauer bei Prozessen, in denen es um Jugendgewalt geht, oft lang. Muss die Politik sich aus solchen Fragen, die die Justiz entscheidet, nicht besser heraushalten?
Koch: Die Handlungsfähigkeit der Politik ist im direkten Einwirken auf richterliches Handeln nicht nur im Inhalt, sondern auch formal geringer als in anderen Verwaltungen – und das ist auch richtig so. Trotzdem bleibt auch wahr, das im hessischen Wahlkampf am Ende eine Zahl über die Verfahrendauer in Frankfurt für wichtiger gehalten wurde als die Tatsache, dass die Jugendkriminalität in Hessen geringer ist als in Rheinland-Pfalz.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben während des Wahlkampfs ziemlich ausgeteilt und am Ende die Mehrheit knapp verfehlt. Haben Sie Fehler gemacht?
Koch: Der 27. Januar ist lange her. Natürlich haben wir das kritisch bilanziert. Aber man muss das nicht jeden Tag wieder aufrollen.
SPIEGEL ONLINE: Wann kommt der nächste Wahlkampf in Hessen?
Koch: Das gehört zu den Dingen, die man im Moment bei einem Wahrsager leichter erfragen kann, wenn man auf Wahrsagerei vertraut. Die Sozialdemokraten müssen sich endlich damit abfinden, dass ihre Euphorie des Wahlabends vom politischen Ergebnis nicht gedeckt ist. Dieser Selbstfindungsprozess der SPD behindert in jeder Hinsicht die Entwicklung im Lande. Das muss man jetzt mit einer gewissen Gelassenheit abwarten. Und gleichzeitig sicherstellen, dass Regierungsarbeit- und Verantwortung weiter so wahrgenommen werden, dass wir handlungsfähig bleiben. Genau das tut meine Regierung, und deswegen gibt es ja auch keinen Stillstand.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind Ministerpräsident ohne parlamentarische Mehrheit – ihrem Amtsvorgänger Börner ging es in den achtziger Jahren auch so. Wie lange kann so eine Hängepartie gut gehen? Wären Neuwahlen jetzt nicht die logische Konsequenz?
Koch: Über Neuwahlen dürfen Politiker nur sprechen, wenn Sie vorher alle anderen Versuche, eine Mehrheit zu organisieren, ausprobiert haben. Sonst setzen wir uns dem Vorwurf aus, als Politiker unfähig zu sein. Ich möchte schon darum ringen, mit dieser Situation ein Stück weit fertig zu werden. Dazu braucht man Geduld und Respekt vor Zeitabläufen. Frau Ypsilanti weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, in geheimer Wahl zur Ministerpräsidentin gewählt zu werden, nicht überwältigend ist. Daraus muss sie irgendwann die Konsequenzen ziehen. Wir stecken in einem Gärungsprozess – und alle Beteiligten sind gut beraten, sich den entwickeln zu lassen. Spätestens wenn im nächsten Jahr kein Haushalt zustande käme, müsste sich ein Parlament, das weder einen Ministerpräsidenten wählen noch einen Finanzrahmen erstellen könnte, die Frage nach der Existenzberechtigung stellen. Dann müsste man über Neuwahlen reden, heute nicht.
SPIEGEL ONLINE: Hat Sie das Verhalten von Andrea Ypsilanti eigentlich verblüfft – oder hatten Sie damit insgeheim gerechnet, dass Sie entgegen anderer Aussagen doch Wahlabsprachen mit den Linken anstrebt?
Koch: Im Wahlkampf wurde mir heftig vorgehalten, ich würde etwas herbeireden, wenn ich vor einer möglichen Kooperation von SPD, Linken und Grünen gewarnt habe. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass man den Sozialdemokraten in diesem Punkt nicht trauen kann. Die SPD war bereit, aus purem Machtwillen Wahlversprechen zu brechen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Bundesebene. Alles, was Frau Ypsilanti in den kommenden Wochen macht, hat erhebliche Auswirkungen für die Glaubwürdigkeit der nationalen SPD, gerade im Vorfeld einer Bundestagswahl. Dass nicht alle in der hessischen SPD Macht über Glaubwürdigkeit stellen, war ein wichtiges Signal für die Demokratie und für Frau Ypsilanti.
SPIEGEL ONLINE: Es gab mehrere Versuche, in Hessen Mehrheiten zu bilden: also eine Große Koalition oder Dreier-Konstellationen. Sie haben versucht, den Grünen Avancen zu machen und in eine Schwarze Ampel zu lotsen – ohne großen Erfolg. Die neu ausgebrochene Diskussion um längere Laufzeiten bei der Kernenergie scheint diese Option komplett zunichte zu machen.
Koch: Die landespolitische Dimension dieser Frage ist anders als die bundespolitische. Im Land kann man sich bei umstrittenen Fragen immer auf Stimmenthaltung einigen in einer Koalition. Wir haben in Wiesbaden mit dem KKW Biblis rechtlich nichts zu tun. Das wird in Bundesgesetzen geregelt. Aber es gebe bei einem Bündnis mit den Grünen dennoch schwierige Brocken wegzuräumen: Die Frage der Kohlekraftwerke oder des Flughafenausbaus beispielsweise. Trotzdem haben wir in der Bildungs- und Hochschulpolitik, auch beim Engagement für erneuerbare Energien, eine Menge Anknüpfungspunkte. Dennoch müssen sich die Grünen fragen, ob sie bei ihren moralisierenden Auffassungen in Sachen Atomenergie bleiben wollen. Die Erde erwärmt sich ohne AKWs schneller als mit Kernenergie. Im Bund wird diese Diskussion noch eine Rolle spielen.
SPIEGEL ONLINE: Die Frage von persönlichen Verletzungen scheint bei den politischen Akteuren in Hessen manchmal eine ebenso wichtige Rolle zu spielen wie Sachthemen. Ein richtiger Befund? Oder wird das überschätzt?
Koch: Ich glaube, dass das überschätzt wird. Die öffentliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist in Hessen aber schärfer als woanders. Hessen ist ein Laborland, und eines, in dem es – das sehen wir ja gerade – politisch sehr knapp zugehen kann. Jeder Schachzug, jede Leistung, jeder Fehler kann hier über Sieg und Niederlage entscheiden. Das führt schon zu Polemik und Zuspitzungen bei den politischen Akteuren. Auf der anderen Seite ist unser Umgang im Alltag genauso zivilisiert wie woanders auch.
SPIEGEL ONLINE: In der kommenden Woche spricht Barack Obama in Berlin. Kann die deutsche Politik von ihm etwas lernen?
Koch: Natürlich interessiert mich die politische Entwicklung in den USA, das ist die wichtigste geopolitische Entscheidung der nächsten Zeit. Das abschließende Urteil muss man am Ende fällen. Ich beobachte aber ein starkes Wegführen von inhaltlichen Auseinandersetzungen zu einem Wettkampf um gesellschaftspolitisches Klima. Das ist kein spezifisch amerikanisches Thema, das betrifft westliche Demokratien allgemein. Aber das sind auch Wellenbewegungen. Klima und Emotionen ändern sich schneller als sachliche Überzeugungen. Da bleibt die Frage, zu was das am Ende führen wird.
SPIEGEL ONLINE: Alle warten gespannt auf Obamas Rede – liegt das auch daran, dass es in der Bundesrepublik kaum noch politische Redner gibt, weil in den Talk Shows jeder klare politische Gedanke zerlabert wird?
Koch: Talkshows spielen auch in den USA eine wichtige Rolle, das zeigt Oprah Winfrey. Die hohe Erwartung an Obamas Rede kommt wohl eher daher, dass er politisch noch ein unbeschriebenes Blatt ist. Die Deutschen haben sich ja in großer Mehrheit hinter Obama versammelt, obwohl sie wenig von ihm wissen. Es wäre nun hilfreich, zu erfahren, was der eine oder andere Kandidat politisch eigentlich will. Deshalb ist es gut, wenn Obama eine wichtige Rede hält.
Das Interview führte Claus Christian Malzahn.
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