Koch: „Ich bin sehr gelassen“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Wetzlarer Neue Zeitung
WNZ: Herr Koch, Sie werfen der SPD vor, mit der Nominierung von Gesine Schwan für das Amt des Bundespräsidenten „einen Schritt weg von der parlamentarischen Zusammenarbeit der Mitte“ gemacht zu haben. Könnte man dann nicht auch umgekehrt sagen: Die CDU rückt ebenfalls von der Mitte ab, indem sie Horst Köhler unterstützt?
Roland Koch: Die Herren Beck und Struck haben monatelang den Eindruck vermittelt, dass der hoch angesehene und beliebte Horst Köhler auch „ihr“ Kandidat ist. Jetzt aber hat die SPD eine Kandidatin in dem sicheren Wissen benannt, dass diese wahrscheinlich auf die Stimmen aller Extremisten in der Bundesversammlung angewiesen ist. In jedem Fall kann Frau Schwan nicht ohne die Stimmen der Linkspartei Bundespräsidentin werden. Eine Partei, die gleichzeitig von der SPD auf Bundesebene als nicht politikfähig bezeichnet wird. Sich von den Linken abhängig zu machen, ist in der Tat ein Schritt weg von der politischen Mitte.
WNZ: Wo ist das Problem? Gesine Schwan wäre doch nach der Wahl nicht abhängig von dieser Partei, weil der Bundespräsident ja keine Parlamentsmehrheiten benötigt. Die Linkspartei könnte also keinerlei Einfluss auf die Bundespolitik nehmen.
Roland Koch: Würden Sie mich das auch fragen, wenn es um die Stimmen der NPD ginge? Ganz klar: Es hängt natürlich viel davon ab, von wem man sich wählen lässt. Und die Linkspartei ist keine normale demokratische Partei in diesem Land. Im Vorfeld der Bundestagswahl wäre eine solche Wahl ein schlimmer Vorgang. Aber ich bin sicher, dass einige vernünftige Sozialdemokraten dieses Spiel nicht mitmachen und Horst Köhler unterstützen werden. Er wird im Amt bleiben – und das ist auch gut so.
WNZ: Hat die Nominierung Gesine Schwans aus Ihrer Sicht Auswirkungen auf die Nominierung des Nachfolgers von Günter Verbeugen (SPD) als deutschem EU-Kommissar? Nach dem Motto: Wenn die SPD den Bundespräsidenten stellt, dann fällt der Union der EU-Kommissar zu?
Roland Koch: Wir sollten das Amt des Bundespräsidenten nicht mit einer solchen Art von Posten-Verhandlung belasten. Ich glaube aber, dass es bei der Verabredung in der großen Koalition bleibt, dass die Vertretung in der EU-Kommission auf Basis eines Vorschlags der Union besetzt wird. Könnte Sie der Job nicht reizen?
Roland Koch: Ich werde ihn nicht machen. Die Nominierung Gesine Schwans wiegt für Sie so schwer, dass Sie eine „Bestandsaufnahme“ der großen Koalition verlangen.
WNZ: Was heißt das konkret: Soll die Koalition nun weiter regieren oder nicht?
Roland Koch: Die Koalition ist mit einen Sachprogramm auf vier Jahre geschlossen worden. Durch die Entscheidung der SPD zur Wahl des Bundespräsidenten ist nun deutlich geworden: Die große Koalition ist definitiv mit der nächsten Bundestagswahl zu Ende. Aber der Katalog von Sachaufgaben, die zu Beginn der Koalition beschrieben worden sind, ist noch nicht abgearbeitet. Deshalb ist es sinnvoll, das volle Mandat der vier Jahre wahrzunehmen. Aber die Öffentlichkeit muss sehen: Da halten zwei Parteien nicht bloß an ihren Posten fest, um ein Jahr länger im Amt zu sein.
WNZ: Was müsste denn die große Koalition aus Ihrer Sicht bis zur Bundestagswahl 2009 noch leisten?
Roland Koch: Wir stehen vor einer in der Öffentlichkeit erheblich unterschätzten schwierigen Beratung für den Haushalt 2009. In der Öffentlichkeit wird ja häufig der Eindruck vermittelt, es wäre genug Geld da. Man wird in den nächsten Wochen sehen, dass es eine schwierige Aufgabe ist, den Haushalt solide hinzubekommen. Daneben haben wir zum Beispiel noch den zweiten Teil der Föderalismusreform vor uns, der nur von einer großen Koalition beschlossen werden kann. Es geht jetzt darum, diese Projekte zu beschreiben: Es muss klar werden, warum man regiert und nicht nur, dass man noch im Amt ist.
WNZ: Müsste nicht Kanzlerin Angela Merkel diese Aufgabe leisten?
Roland Koch: Angela Merkel hat mit Sicherheit daran ein großes Interesse. Genau aus dem Grund, den ich beschrieben habe. Das löst natürlich Konflikte in der Sache nicht…
WNZ: … die doch zunehmend das Bild der großen Koalition prägen. Wie will man da überhaupt noch vernünftig zusammenarbeiten?
Roland Koch: Man kann diesen Spagat durchaus schaffen; die gemeinsamen Projekte abarbeiten und gleichzeitig offen ansprechen, dass man mit der kommenden Bundestagswahl bei den großen gesellschaftspolitischen Themen dann in unterschiedliche Richtungen strebt.
WNZ: Trotzdem ist doch der Gesamteindruck da, dass in Berliner Regierungskreisen seit geraumer Zeit nichts mehr läuft. Jedenfalls keine große Politik. Bestenfalls wird ordentlich verwaltet. Und in Hessen läuft auch ohne große Koalition nichts mehr: Sie regieren, aber Ihre politischen Gegner geben die Richtung vor. Wie lange kann man ein Bundesland ohne eine durchsetzbare Idee der Veränderung regieren?
Roland Koch: Mal unabhängig davon, dass ich Ihre Beschreibung nicht für richtig halte, geht es um die Frage: Wie kann man eine Situation, die ungewöhnlich ist, dass es wechselnde Mehrheiten und keine die Regierung tragende stabile Landtagsmehrheit gibt, sinnvoll gestalten? Die Mütter und Väter unserer Verfassung haben es so angelegt, dass dies eine Zeit lang gut geht. Aber es soll sich bitte niemand darauf einrichten. Der Zeitpunkt, an dem sich entscheidet, wie ein Land regiert wird, in dem sich keine Mehrheit für einen Ministerpräsidenten oder eine Ministerpräsidentin findet, sind die Haushaltsberatungen. Also Anfang 2009 werden wir sicher klarer sehen, wohin die Reise geht. Bis dahin macht die Regierung aber dennoch Tag für Tag ordentlich ihre Arbeit.
WNZ: Sie haben kürzlich gesagt, dass der Landtag um den Haushalt für das kommende Jahr ringen werde. Was heißt denn „ringen“? Wenn SPD, Grüne und Linkspartei ihre Schwerpunkte durchsetzen wollen, können sie das doch jederzeit tun.
Roland Koch: Spannend ist die Frage, wie die Linkspartei und die Grünen in Haushaltsfragen überhaupt zusammenkommen wollen. Die Linkspartei erklärt: Wir müssen möglichst viele Schulden machen, damit der Druck auf Steuererhöhungen steigt. Dagegen fühlen sich die Grünen – wie die CDU – auch in der Haushaltspolitik für die kommenden Generationen verantwortlich. Wir als Landesregierung halten an dem Ziel fest, bis 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Daraus ergeben sich Einspar- und Reformbedürfnisse.
WNZ: Sind Sie denn überhaupt sicher, dass Sie Anfang 2009 bei den Haushaltsberatungen noch im Amt sind? In der hessischen SPD-Spitze rechnet man damit, dass die abtrünnige Abgeordnete Dagmar Metzger doch schwach wird und Andrea Ypsilanti zur Regierungschefin wählt.
Roland Koch: Es wird sicher auch in Zukunft einige Sozialdemokraten im Landtag geben, die der Auffassung sind, dass ein vor der Wahl gegebenes Wort etwas Wichtiges ist.
WNZ: Wie geht es Ihnen eigentlich persönlich dabei, die Politik Ihres politischen Gegners umsetzen zu müssen? Immerhin haben Sie neun Jahre mit komfortablen Mehrheiten in Hessen Politik gestaltet, nicht nur verwaltet.
Roland Koch: Ich bin dabei sehr gelassen. Und nehmen Sie mal als Beispiel die Studiengebühren, die wir eingeführt haben und die SPD, Grüne und Linkspartei nun abschaffen wollen. Da geht es um 100 Millionen Euro. Da sind keine fünf Prozent des gesamten Budgets, das wir für die hessischen Hochschulen verwalten. Mit den restlichen 95 Prozent können wir unsere Schwerpunkte in der hessischen Hochschulpolitik setzen wie auch in der Vergangenheit. So viel zu Ihrer Einschätzung, wer was gestaltet. Was mich allerdings wirklich aufregt: dass SPD, Linkspartei und Grüne sogar den Langzeitstudenten im 20. oder 25. Semester das Studieren ohne Beiträge und damit auf Kosten der Arbeitnehmer finanzieren wollen.
WNZ: Aber sicher würden Sie lieber richtig regieren und nicht nur geschäftsführend, was aber die hessischen Wähler nicht mehr wollten. Ganz anders die Wähler in Niedersachsen, wo die CDU mit Christian Wulff am 27. Januar im Amt geblieben ist. Haben Sie schon einmal über die Frage nachgedacht: Was könnte ich von Christian Wulff lernen?
Roland Koch: Jeder muss mit seiner Persönlichkeit um das Vertrauen der Menschen werben. Man sollte nicht glauben, man würde als die Kopie eines Anderen Erfolg haben, so sehr man ihn auch respektiert. Und das wäre auch in keiner Weise glaubwürdig. Zum politischen Leben gehört nun einmal die Fähigkeit zu siegen ebenso wie die Fähigkeit, Niederlagen zu verkraften. Diese Erfahrung hat Christian Wulff in den 90er Jahren gemacht und ich am 27. Januar.
WNZ: Wahlforscher sagen: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Warum haben Sie nicht auf die gehört? Sie hätten im Wahlkampf eigentlich gar nichts tun müssen, um zu gewinnen. Erst die Polarisierung bei Themen wie Ausländer- und Jugendkriminalität hat der SPD Zulauf beschert.
Roland Koch: Ich halte nichts davon, es sich in einem Wahlkampf – wie überhaupt in der Politik – bequem zu machen. Obwohl ich Ihre Frage auch als ein Kompliment der Arbeit der vergangenen neun Jahre verstehe.
WNZ: Was ist Ihre Konsequenz aus den dramatischen Stimmenverlusten der Hessen-CDU bei der Landtagswahl für künftige Wahlen?
Roland Koch: Ich nehme das Signal auf, dass die Wähler meiner Regierung gegeben haben. Beispiel Schulpolitik. Minister Jürgen Banzer zeigt im Kultusministerium gerade am Beispiel G8, also der verkürzten Gymnasialzeit, wie man die Erfahrungen und Vorschläge von Eltern und Lehrern aufnehmen kann, ohne das Ziel des schnelleren Abiturs in Frage zu stellen. Und im Bereich der inneren Sicherheit wird es so sein, dass wir uns nicht nur in Wahlkämpfen um dieses Thema kümmern, sondern auch in der täglichen Arbeit. So haben wir in Hessen gleich nach der Landtagswahl eine weitere Jugendarrestanstalt in Betrieb genommen. Und wir werden zum Beispiel weiter intensiv daran arbeiten, dass die Strafverfahren beschleunigt werden.