Koch: „Die Tibeter sind das einzige Volk, das den Kampf um seine religiöse und kulturelle Identität ohne Waffen führt.“
Hessens Ministerpräsident im Gespräch mit der Berliner Zeitung
B.Z.: Was fasziniert Sie an Tibet?
Koch: Die Tibeter sind das einzige Volk, das den Kampf um seine religiöse und kulturelle Identität ohne Waffen führt. Palästinenser, Basken, Kurden und andere haben Sprengstoff zum Arsenal ihrer politischen Mittel gezählt, und sie haben damit viel erreicht. Ich möchte aber nicht, dass wir unseren Kindern eine Welt übergeben, in der ausgerechnet diejenigen, die auf Gewalt verzichtet haben, die Verlierer sind.
B.Z.: 2007 reisten Sie auf Einladung Chinas nach Tibet. Wie haben Sie die Region erlebt?
Koch: Die Menschen dort sind von einer für uns kaum vorstellbaren Religiosität und Demut. Sie leben in einer ganz anderen Kategorie, die wir gar nicht mehr kennen. Jetzt werden wir Zeugen, wie dieses Potenzial zerstört wird. Das wäre aber ein unwiederbringlicher Verlust. Ich glaube, dass die Menschheit ein Stück anders und besser lebt und dass sie positiv provoziert wird, wenn sie diese Form der Kultur zur Kenntnis nimmt.
B.Z.: Was halten Sie von Vizekanzler Steinmeiers Absage, den Dalai Lama zu treffen?
Koch: Es offenbart ein großes Unverständnis der Psyche der chinesischen Führung. Einerseits hält diese ängstlich ein Land zusammen. Andererseits sieht sie, dass ihr vollends anerkannter Zugang zur globalisierten Welt nur Realität werden kann, wenn sie bestimmte Mindeststandards im Umgang mit Menschen und Kulturen einhält. Das muss sie gegeneinander abwägen. Wenn ihr dann Politiker den Eindruck vermitteln, Verstöße gegen die Menschenrechte seien möglich, ohne einen politischen Preis zu bezahlen, wird sie die falschen Schlüsse ziehen.
B.Z.: Haben Sie etwas vom Dalai Lama gelernt?
Koch: Gelegentlich versuche ich mich an seine optimistische Geduld und Gelassenheit zu erinnern. Ich bin nicht sicher, ob ich dazu fähig bin. Aber es ist ein erstrebenswertes Ziel.
B.Z.: Ihre Gegner stellen Sie gern als kühlen Machtmenschen dar. Ein Zerrbild?
Koch: Nach meiner Wahrnehmung ist der Versuch, mich als prinzipiell unsensiblen, ja skrupellosen Politiker zu brandmarken, das falscheste und gefährlichste Zerrbild – aber auch das, welches am intensivsten bedient wird. Das bedrückt mich manchmal. Dass das passiert, hat vermutlich mit meiner Bereitschaft zu tun, Dinge auf den Punkt zu bringen. Ich erlebe halt immer wieder, dass Gesprächspartner sagen: „Sie sind ja viel netter als im Fernsehen.“
B.Z.: Wie sehen Sie Ihre Position in der Bundes-CDU?
Koch: Nach einer Wahl, die mit einer Niederlage geendet hat, ist man natürlich nicht gestärkt. Aber diese Situation hat auch ihren Charme. Sie gibt mir eine gewisse Gelassenheit und Freiheit, mich zu Dingen zu äußern, ohne dass jeder gleich fragt: „Was will der werden?“, sondern eher nach der Sache suchen muss.
B.Z.: Wobei schalten Sie ab?
Koch: Zum Beispiel beim Kochen. Das lernte ich bereits als Jugendlicher, weil ich mehr Nudelgerichte haben wollte, als meine Mutter uns vorsetzte, und sie sagte: „Koch‘ halt selber.“ Ich sammele auch Kochbücher. So 300 bis 400 dürften es inzwischen sein.