Roland Koch zum Deutschlandbesuch des Dalai Lama
Interview mit dem Deutschlandfunk
Roland Koch: Guten Morgen!
Sandra Schulz: Herr Koch, was bringt Ihr Treffen den Tibetern?
Koch: Die Tatsache, dass der Dalai Lama in Deutschland ist, schafft ihm eine durchaus wichtige Chance, für das Anliegen des tibetischen Volkes zu werben, es zu erklären, aber auch uns die Möglichkeit zu geben, denjenigen, die in China jetzt beginnen, Verhandlungen mit Vertretern des Dalai Lama zu führen, deutlich zu machen, dass es ein sehr, sehr starkes Interesse eines wichtigen Landes auf der Welt, aber ich denke, nicht nur Deutschlands, gibt, dass diese Gespräche Erfolg haben. Dazu gehört auch, dass Menschen wie ich, die Verantwortung für ein Bundesland tragen, ihn herzlich willkommen heißen.
Schulz: Deutlich zu machen, sagen Sie, aber welche konkrete Einflussmöglichkeit gibt es?
Koch: Das tibetische Volk ist ja in der besonderen Situation, dass es sich mit dem religiösen Führer immer entschlossen hat, eine gewaltlose Auseinandersetzung um seine Identität und seine Religionsfreiheit zu führen. Das bedeutet: Seine Waffe ist die Öffentlichkeit, die Unterstützung von vielen Menschen auf der Welt und das Einschätzen der Gesprächspartner des chinesischen Staates, dass es für das Ansehen der Volksrepublik China in der Welt wichtig ist, diese Meinung nicht völlig zu ignorieren. Und man sieht ja, dass sich etwas bewegt. Nach dem Fackellauf gibt es Gespräche, die es vor dem Fackellauf nicht gegeben hat, und wir sollten diese Entwicklung unterstützen und nicht schmälern oder schädigen. Das ist das einzige, aber etwas sehr Wichtiges, was man in dieser Sache als Weltgemeinschaft tun kann.
Schulz: Herr Koch, es gibt Gespräche zwischen Vertretern des Dalai Lama und Vertretern der chinesischen Staatsführung ja schon seit 2002. Welche konkreten Erfolge haben die gezeigt?
Koch: Das Problem dieser Gespräche ist ja gerade, dass sie bisher keine Erfolge gezeigt haben. Deshalb ist es ein sehr wichtiger Punkt, dass die Weltgemeinschaft sich nicht mit dem immerhin wichtigen und richtigen Neubeginn dieser Gespräche zufrieden gibt, sondern sagt, dass die Besorgnisse, die es gibt, erst beendet werden, wenn solche Gespräche Ergebnisse haben. Deshalb ist auch wichtig, dass sie nicht irgendwann, sondern in kurzer Zeit weitergeführt werden und wenn sie weitergeführt werden, muss es bei der Einschätzung der chinesischen Führung bleiben, dass es für die Steigerung des Ansehens oder den Eintritt in eine neue Phase der Partnerschaft in der Weltgemeinschaft, die man ja auch mit der Olympiade symbolisieren will, wichtig ist, dass man zu substanziellen Verabredungen auch mit den Repräsentanten des tibetischen Volkes in China kommt, denn die Tatsache, dass die Region Tibet ein Teil Chinas bleiben soll, ist nicht umstritten und darf auch nicht umstritten sein.
Schulz: Als Vertreterin der Bundesregierung wird ja Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul den Dalai Lama treffen. Halten Sie an Ihrer Forderung fest, dass auch Außenminister Steinmeier für ein Treffen zur Verfügung stehen muss?
Koch: Ich hätte es für richtig gehalten und werde es auch in Zukunft für richtig halten, dass der Vizekanzler eine solche Aufgabe wahrnimmt, wenn die Kanzlerin nicht im Land ist. In einer solchen Situation, jedenfalls in der diese Verhaltensweise und die Diskussion, die wir uns in den letzten Tagen durch Herrn Steinmeier geleistet haben, eben zu Irritationen in China führen muss, weil: China hatte sich gerade ein Stück auch damit arrangiert, dass die Bundesrepublik eine klare Position in dieser Frage hat. Und das Verhalten der Bundeskanzlerin und die Tatsache, dass die Gespräche wieder aufgenommen worden sind, hat insofern etwas miteinander zu tun, dass es ein Element in einer langen Kette von Entwicklungen war, das alleine natürlich hier überhaupt nicht in irgendeiner Weise sozusagen die Entscheidung war. Aber jetzt an dieser Stelle wieder ein Stück symbolisch zurückzurudern, wie Herr Steinmeier das gemacht hat, ist unnötig. Und Frau Wieczorek-Zeul steht da gerade da jetzt, und das muss man respektieren. Sie ist eine Vertreterin der Bundesregierung, die ja auch für die Entwicklungshilfe, die wir an China zahlen, verantwortlich ist, so dass das die Vertretung der Bundesregierung ist. Aber Steinmeier hätte der Sache helfen und sich manches ersparen können, wenn er einfach kurz entschlossen eine halbe Stunde in seinem Kalender gefunden hätte.
Schulz: Warum hat sich Ihr Appell nicht an den Bundespräsidenten gerichtet, der ja auch aus terminlichen Gründen abgesagt hat und auch keine halbe Stunde in seinem Terminplan freimachen konnte?
Koch: Erstens respektiere ich, dass der Bundespräsident außerhalb von tagespolitischen Erwägungen steht und stehen muss und dort sicherlich auch manches andere beachten muss. Ich wende mich da an die Bundesregierung. Die hat eine sehr politische Rolle im Tagesgeschäft, und das, was wir hier machen, ist Tagesgeschäft. Herr Steinmeier hätte sich und uns einiges ersparen können. Wenn Frau Wieczorek-Zeul das jetzt in Ordnung bringt, ist das sozusagen in den Reihen des Koalitionspartners in Ordnung. Aber es wäre schöner gewesen, wenn wir gar keine vielen DIN-A4-Seiten Schrifttext zur Analyse dieses Verhaltens der Bundesregierung in den chinesischen Führungsetagen produziert hätten, sondern einfach bei einer klaren Linie geblieben wären.
Schulz: Herr Koch, Sie haben gerade gesagt, China akzeptiere die deutlichen Worte Deutschlands. Worin äußert sich diese Akzeptanz? Es hat nach dem Besuch des Dalai Lama bei Bundeskanzlerin Merkel ja die reihenweise Absage von Terminen gegeben und auch jetzt hat die chinesische Seite, die chinesische Botschaft in Berlin massive Proteste zum Besuch des Dalai Lama bei Wieczorek-Zeul angekündigt. Worin also äußert sich die Akzeptanz?
Koch: Schauen Sie, die Tatsache, dass ein Land, das etwas durchsetzen will gegen die Weltgemeinschaft, versucht zu protestieren, das ist ja nun eine Erfahrung, die wir in der Vergangenheit der Geschichte Deutschlands durchaus auch manchmal gemacht haben. Die Frage ist, wie die Weltgemeinschaft darauf reagiert, und dann erst ergibt sich die Veränderung. Meine persönliche Erfahrung, und ich beschäftige mich jetzt seit zwei Jahrzehnten mit dieser Frage, ist, dass die Tatsache, welche Chancen und Möglichkeiten des Dialogs mit der chinesischen Führung sich auch für mich daraus ergeben haben, dass ich die klare Position habe, nicht dazu führt, dass klare Positionen bedeuten Stillstand des Dialogs. Da kann es kurzfristig auch Irritationen geben. Die sind, wenn man Klarheit schaffen will, auch durchaus gelegentlich notwendig. Aber es muss klar bleiben: man kann gleichzeitig ein Freund Chinas und ein Freund des tibetischen Volkes sein. Das muss der Anspruch der Bundesregierung sein. Sie darf nicht den Eindruck erwecken, sie sei bereit, zwischen diesen beiden Punkten zu wählen, weil genau das ist die Gefahr, die für ein solches Volk und seine Identität besteht.
Schulz: In dieser klaren Haltung, die Sie ansprechen, haben Sie ja Gesellschaft der Grünen. Fast die komplette Partei- und Fraktionsführung der Grünen will sich am Montag mit dem Dalai Lama treffen. Zeichnet sich da eine neue schwarz-grüne Übereinstimmung ab, Herr Koch?
Koch: Es zeichnet sich zunächst einmal ab, dass die sozialdemokratischen Kollegen schon seit dem Besuch des Dalai Lama bei Frau Merkel ziemlich isoliert sind und dass es, glaube ich, sehr schwer in Deutschland erklärbar ist, warum ausgerechnet die sozialdemokratische Partei eine Position vertritt, lieber Geschäfte mit China nicht gefährden, als für Menschenrechte kämpfen. Das hat man früher wahrscheinlich nicht erwartet. Aber es ist eine Gemeinsamkeit von allen Christdemokraten und von den Grünen. Warum sollen wir die verschweigen. Sie ist keine Basis, um Landespolitik zu organisieren, aber sie zeigt, dass man gemeinsam durchaus wichtige Dinge formulieren kann.
Schulz: Es stehen in der Linie im Umgang gegenüber Chinas ja zwei Konzepte gegeneinander, sozusagen. Die Sozialdemokraten propagieren mit Außenminister Steinmeier eine Politik der leisen Schritte, und das Treffen von Bundeskanzlerin Merkel steht für einen offensiveren Umgang. Zu dieser Gangart passt auch Ihre Einschätzung zu der Frage eines Olympiaboykotts. Sie werden mit den Worten zitiert, man dürfe keine Drohung auslassen. Gilt das noch?
Koch: Ich bin nicht so ganz sicher, dass diese Worte nicht sehr aus dem Zusammenhang gerissen sind, weil man dann sehr spezifisch darüber reden müsste, worum es geht. Wahrscheinlich geht es in diesem Zusammenhang eher um die Frage, dass man nicht ausschließen darf, dass etwa Olympische Spiele zur Disposition stehen können, wenn Menschenrechtsverletzungen zu schlimm werden. Jetzt ist Gott sei Dank eine Situation eingetreten, in der die Frage sich eher entspannt, und deshalb müssen wir über Boykott nicht sprechen. Nur die Frage, die Sie prinzipiell gestellt haben, ist noch anders: Hätte es den Fackellauf, hätte es die internationalen Proteste von vielen Regierungen und Bürgern, hätte es Aktivitäten wie die der Bundeskanzlerin oder des amerikanischen Präsidenten oder vieler anderer Staatsoberhäupter in der Welt in den letzten Monaten nicht gegeben, dann könnten wir ganz sicher sein, dass die tibetische Frage gar nicht auf der Tagesordnung stünde, dass es keine Gespräche gebe und dass wir nach der Olympiade sicherlich feststellen müssten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Identität des Volkes geschützt werden kann, sehr viel geringer ist, als sie hätte mit den Mitteln, die wir jetzt sehen, erreicht werden können. Insofern: Wenn es da die zwei Konzepte gibt, wie Sie sie beschreiben, dann spricht vieles dafür, dass Angela Merkel im letzten Jahr Recht hatte.
Schulz: Amnesty international geht davon aus, dass sich die Menschenrechtslage in China und in Tibet in den vergangenen Monaten eher noch verschlechtert habe. Die Unruhen in Tibet haben durch das Durchgreifen des chinesischen Militärs rund 200 Menschenleben gefordert. Woher nehmen Sie das Potenzial für diese positive Bilanz?
Koch: Schauen Sie, die Entwicklung in Tibet ist nicht ausgelöst worden durch die Olympischen Spiele, sondern sie ist ausgelöst worden durch eine Explosion von Verzweiflung eines unterdrückten Volkes. Man kann auch wegsehen, aber damit hilft man keinem der betroffenen Menschen. Es ist auch eine spannungsreiche Auseinandersetzung, und sie ist durchaus mit wichtigen Interessen auf beiden Seiten gepaart, auch durchaus eine spannungsreiche Auseinandersetzung für die chinesische Führung. Nur, ich glaube, wenn wir das ernst meinen, was wir so lange uns auch erarbeitet und erkämpft haben in einem Kontinent wie Europa an Menschenrechten, dann haben wir die Verpflichtung auch anzuerkennen, dass diese Menschenrechte unteilbar sind. Deshalb bedeutet das, dass es Rückschläge gibt, dass es Fortschritte gibt, dass man keine gerade Linie dort wird zeichnen können und es keinen Anspruch gibt, dass wir Recht haben und wir nur etwas fordern müssen, und man bekommt es. Aber man muss die Verbindlichkeit behalten, dass es Maßstäbe einer Werteordnung gibt, die nicht zur Disposition stehen. Ich glaube, das ist die notwendige Basis für einen Dialog auch mit einem großen und wichtigen Land, mit dem wir freundschaftlich verbunden sein wollen wie China. Ich bin aus all den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, die ich dabei gemacht habe, auch überzeugt, dass das verstanden wird, wohl wissend, dass es ein schwieriger Weg ist, der auch für die chinesische Führung Risiken hat, der nicht nur bequem ist, aber den man am Ende gehen muss, weil: Wenn man nicht dafür eintritt in der freien Welt, dann wird das tibetische Volk bald etwas sein für das Geschichtsbuch.
Schulz: Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk heute Morgen der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Haben Sie vielen Dank.
Koch: Auf Wiederhören.