Koch: „Ich bleibe optimistisch, dass ein Vertreter der Bundesregierung am Ende die Kraft haben wird, den Dalai Lama zu treffen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger
Kölner Stadt-Anzeiger: Herr Ministerpräsident, der Dalai Lama kommt nach Deutschland. Was erwarten Sie von der Visite?
Roland Koch: Das ist ein lange geplanter Besuch, der jetzt aber nach den bedrückenden Ereignissen der letzten Wochen eine außergewöhnliche Bedeutung bekommt. Diese Zeit ist für die tibetische Bevölkerung in China von historischer Bedeutung. Die erforderlichen Veränderungen können nur erreicht werden, wenn die Solidarität der Weltgemeinschaft so gut wie möglich sichtbar wird.
Kölner Stadt-Anzeiger: Sie treffen den Dalai Lama morgen als Erster. Was sagen Sie ihm?
Koch: Ich werde ihm sagen, dass er in Deutschland ein hohes Maß an Sympathie genießt. Er wird sicher mit einem gewissen Lächeln darauf hinweisen, dass es Politikern schwerer fällt als anderen, ihre Sympathie unmissverständlich auszudrücken.
Kölner Stadt-Anzeiger: Was meinen Sie damit?
Koch: Wenn die Bundeskanzlerin wegen einer seit längerem geplanten Auslandsreise keine Zeit und außerdem schon hinreichend deutlich gemacht hat, dass sie bereit ist, diesen großen und friedlichen Religionsführer in unserem Land persönlich willkommen zu heißen, dann wäre es Sache des Vizekanzlers, seinen Terminkalender aufzuräumen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Warum trifft Frank-Walter Steinmeier den Dalai Lama nicht?
Koch: Ich hoffe, er korrigiert diese Entscheidung. Er geht nämlich von der falschen Einschätzung aus, dass seine Gesprächspartner in der chinesischen Regierung es als einen die Beziehungen dauerhaft belastenden Akt sehen würden, wenn Deutschland seine seit langem bekannte Position auch weiterhin offensiv vertritt. Das ist ein nicht ungefährlicher Irrtum, weil er zu falschen Konsequenzen in der Lagebeurteilung aufseiten seiner chinesischen Gesprächspartner führen könnte. Diese könnten annehmen, dass es den Deutschen gar nicht so wichtig sei, wie mit dem tibetischen Volk umgegangen wird. Viele chinesische Repräsentanten – das ist meine Erfahrung aus vielen Gesprächen – vertragen Kritik. Was sie weniger vertragen, ist Unberechenbarkeit.
Kölner Stadt-Anzeiger: Sie schließen einen Olympia-Boykott nicht aus. Es gibt Gespräche zwischen Chinesen und Tibetern.
Koch: Ein Boykott der Olympischen Spiele kann immer nur das letzte, ja das allerletzte Mittel sein. Die Situation dafür ist derzeit nicht gegeben. Das bedeutet jedoch auch, dass nichts wesentlich Belastendes hinzukommen darf. Sonst kann die Analyse anders ausfallen. Es darf bei Menschenrechtsverletzungen keine Blankoschecks geben. Ohne all diese Diskussionen gäbe es im Übrigen keine Gespräche zwischen den Vertretern des Dalai Lama und der chinesischen Führung. Es muss in den nächsten Wochen sichtbar werden, dass ein ernsthaftes Anliegen substanzieller Annäherung darin liegt. Das gilt für beide Seiten. Der Dalai Lama will nicht China destabilisieren. Er will die Kultur seines Volks stabilisieren. Das muss vereinbar werden.
Kölner Stadt-Anzeiger: Von Merkel heißt es, sie habe den Dalai Lama nicht treffen wollen.
Koch: Frau Merkel hat ein weltweit beachtetes Zeichen gesetzt. Sie hat einen Vizekanzler, der noch dazu Außenminister ist und damit ein natürlicher Gesprächspartner. Ich hoffe, dass Herr Steinmeier seine Entscheidung korrigieren wird, und bleibe optimistisch, dass ein Vertreter der Bundesregierung am Ende die Kraft haben wird, den Dalai Lama zu treffen.
Kölner Stadt-Anzeiger: Und was ist mit Horst Köhler?
Koch: Der Bundespräsident entscheidet über seine Termine selbst.
Das Interview führte Markus Decker.