Hessisches Modell zur Lösung des Verschuldungsproblems – Aufgabenfinanzierung auf Kosten zukünftiger Generationen beenden – Generationenvertrag für einen Weg aus der Schuldenfalle
Ein Beitrag von Roland Koch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Alle bisherigen Versuche, den Anstieg der öffentlichen Verschuldung in Deutschland zu stoppen, sind fehlgeschlagen. Weder verfassungsmäßige Beschränkungen, noch Vereinbarungen etwa im Finanzplanungsrat konnten dies verhindern, weil immer eine Begründung für die Notwendigkeit der jeweiligen Kreditfinanzierung von Ausgaben gefunden werden konnte. Inzwischen werden nicht nur die jeweiligen Tilgungsraten sondern vereinzelt sogar Zinsen kreditfinanziert, woraus wieder neue Zinsverpflichtungen entstehen. Selbst in der aktuellen, konjunkturell günstigen Phase mit deutlich steigenden Steuereinnahmen und nach einer kräftigen Umsatzsteuererhöhung findet Nettokreditaufnahme statt und nur einigen Ländern gelingt eine sehr begrenzte Schuldenreduzierung. Der Staat steckt in einer Schuldenfalle.
Aufgrund dieser Gegebenheiten ist der Schuldenstand inzwischen auf einen Betrag von knapp 1.500 Mrd. € angewachsen, die anfallenden Pensionsverpflichtungen noch nicht eingerechnet. Hieraus resultieren derzeit laufende Zinsverpflichtungen in Höhe von rund 65 Mrd. €. Diese Verpflichtungen nehmen bereits rund 12,5% der Steuereinnahmen in Anspruch und stehen somit für die Finanzierung dringend notwendiger Zukunftsaufgaben, insbesondere in den Bereichen Bildung, Forschung und Wissenschaft, nicht mehr zur Verfügung. Die jetzige Generation finanziert demzufolge vor allem die ihr selbst zugute kommenden Ausgaben und zwar auf Kosten zukünftiger Generationen, weil sie notwendige Zukunftsausgaben unterlässt und damit die Chancen der zukünftigen Generationen, in einer zunehmend globalisierten Welt zu bestehen, vermindert und diesen zusätzlich noch die Finanzierung der Zinslasten aus den Krediten vergangener Generationen aufbürdet.
Damit sich die Zukunftschancen nachfolgender Generationen nicht immer weiter verschlechtern, sondern im Gegenteil wieder verbessern, bedarf es einer radikalen und sichtbaren Umkehr im Verschuldungsverhalten öffentlicher Haushalte. Alle derzeit bekannten Vorschläge, dies in einem langsamen Prozess mit modifizierten Regeln für die weitere Verschuldung zu bewerkstelligen, greifen zu kurz und werden schon in wenigen Jahren neue Diskussionen über die Auslegung der Regeln provozieren. Es muss jetzt die Chance für einen radikalen Schnitt genutzt werden, der – vereinfacht gesagt – die Sünden der Vergangenheit in ein Paket packt und zur Seite legt, während gleichzeitig eine erneute Verschuldung ab einem festgelegten Zeitpunkt ausgeschlossen wird. Hierzu ist es notwendig, alle Schulden aus den Haushalten von Bund und Ländern (ob die Kommunen einbezogen werden, sollte in der Föderalismus-Kommission entschieden werden) herauszunehmen, diese in einen Schuldenfonds zu überführen und danach keine Haushaltsverschuldung mehr zuzulassen. Auch in bestimmten Ausnahmesituationen, wie z. B. im Falle von Naturkatastrophen oder erheblichen Steuereinbrüchen notwendig werdende Kreditaufnahmen, dürften dann nur noch nach schon jetzt klar festzulegenden Regeln über den Fonds erfolgen. Mit einem solchen Generationenvertrag kann der Weg aus der staatlichen Schuldenfalle gelingen. Zur dauerhaften Einhaltung des Prinzips einer ausschließlichen Finanzierung der staatlichen Ausgaben durch zur Verfügung stehende Einnahmen ohne Kredite wird es zunächst erheblicher Konsolidierungsmaßnahmen bedürfen, deshalb kann das abschließende Verbot für die Neuaufnahme von Schulden auch erst in dem Zeitraum zwischen den Jahren 2012 – 2015 erfolgen. Danach wird es eine weitere Übergangszeit geben müssen, in der stetig steigend die in der Vergangenheit jeweils durch neue Kredite finanzierten Tilgungsraten durch weitere Konsolidierungsschritte erwirtschaftet werden. Auch dann ist nach den bisher bekannten Daten zu erwarten, dass am Ende dennoch nicht alle Länder in der Lage sein werden, ihre Haushalte auszugleichen. Solchen – strukturschwächeren – Ländern (z. B. Bremen, Saarland) wären dann Hilfen unter jetzt schon klar zu benennenden Bedingungen zur Erreichung eines ausgeglichenen Haushalts zu gewähren.
Für alle Bundesländer und den Bund besteht grundsätzlich die Pflicht, die Zinsverpflichtungen aus den übertragenen Krediten voll zu übernehmen. Der Fonds wird an die zusammengefassten Schuldner von Bund und Ländern geringfügig geringere Zinsen wegen der Chancen des besseren Zinsmanagements zu zahlen haben. Weiterhin ist es im Falle eines verbindlichen Verschuldungsverbotes für die Zukunft vertretbar, die Rückzahlung unter der Annahme einer Tilgung innerhalb der nächsten 50 Jahre vorzunehmen, um damit die Annuitäten (Zinsen und Tilgung) akzeptabel zu halten.
Allerdings wird der „Vorteil“ der längeren Tilgungszeit mit geringeren jährlichen Belastungen für den Bund und die Länder erst eintreten, wenn sie durch Konsolidierung auch die bisher kreditfinanzierten Tilgungsraten erwirtschaften. In der Zwischenzeit wird im Staatsvertrag geregelt, dass der Fonds jährlich sinkende Anteile an den Tilgungsraten noch durch eigene Kredite vorfinanziert. Spätestens nach 10 Jahren darf auch kein Cent der Tilgungsrate mehr durch Kredite finanziert werden.
Der Liquiditätsvorteil, den Bund und Länder durch den Fonds erlangen, muss durch Bundesmittel von jährlich 3-4 Mrd. € ergänzt werden. Aus dem „Gesamtvorteil“ von Zinsmanagement, Tilgungsstreckung und Bundesmitteln können die Kosten der vom Fonds noch vorzufinanzierenden Tilgungsraten von Bund und Ländern langfristig finanziert werden und es wird ein Betrag von „1 Mrd. plus x“ bereitzustellen sein, um durch Zinszuschüsse die strukturschwachen Länder für längere Zeit nach bestimmten Regeln zu entlasten.
Zusammengefasst bedeutet das:
- kein Bundesland zahlt mehr als bisher
- die zusätzlichen Bundesmittel bewegen sich zeitlich und in der Höhe im Rahmen der freiwerdenden Mittel aus dem Solidaritätszuschlag
- auch die starken Länder und der Bund profitieren mittel- und langfristig von der Tilgungsstreckung
- den strukturschwächeren Ländern kann geholfen werden
- der Fonds und die Selbstverpflichtung aller 17 Beteiligten, nur über den Fonds zu finanzieren, sind ein verbindlicher Schutz gegen eine neue Schuldenfalle.
Im Einzelnen könnte der Weg aus der Schuldenfalle wie folgt ausgestaltet werden:
Schuldenfonds:
Bund und Länder richten durch Staatsvertrag einen gemeinsamen Fonds ein, in den sie (möglicherweise auch die Kommunen) ihre sämtlichen Kreditmarktschulden einbringen. Die Laufzeit des Fonds bis zu seiner endgültigen Tilgung könnte z. B. 50 Jahre betragen. Das betrifft die Gesamtlaufzeit des Fonds, wobei das Fondsmanagement ein Kreditportfolio mit wirtschaftlich, möglichst günstig gestalteten Laufzeiten aufbauen muss.
Haftung:
Für die in den Fonds eingebrachten Schulden haftet der Fonds gegenüber den (neuen) Kreditgebern gesamtschuldnerisch. Bund und Länder haften gegenüber dem Fonds grundsätzlich entsprechend ihrer jeweils eingebrachten Schuldenanteile.
Effizienzrendite und Tilgungsstreckung:
Wie die Erfahrung zeigt, führen gemeinsam betriebene Kreditaufnahmen (sogenannte „Jumbos“) in der Regel zu geringeren Finanzierungskosten. Auch eine gegenüber bisherigen Krediten längere Laufzeit, z. B. 50 Jahre, wird aufgrund der Tilgungsstreckung im Zusammenklang mit einem hervorragenden Schuldenmanagement zusätzliche liquide Mittel verfügbar machen. Zusammengenommen kann hierdurch voraussichtlich eine Effizienzrendite erreicht werden, die auch Hilfen für diejenigen Länder ermöglicht, die nachweislich in absehbarer Zeit keinen auf Dauer ausgeglichenen Haushalt erreichen können.
Fondsfinanzierung (Annuitäten):
Im Rahmen der Fondsfinanzierung verpflichten sich Bund und Länder grundsätzlich zu einer Beteiligung an der Gesamtannuität des Fonds entsprechend ihrem Anteil der von ihnen eingebrachten Schulden an den Gesamtschulden des Fonds. Die so berechneten Annuitäten werden für die Länder betragsmäßig voraussichtlich über deren Finanzierungsmöglichkeiten liegen, weil diese bisher die Tilgungsraten mit wenigen Ausnahmen durch neue Kredite finanzieren Die Nutzung aufwachsender Einnahmen und die Durchführung weiterer Konsolidierungsschritte zur Finanzierung der Tilgungsleistungen sind ein weiterer Kraftakt, der nicht sofort mit dem Verbot von neuen Schulden für den allgemeinen Haushalt leistbar ist. Deshalb muss der Staatsvertrag den Ländern und dem Bund das Recht einräumen, für einen Übergangszeitraum von längstens 10 Jahren durch eine Kreditaufnahme im Rahmen des Fonds sinkende Anteile der Tilgungsraten zwischen zu finanzieren. Praktisch hat das zur Folge, dass der Bund oder ein Land neben seinen Zinsverpflichtungen an den Fonds im ersten Jahr mindestens 10% der Tilgungssumme des auf 50 Jahre gerechneten Kredites zahlen muss, nach 10 Jahren auf jeden Fall 100%. Die Kreditmittel, die der Fonds dafür aufwenden muss, werden durch den „Vorteil“ aus Zinsmanagment und Bundesmittel gezahlt. Damit profitiert der Bund sehr erheblich von einer derartigen Fondkonstruktion..
Sofern der Bund oder einzelne Länder in ihren Haushalten Überschüsse erwirtschaften, muss für diese die Möglichkeit von Sondertilgungen bestehen, die in der Folge zur Zinsentlastung führt und in diesem Umfang deren Annuität mit entsprechend haushaltsentlastender Wirkung verringert. Dies ist nicht nur folgerichtig, da Tilgungen nach dem Status quo ebenfalls zu entsprechenden zukünftigen Haushaltsentlastungen führen, sondern bietet auch einen zusätzlichen Anreiz zur Schuldentilgung.
Besondere Hilfen:
Sofern einige Länder trotz aller Eigenanstrengungen objektiv keinen nachhaltigen Haushaltsausgleich erreichen können, sollen diesen zur Herstellung des Haushaltsausgleiches besondere finanzielle Hilfeleistungen in Form von Zuschüssen zu den eigenen Zinsverpflichtungen gewährt werden. Diese Hilfeleistungen sind im Staatsvertrag zu vereinbaren und müssen längerfristig erfolgen, allerdings muss das Ende festgeschrieben und die Hilfe langsam auslaufend sein. Die Hilfen sind kein Ersatz für den Länderfinanzausgleich. Die Hilfe zum Haushaltsausgleich würde deutlich dazu beitragen, die Diskussionen um einen bedarfsorientierten Finanzausgleich zu beenden, was zu den zentralen Forderungen der Zahlerländer gehört.
Verschuldungsverbot:
Die Konstruktion des beschriebenen Schuldenfonds macht nur dann Sinn, wenn die Haushalte von Bund und Ländern dauerhaft schuldenfrei bleiben. Dies bedeutet, dass sowohl durch den Bund, als auch durch die Länder nach Installation des Schuldenfonds grundsätzlich keine Kredite, die nicht bereits im Staatsvertrag zum Fonds zum Tilgungseinstieg vereinbart sind, aufgenommen werden können.. Dennoch muss in eng begrenzten und eindeutig definierten Ausnahmefällen, z. B. bei einer Naturkatastrophe oder einem extremen Einbruch der Steuereinnahmen, eine vorübergehende staatliche Kreditaufnahme möglich bleiben. Diese sollte aber, um die einzelnen Haushalte weiterhin schuldenfrei zu halten, im Rahmen einer Notfallklausel nur bei dem bzw. über den Fonds mit entsprechenden Auswirkungen auf die jeweiligen Annuitäten erfolgen. Im Rahmen des für die Errichtung des Fonds notwendigen Staatsvertrags ist dabei die Funktion der Notfallklausel näher zu bestimmen, wobei insbesondere auch sicherzustellen ist, dass die Eigenverantwortlichkeit für die jeweilige Kreditaufnahme gewahrt bleibt, in dieser Form aufgenommene Kredite also nicht der Solidarhaftung überantwortet werden dürfen.