Rede zur Verleihung des Hessischen Kulturpreises
Rede des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch anlässlich der Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2008
Rede des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch anlässlich der Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2008 an Wolfgang Diefenbach (Landes Jugend Jazz Orchester Hessen), Prof. Dr. Albrecht Beutelspacher (Mathematikum Gießen). Kindertheaterbuerooo Kassel. Stefan Becker (Spielraum-Theater)
Günter Staniewski (LAKU PAKA)
Hessisches Staatstheater Wiesbaden, 15. April 2008
Verehrte Preisträger,
Herr Landtagspräsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Gemeinsam mit der in neuer Verantwortung zuständigen Frau Kollegin, Staatsministerin Silke Lautenschläger, heiße ich Sie sehr herzlich zur Verleihung des Hessischen Kulturpreises hier in Wiesbaden willkommen.
Die Kulturpreisverleihung ist eine Veranstaltung der besonderen Art. Sie ist nicht nur mit einem für solche Verhältnisse sehr guten Preisgeld dotiert – insgesamt 45.000 Euro, die der Hessische Landtag jedes Jahr zur Verfügung stellt –, sondern bietet uns als Veranstaltern auch die seltene Möglichkeit, dem Rechnungshof gegenüber zu erklären, dass die Künstlergagen bereits im Preisgeld enthalten sind. Schließlich gelingt es uns fast immer auch, die jeweiligen Preisträger dazu zu gewinnen, mit uns gemeinsam diesen feierlichen Rahmen zu gestalten. Damit haben auch die Gäste dieser Veranstaltung dann die Chance, all das ein Stück weit nachzuvollziehen, worüber die Jury zu entscheiden hatte und über das der Laudator vorzutragen hat. Entsprechend hat das Landes Jugend Jazz Orchester diese Veranstaltung bereits begonnen und wird uns auch weiter durch den Abend führen. Ich freue mich sehr, dass ich mit dem Leiter des Landes Jugend Jazz Orchesters, Wolfgang Diefenbach, einen der Preisträger dieses Abends begrüßen kann. Mit ihm begrüße ich auch Herrn Professor Dr. Albrecht Beutelspacher, den Leiter des „Mathematikum“ in Gießen, sowie Herrn Stefan Becker und Herrn Günter Staniewski, die beide im Bereich Kindertheater tätig sind, nämlich Stefan Becker für das „Spielraumtheater“ und Günter Staniewski für „LAKU PAKA“. Allen Preisträgern ein herzliches Willkommen und schon jetzt ein herzliches Dankeschön!
Es ist jedes Jahr für die Mitglieder der Auswahlkommission, die mit mir zusammen über die Preisträger des Hessischen Kulturpreises entscheiden dürfen, ein „vergnügliches Ringen“ um die Frage, welches Zeichen wir damit setzen wollen. Denn diejenigen, die seit längerer Zeit diese Arbeit verfolgen, wissen, dass normalerweise Preisträger aus drei verschiedenen Bereichen kulturellen Wirkens gekürt werden. Daneben gibt es aber auch das Bestreben derer, die über diesen Preis entscheiden, trotzdem jedes Jahr daraus auch eine gemeinsame Botschaft zu formulieren, die dieses unterschiedliche Wirken miteinander verbindet. Das ist mitunter wesentlich komplizierter als die Aufgabe, in unserem Bundesland drei herausragende Persönlichkeiten des kulturellen Schaffens zu finden. Es ist auch genauso „gerecht“ oder „ungerecht“ unter dem Gesichtspunkt, dass dann eben eine Ehrung auch von dem Bild abhängt, welches wir in einem bestimmten Jahr mit dieser Auszeichnung vermitteln und in die Gesellschaft hineintragen möchten. Ob dies nun in einem Jahr der Architektur gewidmet ist oder in einem anderen Jahr der Darstellenden Kunst; ob es die Literatur ist, die Musik, die Schauspielerei oder Schwerpunkte der Geisteswissenschaften sind – das alles hat in den vergangenen Jahren hier schon eine Rolle gespielt.
Uns war seit langer Zeit in diesem Ringen immer wieder ein Anliegen, einen Weg und eine Botschaft zu finden, die sich mit dem speziellen Thema „Kultur und junge Menschen“ beschäftigt. Und zwar Kultur im weitesten Sinne: Begriffe wie Erziehung, Wissenschaft und Darstellende Kunst einbeziehend und Rücksicht nehmend auf die Tatsache, dass in unserer Gesellschaft oft die Gefahr besteht, dass wir zu wenig dafür tun, jungen und sehr jungen Menschen den Einstieg in eine – jetzt verwende ich dieses gefährliche Wort, aber ich glaube, es trifft am ehesten den Kern unseres Anliegens – „gebildete Welt“ zu ermöglichen. Das kann sehr vieles heißen. Aber es bedeutet vor allem, junge Menschen davon zu überzeugen, dass intellektuelle Reflexionen nichts Sinnloses, Altbackenes und für sie selbst weit Entferntes sein müssen. Sondern dass man durchaus spielerisch mit einer gewissen Leichtigkeit in Dinge, in Tiefen des Denkens, auch des Sich-selbst-Weiterbildens und Mit-sich-Ringens eindringen kann, ohne dass daraus ein unmittelbarer Zwang werden muss. Das ist die Herausforderung, die alle diejenigen umgibt, welche die Weitergabe kultureller Wissenstraditionen und geistesgeschichtlicher Hintergründe an junge Menschen zu ihrer Aufgabe gemacht haben. Ob das nun das Ausprägen der musischen Fähigkeiten, die Heranführung an komplizierteste mathematische Darstellungsformen oder die Förderung von Ausdrucksfähigkeit, Phantasie oder dem Spiel in Rollen ist. All das sind Wege, von denen wir uns erhoffen, dass sie möglichst viele junge Menschen dazu bringen, sich diese Dinge einmal anzuschauen, dass sie sich dadurch gefordert fühlen und auch selbst darum bemüht sind, entsprechend gefördert zu werden.
Die Preisträger, die wir heute hier auszeichnen, sind Persönlichkeiten, die als einzelne Personen – das ist eine der Voraussetzungen für die Verleihung des Kulturpreises –Wesentliches dazu beigetragen haben. Dabei stehen sie letzten Endes immer auch für eine Institution, für eine organisatorische Einheit. Sie stehen für etwas, das sie im Laufe der Zeit bewegt haben, das ohne sie so nicht wäre, bei dem sie aber auch die Unterstützung von Anderen erfahren haben, mit denen sie in diesen Institutionen zusammengearbeitet haben. Das ist für einen Laudator immer eine Gratwanderung. Deshalb sage ich ganz offen: Wir wissen sehr wohl, dass diejenigen, die Projekte in einem Orchester, in einem Theater, in einem Museum oder sonst einer Bildungs- sowie Weiterbildungseinrichtung leiten, fast immer so etwas wie der Motor, Initiator, Moderator, sozusagen der „Energiespeicher“ der ganzen Institution sind. Oft tragen sie auch die Verantwortung für das wirtschaftliche Fundament dieser Institution. Und doch käme all dies letzten Endes nicht über den Status einer guten Idee hinaus, wenn es da nicht auch ein Team gäbe, das über viele Jahre an der Verwirklichung dieser Idee mitarbeitet.
Die vier Institutionen, für die die heutigen Preisträger stehen – wenn wir die beiden Theater aus Kassel jeweils in ihrer eigenen Individualität zählen –, haben sich längst über die Phase einer guten Idee hinausentwickelt. Sie haben sich etabliert, sind feste Größen innerhalb der Grenzen unseres Landes und weit darüber hinaus geworden. Sogar international sind sie Vorbild für andere: Pioniere mit Strahlkraft und Motivationskraft für solche, die versuchen ihnen nachzueifern, und solche, die ihr Konzept in anderen Regionen vielleicht auch ganz einfach kopieren. Und da sind wir dann auch wieder ziemlich schnell bei dem Sinn des Kulturpreises, der ja gewissermaßen zwei Dimensionen umfasst: Die eine Ebene besteht darin, ein Wort der Anerkennung zu sprechen, das in unserer nun einmal materiell geprägten Welt auch gepaart ist mit einem sichtbaren Zeichen der Anerkennung. Die andere Ebene des Preises besteht in dem Versuch, den Blick derjenigen, die sich für Kultur, kulturelle Arbeit und die entsprechenden Institutionen in unserem Bundesland interessieren und sich für deren Förderung einsetzen, auch einmal darauf zu richten, was es an Besonderheiten in Hessen gibt, um die uns so manches Land vielleicht sogar beneidet: Schaut, da gibt es etwas, das wir hegen und pflegen und worauf wir stolz sein sollten!
Leider fällt uns auf, dass die Zahl junger Menschen mit der Bereitschaft, in einer sehr leistungsorientierten Weise Musik zu machen, mit einem hinreichend großen und nachhaltigen Interesse an Naturwissenschaften oder der Mathematik, oder die das Theater im Zyklus eines Jahres als regelmäßigen Ort ihrer Freizeitgestaltung betrachten, dass deren Zahl bei allem, was wir tun, nicht unbedingt größer wird. Stattdessen müssen wir um die Aufmerksamkeit dieser jungen Menschen – hoffentlich gemeinsam mit den Eltern – immer wieder ringen. Oft haben wir nicht nur Schwierigkeiten, den prozentualen Anteil derjenigen in unserer Gesellschaft zu erhöhen, die diese Angebote wahrnehmen. Sondern wir müssen darüber hinaus auch noch zur Kenntnis nehmen, dass es selbst denjenigen immer schwerer fällt, diese Form von kultureller Arbeit und Bildung von Generation zu Generation weiterzugeben, die traditionell eigentlich am ehesten noch in der „soziologischen Erwartung“ dazu gestanden haben. Auch in vermeintlich bildungsnahen Teilen der Gesellschaft scheint die Heranführung nachfolgender Generationen an die Kultur ein zunehmend schwieriges Unterfangen zu werden. Wer sich in den letzten Jahrzehnten als Eltern mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, weiß sehr genau um die Konkurrenz unterschiedlichster, hochattraktiver Dinge, die für heutige Jugendliche ein ganz anderes Herausforderungsprofil haben – um es einmal vorsichtig auszudrücken – als dies in früheren Zeiten, ohne dass man das zu überdimensioniert loben sollte, der Fall war. Das bedeutet schlicht und ergreifend: Der Wettbewerb kann nur gelingen, wenn er sehr kreativ geführt wird, wenn es am Ende in irgendeiner Weise spannend ist, wenn man früh genug damit anfängt und wenn es Menschen gibt, die als persönliche Vorbilder diese Faszination vermitteln können. Ohne solche Voraussetzungen spricht wenig dafür, dass sich ganz von selbst eine große Bereitschaft ergibt, sich von dem, über das wir heute Abend sprechen, in den Bann ziehen zu lassen.
Trotzdem glauben wir – jedenfalls diejenigen, die sich für diesen Abend Zeit genommen haben und hier miteinander versammelt sind – daran, dass es wichtig ist, auch in Zukunft eine kultivierte Gesellschaft in diesem Land zu haben. Wir glauben, dass die Sensibilität, die in dem Spiel der Mimik, in dem Übernehmen einer Rolle, in dem Identifizieren mit einer Rolle eine besondere Bedeutung hat; ebenso die Fähigkeit und die Sensibilität zu hören, sich in einem Orchester einzufühlen und einzufügen sowie die Faszination des Zusammengehens der eigenen Persönlichkeit mit der Musik, die man macht; genauso der Mut und der Spaß, Kniffliges und vermeintlich schwer Verständliches in spielerischer Weise und nicht als einen Zwang zu erleben und zu lösen – das alles ist die Voraussetzung für eine solche kultivierte Gesellschaft. Deshalb lautet der Auftrag an uns, etwas dafür zu tun. Und das ist auch der Grund, warum wir der Auffassung waren, dass es richtig ist, jetzt hier mit dem Kulturpreis auch ein öffentlich sichtbares Zeichen zu setzen, das dahin geht zu sagen: Bei allem Respekt vor vielem an beachtenswerter Leistung der „Erwachsenengesellschaft“ sollten wir nicht glauben, dass wir dies in Zukunft feiern können, wenn wir übersehen, dass wir über Grundlagen sprechen müssen, die bei jungen Menschen mit der gleichen Wichtigkeit, mit der gleichen Intensität und auch mit der gleichen persönlichen Bindungskraft gelegt werden müssen, wie wir das in der Welt der Erwachsenen für selbstverständlich halten.
Der alte Binsenweisheitssatz „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist heute zwar unmodern, aber deshalb nicht falsch. Und daher: Wer über Kultur spricht, kann vieles aus der etablierten und anerkannten nationalen wie auch internationalen Kulturszene diskutieren, aber er darf dabei nicht vergessen, dass dies alles einen Anfang haben muss. Dieser Anfang muss genauso wertgeschätzt werden, und er erfordert genauso viele Anstrengungen, oft auch materielle Anstrengungen. Dieses Signal soll heute hiermit gegeben werden – durchaus auch in der Hoffnung, dass es Auswirkungen darauf hat, wer in welchem Alter die Oper oder das Theater besucht, sich in den Musikschulen, in den Schulorchestern, im Landes Jugend Symphonie Orchester, bei „Jugend musiziert“ oder in einer der vielen anderen Institutionen engagiert. Ich hoffe sehr, dass das, was wir mit der heutigen Auszeichnung hier verbinden, von möglichst vielen Menschen als eine Initialzündung gesehen wird, auch selbst an derartigen Einrichtungen seinen Anteil zu haben und dafür zu sorgen, dass daraus nicht die Aufgabe einiger Weniger, sondern eine breite Basis wird. Das nennen wir „Wegbereitung für eine Generation“. Und diejenigen, die wir heute Abend auszeichnen, sind in diesem Sinne Wegbereiter einer Generation. Sie haben es sich über viele Jahre persönlich zur Aufgabe gemacht, ein Stück ihrer Leidenschaft und ihrer Faszination an junge Menschen weiterzugeben (…).
Die Preisträger stehen für Aktivitäten junger Menschen sowie Aktivitäten für junge Menschen, auf die wir, wie ich finde, außerordentlich stolz sein können. Diesen Stolz wollen wir nun gerne zum Ausdruck bringen. Deshalb bitte ich die Preisträger, zusammen mit Frau Ministerin Lautenschläger, zu mir zu kommen, damit ich ihnen den Preis mit der in Deutschland unverzichtbaren Urkunde überreichen kann.
Vielen Dank!