Koch: „Ein Parlament kann nicht dauerhaft keinen Ministerpräsidenten wählen und keinen Haushalt beschließen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Süddeutschen Zeitung
SZ: Sie sind der große Wahlverlierer, haben keine Mehrheit im Parlament und dürfen trotzdem erst einmal Ihr Amt behalten. Die hessischen Verfassungsväter haben es gut mit Ihnen gemeint.
Koch: Ob das gut oder schlecht gemeint war, muss man in einigen Monaten bewerten – jedenfalls, was das Persönliche angeht. Die Verfassungsväter haben aber darauf Wert gelegt, dass es nicht zu einem Schaden für das Land wird, wenn es im Parlament keine regierungsfähige Mehrheit gibt. Und wir haben nun in Hessen die Situation, dass die Union und ich die Wahlen ganz zweifellos nicht gewonnen haben, die Sozialdemokraten aber entgegen anfangs anderen Eindrücken auch nicht. In dieser Lage muss das Parlament eine Menge Arbeit leisten.
SZ: Sie wirken in dieser Situation wie der „Pattex-Roland“, der an seinem Amt klebt, obwohl er politisch nicht mehr viel gestalten kann.
Koch: Ich glaube, dass die Bürger in Hessen inzwischen sehen, dass davon keine Rede sein kann. Die Verfassung sorgt vielmehr dafür, dass derjenige, der die Regierung geführt hat, ausdrücklich die Pflicht hat, weiterzuregieren, wenn die Wahl eines Ministerpräsidenten nicht möglich ist. Dieser Pflicht kann und darf er sich nicht entziehen. Das ist also ein Dienst, aber gewiss kein Zustand, den man persönlich erstreben sollte und den man unnötig verlängern darf.
SZ: Sie hatten sich bereits in Berlin von Ihren Kollegen Ministerpräsidenten verabschiedet, als Frau Metzger das rot-grün-rote Bündnis platzen ließ. Da verspüren Sie keine Genugtuung und wollen nur selbstlos Ihren Dienst am Bürger leisten?
Koch: Ich definiere mich ja als Person nicht über das Amt des Ministerpräsidenten. Ich hätte lieber die Wahl gewonnen, das ist doch klar. Was wir im Augenblick machen, ist ein Ringen um die Gestaltungsmacht für die Zukunft.
SZ: Ist die CDU denn nun Opposition oder Regierungspartei? Wenn es ums Geld geht, scheint sie sich als Opposition zu fühlen, schließlich hätte sie gerne den Oppositionszuschlag.
Koch: Dass es ein besonders enges Verhältnis zwischen der CDU und Regierungsmitgliedern gibt, die der CDU angehören, ist die eine Frage. Aber es gibt eben im Moment keinen, der klar die Oppositionsrolle spielt – und keinen, der die Gestaltungsmacht hat. Mit dem Zustand werden alle Beteiligten auch innerlich noch zu kämpfen haben. Die Regierung zu ärgern, ist legitime Aufgabe einer Opposition. Ich war in den neunziger Jahren lange genug Oppositionsführer. Aber wenn man keine Mehrheit im Parlament bilden kann, gehört es zur Loyalität aller Beteiligten, dass sie sich nicht von der Lust am Opponieren überwältigen lassen, sondern die Suche nach Gestaltung im Vordergrund steht.
SZ: Ist es für jemanden wie Sie, der einen ausgeprägten Machtinstinkt hat, nicht besonders frustrierend, praktisch als „Lame Duck“ agieren zu müssen?
Koch: Ich rate, den Ball flach zu halten und zu beobachten, was passiert. Allerdings habe ich mich um die Rolle als geschäftsführender Ministerpräsident nicht beworben. Aber es gibt jeden Tag Dutzende Regierungsentscheidungen, die für die Bürger wichtig sind. Die werden alle getroffen, da wird keine zurückgestellt, da gibt es keine Pause. Aber die Art, wie wir Gesetze machen, wird eine völlig andere sein. Alles, was vorher in der Regierungsfraktion oder in einer Koalition ausgehandelt wurde, wird jetzt in der Öffentlichkeit stattfinden.
SZ: Es kann Ihnen dann passieren, dass Sie Beschlüsse vollziehen müssen, die Ihnen politisch zuwider sind und die Sie für falsch halten.
Koch: Natürlich, das kann passieren.
SZ: Wie lange kann man auf diese Weise ein Land führen?
Koch: Möglichst kurz. Ein Parlament kann nicht dauerhaft keinen Ministerpräsidenten wählen und keinen Haushalt beschließen. Ich denke, dass wir in einem Jahr in einer anderen Lage sein müssen.
SZ: Und dann gibt es Neuwahlen mit einem rehabilitierten Roland Koch?
Koch: Das hielte ich für falsch. Wir müssen den Wählerwillen ernst nehmen. Das bedeutet, dass wir aus der gegenwärtigen Situation das Beste machen müssen, statt so lange wählen zu lassen, bis sich eine eindeutige Mehrheit ergibt.
SZ: Ihr Finanzminister hat auf Vorschläge von SPD und Grünen, wie die Abschaffung der Studiengebühren gegenfinanziert werden könnten, mit seitenlangen Einwänden reagiert. Das lässt ahnen, wie mühselig das Ringen wird.
Koch: Es zeigt sich daran zumindest, dass die Welt auf der Seite des Versprechens einfacher ist als auf der Seite des Bezahlens. Den Linken mag es egal sein, wenn die Verschuldung dramatisch wird, der SPD ist es etwas egal. CDU, FDP und Grüne sollten das anders sehen. Natürlich wollen die linken Parteien im Landtag an diesem Beispiel beweisen, dass sie irgendetwas durchsetzen können – koste es, was es wolle. Und ich glaube, dass es für die hessischen Studenten eher zu Nachteilen führen wird. Trotzdem gilt, dass die geschäftsführende Landesregierung in solchen Situationen Respekt vor dem Willen des gewählten Parlaments zeigen wird.
SZ: Das heißt, Sie werden einen möglichen Beschluss nicht blockieren?
Koch: Natürlich nicht. Wenn er ordnungsgemäß zustande kommt – und ich habe keinen Anlass, daran zu zweifeln -, dann habe ich weder das Selbstverständnis noch das Recht, Parlamentsentscheidungen zu blockieren. Dann wird der Ministerpräsident in seiner Rolle als Staatsoberhaupt das Gesetz ausfertigen, Punkt, Aus. Aber die Studienbeiträge machen einen Bruchteil der Investitionen an den Hochschulen aus. In den nächsten Wochen stehen Entscheidungen von ganz anderer finanzieller Größenordnung an. Schon bei der von SPD, Grünen und Linken angestrebten Rückkehr in die Tarifgemeinschaft der Länder geht es um eine Größenordnung von 200 bis 300 Millionen Euro. Das gefährdet die gesamte Haushaltskonsolidierung.
SZ: Sie werben derzeit ausdauernd um jene Grüne, die Sie im Wahlkampf noch als linkesten aller grünen Landesverbände attackiert haben. Der Grünen-Landeschef Al-Wazir erschien Ihnen so gefährlich, dass Sie plakatieren ließen, man müsse ihn, Frau Ypsilanti und die Kommunisten stoppen. Und jetzt auf einmal sind die Grünen für Sie eine pragmatische Partei der bürgerlichen Mitte.
Koch: Frau Ypsilanti hat das Plakat jedenfalls durch ihr Verhalten nach der Wahl zumindest nachträglich gerechtfertigt. Aber zu Ihrer Frage: Es geht jetzt um eine Beschreibung der vorhandenen Optionen, die wir haben. Die Grünen sind weder unser Wunschpartner, noch besteht eine geheime Hoffnung, dass sich alle Konflikte, die wir in den letzten Jahren mit den Grünen gehabt haben, von heute auf morgen in Wohlgefallen auflösen. Wenn man aber das Wahlergebnis ernst nehmen will, dann gibt es keinen bequemen Weg. Für niemanden.
SZ: Sowohl inhaltlich wie auch persönlich sind die Gräben zwischen der CDU und den Grünen riesig.
Koch: Weder die hessische CDU noch die hessischen Grünen stehen im Verdacht, schnell ihre Grundüberzeugungen abzulegen. Keiner wird da mit offenen Armen aufeinander zufliegen, und es wird Probleme geben, die bestehen bleiben. Ich werde sicherlich nicht plötzlich eine andere Auffassung zur Kernenergie vertreten, als ich die letzten 25 Jahre vertreten habe. Aber diese Frage ist ohnehin keine Ländersache. Die tägliche Arbeit der Abgeordneten wird abseits der großen Schlagzeilen Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten zutage fördern.
SZ: In der Wahlnacht haben Sie über Rücktritt nachgedacht. Durchzuckt Sie dieser Impuls dann und wann noch?
Koch: Das Wahlergebnis war bitter, nicht nur für die CDU, sondern auch für mich persönlich. Deshalb finde ich es normal, wenn man sich persönlich die Frage stellt, ob es sinnvoll ist, weiterzumachen. Ich habe meiner Partei viel zu verdanken, viele angenehme Erlebnisse gehabt. Deshalb sollte man eine solche Frage nicht nur für sich entscheiden, sondern mit den Freunden zusammen. Und aus der eigenen Partei habe ich eine sehr klare Bitte, eine sehr klare Aufforderung bekommen, weiterzumachen. Alles andere wäre als unkameradschaftlich empfunden worden. Das habe ich mir angehört und mich entschieden, es so zu machen und nicht wegzulaufen.
SZ: Sie waren auf einem guten Weg, Ihr Negativ-Image als ewiger Polarisierer abzulegen. Ein schmutziger Landtagswahlkampf mit dem Thema kriminelle ausländische Jugendliche hat das wieder zunichte gemacht. War das nötig?
Koch: Ich teile die Einschätzung nicht, dass es ein schmutziger Wahlkampf war. Aber das ändert nichts daran, dass Menschen einen Teil des Wahlergebnisses auch mit dem Wahlkampf verbinden. Dieser Wahlkampf hat uns keine zusätzlichen Stimmen gebracht, sondern uns an der einen oder anderen Stelle möglicherweise Stimmen gekostet. Weil das Missverständnis aufgekommen ist, dass wir uns mit einem für das Land wichtigen Thema nur aus Wahlkampfgründen beschäftigen. Das war auch unser Fehler.
SZ: Aha, nur ein Missverständnis also.
Koch: Wir konnten nicht klarmachen, dass es ein Thema ist, das uns dauerhaft beschäftigt. Und ein solcher Fehler hat auch Folgen. Was das Polarisieren angeht, damit muss ich ein Stück weit leben. Ich glaube, dass Politiker zu sehr sachlicher Arbeit verpflichtet sind und trotzdem die Fähigkeit behalten müssen, sehr hart zu polarisieren. Denn die Wähler haben am Schluss nur eine Stimme. Deshalb glaube ich, dass klare Kanten in einem Wahlkampf schon eine Bedeutung haben. Diese Meinung werde ich in meinem Leben nicht mehr ändern.
SZ: Ihr Kollege Wulff hat in Niedersachsen mit einem ganz anderen Stil seine Wahl am selben Tag gewonnen. Neulich hat er sinngemäß gesagt, er selber hätte es mit seinem Stil wahrscheinlich nicht geschafft, in Hessen an die Macht zu kommen – aber er wäre mit seinem Stil dort an der Macht geblieben. Ist da was dran?
Koch: Ich bin bei beidem nicht ganz sicher. Aber es gibt in unserer Partei erfreulicherweise verschiedene Charaktere und Stile. Das bildet sich dann auch im Wahlkampf ab. Wie das am Ende gewichtet wird, hängt manchmal auch vom Zufall ab. Hätten in Hessen 2000 Menschen weniger die Linke gewählt, wäre uns sicher bescheinigt worden, wie toll das war, die Linke mit unserem aggressiven Wahlkampf im Unterschied zu anderen Ländern draußen gehalten zu haben.
SZ: Die CDU ist dafür bekannt, dass sie mit Verlierern oft brutalstmöglich umgeht. Wie sehen Sie nach der Niederlage Ihre Rolle in der Bundes-CDU?
Koch: Meine Rolle und meine Aufgabe haben sich überhaupt nicht verändert. Mir sind ja immer mehr Ambitionen angedichtet worden, als ich je hatte. Davon habe ich gelegentlich beträchtlich profitiert, manchmal auch darunter gelitten, weil in vieles etwas hineingeheimnist wurde. Jetzt werden die öffentlichen Bilder neu strukturiert. Schau’n wir mal, was das für mich bedeutet.
SZ: Die Wirtschaftsflanke der Union ist seit längerem offen. Wäre das eine Möglichkeit für Sie, auf die große Bühne zurückzukommen?
Koch: Ich habe mich in der Vergangenheit viel mit Fragen der Steuerpolitik beschäftigt und werde das weiterhin tun. Meine zentrale Aufgabe ist es aber, auf absehbare Zeit, eine sehr schwierige Situation in Hessen zu meistern.
SZ: Aber eine Lebensaufgabe ist das nicht. Sie sind gerade 50 geworden und für einen erfahrenen Politiker noch jung. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Koch: Ach, das fragen Sie mal die Kristallkugel.
SZ: Wäre ein Wechsel in die Bundespolitik eine Option, um ein ganz neues Kapitel aufzuschlagen – etwa 2009?
Koch: Wenn man die Kristallkugel zersägt, bleiben nur Scherben.