Koch: „Wir als CDU haben uns bewegt während andere bislang noch nichts zur Bewegung beigetragen haben.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der HNA
Wiesbaden, Staatskanzlei, heute Morgen 9 Uhr. Der Ministerpräsident ist hellwach, nichts mehr zu spüren von der Enttäuschung über das Wahlergebnis. Bei Kaffee und Keksen stellt sich Roland Koch unseren Fragen zur Zukunft der Landespolitik.
HNA: Herr Ministerpräsident, die CDU spricht inzwischen auch von eigenen Fehlern. Ist das das politische Signal nach dem 27. Januar?
Koch: Wir haben das Wahlergebnis sehr sorgfältig analysiert. Nicht alles, was Wähler nicht mögen, muss deshalb gleich aus der Sicht einer Partei falsch sein Manches wird einfach nicht akzeptiert, dann muss man über Korrekturen nachdenken. Keine Partei darf Programme gegen ihre Prinzipien machen, aber zugleich muss man die Fähigkeit haben, mit anderen Fragen pragmatisch umzugehen. Dafür sind ja die Unterrichtsgarantie plus oder auch die Schulzeitverkürzung G8 Beispiele, bei denen wir Korrekturen vornehmen wollen. Wir müssen denen, die uns deswegen diesmal nicht gewählt haben deutlich machen, dass wir das verstanden haben.
HNA: Welches sind die Hauptursachen für Ihre Niederlage?
Koch: Neben der Tatsache, dass die bundespolitische Situation heute eine ganz andere ist als vor dem Wahlsieg 2003 war es sicher die Situation der Landesbediensteten, die Einschnitte hinnehmen mussten. Natürlich hat uns die Diskussion um die Bildungspolitik von Schule bis Studiengebühren nicht genutzt. Und drittens ist es uns nicht gelungen, beim Thema innere Sicherheit und Jugendkriminalität glaubwürdig zu vermitteln, dass es sich nicht um ein reines Wahlkampfthema handelt, sondern uns das Thema vorher beschäftigt hat und auch künftig beschäftigen wird.
HNA: War es auch eine Frage des Kandidaten Roland Koch?
Koch: Natürlich wird Politik auch immer durch Personen repräsentiert. Insofern ist meine erste Frage an meine politischen Freunde gewesen, ob ich weitermachen soll. Wir haben das sehr offen diskutiert und nüchtern abgewogen, ob es der CDU besser geht, wenn sie ihr Personal zur Disposition stellt oder ob sie sich hinter ihm versammelt. Am Ende hat sich die CDU hinter mir als dem gewählten Parteivorsitzenden versammelt.
HNA: Die Frage der Regierungsbildung ist nach wie vor ungelöst. Spekulieren Sie auf die geschäftsführende Landesregierung?
Koch: Ich habe vor fünf Jahren den Eid geschworen, im Zweifelsfall nicht davon zu laufen, das verlangt unsere Verfassung aus gutem Grund. Als vor Jahren ein Flugzeug um die Frankfurter Hochhaustürme kreiste, brauchte der damalige Verteidigungsminister Struck binnen Minuten jemanden, mit dem er sich abstimmen konnte. Da geht es nicht um politische Fragen, sondern um eine große Verantwortung. Aber die Geschäftsführung ist weder meine Absicht noch finde ich sie attraktiv oder besonders interessant. Es wäre gegebenenfalls meine Pflicht.
HNA: Die Wähler erwarten, dass die Politik eine Lösung findet.
Koch: Weder die CDU noch die Sozialdemokraten haben ihr Wahlziel erreicht. Es gibt keine Sieger in Hessen. Das macht es schwierig und zwingt die SPD endlich die Frage zu beantworten, ob sie ihr Wort bricht und die Linkspartei zur Mehrheit nutzt. Nur dann kann Frau Ypsilanti sagen, wir hätten keine Mehrheit. Ich gehe zur Zeit davon aus, dass sie das vorhat und alles andere nur dazu dient, Zeit zu gewinnen.
HNA: Taugen Koalitionsfestlegungen noch bei fünf Parteien?
Koch: Parteien müssen berechenbar bleiben für Wähler. Wie soll die FDP es politisch überleben, wenn sie rot-grün zur Mehrheit verhilft? Der Wähler will doch wissen, wo seine Stimme landet und was mit ihr gemacht wird. Und natürlich hat Frau Ypsilanti davon profitiert, jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei und auch eine Wahl mit deren Stimmen auszuschließen. Deshalb sind doch viele Menschen so empört. Aber wenn wir uns andererseits die Parteiprogramme anschauen, dann wird doch ganz deutlich, dass es mit den Grünen deutlich mehr Übereinstimungen in der pragmatischen Politik gibt als mit der SPD. Natürlich würde das ganz kompliziert. Aber bei der Energiepolitik zum Beispiel halten selbst die Grünen die SPD-Pläne für unrealistisch.
HNA: Was heißt das also für künftige Konstellationen?
Koch: Erst mal wenig so lange die SPD billigend in Kauf nimmt, dass sie am Ende bei der Linkspartei landet. Noch einmal: Es ist die Aufgabe von Frau Ypsilanti, Verbindlichkeiten zu schaffen, das ist ihre Verantwortung aus diesem Wahlergebnis.
HNA: Das heißt Sie reden nur dann mit der SPD?
Koch: Das ist falsch. Wir haben als erste die anderen Parteien eingeladen. Wir reden ja alle miteinander, auch inhaltlich. Ich bin jeden Tag bereit mit der SPD zu sprechen. Solange sie aber einkalkuliert, die Linken zu nutzen, fühlen sich die Sozialdemokraten stärker als die CDU. Bleibt die SPD bei ihrem Versprechen und verzichtet auf diese Option, kommt sie zur normalen Mathematik zurück, nach der wir die stärkere Partei sind. Wenn sie das akzeptiert, können wir uns unter normalen Bedingungen unterhalten.
HNA: Sie senden deutliche Signale an die Grünen. Reichen Sie ihnen die Hand?
Koch: Wir haben sehr bewusst gesagt, dass wir angesichts des schwierigen Wahlergebnisses zu inhaltlichen Gesprächen bereit sind bei allen Problemen, die wir wechselseitig miteinander haben. Ich glaube, dass das Parteien mit starken Profilen, so wie die Grünen und wir, eher schaffen ohne Verlust ihrer Wähler als weniger profilierte. Wir haben in Hessen auf kommunaler Ebene sehr viel Erfahrung mit Bündnissen von CDU, FDP und Grünen, so dass man sich das sehr genau ansehen sollte.
HNA: Wo sind die größten Hindernisse?
Koch: Am intensivsten müssen wir sicher über die Infrastruktur reden, sowohl beim Verkehr als auch der Energie. Es gibt ja nicht nur die regenerativen Energien, über die wir uns wahrscheinlich sehr schnell einigen würden. Bei bundespolitischen Themen sind wir sicher sehr weit auseinander, aber da muss man sich auch fragen, wofür wir gewählt sind, nämlich für Hessen. Im übrigen suchen wir alle im Moment nicht die Koalition, die uns am besten gefällt. Koalition ist immer eine Frage von Kompromissen auf Zeit. Und man muss eine Idee haben davon, was man zusammen machen will.
HNA: Genau, was sind denn aus ihrer Sicht die Projekte, die Hessen dringend braucht?
Koch: Unstreitig ist, dass wir wirtschaftlich erfolgreich bleiben müssen. Deshalb ist die Frage der Infrastruktur ja so wichtig, wobei das meiste davon bereits in der letzten Legislaturperiode entschieden worden ist. Also zum Beispiel der Ausbau des Frankfurter Flughafens. Den Planfeststellungsbeschluss kann nach meiner Auffassung keine Regierung zurücknehmen, das wird jetzt vor Gericht entscheiden. Aber bei Kassel-Calden zum Beispiel geht es nicht um das Baurecht, sondern ums Geld. Das gemeinsame Projekt könnte sein Hessen als Drehscheibe in der Mitte Deutschlands zu etablieren. Ich hoffe, dass wir da eine Einigung hinkriegen. Auch Ganztagsangebote in der Bildung können ein solches Projekt sein oder die erneuerbaren Energien. Da könnte man viel Modellhaftes machen jenseits ideologischer Streitigkeiten.
HNA: Dann kann es also passieren, dass Kassel-Calden auf den Opferstein kommt?
Koch: Ich kann im Augenblick doch nur sagen, dass das Wahlergebnis so ist, dass wir genau schauen müssen, wo die Grenzen unser jeweiligen Identität verlaufen. Wenn es eine rot-rot-grüne Regierung gibt, wird es keinen Tag eine Debatte über Kassel-Calden geben. Dann ist Kassel-Calden tot.
HNA: Das heißt?
Koch: Meine Auffassung ist unverändert, dass Kassel-Calden für die wirtschaftliche Entwicklung Nordhessens unverzichtbar ist. Aber es würde in Gesprächen mit den Grünen selbst für uns Schwerstarbeit sein das hinzukriegen. Wenn rot-rot-grün kommt ist alles, was wir für die Infrastruktur in Nordhessen geplant haben, platt. Das wollen wir nicht. Im Gegensatz zu Frankfurt braucht Calden aber sehr viel öffentliches Geld und das werden die Grünen mit Sicherheit in Koalitionsverhandlungen zu verhindern versuchen. Für Calden würden sie mit Sicherheit einen hohen Preis verlangen.
HNA: Es gibt also Kompromisse?
Koch: Wir müssten Kompromisse finden, ohne die Infrastruktur zu verletzen.
HNA: Gibt es für Sie Tabus in Nordhessen?
Koch: Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, jetzt über Einzelpunkte zu reden. Aber fest steht für mich, dass die Drehscheibenfunktion in Nordhessen gewährleistet werden muss. Die Grünen werden aber jetzt erst einmal abwarten, wie Frau Ypsilanti sich zur Frage der Linkspartei entscheidet.
HNA: Thema Atomkraft: Kommt Ihnen das VGH-Urteil vom Mittwoch gegen den Weiterbetrieb von Biblis A nicht entgegen? Den Streitpunkt mit den Grünen hätten sie dann nicht.
Koch: Das ist keine Frage der Landespolitik. Auch wenn das Urteil anders ausgefallen wäre, wäre es die Sache von Umweltminister Gabriel in Berlin. Insofern würde es Verhandlungen in Hessen nicht beieinträchtigen. Man muss Gerichtsurteile akzeptieren. Das ändert nichts an meiner Meinung, dass ich den Atomkompromiss für schlecht halte. Es geht ja nicht um ein einziges Kraftwerk, sondern um die langfristige Versorgungssicherheit in Deutschland.
HNA: Beim Thema Studiengebühren folgen Sie nun der FDP, die die Hochschulen selbst entscheiden lassen will. Das ist nach wie vor weit entfernt von den Grünen, die die Gebühren abschaffen wollen.
Koch: Wir als CDU haben uns bewegt während andere bislang noch nichts zur Bewegung beigetragen haben. Außerdem muss man sich auch die finanziellen Auswirkungen ansehen. Die SPD sucht zur Zeit nach einer Mehrheit, die Beschlüsse für Wohltaten fasst, von deren Finanzierung ist noch keine Rede.
HNA: Möglich wäre auch eine große Koalition – aber ohne Roland Koch. Sehen Sie dafür Chancen?
Koch: Parteien werden nicht bessere Koalitionspartner, wenn ein Partner versucht, das Personal des anderen auszusuchen. Wenn der Partner den Verhandlungsführer bestimmt, begrenzt das schon seine Handlungsmöglichkeiten. Damit wäre keine Partei gut beraten.
HNA: Spielen nicht auch die Verletzungen des Wahlkampfes eine Rolle?
Koch: Wahlkampf ist harte Attacke, dazu stehe ich. Und auch ich habe doch nicht vergessen, dass Frau Ypsilanti schon im Sommer an jeder Ecke Schmähplakate gegen meine Person aufgehängt hat. Aber das darf dennoch nicht dazu führen, dass Personen im Interesse des Landes nicht mehr miteinander reden. Das erwarte ich von mir und auch den anderen, alles andere wäre eine Missachtung demokratischer Verantwortung.
Von Petra Wettlaufer-Pohl, Ines Pohl und Jan Schlüter