Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Herr Ministerpräsident, Sie haben auf Jahre hinaus verhindert, dass Unionspolitiker über Integration reden können.
Roland Koch: Diese Frage wird sich in den nächsten Monaten entscheiden, auch durch die Entschlossenheit der Union, über dieses Thema weiter öffentlich zu debattieren. Es ist sicher nicht gelungen, deutlich zu machen, dass es nicht um ein reines Wahlkampfthema, sondern um ein dauerhaft die hessische CDU und mich beschäftigendes Thema gegangen ist. Weil auch ein Schaden im Wahlergebnis entstanden ist, ist es nicht einfacher geworden. Ich glaube aber, dass es die Aufgabe von Politik ist, von dem nicht abzulassen, von dem man überzeugt ist. Und ich glaube auch, dass das eine Mehrheit in der Gesellschaft erwartet und eine Mehrheit in der Union so sieht.
FAS: Nun haben Unionspolitiker, an ihrer Spitze der Hamburger Erste Bürgermeister Ole von Beust, einen offenen Brief geschrieben, in dem es heißt, dass man Integrationsthemen nicht zu Wahlkampfthemen machen soll.
Roland Koch: Man muss die Vorbemerkung machen, dass nach Aussage der Beteiligten dieser Satz eher eine Reaktion auf den wahlkampfbezogenen offenen Brief der Vertreter der türkischen Interessenverbände war. Aber wie auch immer: Ich persönlich, und ich sage das jetzt in der Hoffnung, dass da kein großer Dissens mit der überwältigenden Mehrheit in der CDU besteht, bleibe dabei, dass Volksparteien die Verantwortung haben, alle relevanten Themen zum Gegenstand von Wahlkämpfen zu machen.
FAS: Sie sind als rassistisch und fremdenfeindlich bezeichnet worden. Wird diesem Eindruck nicht Vorschub geleistet durch diese massive Distanzierung?
Roland Koch: Ich bin überzeugt, dass das bei sehr vielen keinesfalls die Absicht ist. Aber ich verhehle auch nicht, dass in der öffentlichen Debatte unmittelbar nach einer Wahlniederlage ein solcher Eindruck entstehen muss. Ich habe in meinem Wahlkampf 1999 nicht nur über doppelte Staatsbürgerschaft gesprochen, sondern über Integration. Und in dem Brief ist korrekt dargestellt, dass Hessen unter meiner Führung zu einem Land geworden ist, in dem viele Dinge angestoßen worden sind, die heute in anderen Bundesländern verfolgt werden. Umso mehr werden Sie verstehen, dass solche Verbalinjurien selbst einem Mann wie mir, der auch austeilen kann, nahegehen.
FAS: Herr von Beust macht sich Sorgen um seinen eigenen Wahlsieg. Hat er nicht guten Grund, weil die Union für Ausländer nicht mehr wählbar ist?
Roland Koch: Meine Erfahrung ist eine andere. Ich habe vor wenigen Tagen die Meisterbriefe an die frisch gebackenen Handwerksmeister der Region Frankfurt übergeben. Mehr als ein Drittel der Urkunden tragen Namen mit Migrationshintergrund. Von diesen Menschen kommen viele und sagen, wir wollen, dass das Problem der Kriminalität von jugendlichen Migranten gelöst wird, denn auch die Mehrheit der Migranten ist davon betroffen, sei es als Opfer oder weil sie in einen Topf geworfen werden.
FAS: Die Handwerksmeister – schächten die in ihren Wohnungen Schafe, tragen deren Frauen Burkas und schütten Müll vom Balkon?
Roland Koch: Die Handwerksmeister wissen, dass es das Problem gibt.
FAS: Angela Merkel hat 2005 mit dem Reformwahlkampf das schlechteste Wahlergebnis für ihre Partei eingefahren. Vergleichbares haben Sie in Hessen erlebt. Damit sind auch Ihre Positionen erledigt.
Roland Koch: Sicherlich muss jeder aus Fehlern lernen. 12 Prozentpunkte Rückgang in einem Land, dem es blendend geht, können ohne eigene Fehler nicht entstehen. Den Sozialdemokraten ist es gelungen, mit einem Verhetzungsansatz den Eindruck zu erwecken, der Koch redet nur über dieses Thema, weil Wahlkampf ist. Das hat uns sehr geschadet, das hätte ich anders einschätzen müssen. Fakt ist, dass sehr viele Menschen, jüngere wie ältere, von einem zurückgehenden Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum betroffen sind. Daran ändert sich ja nichts, egal ob die CDU bereit ist, darüber zu sprechen oder nicht. Aber die Gefahr, dass daraus andere politischen Honig saugen, die wir alle nicht in Parlamenten haben wollen, wird größer.
FAS: War es nicht ein Fehler, den Ton des Wahlkampfes dem Boulevard zu überlassen?
Roland Koch: Wir werden erst nach einer Analyse sehen, ob in der Kommunikation Fehler gemacht worden sind.
FAS: Welche Fehler haben Sie noch gemacht?
Roland Koch: Dass ich Teile der Wähler, die der Union zugeneigt sind, irritiert habe, weil sie glauben konnten, dass ein Thema nur zu Wahlkampfzwecken genutzt wurde, hat mir persönlich geschadet, und es hat auch der CDU geschadet.
FAS: Welche Rolle hat die Intervention von Christian Wulff gespielt?
Roland Koch: Ein Satz in einem Interview hat SPD, Grünen und einigen Medien die Möglichkeit eröffnet, mit Blick auf die Kriminalität der unter Vierzehnjährigen zu behaupten, Koch wolle Kinder in Gefängnisse stecken. Die anschließende Diskussion hat mir nicht geholfen.
FAS: Unabhängig von dieser Diskussion hätten Sie zusammen mit der FDP noch fünf Prozentpunkte mehr gebraucht für eine bürgerliche Mehrheit, nachdem die Linkspartei eingezogen ist.
Roland Koch: Zunächst gilt: Gut 2000 Stimmen weniger für die Linkspartei in unserem Sechs-Millionen-Einwohner-Land und CDU und FDP hätten die Wahl gewonnen. Zusammen sind es 55 000 Bürger mehr, die eine bürgerliche statt einer rot-grünen Konstellation wollen.
FAS: Im Wahlkampf haben Sie die Wähler davor gewarnt zu glauben, eine linke Mehrheit könne nach der Wahl verhindert werden, etwa durch eine Koalition von SPD und CDU. Müsste die CDU jetzt nicht in die Opposition gehen?
Roland Koch: Dann muss Frau Ypsilanti kandidieren und sich von einer linken Mehrheit wählen lassen. Ich bin der Vorsitzende der hessischen CDU, aber gewählter Ministerpräsident bin ich nur bis zur ersten Sitzung des neuen Landtags am 5. April. Es ist die Aufgabe der CDU, mit allen demokratischen Parteien zu reden. Wenn die SPD dazu nein sagt und eine Mehrheit jenseits der CDU findet, ist das ihr gutes Recht. Wenn Frau Ypsilanti das nicht gelingt, dann bin ich derjenige, der einen aus der Verfassung erwachsenden Dienst leistet und dieses Land für eine Übergangszeit weiterführt.
FAS: Frau Ypsilanti kann sich doch im Landtag zur Wahl stellen und sich von der Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen?
Roland Koch: Die Entscheidung kann ich ihr nicht abnehmen. Die SPD muss klären, ob sie die linke Mehrheit auch in Sachfragen nicht nutzen wird oder ob sie sich trotz aller Versprechungen doch Richtung Linkspartei bewegt.
FAS: Glauben Sie, dass sie das macht?
Roland Koch: Da bin ich unsicher. Sie würde es sicher gern tun, aber es hätte mehrere Effekte: Ihre Glaubwürdigkeit wäre dahin, alle Versprechungen von Herrn Beck, davor zurückzuschrecken, könnte er sich schenken – und der Weg für ein Abdriften von linken SPD-Wählern zur Linkspartei wäre frei
FAS: Warum sind Sie so sicher, dass die FDP nicht umfällt?
Roland Koch: Die Programme passen nicht zusammen. Frau Ypsilanti hat ein SPD-Programm geschaffen, das mit dem der Linkspartei geradezu identisch ist. Ich kenne die FDP schon lange und ich bin so sicher an dieser Stelle, weil meine Einschätzung der Prinzipientreue der FDP bisher richtig war.
FAS: Sie haben gesagt, Sie würden noch „einen Augenblick“ in Hessen gebraucht. Wie lange wird dieser Augenblick dauern?
Roland Koch: Da halte ich jede Spekulation für unsinnig. Nach einer Wahlniederlage ist doch die erste Frage des Spitzenmannes an seine Partei: Wollt ihr, dass ich weiter die Führungsverantwortung übernehme? Da hat die hessische CDU eine klare Entscheidung getroffen. Die zweite Frage ist, ob die CDU weiter Verantwortung für das Land übernehmen kann. Wenn die CDU dabei beteiligt ist, muss ich mich darum kümmern.
FAS: Haben Sie in der Wahlnacht an Rücktritt gedacht?
Roland Koch: Ja, sicher, zumal wir in der ersten ARD-Prognose zwei Prozentpunkte hinter der SPD lagen. Das hat sich dann geändert. Und Demokratie hat mit Zahlen zu tun. Deshalb können weder ich noch meine Partei sagen, wir vergessen mal das Wahlergebnis, weil wir bitter enttäuscht wurden.
FAS: Das heißt, Sie erheben wegen des Vorsprungs der CDU von 3595 Stimmen vor der SPD den Anspruch, weiter das Amt des Ministerpräsidenten auszuüben?
Roland Koch: Frau Ypsilanti sucht eine Mehrheit jenseits der CDU. Schafft sie das nicht, bleibt es bei dem seit 60 Jahren bewährten Prinzip. Dazu gehört, dass die stärkste Partei den Regierungschef stellt. Wer im Fußball nach einem 0:4 Halbzeitrückstand noch auf 3:4 herankommt, hat trotzdem nicht gewonnen.
FAS: Sehen Sie Ihre Person als Hindernis für eine „Jamaika“-Koalition mit den Grünen oder für ein Bündnis mit der SPD?
Roland Koch: Es bleibt bei dem Satz, dass am Ende eine Partei nur mit einer anderen Partei zusammenarbeiten kann, wenn jede Partei ihre eigenen Dinge selbst klärt.
FAS: Die CDU wird also bei möglichen Verhandlungen mit der SPD über eine Koalition auf dem Posten des Ministerpräsidenten bestehen?
Roland Koch: Wir werden in Deutschland nicht diejenigen sein, die das friedenstiftende Prinzip aufgeben, dass die Zahl der Stimmen über die Rangfolge entscheidet. Diese Erfahrung hat Herr Schröder 2005 auch machen müssen.
FAS: Sie hatten fünf Jahre Zeit, die Wahl vorzubereiten. Was ist schiefgegangen?
Roland Koch: Wenn man neun Jahre Reformen gemacht hat, gibt es viele Reformgewinner, die das längst konsumiert haben. Ich denke etwa an die 100 000 Schulstunden, die vor 1999 jede Woche ausfielen. Aber es gibt auch Reformbelastete. Das ist sicher ein Problem bei unseren Mitarbeitern gewesen. Wir haben eine strikte Haushaltskonsolidierung betrieben und die Mitarbeiter haben durch Arbeitszeiterhöhung und Kürzungen bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld einen erheblichen Beitrag dazu geleistet.
FAS: Warum hat die CDU so spät auf den Protest vieler Eltern und auch des Philologenverbandes gegen die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit reagiert?
Roland Koch: Im laufenden Schuljahr ist es nicht einfach, eine Situation zu verändern. Wir müssen ein Jahr herausnehmen, aber auch dafür sorgen, dass das nicht zu mehr Belastungen für Schüler in den Anfangsklassen führt. Unsere Maßnahmen haben nicht schnell genug gewirkt.
FAS: Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff empfiehlt einen Wahlkampf der CDU als Vorbild, der die eigenen wirtschaftlichen Erfolge betont. Da hätten Sie in Hessen einiges vorzuweisen gehabt.
Roland Koch: Das Thema innere Sicherheit hat viele Leute bewegt. Ich glaube aber nicht, dass wir unterschätzt haben, wie wichtig unsere Erfolge in der Wirtschaftspolitik waren. Die Kampagne über die innere Sicherheit hat das allerdings in dem sehr kurzen Wahlkampf überlagert.
FAS: Auch Ihre Kampagne gegen den „Linksblock“ und die „Kommunisten“ hat viele Themen überlagert. Hat diese Kampagne die Linke in Hessen womöglich ins Parlament gebracht?
Roland Koch: Der Glaube, wenn man nicht über die Linkspartei redet, kommt sie nicht ins Parlament, lässt sich nach den Wahlen von Niedersachsen und Hessen nicht aufrechterhalten. Die Tatsache, dass die Linke in Niedersachsen so stark geworden ist, obwohl die CDU dort keinen solchen Wahlkampf geführt hat und Hessen für diese Partei strukturell ein eher leichtes Pflaster ist, ist sicher kein Beleg für die These, dass unsere Kampagne sie hineingebracht hat.
FAS: Durch die womöglich dauerhafte Etablierung eines Fünf-Parteien-Systems ist Schwarz-Gelb im Bund 2009 ja nicht wahrscheinlicher geworden.
Roland Koch: Schwarz-Gelb ist nach wie vor auf nationaler Ebene möglich.
FAS: Aber schwieriger.
Roland Koch: Es wäre leichter geworden, wenn wir es in Hessen gezeigt hätten. Die Situation in Hessen wird nun zu einer Laborsituation nicht nur in den Parteien, sondern auch zwischen den Parteien führen, und zwar für Deutschland. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir als CDU aus Verzweiflung über Wahlergebnisse nicht jegliche Identität verwischen. Ich glaube, dass wir das in der großen Koalition in Berlin gerade so geschafft haben. Parteien haben das Ziel zu regieren, aber sie haben nicht das Recht, um jeden Preis zu regieren.
FAS: Haben Sie sich von Angela Merkel ausreichend im Wahlkampf und auch danach unterstützt gefühlt?
Roland Koch: Ja, uneingeschränkt. Sie müssen davon ausgehen, dass wir nichts in der CDU und im hessischen Wahlkampf getan haben, was wir nicht miteinander besprochen haben.
FAS: Herr Ministerpräsident, der Wahlsieger aus alten Tagen sind Sie nicht mehr. Was sind Sie jetzt noch wert?
Roland Koch: Das müssen andere entscheiden. Politiker, die nur Erfolge einfahren können und keine Niederlagen verkraften, sind für die Bevölkerung schlechte Ratgeber. In der Politik gehören Aufs und Abs dazu und Politiker dürfen nicht jeweils ihre Meinung entsprechend der Umfragen ändern. Der Maßstab zur Orientierung der Bürger ist die Authentizität eines Politikers und nicht seine Fähigkeit des Umfrage-Surfens.
Das Interview führten Thomas Holl, Richard Wagner und Volker Zastrow.
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