Koch: „Es ist einfacher, sympathisch zu sein“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Brandstifter, Hetzer, Rassist werden Sie seit Ihrem Vorstoß zur Verschärfung des Jugendstrafrechts und für die konsequentere Abschiebung krimineller Ausländer geschimpft. Sind Sie zufrieden damit, wie sich Ihre Wahlkampagne entwickelt hat?
Roland Koch: Ich meine, die Parteien auf der Linken könnten es sich sparen, ihre Konflikte mit solchen persönlichen Anfeindungen auszutragen. Wir sollten mit aller Härte streiten, wenn es um die Sache geht, aber nicht unseren Anstand und unsere Moral in Frage stellen. Andererseits müssen sich Wahlkämpfe mit den Themen befassen, die eine große Zahl von Menschen bewegen. Und wenn ich es wage, bisher tabuisierte Themen anzusprechen, dann muss ich wohl auch mit den panischen Beleidigungen durch meine Konkurrenten leben.
FAS: Müssen Sie sich nicht vorwerfen lassen, Sie diskutierten sensible Themen, wie Ausländerkriminalität, auf Stammtischniveau?
Koch: In den neun Jahren als Ministerpräsident habe ich sehr viel Beispielgebendes für die Integration von Ausländern getan. Aber ich habe immer auch die Herausforderungen, Schwierigkeiten und großen Probleme benannt, zu denen eben auch die Kriminalität gehört. SPD und Grüne wollen bestimmte Teile ihrer multikulturellen Philosophie am liebsten gar nicht mehr diskutieren oder in Frage stellen. Ich hingegen glaube, dass in der Vergangenheit erhebliche Fehler gemacht worden sind. Wenn wir früher klargestellt hätten, dass Kinder vor der Einschulung Deutsch können müssen und nicht erst, als ich die Regierungsverantwortung übernommen habe, hätten wir heute in Hessen eine etwas einfachere Situation bei einem Teil der Fünfzehn- bis Zwanzigjährigen mit Migrationshintergrund.
FAS: Wenn Sie das Schlachten von Tieren im Wohnzimmer anprangern, wenn die „Bild am Sonntag“ sie mit den Worten zitiert „Ich lasse mir von Türken-Vertretern nicht den Mund verbieten“ – gefällt Ihnen diese Form der Zuspitzung?
Koch: Ich bin nicht für jede Schlagzeile einer Zeitung verantwortlich. Grundsätzlich muss aber zugespitzt werden. Wenn der Geschäftsführer unserer staatlichen Wohnungsbaugesellschaft den Vorschlag macht, man möge Wohnblocks besser ethnisch getrennt belegen, dann ist das nicht vertretbar, und ich habe es gestoppt, weil das nicht meine Vorstellung von Integration ist. Aber ich muss doch auch sehen, wo die Konflikte liegen. Und die Frage des Schächtens von Tieren ist eben leider keine Sache, die nur ganz selten stattfindet, sondern eine, die sehr viele Menschen erregt. Das ist sicher nicht der entscheidende Punkt, aber doch einer, an dem deutlich wird, wie viele Konflikte sich zwischen Deutschen und einem Teil der Migranten aufgestaut haben. Wenn man das nicht frühzeitig anspricht, macht man einen Fehler.
FAS: Was Sie unmittelbar tun könnten, um die Eingliederung von Ausländern zu fördern oder die Kriminalität besser zu bekämpfen, wäre die Schaffung von mehr Stellen für Lehrer, Polizisten, Richter und Staatsanwälte oder der Bau einer weiteren Jugendarrestanstalt.
Koch: Das tun wir doch. Aber die Opposition zählt das Geld ja schon nicht mehr, sondern wirft es mit vollen Händen zum Fenster hinaus. Tatsache ist, dass wir heute exakt 1131 Polizeibeamte mehr im Dienst haben als zu rot-grünen Zeiten. Und wir wollen in den nächsten fünf Jahren jedes Jahr 500 neue Polizeianwärter einstellen, das sind 150 bis 200 im Jahr mehr als durch Pensionierung abgehen. Unter den westdeutschen Flächenländern sind wir übrigens das Land mit der höchsten Richterdichte. Und die Jugendarrestanstalt in Gelnhausen ist schon erweitert worden und wird im nächsten Jahr noch einmal erweitert.
FAS: Fällt es Ihnen nicht schwer, nach Ihrer Angstkampagne noch die Erfolge Ihrer Sicherheitspolitik herauszustellen?
Koch: Hessen ist ein Land mit vielen internationalen Verflechtungen, einem Weltflughafen und dem zweithöchsten Anteil von Migranten aller Flächenländer, das bringt Herausforderungen mit sich. Umso mehr sind wir stolz darauf, dass wir die Aufklärungsquote auf 55,9 Prozent gesteigert und die Zahl der Straftaten reduziert haben. Das heißt nicht, dass wir damit zufrieden wären. Aber 46 Prozent weniger Wohnungseinbrüche und 25 Prozent weniger Straßenkriminalität sind doch klasse. Dennoch gibt es schreckliche Dinge: Wenn einem Schüler das Handy abgenommen wird, versucht er häufig, das zu verschleiern, indem er sagt, er habe es verloren, weil er befürchtet, die Täter stehen bald wieder vor mir, und dann gibt’s Prügel. Ältere Menschen trauen sich häufig nicht in Restaurants oder kulturelle Einrichtungen, Eltern holen ihre Kinder nachts mit dem Auto ab, obwohl sie an einer S-Bahntrasse leben. Dort, wo Menschen sich bedrängt fühlen, haben wir ein Angebot, wie man das ändern kann.
FAS: Und doch sind die Umfragen alles andere als überzeugend für ihre Partei. 38 Prozent, ein Minus von fast elf Prozentpunkten im Vergleich zur Landtagswahl 2003. SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti liegt im direkten Vergleich deutlich vor ihnen. Was ist da falsch gelaufen?
Koch: Spekulationen über Wahlergebnisse verlege ich lieber auf den Tag nach der Wahl. Dass es knapp wird, habe ich immer gesagt, auch wenn es nicht jeder hören wollte. Vor neun Jahren lagen wir eine Woche vor der Wahl in allen Umfragen vier bis fünf Prozent hinter der SPD, am Wahltag hatten wir vier Prozent Vorsprung. Sicher ist es einfacher, sympathisch zu sein, wenn man in möglichst vielen Fragen unverbindlich bleibt. Wahlkämpfe sind aber mehr als nur die Bestätigung von Vergangenem, sie dienen auch der Neuordnung von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen für Jahre im Voraus.
FAS: Sie wollen nicht unbedingt der netteste oder sympathischste Ministerpräsident sein?
Koch: Welcher Mensch will nicht nett und sympathisch sein? Aber ich bewerbe mich um ein Amt, das darauf ausgerichtet ist, Entscheidungen zu treffen. Ein Regierungschef ist dafür verantwortlich, dass es keinen Stillstand gibt, und es gibt in der Politik zu viele Menschen, die angesichts von Widerständen eine notwendige Sache lieber aufgeben. So etwas kann ich nicht akzeptieren, dann wechsele ich lieber den Beruf.
FAS: Ihr klares Ziel ist eine Koalition mit der FDP. Sollte es dafür nicht reichen, stünden Sie auch als Ministerpräsident einer großen Koalition zur Verfügung?
Koch: Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage nicht. Die Sozialdemokraten haben ein Wahlprogramm, das weitgehend identisch mit dem der Linkspartei – und damit ganz weit weg von dem der Union – ist.
FAS: Das heißt, wenn es keine Mehrheit für ein CDU/FDP-Bündnis gibt, wird es mit Roland Koch keine große Koalition geben?
Koch: Das heißt: Ich glaube, wenn es eine linke Mehrheit gibt, wird eine linke Mehrheit regieren.
FAS: Von der Schulpolitik ist kaum noch die Rede. Bleibt die umstrittene Kultusministerin Karin Wolff im Falle eines Wahlsieges im Amt?
Koch: Karin Wolff hat eine sehr erfolgreiche Schulpolitik gemacht, auch wenn nicht alles im ersten Anlauf hundertprozentig geklappt hat. Aber die Qualität der Schule hat sich spürbar verbessert, keiner schimpft mehr wie vor zehn oder 15 Jahren über das „Hessen-Abitur“, keiner zieht mehr möglichst an den Rand unseres Landes, um seine Kinder in Bayern oder Rheinland-Pfalz zur Schule schicken zu können. Das ist alles erledigt.
FAS: Frau Wolff hat Ihr Vertrauen?
Koch: Sonst wäre sie nicht Ministerin.
FAS: Und sie wird es auch künftig haben?
Koch: Wir ringen zunächst um ein gutes Ergebnis bei der Landtagswahl. Ich halte nichts davon, Felle von Bären zu verteilen, die man noch nicht erlegt hat.
FAS: Auch die Diskussion über die Zukunft der Region Rhein-Main ist zeitweise in den Hintergrund gerückt. Die Abwanderung der Deutschen Börse von Frankfurt nach Eschborn bringt sie wieder auf die Tagesordnung. Wie könnte man einen besseren Finanzausgleich innerhalb der Region organisieren?
Koch: Unabhängig von der Frage des Rhein-Main-Gebiets wird es in den nächsten Jahren eine Neuorganisation des Kommunalen Finanzausgleichs geben. Wir werden aber die kommunale Selbstständigkeit nicht antasten, auch die Landkreise nicht, die die SPD auflösen möchte. Wir müssen die Kooperation in der Region stärken. Das ist ein zäher Prozess. Die Pflanzen, die da inzwischen gewachsen sind, sollte man nicht gering schätzen. Was über den Kulturfonds geschieht, ist ein Einstieg mit nennenswerten Geldsummen. Frankfurt hat dabei durchaus eine Führungsrolle, und die Region darf sich nicht der Verpflichtung entziehen, die Exzellenz von Frankfurt mitzufinanzieren.
FAS: Am Sonntag findet erstmals ein Fernsehduell zwischen zwei Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt statt. Mit welchem Vorsatz gehen Sie in das Streitgespräch mit Andrea Ypsilanti?
Koch: Ich glaube, dass es ganz wichtig für die Bürger ist, ein Gefühl dafür zu bekommen, wen sie sich am ehesten im Amt des Ministerpräsidenten vorstellen können – angesichts all der schwierigen und komplexen Entscheidungen, die da zu treffen sind. Das ist ein Wettbewerb um Kompetenz, und auf den will ich mich einlassen.
Das Interview führten Matthias Alexander und Ralf Euler.