Koch: „Ich empfinde es als meine Aufgabe, für die Opfer krimineller Gewalt zu sprechen und für viele, die sich bedrängt und bedroht fühlen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der BILD am Sonntag
BILD am SONNTAG: Herr Koch, wegen Ihrer Kampagne zur Jugend-Ausländerkriminalität werden Sie scharf kritisiert. Die Türkische Gemeinde in Deutschland nennt Sie „Brandstifter“, „Rassist“. Sind Sie ein Ausländerfeind?
ROLAND KOCH: Ich empfinde es als meine Aufgabe, für die Opfer krimineller Gewalt zu sprechen und für viele, die sich bedrängt und bedroht fühlen. Im Übrigen sind die türkischen Vertreter meiner Ansicht nach gut beraten, keine türkische nationale Stimmung zu machen, sondern sich als Bürger wie du und ich um die Sicherheit in unserem Land kümmern. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. In den inzwischen rund 2500 Briefen, Mails und Faxen, die ich bekommen habe, bestärken mich nicht nur viele Deutsche, mich nicht mundtot machen zu lassen.
BAMS: Sondern?
KOCH: Es sind auch eine ganze Reihe Briefe von Türken dabei, denen die Lösung dieses Problems genauso wichtig ist. Übrigens gilt die Integrationspolitik in Hessen bundesweit als vorbildlich. In unserem Integrationsbeirat arbeiten Deutsche und Ausländer sehr gut zusammen, und ich treffe mich zum Beispiel regelmäßig mit türkischen Gruppierungen und Medien. Aber ich bin nicht bereit, die Augen vor schwerwiegenden Problemen zu verschließen oder mir von türkischen Vertretern den Mund verbieten zu lassen.
BAMS: SPD-Fraktionschef Peter Struck unterstellt Ihnen klammheimliche Freude angesichts des schwer zusammengeschlagenen Rentners in der Münchner U-Bahn…
KOCH: Da fehlen mir fast die Worte. Ich glaube, er täte sich einen Gefallen, wenn er sich entschuldigen würde. Bisher dachte ich, die Dreistigkeit Gerhard Schröders, der mir „Wahlkampfhetze“ vorgeworfen hat, wäre nicht zu überbieten. Schröder hat schließlich in dieser Zeitung 1997 verlangt, wer das Gastrecht missbrauche, „für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell“. Er hat dann gemeinsam mit Peter Struck sieben Jahre lang als Kanzler Zeit gehabt, die Probleme anzupacken.
BAMS: Stört Sie der Applaus von der rechtsextremistischen NPD?
KOCH: Ich fände es schrecklich, wenn ein Problem, das nach allen Umfragen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sieht, nicht von den demokratischen Parteien angepackt, sondern der NPD überlassen würde. Wir können doch nicht aus ideologischer Blindheit heraus die Augen vor den Tatsachen verschließen! Viele Ältere trauen sich häufig nicht mehr in Busse und Bahnen. Viele junge Menschen werden aus derselben Furcht heraus von ihren Eltern aus der Disco abgeholt.
BAMS: Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten in Hessen Polizei-Planstellen und Sozialarbeiter gestrichen.
KOCH: Im hessischen Jugendstrafvollzug haben wir 500 Haftplätze, von denen 400 belegt sind. Beim Jugendarrest haben wir die Zahl der Plätze im vergangenen Jahr um 25 Prozent angehoben, im nächsten Jahr werden wir noch mal um 50 Prozent aufstocken. Und wir haben heute 1131 Polizisten mehr auf Hessens Straßen und Plätzen als bei meinem Regierungsantritt. Wir werden auch das Problem der zu langen Verfahrensdauer bei den Gerichten lösen.
BAMS: Und warum dann noch schärfere Gesetze?
KOCH: Das hilft alles nicht weiter, wenn die Beteiligten nicht die notwendigen Instrumente in die Hand bekommen – der Warnschuss-Arrest als frühe Gelbe Karte der Gesellschaft nach einer Straftat ist längst überfällig. Wer 18 Jahre alt ist, muss in aller Regel endlich nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden. Und es hilft nichts, wenn ein krimineller jugendlicher Ausländer erst nach drei Jahren Haft abgeschoben werden kann. Wer zu drei Jahren verurteilt wird, hat verdammt viel auf dem Kerbholz. Die meisten geraten damit gar nicht in die Gefahr der Abschiebung. Wir brauchen also eine Absenkung auf ein Jahr Haftstrafe. Damit wäre für den Jugendlichen nicht mehr sicher, ob er nicht abgeschoben wird. Das würde wirken.
BAMS: Fachleute sagen, kriminelle Karrieren müssten gerade im Kindesalter von 12, 13 Jahren gestoppt werden, um Schlimmes zu verhindern. Geht das überhaupt?
KOCH: Wir wollen keine Schnellschüsse, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine sehr aggressive Kriminalität einer sehr kleinen Gruppe von Menschen unter 14 Jahren gibt. Oft werden diese Jugendlichen auch noch von Erwachsenen benutzt, die genau auf die Strafunmündigkeit der Täter setzen. Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens: striktere Entziehung des Sorgerechts durch die Jugendbehörden. Zweitens: In Ausnahmefällen könnten Elemente des Jugendstrafrechts für diese Zielgruppe eingesetzt werden. Wenn man betrachtet, wie im entsprechenden Milieu solche kriminellen Karrieren entstehen, dann muss man über die Anwendung des Jugendstrafrechts diskutieren. Diese kleine Minderheit entzieht sich nämlich allen anderen Bemühungen.
BAMS: Der Berliner Innensenator Körting (SPD) hat wegen der Jugendkriminalität die deutsche Justiz gerügt. Körting sagt, die Psyche der Opfer sei unseren Richtern „scheißegal“.
KOCH: Repräsentanten des Staates sollten mit der Justiz stets vorsichtig umgehen. Ich gebe aber zu: Auch ich bin gelegentlich sehr verwundert über unsere Jugendrichter, die ja eigentlich die Instrumente der Härte zu verwalten haben. Die Richter, die als Einzige Strafen aussprechen können, gehen mit diesem Instrument wenig selbstbewusst um. Auch bei 20-Jährigen, die ansonsten ja auch wie Erwachsene behandelt werden wollen, wenden sie Jugendstrafrecht an, um mildere Strafen verhängen zu können. Das ist ein falsches Signal. Diese Jugendlichen fürchten die Haft wie der Teufel das Weihwasser. Genau diese Wirkung wird oft von Jugendrichtern unterschätzt.
BAMS: Die SPD setzt im Wahlkampf auf soziale Gerechtigkeit und Mindestlöhne. Sie setzen auf die Jugendkriminalität. Wer hat das bessere Thema?
KOCH: Nicht ich habe das Thema gesetzt, sondern die deutsche Öffentlichkeit war entsetzt angesichts der Bilder von München. Und eigentlich hat die Politik eine moralische Pflicht. Der Rentner Bruno N. muss sich doch fragen, ob er sich richtig verhalten hat. Und wenn die Politik nichts tut – wie reagieren dann andere, die in eine ähnliche Situation kommen? Justizministerin Zypries hat empfohlen, den U-Bahn-Wagen zu wechseln, wenn man angepöbelt, wenn randaliert und gelärmt wird. Aber es ist doch ein Offenbarungseid, wenn Politik nicht handelt und solche Ratschläge gibt.
BAMS: Wie erklären Sie sich dann, dass die CDU bei den kommenden Landtagswahlen vor deutlichen Verlusten steht?
KOCH: Die CDU hatte bei den letzten Landtagswahlen angesichts des damals völlig verpatzten Starts von Rot-Grün nach der Bundestagswahl 2002 eine ganz andere Mobilisierungschance. Jetzt sind wir Teil einer Großen Koalition. Es ist ganz normal, dass eine Große Koalition für beide Parteien nicht gerade mobilisierend wirkt.
BAMS: Die Bundesregierung ist schuld?
KOCH: Das klingt mir zu schuldhaft, aber natürlich zahlen auch wir einen Preis für die Große Koalition. Aber im Verhältnis zur SPD stehen wir gut da und haben alle Chancen, alle drei Landtagswahlen erfolgreich zu bestehen.