Koch: „Es werden mit dem Bau der neuen Landebahn über 40.000 neue Arbeitsplätze entstehen.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der Frankfurter Neuen Presse
FNP: Im Land braut sich schon seit langem Unmut über verschiedene wenig erfolgreich verlaufene Experimente in den Schulen zusammen: Erst die schlecht gestartete Unterrichtsgarantie plus, jetzt die kaum überzeugenden Kurskorrekturen bei der Verkürzung der Schulzeit. Kann das für Sie nicht angesichts der bevorstehenden Landtagswahl bedrohlich werden?
KOCH: Ich weiß, dass Schule im Moment eine unruhige Landschaft ist. Wir experimentieren übrigens nicht, aber es gibt Schwierigkeiten bei der Einrührung von neuen Systemen, wobei wir sehr genau wissen, dass mit jeder Neuerung auch Probleme einhergehen. Bei einem so großen Bereich wie den 2000 Schulen mit 800000 Schülern und 55000 Lehrern sind sie verständlicherweise besonders groß. Wir machen diese Reformen, um den hessischen Schülern endlich gleiche Wettbewerbschancen mit Alterskollegen aus anderen Bundesländern zu verschaffen. Manchen sind wir dabei zu schnell. Und im Übrigen: Die „Unterrichtsgarantie plus“ mit der Sicherstellung von Vertretungsunterricht bei langfristigem Lehrerausfall läuft inzwischen prima. Und mit sehr viel pädagogisch qualifiziertem Personal.
FNP: Mit der Baugenehmigung des Verkehrsministeriums für den Flughafenausbau steht noch ein politisches Großereignis in diesem Jahr an. Darin enthalten sein soll ein Nachtflugverbot, dass schon vor seiner Formulierung immer stärker aufgeweicht wird. Ihre Forderungen nach diesem Ausgleich von nächtlicher Ruhe gegen eine deutliche zunehmende Zahl von Flugbewegungen am Tage wurden zuletzt immer matter.
KOCH: Je näher ein Genehmigungsbeschluss kommt, desto mehr muss sich der Ministerpräsident zurückhalten, der ja nicht dieses Verfahren führt, das tut ja der hessische Verkehrsminister. Dieses wird sicherlich die wichtigste Entscheidung meiner bislang zwei Regierungszeiten werden, denn es werden mit dem Bau der neuen Landebahn über 40000 neue Arbeitsplätze entstehen. Welches Land hat schon die Chance, so etwas Positives mit einer Entscheidung zu bewirken. Die Diskussion über den Lärmschutz ist dabei nur ein zu beachtender Aspekt, aber ein wichtiger, bei dem wir uns an die Beschlüsse der Mediation halten werden, in denen ein Nachtflugverbot festgeschrieben ist. Dass die Diskussion derzeit mit Zahlen erfüllt ist, wie viele Ausnahmen dabei zugelassen sein müssen und zum Teil abenteuerliche Zahlen in die Welt gesetzt werden, müssen wir hinnehmen. Ich darf mich daran nicht beteiligen.
FNP: Vielleicht verstehen selbst einige Ihrer Wähler nicht, warum das Land trotz unerwarteter Steuermehreinnahmen in Rekordhöhe weiterhin immer neue Schulden anhäuft. Können Sie das erklären?
KOCH: Hessen hat den höchsten Zuwachs an Wohlstand zu verzeichnen, den wir nach den Regeln des Länderfinanzausgleichs zu einem bedeutenden Teil an die Länder, die in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung noch nicht so weit sind wie wir, abgeben müssen. In meiner Regierungszeit seit 1999 haben wir zwar 9,8 Milliarden Euro Schulden gemacht, aber 19,4 Milliarden Euro den anderen Ländern zur Verfügung stellen müssen. Das zwingt den Finanzminister zu Maßnahmen, die uns viel langsamer auf einen Abbau der Neuverschuldung zusteuern lassen, als wir dies gerne hätten. Das Ziel, einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen, werden wir aber dennoch wie geplant zum Anfang des nächsten Jahrzehnts erreichen.
FNP: Sie haben jetzt ein Konzept zum Schutz deutscher Unternehmen vor ausländischen Staatsfonds vorgelegt. Haben Sie eigentlich Angst vor Chinesen und Russen?
KOCH: Überhaupt nicht. Ich glaube, dass wir in den genannten Ländern, aber auch in Indien oder Brasilien riesige Chancen haben. Ich will aber nicht, dass wir, ohne es zu bemerken, in eine neue Form von staatskontrollierter Wirtschaft geraten. Ich möchte einem russischen Investor, der unter staatlicher Kontrolle steht, den Zugang auf unseren Markt verweigern können, wenn dieses geboten erscheint. Ein Beispiel: Als die Russen bei EADS einsteigen wollten, versuchten sie das nicht, um eine hohe Rendite zu bekommen, sondern um als Anteilseigner danach einen Technologietransfer von West nach Ost zu organisieren. Das war ein klares strategisches Ziel. Ich möchte, dass wir in Deutschland wie die Franzosen, Amerikaner, Italiener und andere über ein Instrument verfügen, um so etwas verhindern zu können.
FNP: In der CDU wird zu einem großen Teil an der Person von Familienministerin von der Leyen festgemacht auch eine Diskussion über konservative Werte geführt. Viele sehen Sie selbst dabei in Ihren Grundsätzen aufweichen.
KOCH: Es gibt Themen, bei denen dieser Eindruck entstehen könnte, die aber nur die Konsequenz gesellschaftlicher Entwicklungen sind. Da müssen sich Parteien auch konservative mit verändern. Ich habe Ursula von der Leyen Recht gegeben bei ihren Ansichten zur Familienpolitik, weil sie mir die besten Voraussetzungen dafür zu bieten scheint, dass wir erst einmal die Zukunft von Familien sichern, bevor wir dann über die Organisationsformen von Kindertagesstätten streiten können. Es war höchste Zeit, dass wir wieder junge Familien in allen ihren Zukunftsängsten ansprechen können, wozu auch gehört, dass wir die Chancengleichheit von Vätern und Müttern gesellschaftlich absichern. Wenn bis zu 40 Prozent beispielsweise der Akademikerinnen sich gegen Kinder entscheiden, dann sollten wir jedenfalls alles tun, um zu erreichen, dass sich wieder mehr Frauen und Paare dafür entscheiden. Ohne andere Einschränkungen wie die, sich zeitweise oder ganz aus dem Berufsleben zurückzuziehen, gering zu schätzen.
FNP: Sie werden am 24. März 50 Jahre alt. Was macht Sie eigentlich so sicher, dass Sie an Ihrem Geburtstag noch hessischer Ministerpräsident sind?
KOCH: Ich stehe viel zu lange im politischen Wettbewerb, um insbesondere bei bevorstehenden Wahlen irgendetwas als sicher zu empfinden. Hessen ist fast immer ein Land mit knappen Mehrheiten gewesen und diese Ungewissheit steigt mit dem Auftreten neuer Parteien wie der Linken noch deutlich. Wir gehen mit großem Selbstbewusstsein in die Wahlen, weil wir etwas vorzuweisen haben und zudem unsere Kernwählerschaft verbreitern konnten. Ich bin überzeugt, dass es eine bürgerliche Mehrheit in der Bevölkerung dieses Landes gibt, aber das ist keine Selbstverständlichkeit und deswegen müssen wir hart arbeiten und darum kämpfen, um eine rot-rot-grüne Mehrheit zu verhindern, die für ein wirtschaftsstarkes Land wie Hessen schreckliche Folgen hätte.
FNP: Die Reformen der Sozialreform sind in vollem Gange. Sollten wir auf diesem Weg weitermachen, oder ist es nun erst einmal genug?
KOCH: Es ist ganz offensichtlich, dass es mit der SPD nicht mehr an Reformen geben wird, als wir im Koalitionsvertrag verabredet haben. Man sollte sich also keine Illusionen darüber machen, dass die beiden Parteien in der großen Koalition mehr Gemeinsamkeiten hätten, als es sich aktuell darstellt. Die CDU muss für die Zeit danach die Elemente, die uns wichtig sind Arbeitsmarkt, Gesundheit -, selbstverständlich auf der Tagesordnung halten.
FNP: Beim Mindestlohn haben Sie sich ja der SPD angenähert: Erst dagegen, jetzt dafür.
KOCH: Wir haben in der CDU mit dem Post-Mindestlohn gewaltige Schwierigkeiten gehabt, denn es war nicht klug, dass der Post-Arbeitgeberverband einen so hohen Mindestlohn angeboten hat, was sich jetzt ja auch zeigt, wo das die ersten Arbeitsplätze kostet. Aber Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich verständigt und diese Tarifhoheit ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Ich bin dennoch nicht glücklich über diese Lösung, weil jetzt auch aus anderen Branchen der Ruf kommen könnte, dass doch der Staat die Gerechtigkeit von Löhnen bestimmen soll. Unabhängig davon, dass Löhne in einzelnen Branchen von drei oder vier Euro eine Schweinerei sind, weshalb wir sie ja auch aufstocken, haben die Tarifparteien die Höhe auszuhandeln.
FNP: Dennoch: Rückt die CDU mit diesem Zugeständnis nicht eindeutig nach links?
KOCH: Ich kann mit den Begriffen rechts und links nichts anfangen, deshalb spreche ich dann auch gerne von „Gesäß-Geografie“. Wir zahlen bei der Post einen Preis, der uns nicht gefällt, der aber ordnungspolitisch korrekt ist. Das Instrument eines Eingriffs in Löhne und Gehälter muss die Ausnahme bleiben. Das sehen die Sozialdemokraten anders, aber dazu haben wir in der Union eine klare Meinung.
Das Interview führte FNP-Chefredakteur Rainer M. Gefeller.