Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit „VANITY FAIR“
VANITY FAIR: Herr Koch, sind Sie der letzte regierende Nicht-Sozialdemokrat des Landes?
ROLAND KOCH: Ganz sicher nicht. Aber ich habe es in Hessen natürlich leichter, Profil zu zeigen, als die Berliner Freunde. Und das mache ich selbstverständlich auch. Und dennoch: Auch in der Großen Koalition ist die Union beim besten Willen nicht mit der SPD verwechselbar.
VANITY FAIR: Ist das so? Wie würden Sie den Zeitgeist im Augenblick denn beschreiben?
ROLAND KOCH: Viele schreiben, dass es in Deutschland einen Linksrutsch gegeben hat. Ich bin da nicht so sicher. Das sieht man ja daran, dass Kurt Beck neuerdings für viele soziale Wohltaten ist, während Angela Merkel Kurs hält – und wenn die Menschen gefragt werden, wer der sozialere Politiker ist, ist die Antwort: Merkel. Wenn die beiden um die Kanzlerschaft wetteifern, geht es so ungefähr 68 zu 18 für Merkel aus. Ich glaube, wir sind eindeutig besser aufgestellt als die SPD. Allerdings hat die CDU im Augenblick auch einen großen Vorteil: Sie ist nicht von einem Abspaltungsprodukt bedroht wie die SPD von der Linken.
VANITY FAIR: Ob es ihn gibt oder nicht – die Koalition macht Politik für einen linken Zeitgeist. Gerade hat sie das Arbeitslosengeld verlängert, obwohl fast alle Ökonomen das unsinnig finden.
ROLAND KOCH: Das Arbeitslosengeld I für Ältere zu verlängern, die sich schwerer als 30-Jährige damit tun und bei denen man es auch nicht so leicht erwarten kann, für eine berufliche Veränderung den Wohnort zu wechseln – das ist aus christdemokratischer Sicht ein Teil der Solidarität, die eine Gesellschaft praktizieren sollte. Bei uns stand das übrigens immer so im Programm, nur die SPD wollte es nicht. Ein Land muss seine Balance behalten, auch in gefühlten Fragen.
VANITY FAIR: Beim CDU-Parteitag 2003 in Leipzig klang das noch anders. Da war noch Freiheit das zentrale Motiv.
ROLAND KOCH: Leipzig gilt unverändert. Aber wir müssen in einer schwierigen Situation immer aufpassen und alle gesellschaftlichen Gruppen mitnehmen, damit wir nicht riskieren, dass die Kommunisten bald in Deutschland mitregieren. Die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Regierung im Bundestag gäbe es ja durchaus. Deshalb beißen wir eine Zeit lang in den sauren Apfel und machen als Teil der Großen Koalition Kompromisse, die uns durchaus weit von dem wegführen, was wir ursprünglich wollten. Wir schlucken auch Kröten. Das ist für Deutschland allemal besser als ein rot-rot-grünes Bündnis.
VANITY FAIR: Warum setzen Sie nicht auf Neuwahlen? Nach Franz Münteferings Abgang steht die SPD in den Umfragen gerade noch bei 26 Prozent, die CDU bei 40.
ROLAND KOCH: Ich bin überzeugt, dass die Wahlperiode zu Ende gebracht wird. Unabhängig davon finde ich es erstaunlich, dass sich Kurt Beck gescheut hat, Verantwortung zu übernehmen und Vizekanzler zu werden. Dass derjenige, der Kanzler werden will, sich nicht regelmäßig neben die Kanzlerin stellen will, ist ein Zeichen von Schwäche. Das wird ihm schaden. Wobei Müntefering als Person für die SPD ohnehin nicht zu ersetzen ist. Olaf Scholz passt nicht in die Schuhe. Das hat nichts mit Herrn Scholz zu tun, sondern mit Müntefering.
VANITY FAIR: Wird Ihnen Franz Müntefering fehlen?
ROLAND KOCH: Ich habe ihm sehr gern zugehört. Er ist ein schwieriger Verhandler, er geht immer bis einen Millimeter vor die Mauer, bevor er die ersten leichten Zeichen von Kompromissfähigkeit zeigt. Das machte ihn oft schwierig. Aber er war stets ein verlässlicher Partner. Ich habe nie erlebt, dass er sein Wort nicht gehalten hat.
VANITY FAIR: Wer sind jetzt Ihre Partner? Sind die Grünen nach dem Parteitag noch koalitionsfähig?
ROLAND KOCH: Von Jamaika liegt Deutschland ganz offensichtlich weit, weit weg. Der Parteitag hat nicht nur gezeigt, dass die Grünen – wie zuvor die SPD – stark nach links gerückt sind. Viel interessanter finde ich, dass die Grünen nicht mehr klären und erklären können, wofür es sie gibt und wofür unser Land sie braucht. Die Beantwortung dieser politischen Sinnfrage wird zunehmend ihr Problem.
VANITY FAIR: Volksparteien müssen populär sein. Gerade hat man aber das Gefühl, populär und populistisch werde verwechselt. Besonders seit Oskar Lafontaine mit der Linkspartei Erfolg hat.
ROLAND KOCH: Wenn die SPD in Richtung Linkspartei geht, ist die Linke Original und die SPD Kopie. Das ist der große strategische Fehler des SPD-Parteitags, der sich nicht in zwei Wochen rächt, sondern viel länger wirken wird. Der Unterschied zwischen populär und populistisch ist klar: Du darfst nie etwas machen, von dem du weißt, dass es falsch ist. Aber du kannst von den Dingen, die richtig sind, die betonen, die am populärsten sind.
VANITY FAIR: Finden Sie persönlich es anstrengend, populäre Politik zu machen?
ROLAND KOCH: Nein, gar nicht. Wenn man das anstrengend findet, hat man den falschen Beruf. Es ist Aufgabe der Politik, die Komplexität der Dinge denjenigen verständlich zu machen, die am Ende mit ihrer Stimme zu entscheiden haben. Wenn man das nicht schafft, holen die Leute sich einen, der es kann. Wenn man den Menschen nicht etwas völlig Irres erklärt, müsste Verständliches auch irgendwann zu Zustimmung führen.
VANITY FAIR: Haben Sie früher Marx gelesen?
ROLAND KOCH: Natürlich. Hegel und Feuerbach auch. Ich habe immer sehr viel Spaß daran gehabt, Grundsatzdebatten zu führen und mich mit den Dingen hinter dem Ganzen zu beschäftigen. Auch wenn das meine Umgebung gelegentlich nervt.
VANITY FAIR: Am 27. Januar wird in Hessen gewählt, und Andrea Ypsilanti, Ihre Gegnerin von der SPD, steht noch weiter links als der Rest ihrer Partei. Wird diese Wahl ein Test der Frage, ob der Zeitgeist nun links ist oder nicht?
ROLAND KOCH: Das ist sicher richtig. Die hessische SPD geht so weit nach links außen, wie das eine Landes-SPD in einem Flächenland noch nie getan hat. Die Programme von SPD und Linkspartei sind an vielen Stellen fast wortgleich. Das führt Frau Ypsilanti sehr nah an die Linkspartei, möglicherweise in der Hoffnung, dass sie die Wähler der Linken absorbiert. Wer am Ende wen absorbiert, wird eine sehr zentrale Frage dieser Landtagswahl sein. Hier findet eine Schlacht statt, an der die CDU zunächst nicht beteiligt ist, die aber sehr wichtig für die weitere strategische Entwicklung der SPD ist. Aus meiner Sicht ist das ein riskanter Weg. Zum einen, weil es eher danach aussieht, dass er die Leute in die Linkspartei treibt, anstatt sie an die SPD zu binden. Zum anderen macht die SPD so die Mitte ein Stück weit frei. Kann die CDU das nutzen? Beides werden Sie am 27. herausfinden.
VANITY FAIR: Welcher Teil des Wahlkampfs macht Ihnen am meisten Spaß?
ROLAND KOCH: Ich mag es, wenn mir jemand widerspricht, solange das in zivilisierter Form geschieht. Das sind schöne Abend, an denen es richtig Streit um die Sache gibt. Wahlkampf ist für mich keine Belastung. Als positive Begleiterscheinung kommt hinzu, dass ich immer ein paar Kilo abnehme, weil ich nicht mehr zum Essen komme. Am wenigsten mag ich Podiumsdiskussionen mit vier oder fünf Teilnehmern, die sich gegenseitig beziehungslos Sätze zuwerfen.
VANITY FAIR: Ihre Parteifreunde Peter Müller und Günther Oettinger aus dem Saarland und Baden-Württemberg fordern die Begrenzung von Managerabfindungen. In Frankfurt gibt es Tausende Banker, die mehr verdienen als der Ministerpräsident. Stört Sie das?
ROLAND KOCH: Wenn sie etwas dafür leisten, mag es ja angehen. Und es ist auch ein Unterschied, ob man eine Bank leitet oder nur in einem Fonds spekuliert und über die Prozente des täglich durchgejagten Geldes mit einem Zigmillionengehalt nach Hause geht. Da ist die Wirtschaft in Gefahr, ihre Selbstregulierungskräfte zu verlieren und die gefühlte Gerechtigkeit der Menschen zu missachten. Aber ich weiß auch, dass es zur Tradition gehört, dass man Politiker so bezahlen muss, dass man nicht wegen des Geldes in die Politik geht. Und ich halte diese Regel für richtig. In die Politik muss man aus Leidenschaft gehen. Neid ist mir ohnehin ziemlich fern.
VANITY FAIR: Was ist denn „gefühlte Gerechtigkeit“?
ROLAND KOCH: Wir dürfen Menschen in ihrer Selbstachtung nicht verletzen, auch Löhne dürfen das nicht tun. Obwohl ich nicht zu denen gehöre, die sagen, dass Löhne immer ohne jede staatliche Unterstützung zum Leben reichen müssen. Mir ist wichtiger, dass Menschen auch arbeiten und bezahlt werden. Wenn ihre Produktivität nicht ausreicht, um voll davon leben zu können, dann bekommen sie eben einen kleinen Teil vom Staat dazu. Aber wenn jemand glaubt, er könne in Deutschland jemanden mit 2,50 Euro in der Stunde abspeisen, dann ist etwas nicht in Ordnung. Man muss die Dinge in einer Relation belassen. In den meisten Fällen geschieht das auch, aber in einigen Fällen ist uns das entglitten.
VANITY FAIR: Wo denn?
ROLAND KOCH: Nun, wir haben im Dienstleistungssektor schon unerfreuliche Entwicklungen. Dort arbeiten teilweise Menschen aus dem Ausland, die Löhne akzeptieren, von denen man in Deutschland nicht ansatzweise leben kann. Manchmal wird der Eindruck erweckt, das sei jetzt der neue Standard. Und dann wird es ganz schwer, noch Loyalität zu diesem Gemeinwesen zu erwarten. Aber ohne Loyalität beutet man den Staat aus, man schützt ihn nicht. Politik definiert nicht die Gesellschaft, aber sie definiert Rahmenbedingungen, in denen sich Gesellschaft entfalten muss.
VANITY FAIR: Wenn Sie 2008 gewählt werden, reicht Ihre Amtszeit bis 2013. Drängt es Sie nicht doch irgendwann, zu beweisen, dass Sie mehr können, als Ministerpräsident zu sein?
ROLAND KOCH: Ich weiß, dass ich mit dem, was ich denke, auf der nationalen Ebene gehört werde. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass ein Ministerpräsident einen Teil der Koalitionsverhandlungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik mitmacht oder die Steuerreformen für Unternehmen und Erben. Meine Gouverneurskollegen in Amerika können davon nur träumen. Ich habe keine Fantasie, das missen zu wollen.
VANITY FAIR: Vor nicht allzu langer Zeit wurden Sie noch als Kanzlerkandidat gehandelt…
ROLAND KOCH: Es gab Anfang des Jahrzehnts eine Rangelei in der Union: Wie schüttelt sich das unter uns alles zurecht? Es hat sich geschüttelt. Ich kann damit gut leben, ich bin hochzufrieden. Ich tue alles, um Angela Merkel in ihrem Job zu helfen. Und ich habe den Eindruck, dass sie das umgekehrt genauso tut. Insofern leben wir beide unter ziemlich optimalen Bedingungen, was unser Verhältnis angeht.
VANITY FAIR: Sehen das die anderen CDU-Ministerpräsidenten auch so?
ROLAND KOCH: Ich kenne keinen, der meint, von einem Durcheinander mehr zu profitieren als von vernünftigem Verhalten. Deshalb läuft es auch ordentlich, ungeachtet der Tatsache, dass jeder Ministerpräsident die Interessen seines Landes zu vertreten hat.
VANITY FAIR: Finden Sie eigentlich, dass es genug Frauen in der Politik gibt? Auch in der CDU?
ROLAND KOCH: Ich persönlich wünsche mir mehr Frauen in der Politik. Aber Politik ist ein Geschäft, das in vielen Teilen wahrscheinlich noch frauenfeindlicher ist als die meisten anderen Berufe. Es gibt eben kein Jobsharing. Politik macht man ganz oder gar nicht. Das ist für Familien, für kleine Kinder eine große Herausforderung. Ich habe riesigen Respekt vor Staatsministerin Hildegard Müller, die wegen ihres Kindes für ein Jahr das Kanzleramt verlässt. Und ich finde es unglaublich toll von Angela Merkel, zu sagen: Okay, wir ersetzen das, aber du kommst in dieses Amt zurück. Das ist der Anfang eines neuen Stils. Wenn wir den nicht öfter haben, werden wir noch lange über zu wenige Frauen in der Politik jammern.
VANITY FAIR: Wie machen Sie das selbst zu Hause?
ROLAND KOCH: Im Wahlkampf weiß meine Familie, dass ich zu anderen Dingen nicht gut zu gebrauchen bin. Aber sie weiß auch, dass es die Zeit gibt, wo das anders ist. Und wenn ich am Wochenende zu Hause bin, wissen meine Mitarbeiter, dass es zwar schnell geht, mir eine SMS zu schicken. Dass es aber lange dauern kann, bis ich sie gelesen habe.
VANITY FAIR: Das geht?
ROLAND KOCH: Ja. Ich kann die Politik vergessen. Und zwar von jetzt auf gleich.
Das Interview führten Ulrich Machold und Ulf Poschardt.