Koch zur Debatte um das Arbeitslosengeld I
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem Deutschlandfunk
Schulz: Sollten ältere Arbeitslose länger als ein Jahr Arbeitslosengeld I beziehen? Der Streit, der in den vergangenen Tagen vor allem die Sozialdemokraten beschäftigt hat, scheint ein wenig an Schärfe verloren zu haben. Zwischen den beiden Kontrahenten, dem SPD-Parteichef Beck und Bundesarbeitsminister Müntefering, hat die Suche nach einem Kompromiss begonnen. Mit Nervosität dürfte das der Koalitionspartner in Berlin beobachten, denn wenn Beck sich durchsetzen sollte, dann könnte der Union ein neuer Richtungsstreit bevorstehen. Darüber möchte ich nun sprechen mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Guten Morgen!
Koch: Guten Morgen Frau Schulz.
Schulz: Herr Koch, im vergangenen Jahr hat sich der CDU-Parteitag in Dresden ja für eine Ausweitung des Arbeitslosengeldes I ausgesprochen. „Eine Beerdigung 1. Klasse“ nannte das damals der sächsische Ministerpräsident Milbradt, denn der Plan galt damals als der SPD nicht vermittelbar. Nun findet die Idee in der SPD ja nach und nach immer mehr Sympathie. Um im Bild zu bleiben: steht damit jetzt die Exhumierung der Idee an?
Koch: Wir beschließen auf Parteitagen nicht ohne Sinn und Verstand und insofern gilt das, was wir auf Parteitagen beschlossen haben. Das Problem, das im Augenblick wir mit Kurt Beck und seiner Position haben, ist glaube ich ziemlich das gleiche wie das, das Franz Müntefering hat. Wir wollen wissen von der SPD, auch vom Parteitag der SPD, ob sie die Geschäftsgrundlage der Agenda 2010, ob sie die prinzipielle Frage der Veränderung unserer Systeme, die ja jetzt endlich Erfolge zeigen, wieder in Frage stellt, oder ob es wirklich um ein technisches Detail geht, das sich mit der Frage beschäftigt, ob wir die Zahl der Monate, in denen das Arbeitslosengeld gezahlt wird, nach Lebensalter oder nach Beitragsjahren, wie wir das auch auf dem CDU-Parteitag gesehen haben, berechnen. Wenn es um die Technik geht, dann soll Kurt Beck doch in den Koalitionsausschuss kommen. Das kann er vor dem Parteitag haben. Über diese Frage kann man sich unter den Bedingungen des CDU-Parteitages einigen. Es war die SPD, die uns das im Januar abgelehnt hat in der Koalition. Wenn es um die Grundsatzfrage der Geschäftsgrundlage geht, gibt es allerdings einen handfesten Streit, und den nicht nur mit Müntefering, sondern selbstverständlich auch mit allen in der Union.
Schulz: Warum steht die Geschäftsgrundlage im Zweifel, wenn es ein Ziel gibt, Ausweitung des Arbeitslosengeldes I in der SPD und in der Union?
Koch: Na ja, es gibt zwei wesentliche Unterschiede. Wir in der Union haben über eine Technik, in der man zu beiden Seiten kommen kann, nämlich sowohl zu der Frage, wie bisher man orientiert ist daran, dass Menschen, wenn sie ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben, 55 Jahre, sie mehr an Monaten Arbeitslosengeld I bekommen, oder, was wir auf dem Parteitag für richtiger gehalten haben und die SPD nicht akzeptiert hat, zu sagen, wenn jemand 30 Beitragsjahre hat, dann ist es ziemlich egal, ob er 49, 51 oder 55 ist, dann hat er durch diese lange Zeit, die er schon auf dieses System sich verlässt, ein Anrecht darauf, einige Monate mehr das Arbeitslosengeld zu bekommen.
Kurt Beck macht ja etwas anderes. Er stellt in Frage die Finanzvolumen. Das heißt er ist nicht mehr bereit, wie alle in der Sozialdemokratie bisher zu sagen, wenn wir dort eine Veränderung machen, muss die kostenneutral sein. Das heißt es gibt Belastete und Entlastete.
Kurt Beck geht nicht nur an die Frage des Arbeitslosengeldes I, sondern gleichzeitig beginnt er in der Partei eine Diskussion über die Frage, ob die Entscheidung „Rente mit 67“, die ja auch Franz Müntefering wesentlich mit herbeigeführt hat, die aber richtig war, wieder in Frage zu stellen. Also diese Mentalität, es ist jetzt wieder Geld da, es ist alles in Ordnung und wir können zu der unsoliden Politik, die es einmal gab, zurückkehren, das ist die Frage der Geschäftsgrundlage und diese Frage, die könnte große Auseinandersetzungen auslösen. Ich hoffe, dass Minister wie Steinbrück und Steinmeier gemeinsam mit Franz Müntefering einen Parteitag davon abhalten können, zu dieser unsoliden Politik zu kommen. Wenn sie das wollen und wenn Kurt Beck das will, dann sage ich noch einmal, dann kann er den Streit, der um die Frage einiger Beitragsmonate geht, wenn es wirklich nur darum geht, vorher in den Koalitionsausschuss bringen. Dann muss er die Große Koalition nicht über einen Parteitag belasten.
Schulz: Das heißt also grundsätzlich stehen Sie auch einer Ausweitung des Arbeitslosengeldes I offen gegenüber?
Koch: Eine Ausweitung des Arbeitslosengeldes I hat niemand, jedenfalls in der CDU, bisher gefordert, sondern es ist eine Umschichtung zu Gunsten derer, die länger einzahlen, als derjenigen, die kürzer einzahlen. Das ist das Thema. Das ist ja auch das Thema, das Kurt Beck angesprochen hat. Das ist keine Ausweitung. Aber genau darin liegt die Frage: ist es eine technische Veränderung oder eine Frage einer neuen Geschäftsgrundlage.
Schulz: Diejenigen, die kürzer einzahlen oder eingezahlt haben, sind ja in aller Regel die Jüngeren. Sie haben das selbst angesprochen. Es geht um eine Umschichtung, wenn man es kostenneutral machen kann. Die Frage der Gerechtigkeit spielt in der Debatte ja eine große Rolle. Das ist immer wieder deutlich geworden. Ist es gerecht, die Älteren zu privilegieren und die Jüngeren dafür draufzahlen zu lassen?
Koch: Die Debatte, die wir im Augenblick in Deutschland führen um das Stichwort Gerechtigkeit, zeigt eine Sorge in der Bevölkerung, die man ernst nehmen muss, zeigt aber für uns in der Politik auch gleichzeitig die Grenze dessen, was wir leisten können. Derjenige, der betroffen ist von einer Veränderung, wird immer fragen „warum ich und nicht andere“, und die Politik kann nicht immer alle gleichzeitig gleichmäßig belasten, sondern sie muss Prioritäten setzen. Diese Tatsache, dass Menschen das Vertrauen in die Stabilität ihres sozialen Umfeldes, ihrer Existenzsicherung umso stärker suchen je älter sie sind aufgrund der Erfahrungen des Arbeitsmarktes, je länger sie aber auch in die Sozialsysteme ja auch für viele Jüngere und Ältere in der Vergangenheit eingezahlt haben, ist ein nicht zu unterschätzendes Gut.
Wenn man dem Rechnung tragen kann, ohne die Reformen zu zerstören, wenn man dem Rechnung tragen kann, ohne falsche Signale zu geben, dann bin ich der Meinung sollte man darüber pragmatisch sprechen. Genau das war der Ansatz, den nach einer heftigen Diskussion der CDU-Bundesparteitag gefunden hat. Es ist ja nicht so, dass das nicht auch ein langes Ringen wäre und dass dann mit denjenigen, die das zunächst vorgetragen haben, wie Jürgen Rüttgers, ein Kompromiss gefunden worden ist.
Wir haben uns darüber Gedanken gemacht. Wir haben ein Jahr lang eine SPD gefunden, die mit vielen Zitaten, die man jetzt vortragen könnte, gerade von Kurt Beck das brüsk zurückgewiesen hat, eine solche Diskussion zu führen. Jetzt ist er auf dem Parteitag in Schwierigkeiten und braucht offensichtlich ein solches Thema. Wir als CDU sagen ihm, er kann das vor dem Parteitag mit uns diskutieren. Er muss nicht die Koalition in eine Grundsatzdebatte treiben wegen des Details, es sei denn er will eine grundsätzliche Debatte über die Agenda 21 (Anmerkung der Redaktion: Agenda 2010). Dann muss er die zuerst mit Müntefering führen. Dann muss die SPD sich das überlegen, ob sie wirklich dorthin zurück will, und dann wird es die Auseinandersetzung mit uns geben, denn wir wollen auch über die Erfolge dann sprechen. Wenn zehntausende von Arbeitnehmern in den letzten Monaten Arbeit bekommen haben, ist das durchaus ein Erfolg der Politik der letzten Jahre. Wenn wir eine Million weniger Arbeitslose haben, ist das auch eine Frage der Gerechtigkeit, denn mehr Menschen als jemals im letzten Jahrzehnt haben jetzt Zugang zum Arbeitsmarkt und das ist eine sehr prinzipielle Gerechtigkeitsfrage, allen Bürgerinnen und Bürgern wieder Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen.
Schulz: Gleichzeitig gibt es ja Beobachter, die den Kompromiss der CDU vom Parteitag so verstanden haben, „Wir als CDU einigen uns darauf in dem Wissen, dass es mit der SPD derzeit nicht machbar ist“. Ist die CDU da in eine eigene taktische Falle getappt?
Koch: Wissen Sie solche Interpretationen muss natürlich auch eine Partei ertragen und selbstverständlich haben auch in einer Partei Mitglieder, wenn sie eine Entscheidung treffen, unterschiedliche Erwartungen. Ich glaube trotzdem, sage ich für mich und denke für viele andere, die sehr, sehr darauf Wert legen, dass wir die Grundlagen des veränderten Prozesses gerade im Bereich des Arbeitslosengeldes nicht auf den Kopf stellen, dass wir die Erfolge jetzt einsammeln, die diese Veränderungen haben, und damit nicht wieder auf einen rückwärts gewandten Schritt kommen können. Trotzdem haben die gesagt, es geht jetzt bei dieser präzisen Detailfrage darum, nach welchen Kriterien ich bei älteren Menschen, die ja auch heute ein längeres Arbeitslosengeld bekommen – das ist ja gar kein Prinzipienstreit, denn wir haben immer gesagt: wer länger gearbeitet hat, muss ein höheres, ein längeres Arbeitslosengeld I bekommen -, wie man das im Detail korrekt verteilt. Über diese Frage haben wir auf dem Parteitag gesagt sind wir der Auffassung, die Bevölkerung verkraftet es eher, wenn wir es in der Weise regeln, wie wir es dann auf dem Parteitag beschlossen haben. Dabei bleiben wir und damit können alle in der Christlich-Demokratischen Union leben. Sonst wäre es nicht einstimmig beschlossen worden.
Schulz: Wegfall der Geschäftsgrundlage in der Großen Koalition? Das war der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Ihnen vielen Dank für diese Einschätzungen.
Koch: Auf Wiederhören!